Rezensionen

Rezensionen von MeinSohnPrinzAndreas

Autor: Everett, Percival

jugendlich anmutender Abenteuerroman mit bewegender Tiefe - 5 Sterne

Hannibal, eine Kleinstadt am Ufer des mächtigen Mississippi: hier verbringt Jim seine Tage, verstellt sich, spielt eine Rolle, die nur diejenigen durchschauen, die ebenfalls eine Rolle spielen. Denn er ist nicht dumm, sondern ein dunkelhäutiger Sklave. Und so ist es für sein eigenes Wohlergehen das beste, wenn er die Weißen glauben lässt, er sei, ungebildet, dumm, einfältig und einfach nicht so viel wert, wie sie selbst. Doch als er erfährt, dass er den Fluss hinab verkauft werden, von seiner Frau und seiner Tochter getrennt werden soll, nimmt er sein Schicksal selbst in die Hand. Er wagt die Flucht. Und von nun an erlebt er mit seinem jungen Freund Huck ein Abenteuer auf dem großen Strom nach dem anderen, immer kurz davor entdeckt oder getötet zu werden.

Auch wenn ich das Standardwerk Mark Twains noch nicht gelesen habe, wollte ich mich dennoch an diese Adaption, bzw. an diese Erweiterung des Tom Sawyer und Huckleberry Finn - Kosmos heranwagen. Und ich bereue es keineswegs, das Buch gelesen zu haben. Von Anfang an entwickelt der Schreibstil eine Sogwirkung, vor allem, da dieser recht Dialoglastig ist, und wir sehr viel Inhalt durch Gespräche, aber auch die Wahrnehmung von Jim, der unser Ich-Erzähler ist. Und so ist unsere Wahrnehmung einerseits sehr eingeschränkt, auf der anderen Seite liegt der Fokus wirklich nur auf den Geschehnissen und so entsteht dieses rasante Tempo eines jugendlich anmutenden Abenteuerromans. Dennoch hatte ich in der ersten Hälfgte des Romans zeitweise meine Probleme damit, dass man sich komplett in Zeit und Raum verliert. Auch werden manche Ereignisse für meinen persönlichen Geschmack etwas zu rasch abgehandelt. Bedingt durch die Erzählperspektive und die eingeschränkte Wahrnehmung, ist dies allerdings unabdingbar für die Geschichte und dementsprechend leicht verzeihbar.

Eine Besonderheit ist, dass viele der Dialoge versuchen, die Umgangssprache der Versklavten nachzustellen, mit der sich diese von der weißen Herrenrasse versuchten abzugrenzen. Gut gelungen, da sich nach einer kurzen Einstellungsühase sich diese Textstellen sehr flüssig lesen lassen, authentisch wohl kaum, da es immer einer Meisterleistung bedarf, dialektale Eigenheiten in einer anderen Sprache wiederzugeben. Wie dem auch sie, Gefühl und Botschaft, dass Sprache einerseits Gemeinschaft schafft, andererseits auch ausgrenzt und an Narrative verknüpft ist, werden uneingeschränkt vermittelt.

Hinsichtlich der Figuren lässt sich sagen, dass einem vor allem die Hauptfigur sehr stark ans Herz wächst. Er ist das zentrum der Geschichte. Wir erfahren seine gedanken, seine Geschichte, seine Gefühle, durchleben mit ihm die Abenteuer und Gefahren. Die anderen, wie Huck sind nur Wegbegleiter, die kommen und gehen, oder bleiben. Doch Jim wird zu einem komplexen Kosmos der Gefühle, so nachvollziehbar, dass selbst Taten und Entscheidungen, die man unter objektiver Betrachtung als moralisch verwerflich oder gar falsch ansehen müsste, beim Lesen nicht angezweifelt werden.

