Martin PollackDie Frau ohne Grab

E-Book (EPUB)

Paul Zsolnay Verlag (2019)

184 Seiten

ISBN 978-3-552-05967-2

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Kurztext / Annotation
Nach 'Der Tote im Bunker' folgt Martin Pollack den Spuren seiner Tante, die am Ende des Zweiten Weltkriegs zu Tode kommt und deren Grab nie gefunden wird.
Sommer 1945: Die siebzigjährige Pauline Drolc, geborene Bast, wird von jugoslawischen Partisanen in ihrem Heimatort Tüffer, slowenisch Lasko, verhaftet und in das provisorische Internierungslager Schloss Hrastovec gebracht. Wenige Wochen später ist sie tot. Ihr Grab wird nie gefunden. Pauline ist die Großtante von Martin Pollack, dessen Buch über den eigenen Vater, SS-Sturmbannführer Gerhard Bast, zu den Meilensteinen der Erinnerungsliteratur zählt. Und sie ist die Einzige in der stramm deutschnationalen Familie, die am Ende des Zweiten Weltkriegs zu Tode kommt. In seinem detektivisch recherchierten Bericht erzählt Martin Pollack über das Schicksal eines Menschen, das beispielhaft ist für die historischen Verstrickungen an einem kleinen Ort an der Grenze.

Martin Pollack, geboren 1944 in Bad Hall, Oberösterreich, studierte Slawistik und osteuropäische Geschichte. Bis 1998 Korrespondent des Spiegel in Wien und Warschau. Übersetzer u. a. von Ryszard Kapuscinski. Preise u. a.: Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung (2011), Johann-Heinrich-Merck-Preis, Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik (beide 2018). Bei Zsolnay sind u.a. erschienen: Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann (2002), Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater (2004), Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien (2010) und zuletzt Die Frau ohne Grab. Bericht über meine Tante (2019).

Textauszug
1

Als ich vor Jahren das erste Mal nach Lasko fuhr, um nach Spuren meiner von dort stammenden Familie zu suchen, hatte ich von Paulines Existenz keine Ahnung.

Weder mein Großvater noch sein jüngerer Bruder hatten sie mir gegenüber jemals erwähnt. Sie hatten oft und gern von Tüffer erzählt, wie ihr kleiner Heimatort auf Deutsch genannt wurde, von einer glücklichen, unbeschwerten Jugend, von abenteuerlichen Streifzügen durch die umliegenden Wälder, von der Jagd nach Auerhähnen, Fasanen, Hasen und Rehwild, von kapitalen Böcken, erlegt nach stundenlanger schweißtreibender Pirsch, von gigantischen Huchen, die sie aus der durch Tüffer fließenden Sann, slowenisch Savinja, gezogen hatten, von einem liebevollen Elternhaus, vom wunderbaren Essen, das die Mutter mit Hilfe der slowenischen Köchin auf den Tisch zauberte, von duftenden Nusspotitzen und Poganzen und vom sonntäglichen Braten, meist ein knuspriger Puran, ein wahres Gedicht.

Mein Großvater erzählte mir auf unseren Wanderungen über die Dörfer rund um Amstetten in Niederösterreich stundenlang begeistert vom Leben in Tüffer. Das war in den späten vierziger, frühen fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Wenn er in die private, nur ihm und ein paar Eingeweihten vertraute Heimat seiner Kindheit eintauchte, wurde er jedes Mal sentimental und bekam feuchte Augen. Seine Stimme nahm dann einen singenden Tonfall an, so wie er einst zu Hause geredet haben mag. Dabei war er für gewöhnlich ein cholerischer, harter Mann, doch Tüffer weckte in ihm nostalgische Erinnerungen an ein versunkenes Paradies, an eine Idylle.

Mein Großvater hieß Rudolf Bast und wurde von mir liebevoll Opsi genannt, er war, wie sein jüngerer Bruder Ernst, Rechtsanwalt in Amstetten.

Ich kann mich nicht entsinnen, dass die beiden je von Pauline erzählt hätten, obwohl sie ihre Schwester war und zweifellos zu ihrem kleinen Paradies gehörte. Auch von den anderen Schwestern, Anna, Käthe und Josefine, Pepa gerufen, war in Amstetten nie die Rede. Jedenfalls nicht in meiner Gegenwart. Pauline Bast wurde 1875 in Tüffer geboren, sie war das zweitälteste von insgesamt acht Kindern.

Der kleine Ort Tüffer, slowenisch Lasko, zwölf Kilometer südlich von Cilli, Celje, gelegen, gehörte bis 1918 zum österreichischen Kronland Herzogtum Steiermark, dessen südliche Regionen Untersteiermark genannt wurden. Nach dem verlorenen Krieg fiel die mehrheitlich von Slowenen bewohnte Untersteiermark, slowenisch Stajerska, so wie das benachbarte Kronland Krain mit Ljubljana, Laibach, als Zentrum, an das neu entstandene Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, kurz SHS-Staat genannt, das 1929 in Königreich Jugoslawien umbenannt wurde. 1927 erhielt Lasko das Stadtrecht. Die Situation der deutschsprachigen Untersteirer verschlechterte sich 1918 von einem Tag auf den anderen. Plötzlich waren sie nicht mehr die Herren - was sie deutlich zu spüren bekamen.

Im April 1941 marschierten die Hitlertruppen in Jugoslawien ein und begannen mit einer brutalen Germanisierung der gemischtsprachigen Untersteiermark. Zahlreiche Slowenen wurden enteignet und vertrieben. Andere wurden nur auf den leisen Verdacht hin, sich der Germanisierung und überhaupt der deutschen Zwangsherrschaft widersetzen zu wollen, in Konzentrationslager gesteckt, in denen viele ermordet wurden oder elend zugrunde gingen. Mit Fortschreiten des Krieges gewannen die kommunistischen Partisanen auch in den slowenischen Gebieten zunehmend an Boden; sie verübten zahlreiche Sabotageakte und bewaffnete Aktionen, worauf die Deutschen hilflos mit immer blutigeren Repressionsmaßnahmen reagierten. Massenerschießungen und Vertreibungen waren an der Tagesordnung.

Pauline 1909

Das Schweigen über Pauline, auch Paula oder, slowenisch, Pavla genannt, erschien mir, je mehr ich über sie in Erfahrung brachte, umso bemerkenswerter, da sie als Einzige meiner Familie väterlicherseits nach dem Zweiten Weltk



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