Der Schneeleopard
Hardcover
Rowohlt, Hamburg (2021)
192 Seiten; Mit 2 s/w Fotos und 2 s/w Karten; 19 mm x 131 mm
ISBN 978-3-498-00216-9
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€ 20,60
Besprechung
Sylvain Tesson gießt die Welt und ihre Erscheinungen in eine Sprache, die ebenso entschieden und gemeißelt ist wie die Landschaft des Hochgebirges. Martina Läubli Bücher am Sonntag (Beilage NZZ am Sonntag) 20210627
Langtext
Gemeinsam mit dem Fotografen Vincent Munier reist der Abenteurer und Schriftsteller Sylvain Tesson nach Tibet, um sich auf die Suche nach einem der seltensten Tiere dieser Erde zu begeben - dem Schneeleoparden. Ob sie dem Tier begegnen werden? Ungewiss.
Auf über 4000 Metern, fernab vom Lärm der Zivilisation, hinterfragt Tesson eine Welt, in der kaum noch Raum bleibt für das Ungebändigte und die Entfaltung der Schönheit der Natur. Entstanden ist ein aufrüttelndes, preisgekröntes, kraftvolles Werk, dessen Sog man sich nicht entziehen kann: Eine meditative Reise in die weiße Stille des Himalaya, eine Lektüre gegen die Hektik unseres Alltags und die Zerstörung der Welt.
«Der Schneeleopard» war das erfolgreichste französischsprachige Buch des Jahres 2019.
«Eine Abenteuergeschichte und eine spirituelle Suche. Ein Lob der Geduld, der Wildnis und der Schönheit.»
François Busnel, La Grande Librairie
«Dicht, intelligent und feinsinnig - das perfekte Gegenmittel wider den zeitgenössischen Wahnsinn.»
Marie Chaudey, La Vie
«Sylvain Tesson bewohnt diese Welt als Dichter.»
Étienne de Montety, Le Figaro Littéraire
«Eine Ode an die Stille.»
Libération
«'Der Schneeleopard' erinnert an die Jagd des Kapitän Ahab nach Moby Dick, mit dem Unterschied, dass der Held dieser Geschichte das Tier fotografieren will, anstatt es zu harpunieren.»
Le Monde des Livres
So tiefgründig, feinsinnig und poetisch
Der Autor schreibt schildernd, wortgewaltig und oft poetisch-philosphisch. Wer Sprache und Worte mag, wird dieses Buch einfach nur lieben. Die Stille der einsamen Naturlandschaft, das Warten in der eisigen Kälte, die Einschränkungen der Expeditionsteilnehmer und zugleich das große Glück, seltene Tiere zu sehen - all das erlebt man hautnah mit!
Ich habe es geliebt, wie er über seine verstorbene Mutter schreibt und über die Natur, die ihm so am Herzen liegt. Seine treffenden Vergleiche und seine feinsinnigen und fantastischen Beschreibungen sind wunderbar, sein Wissen sehr umfangreich. Ich mag es, wenn Bücher mich bereichern, wenn ich noch etwas lernen kann und wenn mein Hirn beim Lesen anfängt zu summen, weil es soviel Input bekommt. Das war bei diesem Buch so.
Die Geschichte der Suche nach dem Schneeleoparden steht einerseits im Mittelpunkt, andererseits aber auch nicht - schwer zu beschreiben. Es ist nicht nur eine Reise zu diesen seltenen Tieren, sondern auch nach Tibet und auch eine innere Reise des Autors zu sich selbst.
Stille auf 4000 Meter
Ob sie auf dieser Suche überhaupt den Schneeleoparden erblicken werden, ist ungewiss. Immer wieder errichten sie ein Lager, von dem aus sie stundenlang mit dem Fernglas die Hügel in der Umgebung absuchen. Das Ganze wird zu einer Meditationsreise, die eigenen Gedanken können geordnet werden, da man ja kaum sprechen darf, um etwaige Sichtungen nicht zu verhindern.
