Sibylle Lewitscharoff; Najem WaliAbraham trifft Ibrahîm. Streifzüge durch Bibel und Koran

E-Book (EPUB)

Suhrkamp Verlag (2018)

309 Seiten

ISBN 978-3-518-75705-5

EPUB sofort downloaden
Downloads sind nur für Kunden mit Rechnungsadresse in Österreich möglich!

Kurztext / Annotation
Eine hochdramatische Szene: Der Vater beugt sich über den wehrlosen Jungen, das Messer blitzt in seiner Hand - da befiehlt ihm im letzten Moment ein Engel, statt des eigenen Sohnes einen Widder zu opfern. Die Geschichte von Abraham und Isaak ist bekannt. Dass sie dem Philosophen Kierkegaard eine schlaflose Nacht am Berliner Gendarmenmarkt bescherte, in deren Verlauf ihm eine göttliche Maus erschien, um Fragen der Barmherzigkeit zu erörtern - das weiß nur Sibylle Lewitscharoff. Was wiederum der Koran aus diesem Stoff macht, davon erzählt uns Najem Wali.
Von Eva bis Maria, von Moses bis Satan: Neun Figuren aus Bibel und Koran haben die sprachmächtige Religionswissenschaftlerin Sibylle Lewitscharoff und der irakisch-deutsche Autor Najem Wali ausgewählt. Deren Geschichten gehen die beiden aus ihrer je eigenen Sicht nach, temperamentvoll, engagiert, auch augenzwinkernd. Mit dem geplagten Hiob fragen sie nach der göttlichen Gerechtigkeit, mit Jona, dem ängstlichen Wal-Reisenden, nach Mut und Toleranz und berühren mit ihrem Dialog zwischen den Weltreligionen die Krisen unserer Zeit.

Sibylle Lewitscharoff, 1954 in Stuttgart geboren, veröffentlichte Radiofeatures, Hörspiele, Essays und Romane. Für Pong erhielt sie 1998 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Der Roman Apostoloff wurde 2009 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. 2013 wurde sie mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Ihr erstes Theaterstück, Vor dem Gericht, wurde 2012 am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt. Lewitscharoff war Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie der Berliner Akademie der Künste. Sibylle Lewitscharoff verstarb am 14. Mai 2023 im Alter von 69 Jahren in Berlin.

Textauszug
Najem Wali
Einleitung
Grenzgänge zwischen Bibel und Koran

Dem Koran1 zufolge gab es, von Âdam bis Muhammad2, insgesamt fünfundzwanzig Propheten (arabisch: Anbiyâ, Singular: Nabi). Manche von ihnen werden auch als Rasûl (»Gesandter«) betitelt, wobei die Religionsgelehrten unterschiedliche Definitionen aufstellen. Folgen wir der Argumentation, dass ein Prophet bei einer bestimmten Gruppe von Menschen eine göttliche Mission erfüllt, während die Aufgabe des Gesandten weiter reicht - er soll die gesamte Menschheit zur Umkehr bewegen -, kommen wir auf fünf Gesandte.

Daraus erklärt sich auch, warum drei von ihnen im Islam mit heiligen Büchern verbunden sind: Mûsa (Moses) mit der Thora, Îsa (Jesus) mit dem Indschîl (den Evangelien) und Muhammad mit dem Koran. Die übrigen zwei Gesandten brachten zwar keine heiligen Bücher, trugen diesen Titel aber dennoch, weil auch sie allen Menschen gegenüber eine heilige Mission versahen. Die Aufgabe des einen, Âdam, bestand darin, Gottes Stellvertreter auf Erden zu sein, die des anderen, Nûh (Noah), war es, die Menschheit durch den Bau eines großen Schiffs, auf das er von jeder Art Lebewesen ein Paar lud, vor der vollständigen Vernichtung durch die Sintflut zu bewahren.

Jeder Gesandte ist also zugleich auch Prophet, umgekehrt gilt dies jedoch nicht. Unbekannt ist dabei, warum der Prophet Dawûd (David) nicht ebenfalls den Titel eines Gesandten trägt, sagt Gott doch im Koran über ihn: »David [Dawûd] gaben wir den Psalter« (Sure 4,163 - gemeint sind die Psalmen). Denn der Psalter ist ebenso ein heiliger Text wie jene, die mit Mûsa, Îsa und Muhammad in Zusammenhang gebracht werden. Dasselbe gilt für Sulaimân (König Salomo), Ayyûb (Hiob) und die alttestamentlichen Propheten. Zudem spricht der Koran selbst in zahlreichen Suren von den Ahl al-Kitâb, den Buchbesitzern, zu denen nach islamischem Recht die Juden und die Christen gehören, die er den übrigen Glaubensgemeinschaften gegenüber privilegiert und denen er einen hohen Rang zuweist.

Sämtliche Prophetengeschichten im Koran haben einen Vorläufer im Alten Testament (abgesehen von der Christusgeschichte bei Matthäus, Markus, Lukas und Johannes im Neuen Testament). Dies schlägt sich auch in seiner Erzählweise und Erzählstruktur nieder. Denn unabhängig davon, welchen Rang Muhammad den ihm vorausgegangenen Propheten zuerkennt, sind von ihren Legenden im Koran nur Bruchstücke überliefert, die sich zudem auf verschiedene Suren und Verse verteilen. Der Anspielungsreichtum und die Knappheit der Schilderungen zeigen, dass Muhammads Publikum die entsprechenden Geschichten schon gehört oder gelesen haben musste und die fehlenden Informationen zu ergänzen vermochte, sonst wären sie kaum verständlich gewesen. Dafür wurde später der Begriff der Israiliyât geprägt. Um ihn zu erläutern, muss man auf die These von den Buchbesitzern, den Juden und Nasâri, »Nazarenern« (wie die Christen im Koran genannt werden), zurückkommen. Die religiöse Kultur der Juden stützte sich hauptsächlich auf den Tanach, die der Christen auf das Neue Testament. Als nun viele Anhänger dieser beiden Glaubensrichtungen dem Islam beitraten, brachten sie das Wissen und die Überlieferungen, die zu ihrer religiösen Kultur gehörten, mit. Wenn sie dann die Geschichten im Koran lasen, erinnerten sie sich all der Details, die in der Bibel Erwähnung fanden.

Wie sollte es auch anders sein, da doch der Koran selbst seine Geschichten zu großen Teilen aus dem Alten und dem Neuen Testament importiert hatte. Dieses Eindrucks konnte sich auch Umar Bin al-Chattâb, ein berühmter Zeitgenosse Muhammads, der nach dessen Tod der zweite Kalif werden sollte, nicht erwehren. Wie in der Koranexegese des islamischen Geschichtsschreibers Ibn Kathîr berichtet wird, kam er eines Tages mit einem Buch, das er von einigen Buchbesitzern erwor



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet