Sibylle BergGRM (Schweizer Buchpreis 2019)

Hardcover

Kiepenheuer & Witsch (2019)

640 Seiten; 209 mm x 129 mm

ISBN 978-3-462-05143-8

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GRM (Schweizer Buchpreis 2019)

Besprechung
»Umwerfend und radikal. Mit einem hypersensiblen Gespür für das Menschliche, für Verletzlichkeiten und für menschliche Abgründe.« Julia Encke FAZ 20190623

Langtext

»Vermutlich war der Einzelne schon immer unwichtig. Es fiel nur weniger auf.«

Die Brave New World findet in wenigen Jahren statt. Vielleicht hat sie auch schon begonnen. Jeden Tag wird ein anderes westliches Land autokratisch. Algorithmen, die den Menschen ersetzen, liegen als Drohung in der Luft. Großbritannien, wo der Kapitalismus einst erfunden wurde, hat ihn inzwischen perfektioniert. Aber vier Kinder spielen da nicht mit - sondern gegen die Regeln. Und das mit aller Konsequenz. Willkommen in der Welt von GRM.

Sibylle Bergs neuer Roman beginnt in Rochdale, UK, wo der Neoliberalismus besonders gründliche Arbeit geleistet hat. Die Helden: vier Kinder, die nichts anderes kennen als die Realität des gescheiterten Staates. Ihr Essen kommt von privaten Hilfswerken, ihre Eltern haben längst aufgegeben. Die Hoffnung, in die sie sich flüchten, ist Grime, kurz GRM. Grime ist die größte musikalische Revolution seit dem Punk. Grime bringt jeden Tag neue YouTube-Stars hervor, Grime liefert immer neue Role-Models.

Als die vier begreifen, dass es zu Hause keine Hoffnung für sie gibt, brechen sie nach London auf. Hier scheint sich das Versprechen der Zukunft eingelöst zu haben. Jeder, der sich einen Registrierungschip einpflanzen lässt, erhält ein wunderbares Grundeinkommen. Die Bevölkerung lebt in einer perfekten Überwachungsdiktatur. Auf der Straße bleibt nur der asoziale, vogelfreie Abschaum zurück. Die vier Kinder aber - die fast keine Kinder mehr sind -, versuchen außerhalb des Systems zu überleben. Sie starten ihre eigene Art der Revolution.



Sibylle Berg lebt in Zürich. Ihr Werk umfasst 27 Theaterstücke, 15 Bücher und wurde in 34 Sprachen übersetzt. Berg ist Herausgeberin von drei Büchern und verfasst Hörspiele und Essays. Sie erhielt diverse Preise und Auszeichnungen, u.a. den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor, den Nestroy-Preis, den Schweizer Buchpreis, den Grand Prix Literatur, den Bertolt-Brecht-Preis und den Johann-Peter-Hebel-Preis. Bei Kiepenheuer & Witsch erschienen zuletzt die Romane »GRM/Brainfuck« (2019) und »RCE« (2022) sowie der Gesprächsband »Nerds retten die Welt« (2020).


GRM
Wie wird die Zukunft aussehen mit heranwachsenden Jugendlichen ohne Perspektive, von den Eltern im Stich gelassen, missbraucht und ignoriert.
Sie finden sich und gehen gegen das sogenannte Etablishment vor mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügunge stehen und die sie besser beherrschen als die Erwachsenen. Werden sie die Welt verändern? Eher nicht, oder doch. Was werden sie als Erwachsene für ein Leben führen und in welcher Umgebung?

Sibylle Berg versucht, an Hand von verschiedenen Charakteren ein Szenario in England zu improvisieren und spielt eine Möglichkeit durch, in der alle Beteiligten miteinander agieren. Beklemmend, bestürzend, manchmal abstoßend, aber absolut offen und pragmatisch.

GRM - Brainfuck
Der Untertitel hätte es wohl auch getan: Sibylle Berg stimuliert wirklich das Gehirn, sie gönnt dem Leser keine Pause. Wenn Houellebecq miesepetrig ist, was ist dann Sibylle Berg? Ich bewundere aber ihre Eloquenz, denn als Leser fühlt man sich bald heimisch in der neuen Diktatur des Westens. Alles kommt uns bekannt vor, denn in jeder Zeitung könnten wir über die heutige Gesellschaft lesen, viele tun es nur nicht mehr. Es ist die konzentrierte Form der Negativschlagzeilen, die "GRM" so besonders machen. Und die vier Jugendlichen schlagen sich tapfer, angetrieben von einer neuen Musikrichtung. Als Leser hat man die Wahl: entweder ist das Glas halb voll, oder aber halb leer.

GRM
„Es war die Zeit, in der zur realen Grausamkeit der Menschen noch die virtuelle hinzugefu?gt wurde.“ Bumm, der Satz sitzt. Und gibt die Richtung dieses opulenten und blitzgescheiten Romanes vor. Vier Kinder, die sich im vom Neoliberalismus zerfressenen England gegen das System auflehnen. Eine krasse Mischung zwischen Charles Dickens, Brave New World und American Psycho. Eine Abrechnung mit YouTube, Castingshows und Konsumzwang. Ein hellsichtiges Pamphlet in Romanform. Grandios!
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