Irvin D. YalomWie man wird, was man ist

E-Book (EPUB)

btb Verlag; Basic Books (2017)

448 Seiten

ISBN 978-3-641-17203-9

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Kurztext / Annotation
Sehr persönliche Erinnerungen, geschrieben mit der Offenheit, die ihn als Psychotherapeuten so besonders und letztlich weltberühmt machten.

Irvin D. Yalom widmete sein Leben dem seelischen Leid anderer, in diesem Buch erzählt er von sich und den Umbrüchen, die ihn und seine Arbeit geprägt haben. Er berichtet von der Kindheit in prekären sozialen Verhältnissen, dem Minderwertigkeitsgefühl in jungen Jahren, der frühen Eigenwilligkeit, aber auch von den Kämpfen der verschiedenen psychotherapeutischen Schulen in den 1960er Jahren, den Anfängen der Studentenrevolte, der Menschenrechts- und Frauenbewegung, Drogen und Esoterik, und auch Berühmtheiten wie Viktor Frankl oder Rollo May kommen zu Wort.

Entstanden ist so das Porträt eines Mannes, der sein Leben in Gänze ausgekostet und gleichzeitig mit extremen Sinn gefüllt hat - von ausgelassenen Flitterwochen auf dem Motorrad durch Frankreich bis zur therapeutischen Arbeit mit Krebspatienten und dem Reflektieren über den eigenen Tod.

Irvin D. Yalom wurde 1931 als Sohn russischer Einwanderer in Washington, D.C. geboren. Er gilt als einer der einflussreichsten Psychoanalytiker in den USA und ist vielfach ausgezeichnet. Seine Fachbücher gelten als Klassiker. Seine Romane wurden international zu Bestsellern und zeigen, dass die Psychoanalyse Stoff für die schönsten und aufregendsten Geschichten bietet, wenn man sie nur zu erzählen weiß.



Textauszug

2

AUF DER SUCHE NACH EINEM MENTOR

Michael, ein fünfundsechzigjähriger Physiker, ist mein letzter Patient an diesem Tag. Er war vor zwanzig Jahren schon einmal bei mir in Therapie, etwa zwei Jahre lang, und ich hatte bis vor ein paar Tagen, als er mir eine E-Mail schickte, nichts mehr von ihm gehört. »Ich muss Sie unbedingt sprechen - der angehängte Artikel hat vieles aufgewühlt, Gutes und Schlechtes.« So schrieb er mir. Der Link führte zu einem Artikel in der New York Times, der beschrieb, wie ihm kürzlich ein bedeutender internationaler Wissenschaftspreis verliehen worden war.

Während er in meinem Praxiszimmer Platz nimmt, eröffne ich das Gespräch.

»Michael, ich habe Ihre E-Mail erhalten, in der Sie sagen, dass Sie Hilfe brauchen. Es tut mir leid, dass es Ihnen nicht gut geht, aber ich möchte auch sagen, dass ich mich freue, Sie zu sehen und von Ihrem Preis zu erfahren. Ich habe mich oft gefragt, wie es Ihnen wohl geht.«

»Danke, dass Sie das sagen.« Michael schaut sich im Sprechzimmer um - er ist drahtig, aufmerksam, fast kahlköpfig, etwa ein Meter achtzig groß, und seine leuchtend braunen Augen strahlen Kompetenz und Selbstvertrauen aus. »Sie haben die Praxis umgeräumt? Diese Stühle standen früher da drüben? Stimmt's?«

»Jawohl, ich räume alle fünfundzwanzig Jahre um.«

Er lacht. »Sie haben also den Artikel gelesen?«

Ich nicke.

»Vermutlich können Sie sich vorstellen, wie es mir damit ging: ein ziemlich kurzer Anflug von Stolz und danach beständige Wellen von Selbstzweifeln. Es ist immer noch dasselbe - tief im Innern bin ich hohl.«

»Dann lassen Sie uns gleich mal loslegen.«

Den Rest der Therapiesitzung verbrachten wir damit, die damaligen Themen nochmals durchzugehen: seine ungebildeten Eltern, die irische Immigranten waren, sein Leben in den New Yorker Wohnblocks, seine schlechte Grundschulbildung, der Mangel an einem maßgeblichen Mentor. Er ging ausführlich darauf ein, wie sehr er Menschen beneidete, die von einem erfahrenen Menschen an die Hand genommen und gefördert wurden, während er sich ohne Ende anstrengen und die besten Noten vorweisen musste, um überhaupt bemerkt zu werden. Er musste sich selbst erschaffen.

»Ja«, sage ich, »sich aus eigenen Kräften zu erschaffen, ist ein guter Grund, stolz zu sein, aber es gibt einem auch das Gefühl, keine Basis zu haben. Ich kenne viele Kinder von Immigranten, die sich vorkommen wie Lilien, die in einem Sumpf wachsen - wunderschöne Blumen, aber ohne feste Wurzeln.«

Er kann sich noch entsinnen, wie ich dies schon vor Jahren zu ihm gesagt habe, und meint, er sei froh, daran erinnert zu werden. Wir vereinbaren, dass wir uns für einige Sitzungen treffen wollen, und er erklärt, dass es ihm schon besser geht.

Ich hatte mit Michael immer gut arbeiten können. Wir hatten gleich von der ersten Therapiestunde an einen guten Kontakt zueinander, und er hatte gelegentlich bemerkt, ich sei der einzige Mensch, der ihn wirklich verstehen könne. Im ersten Jahr seiner Therapie sprach er oft von seinem diffusen Identitätsgefühl. War er wirklich der glänzende Schüler, der alle anderen überflügelte? Oder war er der Außenseiter, der sich die Freizeit im Pool-Zimmer oder mit Würfeln vertrieb?

Als er wieder einmal über sein diffuses Identitätsgefühl klagte, erzählte ich ihm eine Geschichte von meiner Abschlussfeier an der Roosevelt High School in Washington, D.C. Einerseits hatte man mir mitgeteilt, dass ich bei der Abschlussfeier mit dem Roosevelt High School Citizenship Award ausgezeichnet werden sollte. Andererseits hatte ich im letzten Schuljahr ein kleines Wettbüro für Baseballwetten laufen: Ich bot die Quote 10:1, dass je drei ausgewählte Spieler an einem Tag keine sechs Hits erzielen. Die Chancen standen zu meinen Gunsten. Ich war bekannt dafür, immer gut dazustehen, und hatte immer genug Geld, um Gardenien-Ansteckblumen für meine feste Freundin Marilyn Koenick zu kau



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Dr Yalom is Professor Emeritus of Psychiatry at Stanford University. He has won two major awards from the American Psychiatric Association. He continues to run his clinical practice and lectures widely.