Auch als Leser beginnt man bei der Lektüre zu meditieren, der Autor schreibt in einer sehr ruhigen Sprachweise ohne laute Zwischentöne. Selten habe ich ein Buch gelesen, das mit derart genauen Beschreibungen der Landschaft und der Gefühle einherkommt.
Das Cover ist eine Abbildung von Vincent Munier und toll grafisch umgesetzt.
Erzählung einer Reise und philosophisches Werk
Mit dem Tierfotografen Vincent Murnier, dessen Lebensgefährtin und einem Assistenten begibt sich Schriftsteller Sylvain Tesson auf eine Expedition durch die Hochebenen Tibets. Ein extremes Unternehmen, sich bei Temperaturen von bis zu -40 Grad nachts in zugige Hütten oder Zelte, tagsüber für Stunden auf die Lauer zu legen. Immer auf die nächste Begegnung mit Yaks, Wölfen, Antilopen und letztlich dem Schneeleopard hoffend. Er beschreibt, wie sich ihm das Land darstellt. Im Angesicht der rauen und klaren, der mal noch ursprünglichen und mal von Menschen gezeichneten Natur; im Eindruck der Begegnung mit Tieren und dem Umgang Muniers mit ihnen, entwickelt Tesson dabei immer wieder Gedanken über sein aktuelles Erleben hinaus. Das verleiht dem Buch eine zusätzliche Ebene.
Die Kapitel sind kurz, umfassen jeweils nur drei bis sechs Seiten. Die Tour wird chronologisch beschrieben. Der Aufteilung der Kapitel liegen aber eher Begegnungen und Erkenntnisse zu Grunde, als Tage oder Reiseabschnitte. Immer wieder sieht Tesson in den Tieren oder der Landschaft Ausdrücke der Natur, der Ursprünglichkeit oder gar verschiedener Formen von Spiritualität, Göttlichkeit, deren Kraft und Faszination er mit seinem eigenen Dasein oder unserer westlichen Zivilisation in Verbindung bringt, abgleicht.
Das ist alles nicht leicht. Tesson ist mir nicht sympathisch. Seine Gedanken kritisieren mein Leben in mitteleuropäischer Zivilisation. Von ihm beschriebene Spiritualität, die über die Philosophie der Weltreligionen hinausgeht, ist mir zu beliebig. Seinen Schreibstil empfinde ich als schwierig, er ist mit Sprachbildern überhäuft, ab und an kitschig. Als eine “gelbe Klinge die Nacht empor hob und die Sonne ihre Flecken auf eine mit Gras gesprenkelte Steindecke bröselte” war ich so genervt, dass ich das Weiterlesen infrage stellte. Solche gewollt dichterischen Formulierungen mögen manche als Kunst an sich werten. Ich empfinde sie als das Gegenteil der Klarheit, welche mir der Anblick des Schutzumschlags dieses schmalen, hübschen Buchs mit Lesebändchen beim Kauf suggerierte.
Ich bin dennoch drangeblieben. Weil Tesson neugierig auf Tibet macht. Weil mich aus dem Gebirge seiner Sprachbilder immer wieder welche anpieksen. Weil er Tiere beschreibt, von denen ich zuvor nie hörte. Vor allem, weil er mich zum denken animiert.
Dieses Buch fordert mich. Tesson nimmt mich mit in eine fremde Welt; sowohl was die beschriebene, tatsächliche Welt angeht, als auch bezüglich seiner Gedankenwelt. Ich darf mitfühlen, mitdenken. Ich darf richtig oder falsch finden, schön oder hässlich, schlau oder albern. Das ist letztlich für einen Leser eine Auseinandersetzung mit einem selbst. Wer sowas mag, für den lohnt sich dieses Buch.
Möglicherweise ist Tessons Schneeleopard sogar eins dieser Werke, die man in größeren Abständen immer wieder mal zur Hand nimmt. Ein Buch, das man zufällig aufschlägt, um eins der kurzen Kapitel zu lesen. Womöglich sprechen einen dann andere Sprachbilder an. Womöglich stellen sich einem dann die Gedanken anders dar, weil man sich selbst verändert hat.