Mario Vargas LlosaDie Enthüllung

E-Book (EPUB)

Suhrkamp (2016)

301 Seiten

ISBN 978-3-518-74774-2

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Kurztext / Annotation

Enrique ist glücklich verheiratet, beruflich erfolgreich und hat ein Riesenproblem: Er wird erpresst ... brisante Spannungsgeschichte, erotisches Kammerspiel, zeitpolitischer Schlüsselroman - in seinem neuesten Roman hat Mario Vargas Llosa ein so kunstreiches wie lebensechtes Panorama der menschlichen Verhältnisse geschaffen, ein Werk von staunenswerter Tiefenschärfe und bleibender Gültigkeit.
Enrique wird erpresst. Von Garro, dem Besitzer eines Boulevardblatts, der belastende Fotos hat und ihn zwingen will, in die Zeitschrift zu investieren. Enrique sucht Rat bei Luciano, seinem alten Weggefährten und Anwalt, verliert jedoch im entscheidenden Moment die Nerven und bietet dem Erpresser offen die Stirn. Der bringt darauf die Fotos und wird kurze Zeit später tot aufgefunden, brutal ermordet. Enrique, geschäftlich wie moralisch ruiniert, glaubt, das sei das Ende. Doch es ist erst der Anfang. Denn während die Polizei ihn der Bluttat verdächtigt und er in undurchsichtige Machenschaften gerät, die aus den allerhöchsten Regierungskreisen gesteuert scheinen, kommen sich seine und Lucianos Frau mehr als nur freundschaftlich nahe ...



Mario Vargas Llosa, geboren 1936 in Arequipa/Peru, studierte Geistes- und Rechtswissenschaften in Lima und Madrid. Bereits während seines Studiums schrieb er für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen und veröffentlichte erste Erzählungen, ehe 1963 sein erster Roman Die Stadt und die Hunde erschien. Der peruanische Romanautor und Essayist ist stets als politischer Autor aufgetreten und ist damit auch weit über die Grenzen Perus hinaus sehr erfolgreich. Zu seinen wichtigsten Werken zählen Das grüne Haus, Das Fest des Ziegenbocks, Tante Julia und der Schreibkünstler und Das böse Mädchen.
Vargas Llosa ist Ehrendoktor verschiedener amerikanischer und europäischer Universitäten und hielt Gastprofessuren unter anderem in Harvard, Princeton und Oxford. 1990 bewarb er sich als Kandidat der oppositionellen Frente Democrático (FREDEMO) bei den peruanischen Präsidentschaftswahlen und unterlag in der Stichwahl. Daraufhin zog er sich aus der aktiven Politik zurück.
Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 1996 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2010 den Nobelpreis für Literatur. 2021 wurde er in die Académie Française aufgenommen. Heute lebt Mario Vargas Llosa in Madrid und Lima.



Textauszug
1
Marisas Traum

War sie aufgewacht oder träumte sie noch? Dieser heiße Kitzel am rechten Fußrücken war die ganze Zeit da, ein ungewöhnliches Gefühl, das mit einem Kribbeln ihren ganzen Körper erfasste und ihr sagte, dass sie nicht allein im Bett lag. Ein Wust von Erinnerungen kam herbeigesaust, aber sie sortierten sich, wie ein Kreuzworträtsel, das sich allmählich füllt. Sie waren gut gelaunt gewesen, auch ein wenig angesäuselt von dem Wein nach dem Essen, kamen vom Terrorismus auf die Filme zu sprechen und auf den Gesellschaftsklatsch, als Chabela auf die Uhr sah und hochsprang, ganz blass: »Die Ausgangssperre! Mein Gott, das schaffe ich nicht mehr bis nach La Rinconada. Wie uns die Zeit davongeflogen ist.« Marisa bestand darauf, dass sie über Nacht blieb. Probleme gäbe es nicht, denn Quique war nach Arequipa gefahren, wegen einer Vorstandssitzung morgen früh in der Brauerei, sie waren Herrinnen über die Wohnung am Golfplatz. Chabela rief ihren Mann an, und Luciano, immer verständnisvoll, sagte, es spreche nichts dagegen, er werde sich darum kümmern, dass die beiden Mädchen pünktlich den Schulbus nähmen. Chabelita solle einfach bei Marisa bleiben, das sei besser, als gegen die Ausgangssperre zu verstoßen und von einer Patrouille angehalten zu werden. Verdammte Ausgangssperre. Aber klar, der Terrorismus war schlimmer.

Chabela blieb über Nacht, und Marisa spürte nun die Fußsohle ihrer Freundin auf dem rechten Spann: ein leichter Druck, ein sanftes, warmes, zärtliches Gefühl. Wie kam es, dass sie so nah beieinanderlagen in diesem großen Ehebett, über das Chabela, als sie es sah, gescherzt hatte: »Mensch, Marisita, kannst du mir sagen, wie viele Personen in dem Riesending schlafen?« Sie erinnerte sich noch, wie sie sich auf ihre jeweilige Seite gelegt hatten, mit mindestens einem halben Meter Abstand. Wer von ihnen beiden war im Schlaf so weit gerutscht, dass Chabelas Fuß nun auf dem ihren lag?

Sie traute sich nicht, sich zu rühren. Sie hielt den Atem an, um ihre Freundin nicht zu wecken, nicht dass sie den Fuß zurückzog und dieses angenehme Gefühl verschwand, das vom Fußrücken aus ihren ganzen Körper ergriff und sie in Spannung hielt, konzentriert. Nach und nach erkannte sie im Dunkel des Schlafzimmers ein paar Streifen Licht in den Jalousien, den Schatten der Kommode, die Tür zur Ankleide, die Badezimmertür, die Rechtecke der Gemälde an der Wand, Tilsas Wüste mit Schlangenfrau, Szyszlos Kammer mit dem Totem, die Stehlampe, die Skulptur von Berrocal. Sie schloss die Augen und lauschte: ganz schwach, aber regelmäßig, das war Chabelas Atem. Sie schlief, vielleicht träumte sie auch, bestimmt war sie selber im Schlaf an den Körper ihrer Freundin herangerückt.

Überrascht, beschämt fragte sie sich erneut, ob sie wach war oder träumte, und schließlich wurde Marisa klar, was ihr Körper längst wusste - sie war erregt. Die zarte Fußsohle, die ihr da den Fußrücken wärmte, hatte ihre Haut und ihre Sinne entflammt, und sie war sich sicher, wenn sie mit der Hand zwischen ihre Beine führe, wäre es dort ganz feucht. Bist du verrückt geworden?, sagte sie sich. Dich erregen zu lassen von einer Frau? Seit wann das, Marisita? Alleine hatte sie sich schon oft erregt, klar, hatte auch schon mal mit dem Kopfkissen zwischen den Beinen masturbiert, aber immer hatte sie dabei an Männer gedacht. An eine Frau? Soweit sie sich erinnern konnte, niemals! Doch jetzt war sie erregt, bebte von Kopf bis Fuß und verging vor Lust, wünschte sich, dass sich nicht nur ihre Füße berührten, sondern ihre Körper, dass sie wie an ihrem Fußrücken überall die Nähe und die Wärme ihrer Freundin spürte.

Mit klopfendem Herzen und einer Atmung, als würde sie schlafen, drehte sie sich ein Stück zu ihr hin und merkte, auch ohne sie zu berühren, dass sie jetzt nur noch ein paar Millimeter von Chabelas Rücken, ihrem



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Thomas Brovot lebt als Übersetzer (u.a. Reinaldo Arenas, Juan Goytisolo, Federico Garcia Lorca) in Berlin.