Clemens J. SetzDer Trost runder Dinge

E-Book (EPUB)

Suhrkamp Verlag (2019)

320 Seiten

ISBN 978-3-518-76135-9

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Kurztext / Annotation

Clemens J. Setz erzählt über das Absurde und Groteske des menschlichen Zusammenlebens. Das ganz und gar Unerwartete bricht in das Leben seiner Figuren ein. Ihr Schöpfer erzählt davon einfühlsam, fast zärtlich. Durch Falltüren gestattet er uns Blicke auf rätselhafte Erscheinungen und in geheimnisvolle Abgründe des Alltags, man stößt auf Wiedergänger und auf Sätze, die einen mit der Zunge schnalzen lassen. Der Trost runder Dinge ist ein Buch voller Irrlichter und doppelter Böden - radikal erzählt und aufregend bis ins Detail.



Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren, wo er Mathematik und Germanistik studierte. Heute lebt er als Übersetzer und freier Schriftsteller in Wien. 2011 wurde er für seinen Erzählband Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Sein Roman Indigo stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2012 und wurde mit dem Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft 2013 prämiert. 2014 erschien sein erster Gedichtband Die Vogelstraußtrompete. Für seinen Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre erhielt Setz den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2015. Mit Vereinte Nationen war Setz 2017 und mit Die Abweichungen 2019 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. 2021 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt.



Textauszug
Südliches Lazarettfeld
1

Ich weiß noch, dass ich an dem Tag recht früh erwachte. An Träume erinnere ich mich nicht. Ich zog mich an und trat auf den Balkon. Es wurde gerade hell, aber die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen. Ein leichter Wind bewegte die Katzenminze. Ich rauchte eine Zigarette und studierte dabei eine dämmerungsträge Spinne, die etwas oberhalb des Geländers in ihrem schon halb aufgegebenen Nachtnetz hing. Es war später März, und auf der Hausmauer war viel los. Die Feuerwanzen klebten schon wieder am Hinterteil zusammen.

Unten im noch dunklen Garten waren Autos geparkt mit aktivierten Sicherheitssystemen: Hinter jeder Windschutzscheibe blinkte eine kleine Raumstation. Ein Specht bearbeitete einen Baumstamm, aber er war schlecht synchronisiert, das Klopfen passte nicht zu seinen Kopfbewegungen. Er hüpfte mehrere Äste ab und maß dem Baum den Puls. Ich bekam davon ein mulmiges Gefühl, wie Durst, und ging zurück in die Wohnung, um etwas zu trinken. Wie immer, wenn man ein volles Glas Wasser durch einen Raum trägt, ohne dass es überschwappt, befiel mich das leicht übernatürliche Fernlenkgefühl. Selbst wenn ich versuchte, absichtlich ein bisschen Wasser zu verschütten, hielt mein inneres Lot irgendwie dagegen und glich alles aus. Zu Mittag würde ich nach Kanada fliegen, für vier Wochen. Es war der Flug OS 4977.

Für den Vormittag war Föhnwind vorhergesagt. Ich schaute mir Wetterseiten im Internet an und betrachtete später unser holzgeschnitztes Barometer im Vorzimmer. Es bestand aus zwei tanzenden Bauersleuten, einem Mann und einer Frau, und je nach Luftdruck verschwand einer von beiden in das Gehäuse. Zu keiner Zeit war es ihnen erlaubt, sich gemeinsam in ihrem Heim aufzuhalten. Wie fast jeden Morgen befiel mich beim Anblick des altertümlichen Messgeräts die Gewissheit, dass die sich ins Häuschen zurückdrehende Figur, sobald sie um die Ecke bog und unsichtbar wurde, in einer anderen, weit entfernten Wohnung, wenn nicht überhaupt auf einem ganz anderen Kontinent oder Planeten, in Erscheinung treten würde.

Ich kontrollierte die Zeit. Noch etwa eine Stunde, dann ging es los, Taxi, Flughafen, warten, dann fast einen halben Tag oben im Loch. Es half nicht viel, dass man aus dem Flugzeugfenster Wolkenfelder und den endlosen Atlantik würde sehen können, man war abgeschnitten von der Welt, man erstreckte sich nicht mehr. Ich hörte, dass meine Frau aufgestanden war: Im Schlafzimmer wurden alle über Nacht aufgerollten Teppichecken heruntergeklappt. Dann lief sie, ohne mich zu bemerken, an mir vorbei, und im Raum roch es für einen Augenblick nach etwas lang Vergangenem, nach Adventskalender oder Dinosaurierbuch.

»Hoffentlich gibt es WLAN an Bord«, sagte ich.

»Ah, guten Morgen.«

»Ich bin schon seit einer Stunde wach«, erklärte ich. »Sorry, ich hab das Gespräch ohne dich begonnen.«

»Gibt's vermutlich nicht. Also Internet. Aber lass mich mal aufwachen.«

Kurze Zeit später ging in der Wohnung, als zweite Sonne des Vormittags, der Kaffeeduft auf. Meine Tasse war mit einem vielfarbigen Mandelbrot-Muster bedruckt.

Beim Frühstück hörten wir analoges Radio, wie die Menschen im Mittelalter. Eine Jazzband spielte Summertime und Begin the Beguine. Marianne fragte mich nach dem Titel des Liedes. Ich nannte ihn. »Beginen«, murmelte sie vor sich hin. Sie stand an der Anrichte und befühlte die Avocados. Dann sagte sie: »Beginen, die Avocados befühlten.«

»Ja«, sagte ich. »So lebte man damals bei uns in Europa.«

Marianne hielt sich die Nase zu und imitierte die Durchsage eines Flugkapitäns beim Erreichen der Reiseflughöhe. Meine Damen und Herren. Sie versprach sich aber mehrere Male und musste neu anfangen.

»Warum halten die sich eigentlich immer die Nase zu, wenn sie Durchsagen machen?«

»Wahrscheinlic



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet


Stories, die verstören
Der Trost runder Dinge, was für ein genialer Titel, was für ein grandioses Cover.
Doch bei den Geschichten kann man sich auch schwertun, nicht immer bin ich richtig reingekommen, einiges ging an mir vorbei und hat mich kalt gelassen.
Aber es gibt auch Ausnahmen, die Story Otter,Otter, Otter um einem Mann und seiner blinden Freundin sowie die Geschichte Das Klassenfoto. Die beiden vermochten mich zu berühren. Dann gab es auch noch sehr kurze Stories, die originell waren, aber auch wie kleine Fingerübungen wirken.
Es gibt ein paar sehr gute Beobachtungen von Clemens J.Seitz, aber dann wirken die Geschichten fast wie Essays.
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