Inès BayardScham

E-Book (EPUB)

Paul Zsolnay Verlag (2020)

224 Seiten

ISBN 978-3-552-05991-7

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Kurztext / Annotation
'Inès Bayard reißt den Leser aus der Komfortzone.' (L'Express) Die unfassbare Geschichte einer Vergewaltigung und der Frage, wie eine Frau damit umgeht. Für Leserinnen von Leila Slimani.
Maries Leben ist perfekt. Sie ist jung und erfolgreich, ihr Mann ist Anwalt, jetzt wollen die beiden ein Kind. Da passiert das Unfassbare. Marie wird von ihrem Chef auf dem Heimweg brutal vergewaltigt. Und er setzt sie so unter Druck, dass sie niemandem, nicht einmal ihrem Mann, davon erzählt. Die junge französische Autorin Inès Bayard lässt in ihrem eindrucksvollen Debütroman keinen Zweifel: an dem, was geschehen ist, und daran, dass Marie keine Schuld trifft. Und doch müssen wir zusehen, wie Marie der Moment, in dem sie noch Hilfe suchen könnte, entgleitet, wie sie vom Opfer zur Täterin wird ... 'Scham' ist ein emotional fesselnder Roman, ein Leseereignis, dem man sich nicht entziehen kann.

Inès Bayard wurde 1992 in Toulouse geboren, sie lebt jetzt in Berlin. Ihr Debütroman Scham (2020) wurde in mehrere Sprachen übersetzt und mit dem Prix Fnac und dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet. Zudem stand er auf der Longlist für den Prix Goncourt 2018.

Textauszug

Wie jeden Montagmorgen wird Marie fünf Minuten zu spät ins Büro kommen. Das ist die letzten sechs Jahre so gewesen und wird sich nicht ändern. Es ist einfach ein weiterer Bestandteil ihrer Alltagsroutine geworden. Laurent läuft mit einer Tasse lauwarmem Kaffee in der Küche herum. Marie sieht ihn genauso liebevoll an wie vor zehn Jahren. Seit damals hat sich nicht viel verändert. Sie hatten sich bei der Studentenparty eines gemeinsamen Freunds kennengelernt. Marie, ein junges, schüchternes Mädchen, hatte Laurents Annäherungsversuchen nicht sofort nachgegeben. Er musste sehr hartnäckig sein, damit sie einer ersten Verabredung zustimmte. Drei Jahre später heirateten sie in Bois-le-Roi, umgeben von der Zuneigung ihrer Familien und Freunde.

Von Anfang an ist es ein bescheidenes Glück gewesen, eine Liebe, die ausreicht, um nicht mehr nur an sich selbst zu denken. Sie kümmert sich um ihn, ermutigt ihn in seinen Projekten, tröstet ihn, wenn er Zweifel hat, hilft ihm jeden Morgen, seine Akten zu suchen, damit er nicht zu spät in die Kanzlei kommt. Laurent liebt Marie aufrichtig und innig, aber er ist ihr gegenüber nicht so aufmerksam. Sie sind kein Paar, das sich auf den ersten Blick versteht. Sie müssen diskutieren, einander ihre Meinung erklären und begründen. Vor vier Jahren hat Laurent in einer großen Kanzlei angefangen, die auf Erb- und Scheidungsrecht spezialisiert ist. Sein Arbeitstag beginnt um 9 Uhr und dauert oft bis spätabends. Marie versteht seinen Ehrgeiz, macht ihm keine Vorwürfe. Sie verdient weniger als er, aber liebt ihre Arbeit in der Bank. Wenn sie morgens in die Filiale an der Place de la République kommt, fühlt sie sich gebraucht, ist dankbar für ihre Aufgabe, anderen zu helfen, ihnen mit Rat zur Seite zu stehen, Vorschläge zu unterbreiten. Geld hat für sie nie eine große Rolle gespielt, aber sie ist froh, mit ihrem Mann ein bequemes Leben führen zu können.

Kurz nach der Hochzeit haben Laurent und Marie eine große Wohnung auf dem Boulevard Voltaire im 11. Arrondissement von Paris bezogen. Die Geselligkeit in diesem Stadtviertel hat ihnen sofort gefallen. Zahlreiche Geschäfte und Boutiquen säumen die großen Arkaden von der Place de la Nation bis zur Place de la République, zur Mittagszeit erfüllt oft der Hähnchengeruch des Grillrestaurants um die Ecke ihre Wohnung, das Hupen der Busse ertönt an jeder Kreuzung, der kleine Sonntagsmarkt verbreitet Geschrei und geschäftiges Treiben. Sie haben Paris schon immer geliebt und im Laufe der Jahre viele Freundschaften geknüpft, ihr gesellschaftliches Leben ist anregend und erfüllt. Laurent pflegt einen exklusiveren Umgang als Marie. Mit einem medienpräsenten Scheidungsprozess zwischen einem ehemaligen Fußballstar und einer beliebten Schauspielerin hat er sich in einigen journalistischen Kreisen dauerhaft einen guten Ruf erworben. An vielen Abenden sind Marie und er zu privaten Partys eingeladen, bei denen das intellektuelle mit dem geschäftlichen Paris flirtet. Marie fühlt sich dabei nie unwohl. Sie ist stolz, ihren Mann begleiten zu dürfen, und verzaubert ihre Umgebung mit ihrem zurückhaltenden Charme. Im Stillen, vertieft in ihren sorglosen Alltag, achtet sie darauf, dass alles nach Plan läuft, ohne es nach außen hin zu zeigen. Um den gemeinsamen Haushalt kümmert sie sich. Ihre Erziehung, die von der bedingungslosen Liebe ihrer Eltern geprägt war, bewahrte sie in ihrer Kindheit und Jugend vor ernsthaftem Schmerz. Natürlich wurde sie oft mit schwierigen, unangenehmen Situationen konfrontiert, aber nie hatte sie auch nur einen Augenblick das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren.

Der Herbst ist Maries liebste Jahreszeit. Eine poetische Zeit. Die Platanen auf dem Boulevard Voltaire lassen ihr orangerotes Blätterkleid auf den Gehweg fallen, die Luft ist frisch, aber nicht zu feucht, der Himmel azurblau. Die Sonnenstrahlen erhellen einen Teil der Küche. Marie sieht glücklich aus dem Fenster. »Es ist wirkl



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