Nadeem AslamDie Goldene Legende

E-Book (EPUB)

Deutsche Verlags-Anstalt; Faber and Faber (2017)

416 Seiten

ISBN 978-3-641-20314-6

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Kurztext / Annotation
Wenn ein Leben nur in der Lüge möglich ist
In dem Moment, als auf der Grand Trunk Road Schüsse zu hören sind, beginnt Nargis' Leben zu zerbrechen. Ihr Ehemann gelangt versehentlich ins Kreuzfeuer und stirbt, bevor sie ihm die Wahrheit über ihre Vergangenheit beichten kann. Schon seit Längerem fürchtet sie, dass diese bald ans Licht kommen wird: Ein Unbekannter verkündet regelmäßig Geheimnisse der Anwohner vom Minarett der örtlichen Moscheen und versetzt damit Muslime und Christen gleichermaßen in Angst. Als die Lautsprecher die verbotene Liaison ihres Nachbarn mit der Tochter des muslimischen Geistlichen aufdecken, sind die Einschläge so nah, dass Nargis handeln muss ...

In der für ihn typischen leuchtenden Prosa erzählt Nadeem Aslam eine Geschichte über Fanatismus, Widerstandsvermögen und die Lügen, die manchmal nötig sind, um zu überleben. Ein mutiger, zeitgemäßer und schmerzlich schöner Roman, in dem sich Pakistans Vergangenheit und Gegenwart spiegeln.

Nadeem Aslam wurde 1966 in Gujranwala, Pakistan, geboren und musste mit vierzehn Jahren das Land wegen des Widerstands seines Vaters gegen das Zia-Regime verlassen. Er studierte in England Biochemie und Literatur und lebt heute in London als Schriftsteller. Nadeem Aslams Romane wurden vielfach ausgezeichnet; »Atlas für verschollene Liebende« wurde u.a. für den Booker-Preis nominiert. Seine Bücher erscheinen in einem Dutzend Länder. »Die goldene Legende« ist sein fünfter Roman.



Textauszug

1

Diese Welt ist das Letzte, wovon Gott uns je erzählt.

Einige Stunden, ehe er umgebracht wurde, erwachte Massud vom Ruf des Muezzins. Noch vor der Morgendämmerung drang dessen Stimme aus jenen Lautsprechern, die am Minarett gleich auf der anderen Gassenseite angebracht waren. Massud stellte sich die Gläubigen vor, wie sie still zur Moschee aus dem 18. Jahrhundert gingen, einige mit Laternen in der Hand. Der Anblick ihrer ausgezogenen Schuhe beschwor in ihm stets den Gedanken herauf, dass die Männer sich vor ihrem Eintritt in reine Geister verwandelt hatten.

Kaum war der Ruf verhallt, wehte vom Haus hinter der Moschee, in dem der Geistliche wohnte, der Duft von Brot herüber, da dessen Tochter um diese Uhrzeit begann, das Essen vorzubereiten.

Massud drehte den Kopf auf dem Kissen und betrachtete die neben ihm schlafende Nargis. Er hätte nicht sagen können, wie lang er so dalag und sie anschaute, doch mehrte sich um sie herum sanft das Licht, drangen die frühesten Sonnenstrahlen ins Haus. Wie laut die Sonne doch wäre, hatte Nargis einst überlegt, könnte ihr Klang durchs Weltall reisen. Dieser endlose Feuersturm. Dieser Flammenozean.

Massud war im letzten Monat fünfundfünfzig geworden, Nargis war zweiundfünfzig. Als sie sich kennenlernten und heirateten, waren sie beide in ihren Zwanzigern gewesen. Und Massud hatte sich, wie er später gestand, erst vierzehn Tage nach einem ersten Blick getraut, sie ein zweites Mal direkt anzuschauen. Dank ihrer Schönheit und kontemplativen Ruhe war sie ihm gar nicht wie ein realer Mensch vorgekommen. Und sehr zu seiner Beschämung hatte er dann fast das Bewusstsein verloren, als er sie zum ersten Mal in die Arme nahm.

Wach lag er nun da, dankbar für ihre Anwesenheit in seinem Leben und an seiner Seite. Wieder wehte eine Brise von der Moschee herüber, und während er aufs Neue einschlief, erinnerte er sich daran, irgendwo gelesen zu haben, dass der Geruch von Brot Sanftmut in den Menschen weckt.

An Nägeln der hinteren Küchenwand hingen zahlreiche, von einzelnen Sonnenstrahlen erhellte Vogelschwingen. Sie variierten in ihrer Größe, reichten vom fünf Zentimeter langen Flügelpaar eines Honigsaugers bis hin zum einzelnen Flügel eines Trompeterschwans mit Dutzenden verschiedener Arten dazwischen. Nicht wenige Leute behaupteten, das schönste moderne Gebäude in Pakistan sei eine von Nargis und Massud entworfene Moschee. Sie waren Architekten, und sie lebten umgeben von Dingen, von denen sie sich Inspiration versprachen. Außer den Vogelschwingen gab es da im Flur noch einen Streitwagen aus Sindh und den Panzer eines Samurais, der aussah, als wäre er aus Drachenschuppen gefertigt worden. Die Erde ist keine vollkommene Kugel. Leerte man die Ozeane, gliche sie einem zerbeulten Ball, und Massud hatte genau diese Form aus einem Sandstein herausgemeißelt, der mitten im Garten stand. Auf diversen Tischen und Simsen verteilt, waren Nachbauten der berühmtesten Gebäude der Welt zu sehen. Der Aufriss der Kathedrale von Durham. Die Verbotene Stadt. Das Glashaus in New Canaan, USA.

Nargis kümmerte sich in der Küche ums Abendbrot. Als es Zeit für die Nachrichten wurde, stellte sie das Radio an.

Seit einigen Wochen drang jemand in Moscheen ein - meist im Laufe der Nacht - und verriet über die Lautsprecher der Minarette Geheimnisse der Bewohner von Zamana. Korruption und unmoralisches Verhalten sowie einige der bestgehüteten Laster wurden allgemein bekannt. Bislang hatte niemand den oder die Schuldigen fassen können, und eine neue, eigenartige Furcht breitete sich in der Stadt aus. Unverzüglich kam das Gerücht auf, es handele um die Stimme Allahs, andere glaubten, die Geistlichen der Moscheen selbst seien für dieses verstörende Phänomen verantwortlich; allerdings hatten die Lautsprecher in einer Reihe von Fällen auch die Heucheleien und schwerwiegenden Makel einiger Imame selbst angeprangert.

Nargis v



Beschreibung für Leser
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Bernhard Robben, geboren 1955, war nach dem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie als Deutschlehrer in Nordirland tätig. Seit 1986 arbeitet der Spezialist für irische und angelsächsische Literatur als freier Übersetzer und Journalist. Nebenbei ist er ehrenamtlicher Bürgermeister von Brunne, wo er seit 1992 mit seiner Familie lebt. 2003 wurde er für die Übersetzung des Romans "Abbitte" von Ian McEwan und für sein Lebenswerk mit dem Übersetzerpreis der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW ausgezeichnet. 2013 wurde Bernhard Robben mit dem "Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis" für sein literarisches Lebenswerk auf dem Gebiet der Übersetzung aus dem Englischen gewürdigt.

Nadeem Aslam wurde 1966 in Gujranwala, Pakistan, geboren, musste das Land wegen des Widerstands seines Vaters gegen das Zia-Regime als Jugendlicher verlassen, studierte in England Biochemie und Literatur und lebt heute in London.