Anne ApplebaumRoter Hunger

E-Book (EPUB)

Siedler Verlag; Doubleday NY/Penguin London (2019)

544 Seiten; mit Abb.

ISBN 978-3-641-15964-1

EPUB sofort downloaden
Downloads sind nur für Kunden mit Rechnungsadresse in Österreich möglich!

Kurztext / Annotation
Der Holodomor: die umfassende Darstellung eines der größten Menschheitsverbrechen
Der gegenwärtige Krieg in der Ukraine ist ohne diese historische Last nicht zu verstehen - der erzwungene Hungertod von mehr als drei Millionen Ukrainern 1932 und 1933, Holodomor genannt, war eine der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Und sie hat Folgen bis heute - Stalins 'Krieg gegen die Ukraine' hat sich tief im kollektiven Bewusstsein der osteuropäischen Völker verankert.

Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum vereint in ihrer Darstellung auf eindrückliche Weise die Perspektive der Täter und jene der Opfer: Sie zeigt Stalins Terrorregime gegen die Ukraine, die Umstände der Vernichtungspolitik - und verleiht zugleich den hungernden Ukrainern eine Stimme. Ein gewaltiges Buch, erschütternd und erhellend zugleich.

Anne Applebaum, geboren 1964 in Washington, D. C., zählt zu den profiliertesten Kritikern autoritärer Herrschaft und russischer Expansionspolitik. Die Historikerin und Journalistin begann ihre Karriere 1988 als Korrespondentin des »Economist« in Warschau, von wo sie über den Zusammenbruch des Kommunismus berichtete. Seit langem beschäftigt sie sich mit der Geschichte der autoritären Regime in Osteuropa. Für ihr Buch »Der Gulag« (2003) erhielt sie den Duff-Cooper- und den Pulitzer-Preis. Sie arbeitet als Kolumnistin für die Zeitschrift »The Atlantic« und als Senior Fellow an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies. Zuletzt erschienen »Roter Hunger. Stalins Krieg gegen die Ukraine« (2019) und »Die Verlockung des Autoritären« (2021), beide im Siedler Verlag.



Textauszug
Vorwort

Es fehlte nicht an Warnzeichen. Zu Beginn des Frühjahrs 1932 begannen die Bauern der Ukraine zu hungern. Berichte der Geheimpolizei und Briefe aus den Getreideanbaugebieten der ganzen Sowjetunion - dem Nordkaukasus, der Wolgaregion, Westsibirien - erwähnten Kinder mit vor Hunger geschwollenen Bäuchen, Familien, die Gras und Eicheln aßen, Bauern, die ihr Zuhause auf der Suche nach Lebensmitteln verließen. Im März fand eine Ärztekommission in einem Dorf bei Odessa Leichen auf der Straße. Niemand hatte die Kraft, sie zu begraben. In einem anderen Dorf versuchten die örtlichen Behörden, die Todesfälle vor Außenstehenden zu verbergen. Sie leugneten, was geschah, obwohl es sich vor den Augen ihrer Besucher abspielte.1

Manche schrieben direkt an den Kreml und baten um eine Erklärung:

Werter Genosse Stalin, gibt es ein Gesetz der Sowjetregierung, das besagt, Dorfbewohner müssten hungern? Wir, die Kolchosarbeiter, haben nämlich seit dem 1. Januar auf unserem Hof kein Stück Brot mehr gehabt. ... Wie sollen wir eine sozialistische Volkswirtschaft aufbauen, wenn wir zum Hungertod verurteilt sind, weil die Ernte erst in vier Monaten kommt? Wofür sind wir an den Fronten gestorben? Damit wir hungern und unseren Kindern beim Verhungern zusehen?2

Andere hielten es für unmöglich, dass der Sowjetstaat dafür verantwortlich sein könne:

Jeden Tag verhungern zehn bis zwanzig Familien in den Dörfern, Kinder laufen weg, und Bahnhöfe sind überfüllt mit fliehenden Dorfbewohnern. Auf dem Land gibt es keine Pferde und kein Vieh mehr. ... Die Bourgeoisie hat hier eine echte Hungersnot geschaffen als Teil des kapitalistischen Plans, die ganze Bauernklasse gegen die Sowjetregierung aufzuhetzen.3

Doch die Hungersnot war kein Werk der Bourgeoisie, sondern eine Folge der katastrophalen Entscheidung der Sowjetunion, die Bauern zur Aufgabe ihres Lands zu zwingen, sie zur Arbeit auf Kolchosen zu verpflichten und die wohlhabenderen Bauern, die sogenannten Kulaken (wörtlich: »Fäuste«), aus ihren Häusern zu vertreiben. All diese Maßnahmen, für die letztlich Joseph Stalin, der Generalsekretär der KPdSU, verantwortlich war, und das daraus folgende Chaos hatten das Land an den Rand einer Hungersnot gebracht. Während des ganzen Frühjahrs und Sommers 1932 schickten viele seiner Genossen aus allen Teilen der UdSSR eindringliche Botschaften an ihn, in denen sie die Krise beschrieben. Ukrainische KP-Führer waren besonders verzweifelt, und mehrere schrieben ihm lange Briefe, in denen sie um Hilfe baten.

Viele von ihnen glaubten im Spätsommer 1932, eine größere Tragödie lasse sich noch abwenden. Das Regime hätte um internationale Hilfe bitten können wie bei der Hungersnot 1921. Es hätte die Getreideexporte oder die zu hohen Getreideabgaben stoppen können. Es hätte Bauern in Hungerregionen Hilfe anbieten können - und das tat es in gewissem Maße auch, aber viel zu wenig.

Stattdessen fasste das sowjetische Politbüro, das höchste Entscheidungsgremium der Kommunistischen Partei, im Herbst 1932 eine Reihe von Beschlüssen, die die Hungersnot in den ländlichen Regionen der Ukraine ausweiteten und verschärften. Zugleich hinderte man Bauern daran, die Republik zu verlassen, um Lebensmittel zu suchen. Auf dem Höhepunkt der Krise durchsuchten Teams aus Polizisten und Parteiaktivisten, getrieben von Hunger und Angst und angestachelt durch ein Jahrzehnt voller Hasspropaganda und Verschwörungsrhetorik, die Häuser der Bauern und nahmen alles Essbare mit: Kartoffeln, Rüben, Kürbisse, Bohnen, Erbsen, was immer in Backöfen und Schränken lag, dazu Vieh und Haustiere.

Das Ergebnis war eine Katastrophe: Mindestens 5 Millionen Menschen verhungerten in der ganzen Sowjetunion zwischen 1931 und 1934, darunter mehr als 3,9 Millionen Ukrainer. Wegen ihres Ausmaßes wurde die Hungersnot von 1932/33 in Emigrantenpublikationen damals und später a



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet