Aslı ErdoğanDas Haus aus Stein

E-Book (EPUB)

Penguin Verlag; Everest (2019)

128 Seiten

ISBN 978-3-641-24485-9

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Kurztext / Annotation
Asl? Erdo?ans wichtigster Roman endlich auf Deutsch
»Haus aus Stein« ist nicht nur der wichtigste Text im Werk der gefeierten türkischen Schriftstellerin Asl? Erdo?an. In diesem symphonisch komponierten Roman über Gefangenschaft und den Verlust aller Sicherheiten nimmt sie auch auf erschütternde Weise die eigene Gefängniserfahrung vorweg. »Was hatte ich hier zu suchen? Was war übrig von einem Ich?«, fragt einer der Protagonisten. Ein anderer wird freigelassen, doch was in der Haft geschehen ist, bleibt unsagbar, und er verfällt allmählich dem Wahnsinn. Asl? Erdo?an folgt mit ihrer poetischen dunklen Sprache den tiefen Narben, die eine Begegnung mit dem »Haus aus Stein« hinterlässt. Ihren in der Türkei bereits 2009 erschienenen Roman ergänzt sie durch einen eigens für diese Ausgabe verfassten Essay über die Monate, die sie 2016 nach dem gescheiterten Militärputsch willkürlich im Frauengefängnis Bak?rköy-Istanbul inhaftiert war.

Asl? Erdo?an, geboren 1967 in Istanbul, ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen und Kolumnistinnen der Türkei und weltweit Symbolfigur für den Widerstand gegen die Willkürherrschaft in ihrer Heimat. Ihre literarischen Werke (u.a. »Die Stadt mit der roten Pelerine« und »Das Haus aus Stein«) sind in über 20 Sprachen übersetzt, Erdo?ans Arbeit wurde mit einer Vielzahl von Preisen geehrt: 2010 erhielt sie den Sait-Faik-Preis, den bedeutendsten Literaturpreis der Türkei, 2017 den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis und 2018 den Prix Simone de Beauvoir. Im August 2016 wurde Asl? Erdo?an nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei zusammen mit 22 anderen Journalisten verhaftet und monatelang im Gefängnis festgehalten. Erdo?an lebt im Exil in Deutschland.

Textauszug

Um Polemiken und Schadenersatzforderungen vorzubeugen, schützen sich Filmproduzenten gerne durch folgenden Satz im Abspann: »Die Personen und die Handlung dieses Films sind frei erfunden.« Bei mir könnte als Fußnote stehen: »Die Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Nur das Haus aus Stein ist echt. Nur die Hölle ist echt.«

Buchenwald, 2008. Mir ist sehr kalt. Ich bibbere in meiner dünnen Samtjacke. In Deutschland ist der Winter noch nicht vorbei, und in Buchenwald schneit es. Mir ist, als würde mir eine ganz besonders heimtückische Kälte das Rückenmark hinaufkriechen und mich mit Eiswürfeln anfüllen. Um sechzehn Uhr, auf die Minute genau, schließt das Museum, und im Schneegestöber verlassen sowohl Museumsangestellte als auch Besucher geradezu fluchtartig die Gedenkstätte. Ich stelle mich an der Tür unter, will weder gehen noch bleiben, und starre auf das riesige, rasch im Dunkel versinkende Gelände. Im Schnee erblicke ich einen hochgewachsenen Mann, mit einem Gesicht wie eine zerfasernde Papiermaske, seine Lippen zittern, wortlos steht er da. Als hätten seine Augen die Fähigkeit zu sehen verloren, jedoch eine andere, tiefere Fähigkeit gewonnen, blickt er ins Leere, ins triste Dunkel. Vielleicht sind hier Angehörige von ihm ums Leben gekommen. Als ich mir eine Zigarette anzünde, bemerkt er mich, wendet sich mir zu, als wollte er mir zu verstehen geben, dass das hier verboten sei. Er sieht mir in die Augen, als blickte er in einen Spiegel, dann zündet auch er sich eine Zigarette an.

Wenn im Gefängnis ein neuer Morgen heraufzog, der nichts anderes versprach als wieder Schläge, wieder Demütigungen, wieder Qual, nichts als die Wiederholung des Tages davor, das endlose Gekrächze aus dem Lautsprecher, das Durchzählen und Schlüsselgeklirr, kamen wir im Hof zusammen, ein paar Frauen, bald nass vom Regen, der von oben durch den elektrischen Stacheldraht tropfte, rückten an einer Mauer ganz nah aneinander, und ohne zu reden rauchten wir die erste Zigarette des Tages. Unsere geleerten Aschenbecher gleichenden Augen waren mal auf den Steinboden gerichtet, mal auf den leeren Himmel. Tief atmeten wir ein. Als sögen wir reinen Sauerstoff ein, oder reinen Tod.

Als ich zu Anfang der Achtzigerjahre zum ersten Mal das furchtbarste Folterzentrum von Istanbul betrat, das berüchtigte Sansaryan Han, saßen dort nicht mehr nur politische Gefangene ein. Man schaffte nun auch hartgesottene Kriminelle dorthin, blutig geschlagen meist, nachdem man sie auf dem Polizeirevier weder durch Prügel noch durch Stromschläge zu einem Geständnis hatte bringen können. Als ich den mit Stacheldraht umgebenen Hof und die Jugendlichen sah, die man soeben auf die Fußsohlen geschlagen hatte, war ich selbst noch fast ein Kind (ein Kind aber, das Dostojewski las). Keine der »härteren« Erfahrungen, die ich später im Leben machte, weder die rosenfarbene Polizeistation, die ich in »Die Stadt mit der roten Pelerine« beschrieb, noch die Zellen im Gefängnis von Bakirköy erfüllten mich mit solchem Entsetzen wie das Sansaryan Han. Es war gewiss nicht meine erste Begegnung mit dem »Furchtbaren«, aber zum ersten Mal gewahrte ich voller Beschämung, dass das »Furchtbare« vollkommen »echt« sein konnte.

In seiner frühen Entstehungsphase, als der Ich-Erzähler sich allmählich zu einem bestimmten Charakter, einem Opfer nämlich, entwickelte, war »Das Haus aus Stein« eine Erzählung von gerade mal drei Seiten. Das Haus umfasste, wie das Sansaryan Han, vier Stockwerke. In den folgenden zehn Jahren erfuhr das Gefängnis in meinem Kopf eine Aufstockung um eine Etage, ähnlich wie sich auch in Primo Levis Gedächtnis die Baracken von Auschwitz wandelten.

Schwer, noch einmal davon zu reden. Nach all den Zellen, den vielen Schlägen, den Verlusten des Lebens. Aus der bitteren, harten, qualvollen Erfahrung heraus zu sprechen, dass man zum Schweigen gebracht wurde. Das scharfe, unsichtbare Messer, das die Worte aushöhlt, hat ihnen auch die Zungen abges



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