Jan-Philipp SendkerAm anderen Ende der Nacht (Die China-Trilogie 3)

E-Book (EPUB)

Blessing (2016)

352 Seiten

ISBN 978-3-641-12583-7

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Kurztext / Annotation
Eine bewegende Geschichte über die Macht der Liebe, die Angst des Verlustes und die Kraft der Menschlichkeit
Auf einer Chinareise erleben Paul und Christine einen Albtraum: Ihr vierjähriger Sohn wird entführt. Zwar gelangt David durch glückliche Umstände wieder zu ihnen, doch die Entführer geben nicht auf, sie wollen ihn zurück. Der einzig sichere Ort für die Familie ist die amerikanische Botschaft in Peking. Aber Bahnhöfe, Straßen und Flughäfen werden überwacht. Ohne Hilfe haben sie keine Chance, dorthin zu gelangen. Wer ist bereit, ihnen Unterschlupf zu gewähren und dabei sein Leben aufs Spiel zu setzen? Wem können sie trauen?

Am anderen Ende der Nacht erzählt von Menschen, die nicht mehr viel zu verlieren haben und sich gerade deshalb ihre Menschlichkeit bewahren.

Jan-Philipp Sendker, geboren in Hamburg, war viele Jahre Amerika- und Asienkorrespondent des Stern. Nach einem weiteren Amerika-Aufenthalt kehrte er nach Deutschland zurück. Er lebt mit seiner Familie in Potsdam. Bei Blessing erschien 2000 seine eindringliche Porträtsammlung Risse in der Großen Mauer. Nach dem Roman-Bestseller Das Herzenhören (2002) folgten Das Flüstern der Schatten (2007), Drachenspiele (2009), Herzenstimmen (2012), Am anderen Ende der Nacht (2016), Das Geheimnis des alten Mönches (2017), Das Gedächtnis des Herzens (2019) und Die Rebellin und der Dieb (2021). Seine Romane sind in mehr als 35 Sprachen übersetzt. Mit weltweit über 3 Millionen verkauften Büchern ist er einer der aktuell erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren.



Textauszug

II

Das Moshan-Kloster lag nur wenige Kilometer vom »Platz des Volkes« entfernt, trotzdem benötigte ihr Taxi über eine halbe Stunde. Auf dem sechsspurigen Boulevard ging es nur im Schritttempo vorwärts, wenn überhaupt. Der Fahrer fluchte. Er wechselte fortwährend die Spur, bis Zhang ihn bat, damit aufzuhören. Sie seien nicht auf der Flucht, auch wenn es auf den ersten Blick diesen Anschein gehabt haben mochte. Sie wichen auf einen Schleichweg aus und standen wieder im Stau.

Paul ertrug die Enge im Auto und den Stillstand auf der Straße nur schwer. Er hasste es, sein Tempo nicht kontrollieren zu können, und fühlte sich eingesperrt. Noch immer hatte er den Gesang der Massen im Ohr. Die wortlose Stille im Wagen ließ den Chor noch lauter klingen. Am liebsten wäre er ausgestiegen und zu Fuß weitergegangen.

Zhang saß stumm neben ihm und betrachtete ein Foto Mao Zedongs, das am Rückspiegel baumelte, darunter klebte eine weiße Plastikbüste des Großen Vorsitzenden auf dem Armaturenbrett. Paul sah ihm an, wie aufgewühlt er war. Der große Spuckefleck auf seiner Brust war noch immer nicht ganz getrocknet.

Das Taxi bog in eine Nebenstraße in der Nähe des Klosters. Sie stiegen aus, und Zhang begann auf einem kleinen Markt einzukaufen. Wie früher, dachte Paul und freute sich über diese Vertrautheit. Für einen kurzen und doch zu langen Moment hatte ihn der Anblick seines Freundes in der grauen Mönchskutte irritiert. Er hat die Uniform getauscht, war es Paul durch den Kopf geschossen.

Die eines Polizisten gegen die eines Mönchs.

Der Gedanke verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war, unangenehm berührt hatte er Paul dennoch. Er kannte Zhang seit fast dreißig Jahren. Sie waren sich auf einer der ersten Reisen Pauls nach China begegnet. Zhang war damals Streifenpolizist in Shenzhen und hatte den fremden Besucher auf einer öffentlichen Toilette vor einer neugierigen Menge schützen müssen. Mit den Jahren waren sie Freunde geworden. Kein Mensch auf der Welt, von Christine vielleicht abgesehen, war ihm vertrauter.

Vor drei Jahren hatte Zhang von einem Tag auf den anderen den Polizeidienst quittiert. Er war als junger Mann nach Shenzhen gekommen und schnell von einem einfachen Streifenpolizisten zum Inspektor bei der Mordkommission aufgestiegen. In den folgenden knapp dreißig Jahren wurde er mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit bei Beförderungen übergangen. Die offizielle Begründung dafür waren sein buddhistischer Glaube und seine Weigerung, der Kommunistischen Partei wieder beizutreten, nachdem man ihn in den achtziger Jahren während einer Säuberungsaktion gegen »spirituelle Verschmutzung« ausgeschlossen hatte. Beides hätten die Kader ihm vermutlich noch verziehen, zumal er einer der besten und fleißigsten Kommissare war. Was ihn in den Augen seiner Vorgesetzten wirklich für höhere Aufgaben diskreditierte, war seine Redlichkeit. Zhang weigerte sich beharrlich, Schutzgelder von Restaurants, Bars, Hotels, Prostituierten oder illegalen Arbeitern vom Lande zu erpressen. Sogar die Umschläge mit Bargeld, die Zigaretten, den Whiskey und all die anderen Geschenke zum chinesischen Neujahr lehnte er höflich, aber bestimmt ab.

Eine Ehrlichkeit, die in der Familie Zhang oft zu Streit geführt hatte. Das Gehalt eines Kommissars und der Lohn einer Sekretärin genügten nicht, um von den Verheißungen der neuen Zeit zu profitieren. Es reichte weder für eine Eigentumswohnung noch für ein Auto. Nicht einmal einen regelmäßigen Einkaufsbummel in einem der neuen Shoppingcenter mit den vielen ausländischen Marken konnten sie sich leisten. Das Prada-Täschchen und der Chanel-Gürtel seiner Frau waren Plagiate der billigsten Sorte gewesen.

Und bei all den jahrelangen kleinen, aber stetigen Zänkereien und Streitigkeiten - Zhang hätte nicht einmal sagen können, wann es begonnen haben mochte - hatte sich ihre Liebe davongeschlichen.

Als er nach einem Korruptionsskandal zum Leiter der Mor



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