Barbara FrischmuthVerschüttete Milch

E-Book (EPUB)

Aufbau Digital (2019)

304 Seiten

ISBN 978-3-8412-1731-8

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Kurztext / Annotation

Von der Magie, dem Unerklärlichen und der Verlorenheit einer Kindheit.

Dieser Roman entfaltet einen großen Zauber. In dem arglosen Blick eines Mädchens wird die Kindheit an einem Ort lebendig, an dem Heil und Unheil Tisch an Tisch zur Sommerfrische saßen. Als es die Klosterschule verließ, endete auch die Kindheit. Aber Fotos und Erzählungen locken die Zeitstimmung und eine besondere Familiengeschichte hervor.

»Es lag wohl an der vielen vergangenen Zeit, dass sie sich wesentlich entspannter über die verschüttete Milch von damals auslassen konnten.«



Barbara Frischmuth, 1941 in Altaussee (Steiermark) geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Seit einigen Jahren lebt sie wieder in Altaussee. Nach ihrem von der Kritik hochgelobten Debüt 'Die Klosterschule' und dem Roman 'Das Verschwinden des Schattens in der Sonne' wurde sie vor allem mit der zauberhaften und verspielten Sternwieser-Trilogie bekannt, der die Demeter-Trilogie folgte. Neben weiteren Romanen wie 'Die Schrift des Freundes', 'Die Entschlüsselung', 'Der Sommer, in dem Anna verschwunden war', 'Vergiss Ägypten' und 'Woher wir kommen' veröffentlichte sie u. a. Erzählungen und Essays. Zuletzt erschien 'Der unwiderstehliche Garten', das vierte ihrer literarischen Gartenbücher.

Textauszug

Man hatte der Kleinen seit einem Jahr so viel von der Schule vorgeredet, dass sie sogar die Tage zu zählen begann. Als es dann so weit war, bestand sie darauf, alleine zur Schule zu gehen.

Weder Mutter noch Paps, der ohnehin noch schlief, weder Xaver noch d'Anna, weder Rita noch Fritzi durften sie begleiten. Sie war von nun an Juli, und Juli wusste genau, wo das Schulhaus stand.

Warum sollen wir denn nicht mit dir zur Einschulung kommen?, fragte die Mutter, fragte Paps, fragte d'Anna, fragte Rita. Fritzi heulte sogar, weil er nicht mitdurfte, und Xaver war ohnehin längst im Wald.

Weil die anderen Kinder mich auslachen, wenn ich nicht allein in die Schule finde.

Alle schüttelten den Kopf. Lasst sie, sagte die Mutter: Wenigstens gehört sie nicht zu den Kindern, die man in die Schule scheuchen muss.

Auf dem Schulweg begegnete sie einem Nachbarn. Er hatte gerade geprüft, ob die Birnen schon reif wären, und hielt eine davon (die so gelb war wie die gelben Herbstblumen, die wie Zäune vor jedem Haus wuchsen) in der Hand, um daran zu riechen.

Er wandte sich ihr zu und sagte: Na, Julerl, wo willst du denn so früh hin?

In die Schule, sagte Juli.

Ganz allein?

Ich weiß ja, wo die Schule steht.

Tapfer, tapfer, sagte der Nachbar, und seine weißen Haare gleißten in der Morgensonne: Dafür schenk ich dir diese Birne. Die kannst du gleich essen, sie ist genauso, wie sie sein soll.

Juli bedankte sich. Sie hatte nicht gefrühstückt aus Angst, sie würde womöglich schon am ersten Tag zu spät kommen.

Als sie nach einer Stunde wieder nach Hause ging, war sie enttäuscht. Sie hatte gedacht, sie würden gleich mit dem Schreiben beginnen. Aber da gab es bloß eine allgemeine Begrüßung. Alle mussten ihren Namen sagen, damit alle wussten, wie alle hießen, auch die Lehrerin. Und als alle wussten, wie alle in der Klasse hießen und auch dass die Frau Lehrerin Frau Lehrerin Moser hieß, sagte die Frau Lehrerin Moser, was sie am nächsten Tag in die Schule mitbringen sollten. Aus. Das wars.

Es war ein sonniger, blauhimmliger Septembertag geworden. Juli holte die Birne aus ihrem Ranzen. Sie duftete so stark, dass der ganze Ranzen wie eine riesige Birne roch. Sie biss hinein, leckte sich die Lippen, biss wieder hinein. Es war die beste Birne, die sie je gegessen hatte, und sie stammte von dem Spalierbaum an der Hauswand des Nachbarn, den alle Kinder, die öfter daran vorbeikamen, schon seit Tagen im Auge behielten.

Anstatt Spannenlanger Hansel, nudeldicke Dirn sang Juli nudeldicke Birn, und als sie bei der Einfahrt zum Hotel angekommen war, spuckte sie die Kerne samt Gehäuse auf einen Maulwurfshügel, denn der Xaver hatte ihr erklärt, dass Maulwurfserde die beste Erde sei. Vielleicht würde schon nächstes Jahr hier ein Birnbaum wachsen, ihr Birnbaum, voller nudeldicker Birn.

* * *

Der Paps hatte von irgendwoher eine Truthenne mitgebracht, aber da die Hühner sich nicht mit ihr oder die Truthenne sich nicht mit den Hühnern verstand, ließ der Xaver sie in den Garten, was ohnehin nur im Herbst ging, wenn es keine Jungpflanzen mehr gab. Aber die Truthenne fand immer wieder eine Stelle, an der der Zaun nicht ganz dicht war oder der Dachs ein Loch gegraben hatte, das tief genug war, um eine junge Truthenne unterm Zaun zum Park hinausschlüpfen zu lassen. Sie konnte einem richtig leidtun, wie sie da so alleine durchs Gras schritt und vor Langeweile nicht wusste, was sie tun sollte.

Als Juli von der Schule kam, sie konnte bereits eine Reihe von Buchstaben lesen und sogar schreiben, lag die Truthenne in einer Mulde, die noch vor kurzem eine tiefe Pfütze gewesen war, und rannte nicht davon, wie sie es bisher immer getan hatte, wenn ihr jemand zu nahe kam.

Juli hockte sich neben sie und versuchte sie zu streicheln. Sie ließ es sich gefallen und gluckste dabei.

Du kannst hier nicht liegen bleiben, sagte Juli. Stell dir vor,



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