Elena FerranteFrau im Dunkeln

E-Book (EPUB)

Suhrkamp Verlag (2019)

188 Seiten

ISBN 978-3-518-76114-4

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Kurztext / Annotation

Was bedeutet es, eine Frau und Mutter zu sein - und dabei eigene Wege gehen zu wollen? Mit frappierender Ehrlichkeit ergründet Elena Ferrante die widersprüchlichen Gefühle, die uns an unsere Kinder binden. Und zeigt uns die rätselhafte Schönheit und Brutalität dessen, was unser Leben ist.

Ein heißer Sommer an der süditalienischen Küste, Leda - knapp fünfzig, allein lebend, Mutter zweier erwachsener Töchter - verbringt unbeschwerte Tage am Strand. Sie vertreibt sich die Zeit damit, eine junge Mutter und deren kleines Mädchen zu beobachten, die innig vor sich hin spielen. Doch plötzlich verdüstert sich das Idyll und die sonst so beherrschte Leda lässt sich zu einer unbegreiflichen Tat hinreißen ...



Elena Ferrante hat sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Ihre vierbändige Neapolitanische Saga - bestehend aus Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes - ist ein weltweiter Bestseller. Zuletzt erschienen im Suhrkamp Verlag auch Ferrantes frühere Romane Lästige Liebe, Tage des Verlassenwerdens und Frau im Dunkeln, sowie der Band Frantumaglia, der Briefe, Aufsätze und Interviews versammelt.



Textauszug
2

Als meine Töchter nach Toronto zogen, wo ihr Vater seit Jahren lebte und arbeitete, stellte ich verwirrt und überrascht fest, dass mir das keinen Schmerz verursachte, sondern dass ich mich erleichtert fühlte, als hätte ich sie erst in diesem Moment endgültig auf die Welt gebracht. Zum ersten Mal seit fast fünfundzwanzig Jahren musste ich mich nicht mehr um sie kümmern und für sie sorgen. Die Wohnung war aufgeräumt, als würde niemand darin leben, der lästige Einkauf und die Wascherei entfielen, die Frau, die mir seit Jahren im Haushalt zur Hand ging, fand eine lukrativere Arbeit, und ich hatte keinen Bedarf, sie zu ersetzen.

Meine einzige Verpflichtung den Mädchen gegenüber war der tägliche Anruf, um zu hören, wie es ihnen ging und was sie machten. Am Telefon ließen sie mich in dem Glauben, sie hätten schon etwas Eigenes gefunden; in Wirklichkeit lebten sie bei ihrem Vater, doch gewohnt, unsere Trennung auch sprachlich zu vollziehen, redeten sie mit mir, als existiere er gar nicht. Wenn ich sie fragte, wie ihr Leben so aussah, wechselten sie entweder fröhlich das Thema oder sie antworteten einsilbig und missmutig oder sie verfielen in diesen künstlichen Ton, den sie in Gesellschaft ihrer Freunde hatten. Auch sie riefen mich oft an, vor allem Bianca, die mir gegenüber fordernder war, und sei es nur, um von mir zu erfahren, ob blaue Schuhe zu einem orangefarbenen Rock passten, ob ich schnell ein paar Seiten, die sie in einem Buch liegen gelassen hatte, heraussuchen und ihr schicken könnte, ob ich immer noch bereit war, mir all ihre Wut und ihr Unglück aufhalsen zu lassen, obwohl wir auf unterschiedlichen Kontinenten saßen und ein weiter Himmel uns trennte. Unsere Gespräche waren nie sehr lang, und manchmal klangen sie unnatürlich wie im Kino.

Ich tat, worum sie mich baten, reagierte so, dass es ihren Erwartungen entsprach. Und da es mir aus der Ferne nicht möglich war, direkt auf ihr Leben einzuwirken, erfüllte ich ihre Wünsche und Launen, wie sie eben kamen und ohne mir Gedanken zu machen, ich empfand ihre Bitten nicht als Last, und das Erledigen ihrer Aufträge wurde mir zu einer Herzensangelegenheit. Ich fühlte mich befreit, als wäre ein schwieriges Werk wie durch ein Wunder endlich vollendet und mir eine Last von den Schultern genommen.

Ich konnte nun arbeiten, ohne mich um ihre Zeitpläne und Angelegenheiten zu kümmern. Nachts korrigierte ich die Hausarbeiten meiner Studenten und hörte dazu Musik, nachmittags schlief ich oft, mit Stöpseln in den Ohren, ich aß nur eine Mahlzeit am Tag, immer in einer Trattoria in der Nähe. Ich war wechselhaft, in meiner Art, in meinen Launen, sogar in meiner äußeren Erscheinung. Ich ärgerte mich nicht mehr über die zu dummen oder zu intelligenten jungen Leute an der Universität. Ein Kollege, den ich seit Jahren kannte und mit dem ich hin und wieder ins Bett ging, stellte eines Abends verwundert fest, ich sei weniger zerstreut als früher, auch gelassener. Nach wenigen Monaten besaß ich wieder den schmalen Körper, den ich als junge Frau gehabt hatte, ich spürte eine sanfte Kraft in mir, meine Gedanken hatten wieder das richtige Tempo. Eines Abends betrachtete ich mich im Spiegel. Ich war siebenundvierzig, in vier Monaten hatte ich Geburtstag, doch ein paar Jahre schienen wie durch einen Zauber getilgt. Ich kann nicht sagen, ob mich das freute, doch mit Sicherheit war ich darüber erstaunt.

In dieser ungewohnt guten Verfassung - inzwischen war es Juni - bekam ich Lust auf Urlaub und beschloss, ans Meer zu fahren, sobald die Prüfungen und der leidige Bürokram erledigt waren. Ich machte mich im Internet auf die Suche, verglich Fotos und Preise. Schließlich mietete ich von Mitte Juli bis Ende August eine winzige, recht günstige Wohnung an der ionischen Küste. Tatsächlich konnte ich erst am vierundzwanzigsten Juli aufbrechen, ich hatte eine ruhige Fahrt in meinem mit Büchern vollgeladenen Auto, die ich für die Vorbereitung des nächs



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