Andrea WulfAlexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

E-Book (EPUB)

Bertelsmann, C.; John Murray (Hachette), London 2015 (2016)

560 Seiten; 8 S. Farbbildteil, ca. 70 s/w-Abb. im Text, 3 Karten

ISBN 978-3-641-19550-2

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Kurztext / Annotation
Was hat Alexander von Humboldt, der vor mehr als 150 Jahren starb, mit Klimawandel und Nachhaltigkeit zu tun? Der Naturforscher und Universalgelehrte, nach dem nicht nur unzählige Straßen, Pflanzen und sogar ein »Mare« auf dem Mond benannt sind, hat wie kein anderer Wissenschaftler unser Verständnis von Natur als lebendigem Ganzen, als Kosmos, in dem vom Winzigsten bis zum Größten alles miteinander verbunden ist und dessen untrennbarer Teil wir sind, geprägt. Die Historikerin Andrea Wulf stellt in ihrem vielfach preisgekrönten - so auch mit dem Bayerischen Buchpreis 2016 - Buch Humboldts Erfindung der Natur, die er radikal neu dachte, ins Zentrum ihrer Erkundungsreise durch sein Leben und Werk. Sie folgt den Spuren des begnadeten Netzwerkers und zeigt, dass unser heutiges Wissen um die Verwundbarkeit der Erde in Humboldts Überzeugungen verwurzelt ist. Ihm heute wieder zu begegnen, mahnt uns, seine Erkenntnisse endlich zum Maßstab unseres Handelns zu machen - um unser aller Überleben willen.

Andrea Wulf, geboren in Indien und aufgewachsen in Deutschland, lebt in London. Als Autorin wurde sie mit einer Vielzahl internationaler Preise ausgezeichnet, vor allem für ihren Weltbestseller »Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur« (2016), der in 27 Sprachen übersetzt wurde und 2016 den Bayerischen Buchpreis bekam. Auch »Fabelhafte Rebellen (2022, Verfilmung ist geplant) wurde ein internationaler Bestsellererfolg. Auf Deutsch sind von ihr außerdem erschienen »Die Vermessung des Himmels. Vom größten Wissenschaftsabenteuer des 18. Jahrhunderts« (2012/2017) und »Die Abenteuer des Alexander von Humboldt. Eine Entdeckungsreise« (2019). Andrea Wulf schreibt u.a. für die New York Times, die LA Times, das Wall Street Journal, The Atlantic und den Guardian. Sie ist Mitglied des PEN American Center und ein Fellow der Royal Society of Literature. www.andreawulf.com

Textauszug

Prolog

Sie krochen auf allen vieren einen hohen, schmalen Grat entlang, der an manchen Stellen nur fünf Zentimeter breit war. Der Pfad, wenn man ihn denn so nennen konnte, war voller Sand und loser Steine und entsprechend rutschig. Links unter ihnen lag eine steile Felswand, die mit Eis überzogen war und glitzerte, wenn die Sonne durch die dichte Wolkendecke brach. Der Blick nach rechts, wo es 300 Meter steil nach unten ging, war nicht viel besser. Hier waren die dunklen, fast senkrecht abfallenden Wände mit Felsvorsprüngen übersät, die wie Messerklingen hervorragten.1

Einer hinter dem andern bewegten sich Alexander von Humboldt und seine drei Begleiter vorsichtig Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Ohne die richtige Ausrüstung und geeignete Kleidung war es eine gefährliche Kletterpartie. In dem eisigen Wind waren ihre Hände und Füße taub geworden, geschmolzener Schnee hatte ihre dünnen Schuhe durchweicht, und in ihren Haaren und Bärten hingen Eiskristalle. Gut 5000 Meter über dem Meeresspiegel mussten sie regelrecht darum kämpfen, in der dünnen Luft zu atmen. Die scharfkantigen Felsen zerfetzten die Sohlen ihrer Schuhe, und ihre Füße begannen zu bluten.

Es war der 23. Juni 1802. Alexander von Humboldt und seine Gefährten bestiegen den Chimborazo, einen spektakulären erloschenen Vulkan in den Anden, der sich wie eine riesige Kuppel in fast 6500 Metern über dem Meeresspiegel erhob, etwa 150 Kilometer südlich von Quito im heutigen Ecuador. Damals glaubte man, der Chimborazo sei der höchste Berg der Welt. Kein Wunder, dass ihre Träger so große Angst hatten, dass sie an der Schneegrenze davongelaufen waren. Der Gipfel des Vulkans war in dichten Nebel gehüllt, trotzdem hatte Humboldt darauf bestanden, die Besteigung fortzusetzen.

Seit drei Jahren reiste Alexander von Humboldt durch Lateinamerika und drang dabei tief in Gebiete vor, die bis dahin nur wenige Europäer betreten hatten. Besessen von der Idee, wissenschaftliche Beobachtungen zu machen, hatte der Zweiunddreißigjährige eine Unmenge der besten Instrumente aus Europa mitgebracht. Für die Besteigung des Chimborazo hatte er den größten Teil seines Gepäcks zurückgelassen, aber ein Barometer, ein Thermometer, einen Sextanten, einen Künstlichen Horizont und ein sogenanntes Zyanometer zur Messung der »Bläue« des Himmels eingepackt. Auf dem Weg zum Gipfel holte Humboldt immer wieder mit tauben Fingern seine Geräte heraus und stellte sie auf abenteuerlich schmale Felsvorsprünge, um Höhe, Schwerkraft und Feuchtigkeit zu messen. Akribisch notierte er außerdem sämtliche Arten, auf die sie stießen - hier ein Schmetterling, dort eine winzige Blume. Alles hielt er in seinem Notizbuch fest.

Auf 5500 Metern fanden sie eine letzte winzige Flechte, die sich an einen Felsbrocken krallte. Dann verschwanden alle Spuren organischen Lebens; in dieser Höhe gab es keine Pflanzen oder Insekten mehr. Selbst die Kondore, die ihre früheren Besteigungen begleitet hatten, waren verschwunden.2 Als der Nebel alles um sie herum in einen leeren und fast unheimlichen Raum verwandelte, fühlte Humboldt sich der bewohnten Welt vollkommen entrückt. »Wir waren wie in einem Luftballon isoliert.«3 Dann lichtete sich der Nebel plötzlich und gab den Blick auf den schneebedeckten Gipfel des Chimborazo frei, der in den blauen Himmel ragte. Ein »großartiger Anblick«4, war Humboldts erster Gedanke, doch dann bemerkte er die gewaltige Gletscherspalte, die sich vor ihnen auftat - 20 Meter breit und 200 Meter tief.5 Und es führte kein anderer Weg zur Spitze. Nach Humboldts Messung befanden sie sich in einer Höhe von 5917,16 Metern6, also keine 300 Meter unter dem Gipfel.

Humboldt und seine Gefährten besteigen einen Vulkan.

Wellcome Library, London: Alexander von Humboldt, Vues des Cordillères, 2 Bde. (1810-1813)



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