Nicolas MathieuWie später ihre Kinder

E-Book (EPUB)

Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG; Actes Sud (2019)

464 Seiten

ISBN 978-3-446-26508-0

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Kurztext / Annotation
Nicolas Mathieu, ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt 2018, schreibt 'eine große Gesellschaftschronik in der Tradition Emile Zola'. Virginie Despentes
Ein Ort in der Provinz, im Osten Frankreichs. Stillgelegte Industrie. Unerträgliche Hitze. Eine Gruppe Jugendliche, ohne viel zu tun, die ihre Sexualität entdecken, Bier trinken, Moped fahren oder dealen. Langeweile. Konflikte mit und zwischen den Eltern. Die Sehnsucht nach einem anderen Leben. Nicolas Mathieu schreibt über die am Rande Liegengelassenen. Über vier Sommer begleitet Wie später ihre Kinder Anthony, Hacine und ihre Freunde beim Erwachsenwerden in einer Welt der Reihenhaussiedlungen und Durchschnittsstädte - einer Welt, in der ihnen nichts geschenkt wird und an der sie dennoch hängen. Ein großer Gesellschaftsroman über das vergessene Frankreich der 1990er, voller Leben und erzählerischer Kraft.

Nicolas Mathieu wurde 1978 in Épinal geboren und lebt in Nancy. Seit 2014 arbeitet er als Schriftsteller. Mit seinem zweiten Roman Wie später ihre Kinder gewann er 2018 den Prix Goncourt. Zuletzt erschien von ihm der Roman Rose Royal.

Textauszug
1

Anthony stand am Ufer und starrte geradeaus.

In der bleiernen Sonne wirkte das Wasser des Sees wie dickes Öl. Die samtene Oberfläche kräuselte sich, wenn ein Karpfen oder ein Hecht vorbeischwamm. Anthony atmete tief ein. In der Luft lag wieder dieser Geruch von Schlamm, von aufgeheizter Erde. Auf seinem breiten Rücken hatte der Juli Sommersprossen ausgesät. Er trug nichts als alte Fußballshorts und eine gefälschte Ray-Ban. Die Hitze war unerträglich, aber daran allein lag es nicht.

Anthony war gerade vierzehn geworden. Nachmittags konnte er ein ganzes Baguette mit La Vache qui rit verdrücken. Nachts setzte er manchmal seine Kopfhörer auf und schrieb Lieder. Seine Eltern nervten. Im Herbst würde er in die neunte Klasse kommen.

Der Cousin ließ es ruhig angehen. Er lag auf seinem Handtuch, dem guten, das sie im Ferienlager auf dem Markt in Calvi gekauft hatten, und döste vor sich hin. Selbst im Liegen sah er groß aus. Man schätzte ihn locker auf zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Das verschaffte ihm Zugang zu Orten, an denen er nichts verloren hatte. Zu Bars, zu Clubs und zu Mädchen.

Anthony zog eine Kippe aus dem Päckchen in seiner Hosentasche und wollte vom Cousin wissen, ob ihn nicht auch manchmal alles anödete.

Der Cousin verzog keine Miene. Unter seiner Haut zeichneten sich deutlich die Muskeln ab. Von Zeit zu Zeit setzte sich eine Fliege auf die Falte unter seiner Achsel. Dann zitterte seine Haut wie bei einem Pferd, das von einer Bremse belästigt wird. Anthony wäre gern wie er, schlank, mit durchtrainiertem Oberkörper. Jeden Abend machte er in seinem Zimmer Liegestütze und Sit-ups. Aber er war nicht der Typ dafür. Er blieb breit, massiv wie ein Steak. In der Schule hatte ihn mal ein Aufseher wegen irgendeiner unwichtigen Sache angemacht. Anthony wollte das draußen regeln, hatte dann aber alleine dagestanden. Außerdem hatte der Cousin eine echte Ray-Ban.

Anthony zündete sich die Kippe an und seufzte. Der Cousin wusste genau, was er wollte. Anthony bearbeitete ihn seit Tagen, zum Nacktstrand zu fahren, der nur aus Optimismus so genannt wurde, außer Mädchen oben ohne gab es dort nichts zu sehen, wenn überhaupt. Anthony war trotzdem völlig besessen.

»Los, lass uns hinfahren.«

»Nein«, knurrte der Cousin.

»Komm schon. Bitte!«

»Jetzt nicht. Geh schwimmen.«

»Ja klar ...«

Anthony starrte mit seinem seltsam schiefen Blick aufs Wasser. Eine Art Trägheit hielt sein rechtes Augenlid halb geschlossen, verzerrte sein Gesicht, sodass er ständig schlecht gelaunt aussah. Eine Sache von vielen, die ihn fertigmachte. Wie diese lähmende Hitze, dieser massige, ungelenke Körper, die riesigen Füße und das Pickelgesicht. Schwimmen ... Sehr witzig, der Cousin. Anthony spuckte durch die Schneidezähne.

Vor einem Jahr war der junge Colin ertrunken. Am 14. Juli, das konnte man sich gut merken. Damals hatten alle möglichen Leute aus der Gegend die Nacht am See und im Wald verbracht, um sich das Feuerwerk anzuschauen. Sie hatten Lagerfeuer gemacht und gegrillt. Wie jedes Jahr gab es kurz nach Mitternacht eine Schlägerei. Die Soldaten aus der Kaserne gingen auf die Araber aus dem Plattenbauviertel los, und dann mischten sich die Breitschädel aus Hennicourt ein. Schließlich machten auch die Dauercamper mit, vor allem die jungen, aber auch ein paar Familienväter, Belgier mit dicken Bäuchen und Sonnenbrand. Am nächsten Tag fand man leere Verpackungen, blutige Holzstücke, zerschlagene Flaschen und sogar eine Optimisten-Jolle des Segelclubs, die im Baum gelandet war. Das sah man nicht jeden Tag. Den jungen Colin fand man nicht.

Dabei hatte er den Abend am See verbracht. So viel stand fest, weil seine Freunde mit ihm dort gewesen waren, und die bezeugten es in den Tagen darauf. Ganz normale Jungs, die Arnaud, Alexandre oder Sébastien hießen, gerade mal Abiturienten, noch oh



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