Dževad KarahasanDer Trost des Nachthimmels

E-Book (EPUB)

Suhrkamp (2016)

723 Seiten

ISBN 978-3-518-74464-2

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Kurztext / Annotation

Mit epischer Kraft, den Scharfsinn und die Ohnmacht seiner Protagonisten im Blick, schildert der große bosnische Schriftsteller D?evad Karahasan, wie der heraufziehende religiöse Fundamentalismus eine blühende, von geistiger Vielfalt und Toleranz geprägte Epoche zerstört.
Isfahan im 11. Jahrhundert: Unerwartet stirbt ein hochangesehener Mann und der Sohn des Verstorbenen fordert Aufklärung. An den Ermittlungen nimmt auch der Hofastronom Omar Chayyam teil, der zu dem Schluss kommt, dass der Mann vergiftet wurde. Aber was fängt er nun mit dieser Wahrheit an? Kurz darauf verdüstert sich der Horizont. Hofintrigen und soziale Spannungen bedrohen das Reich von innen, während ihm Kreuzritter und Mongolen von außen gefährlich werden.
Als der berühmte Mathematiker und Dichter Chayyam Jahrzehnte später Rechenschaft über sein Leben ablegt, ist das Reich zerfallen. Eine Terrororganisation, angeführt von seinem früheren Weggefährten, versetzt die Gegend in Angst ...



D?evad Karahasan, 1953 in Duvno/Jugoslawien geboren, zählte zu den bedeutendsten europäischen Autoren der Gegenwart. Sein umfangreiches Werk umfasst Romane, Essays, Erzählungen und Theaterstücke. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung 2004 und mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt 2020. D?evad Karahasan verstarb am 19. Mai 2023 im Alter von 70 Jahren in Graz.

Textauszug
1

Es gibt Tage, die besser nicht angebrochen wären. Aber wenn sie schon anbrechen müssen, wenn der Anbruch eines jeden Tages unabwendbar ist, müsste es eine Möglichkeit geben, den Tag, den man ganz gewiss nicht braucht, zu meiden, etwa indem man gar nicht erst aufwacht oder ihm sonstwie fernbleibt. Ohne diese Möglichkeit ist man nicht frei, ein Wesen, das nicht mindestens darüber entscheiden kann, was es nicht möchte, hat keinen freien Willen und wird nie einen haben.

Für Omar Chayyam war dieser Donnerstag, der 16. Schaban des Jahres 469, sicherlich so ein Tag. Der Morgen dämmerte schon, als er von Sali nach Hause kam, einem guten Bekannten, fast Freund, den er beim Sterben begleitet hatte, wohl wissend, dass er an diesem Tod nicht direkt schuld, aber auch nicht ganz unschuldig war. Vor seinem Haus traf er einen unbekannten Burschen an, der ihm mitteilte, die Karawane mit der Ausrüstung und den Büchern für das Observatorium, das er hier in Isfahan baute, sei überfallen und ausgeraubt worden. Verständnislos starrte er den Burschen an und redete sich ein, das sei Unsinn und demnach nicht möglich. Was sollten Räuber mit seinen Büchern und Astrolabien, Sternenatlanten und astronomischen Tafeln anfangen? Aber der Bursche stand unbeirrt vor ihm, und so schweigsam er auch war, bewies er ihm dadurch, dass er möglich und sogar wirklich war, ob das nun Sinn hatte oder nicht. Und dann gab es auf der Baustelle des Observatoriums eine Reihe von Gründen, diesen Tag zu meiden. Die Arbeiter standen in Grüppchen beieinander und beratschlagten, wie sie den Tag totschlagen und dabei so tun könnten, als arbeiteten sie, denn schon seit zwei Tagen hatten sie weder Material noch einen von den Leuten gesehen, die sie damit eindecken sollten. Chayyam spuckte aus und eilte Richtung Basar, in der Hoffnung, dort Feridun zu finden, einen jungen Unternehmer, der alle Arbeiten rings um den Bau des Observatoriums leitete.

Während er den Berg hinab dem Stadtzentrum zustrebte, ging er in Gedanken alle Vorfälle durch, die zu Salis Tod geführt hatten, wahrscheinlich weil er hoffte, etwas zu finden, was ihn von seiner Unschuld überzeugen oder ihn zumindest ein wenig von seinem Schuldgefühl entlasten würde. Am Dienstag, den 14. Schaban, hatte ihn Sali zu einem geselligen Beisammensein bei Yazdagird eingeladen, einem Anhänger von Zoroaster, dessen Teehaus die goldene Jugend von Isfahan zu einem ihrer Lieblingstreffpunkte gemacht hatte, Sali hatte einen großen Auftrag und einen entsprechend hohen Vorschuss bekommen, und das wollte er feiern, indem er eine erlesene Gesellschaft bewirten ließ.

Yazdagirds Teehaus lag inmitten eines weitläufigen Gartens, direkt am Ufer des Zayandeh Rud, ungefähr einen halbstündigen Ritt von der Stadt entfernt, und bestand aus zwei Räumen, von denen einer für jeden offenstand, weil dort Essen und erlaubte Getränke serviert wurden, während der andere, kleinere Raum, der sich zu einer Terrasse öffnete, die sich wiederum in einer Reihe kleinerer, sich zum Fluss hinunter erstreckender Terrassen fortsetzte, hauptsächlich für geschlossene Gesellschaften reserviert war, die den schönen Blick auf den Garten und den Fluss, aber auch Wein, Haschisch, Frauen und andere Dinge genießen wollten, die jedem verboten sind, der nicht genug Geld hat, um sie sich ungestraft leisten zu können. Als Omar und Sali eintrafen, erwartete sie in diesem Raum, an einem großen Tisch in der Ecke, schon eine Gesellschaft, die aus drei jungen Männern bestand. Zwei von ihnen kannte Omar vom Sehen, mit dem dritten und ältesten, dem sympathischen Sonderling Abu Said, einem Sufi, der verlangte, dass man ihn Prinz Seydo nannte, war er ziemlich gut bekannt, weil er sich mit ihm viel und gern über Poesie unterhielt. Wie andere Sufis trug Abu Said Kleidung aus grober Wolle, aber immer hatte er mindestens ein goldfarbenes Stück an, heute zum Beispiel einen Kaftan, der zugleich das eitle Gold und die grobe, kaum verarbeitete



Beschreibung für Leser
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Katharina Wolf-Grießhaber wurde 1955 in Stuttgart geboren. Sie studierte Slavistik und Osteuropäische Geschichte in Heidelberg und Bochum. Heute lebt und arbeitet sie als freie Übersetzerin in Münster. Zu den von ihr übersetzten Autoren aus dem osteuropäischen Sprachraum zählen u.a. Bora Cosic, Danilo Kis, Bogdan Bogdanovic, Slavenka Drakulic und Dzevad Karahasan. 2008 erhielt Katharina Wolf-Grießhaber den "Albatros Preis".