Abdulrazak GurnahNachleben

E-Book (EPUB)

Penguin Verlag; Bloomsbury, London 2020 (2022)

384 Seiten

ISBN 978-3-641-29438-0

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Kurztext / Annotation
Der aktuelle Roman des Literaturnobelpreisträgers erstmals auf Deutsch: Eine erschütternde, generationsübergreifende Saga über Krieg und Liebe zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Ilyas ist elf, als er sein Zuhause an der ostafrikanischen Küste verlässt und für die deutschen Kolonialtruppen zwangsrekrutiert wird. Jahre später findet er die Hütte seiner Familie verlassen und seine kleinen Schwester Afiya bei Fremden, die sie schlecht behandeln. Auch ein anderer junger Mann kehrt in diesen Tagen zurück: Hamza hatte sich freiwillig den deutschen Truppen angeschlossen. Mit nichts als den Kleidern am Leib sucht er nun Arbeit und Sicherheit - und findet die Liebe der klugen Afiya. Während das Schicksal die jungen Menschen zusammenführt, während sie sich verlieben und versuchen, mit den dunklen Schatten der Vergangenheit zu leben, rückt aus Europa ein weiterer Weltkrieg in bedrohliche Nähe.

Abdulrazak Gurnah wurde 2021 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. »Nachleben« war nominiert für den Walter Scott Prize und den Orwell Prize for Fiction.

»Gurnah erzählt verdammt großartige Geschichten.« DIE ZEIT

Abdulrazak Gurnah (geb. 1948 im Sultanat Sansibar) wurde 2021 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Er hat bislang zehn Romane veröffentlicht, darunter »Paradise« (1994; dt. »Das verlorene Paradies«; nominiert für den Booker Prize), »By the Sea« (2001; »Ferne Gestade«; nominiert für den Booker Prize und den Los Angeles Times Book Award), »Desertion« (2006; dt. »Die Abtrünnigen«; nominiert für den Commonwealth Writers' Prize) und »Afterlives« (2020; dt. »Nachleben«; nominiert für den Walter Scott Prize und den Orwell Prize for Fiction). Gurnah ist Professor emeritus für englische und postkoloniale Literatur an der University of Kent. Er lebt in Canterbury. Seine Werke erscheinen auf Deutsch im Penguin Verlag.



Textauszug
EINS

1

Khalifa war sechsundzwanzig Jahre alt, als er den Kaufmann Amur Biashara kennenlernte. Zu der Zeit arbeitete er in einer kleinen Privatbank, die zwei Brüdern aus Gujarat gehörte. Von Indern geführte Privatbanken waren die einzigen, die sich auf das Gebaren der einheimischen Kaufleute einließen und Geschäfte mit ihnen machten; alle größeren Geldinstitute legten Wert auf Dokumente, Sicherheiten und Garantien, was den einheimischen Kaufleuten nicht immer passte. Sie verließen sich lieber auf ihre Netzwerke, auf Verbindungen, die für das Auge unsichtbar waren. Die Brüder hatten Khalifa eingestellt, weil er väterlicherseits mit ihnen verwandt war. Verwandt ist vielleicht ein zu starkes Wort, aber sein Vater stammte ebenfalls aus Gujarat, und manchmal war das Verwandtschaft genug. Khalifas Mutter kam vom Land. Sein Vater hatte sie bei der Arbeit auf der Farm eines indischen Großgrundbesitzers kennengelernt, zwei Tagesreisen von der Stadt entfernt, in der er fast sein gesamtes Erwachsenenleben verbracht hatte. Khalifa sah nicht wie ein Inder aus, beziehungsweise nicht wie jene Inder, die man in diesem Teil der Welt zu sehen gewohnt war, denn Haut, Haare und Nase hatte er von seiner afrikanischen Mutter geerbt; aber wenn es ihm gelegen kam, berief er sich gern auf seine Abstammung. »Ja, doch, mein Vater war Inder. Sieht man mir gar nicht an, was? Er hat meine Mutter geheiratet und war ihr immer treu. Manche Inder vergnügen sich mit Afrikanerinnen, die sie dann, sobald sie für eine indische Ehefrau bereit sind, einfach sitzenlassen, aber mein Vater ist immer bei meiner Mutter geblieben.«

Khalifas Vater Qassim war in einem kleinen Dorf in Gujarat zur Welt gekommen, wo es Reiche und Arme gab, Hindus, Muslime und sogar ein paar Habescha-Christen. Qassims Familie war muslimisch und arm, er selbst ein fleißiger, Entbehrungen gewöhnter Junge. Zunächst besuchte er die Moscheeschule in seinem Dorf, später dann eine staatliche Einrichtung in der nächstgelegenen Stadt, wo Gujarati gesprochen wurde. Sein Vater reiste als Steuereintreiber durchs Land; dass Qassim zur Schule ging, um später ebenfalls als Steuereintreiber oder in einem anderen achtbaren Beruf zu arbeiten, war seine Idee gewesen. Qassims Vater lebte nicht mit der Familie zusammen und besuchte sie höchstens zwei- oder dreimal im Jahr, während seine Mutter sich um die blinde Schwiegermutter und die fünf Kinder kümmerte. Qassim war der Älteste und hatte noch einen Bruder und drei Schwestern. Zwei davon, die beiden jüngsten, waren früh gestorben. Hin und wieder schickte der Vater Geld, aber im Grunde waren sie in ihrem Dorf auf sich allein gestellt und mussten jede Arbeit annehmen, die ihnen angeboten wurde. Als Qassim alt genug war, ermutigten ihn seine gujaratisprachigen Lehrer, sich für ein Stipendium an einer englischen Schule in Bombay zu bewerben, und ab dem Moment wendete sich das Schicksal. Sein Vater und andere Verwandte nahmen einen Kredit auf, damit er während seiner Zeit in Bombay möglichst gut unterkam. Nach einer Weile verbesserte sich seine Situation und er konnte zur Untermiete bei der Familie eines Schulfreundes wohnen, der ihm einen Job als Nachhilfelehrer für jüngere Kinder vermittelte. Mit den zusätzlichen Annas, die er auf diese Weise verdiente, kam er über die Runden.

Kurz nach dem Schulabschluss bot man ihm eine Stelle als Buchhalter bei einem Großgrundbesitzer an der afrikanischen Küste an. Die Einladung erschien ihm wie ein Segen, eröffnete sie ihm doch die Möglichkeit, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen und vielleicht sogar ein Abenteuer zu erleben. Sie hatte ihn über den Imam des Dorfes erreicht. Die Vorfahren des Großgrundbesitzers waren vor langer Zeit aus ebenjenem Dorf ausgewandert, und wann immer sie einen Buchhalter brauchten, bestellten sie ihn von dort. Damit wollten sie sichergehen, dass sich ein besonders loyaler und dienstbarer Mensch um ihre Geschäfte kümmerte.



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