Kurzum, ein Buch, das fesselt, kindliche Begeisterungsstürme für Schaufelraddampfer und Flussabenteuer lostritt, auch wenn es mir manchmal schon zu rasant vorbeizog. Die Botschaft über die Dummheit und Grausamkeit des Menschen bleibt dennoch klar und unverwaschen erhalten.
Autor: Barbara Kingsolver

ein betäubtes Land - 5 Sterne

Der junge Demon wird in den 90er Jahren im hintersten Winkel von Virginia geboren. Der Vater ist schon vor der Geburt gestorben und so wächst er zusammen mit seiner Mutter in einem Trailer, eingeklemmt zwischen den Bergen, auf. Die Mutter ist immer wieder auf entzug und auch so hat Demon keine Kindheit, die man als durchschnittlich bezeichnen könnte. Und so ist auch sein weiteres Leben geprägt von Armut, Misshandlung und Sucht.

Eine Hommage an die Bewohner:innen Appalachias. Weitab dessen, was man allgemen als Wohlstand warnimmt, setzt sich der Roman intensiv mit dem Themen auseinander, die diese Region betreffen. Sei es einerseits die hohe Arbeitslosigkeit, Alkoholmissbrauch, die misserable Versorgungsinfrastruktur oder die Rolle der Bergregion als Epizentrum der Opioidkrise.

Inhaltlich stark, konnte mich der Roman so sehr schnell fesseln. So beginnt es einmal mit einer unkonventionellen und dennoch glücklichen Kindheit, bevor sich die Handlung dem Leben als Pflegekind zuwendet. Die Intensität der Beschreibungen von Misshandlungen und der Probleme des amerikanischen Kinderunterbringungssystems mögen füer manche Leser:innen zu viel sein, dennoch finde ich es wichtig, dass hier in kaum geschönter Brutalität aufgezeigt wird, mit welchen Problemen die Kinder zu kämpfen haben, und wie sie dadurch für ihr restliches Leben gezeichnet werden.

So nimmt das Heranwachsen in einer kaputten Welt einen deutlichen Scvhwerpunkt in der Geschichte ein. Ein anderer liegt auf der inflationären Verschreibung und Nutzung von opioidhaltigen Schmerzmedikamenten. Gerade dadurch, dass die Region fernab von jeglicher medizinischer Versorgung ist, die man als ausreichend bezeichnen könnte, haben gewinninteressierte Pharmaunternehmen hier leichtes Spiel, ihre Produkte an den Mann zu bringen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die betäubende Wirkung der Medikamente sicherlich gerne genutzt wird, um den tristen und sorgengeplagten Alltag dieser Region zu entkommen. Dieser Prozess, in dem eine Breite der Bevölkerung in die Abhängigkeit rutscht, wird hier auch dementsprechend interessant beschrieben, als dass man beim Lesen anfangs ein wenig überfordert ist, die Geschehnisse einzuordnen, und sich ein insgesamtes Bild von der Lage der Region zu machen. Es wirkt, als würden wir selbst diesen Prozess beobachten, und uns würde das Hintergrundwissen fehlen, dass wir nun in den 2020er Jahren haben. Wichtige Komponenten dieser Drogenepedemie finden so Eingang in die Geschichte: Pharmavertreter, verschreibungsfreudige Ärzte und Pillenmühlen. Andere wichtige Aspekte, wie Prozesse gegen Purdue-Pharma oder den Unwillen der Politik auf Bundes- und Staatsebene zu handeln, finden leider keinen Eingang in die Geschichte. Mag es sein, weil die Hintergründe der Opioidkrise für diejenigen, die sich nicht zuvor schon mit der Thematik näher befasst hatten, zu vielschichtig und uninteressant sein mögen, wenn sie in Form eines Romans daher kommen. Oder aber, weil umfassendere Beschreibung im Kontrast dazu stehen würde, dass die Bevölkerung dieser Region, von vielen Dingen, die ihnen angetan wurden, gar nichts wussten.

Wie dem auch sei, das Buch hat viele Aspekte abgedeckt, die mich persönlich sehr stark interessieren. Kombiniert mit den tollen Charakteren und dem sprachlichen Stil der Autorin kommt ein für mich sehr toll gelungener Roman heraus, den ich gerne anderen Leser:innen ans Herz lege.
Autor: Platzgumer, Hans

literarische Aufarbeitung des Amakasu Zwischenfalls - 4 Sterne

Im Jahre 1912 besteigt Yoshihito den japanischen Kaiserthron. Die fünfzehn Jahre seiner Regentschaft sind geprägt von Führungsschwäche und Umbrüchen im Land. Einer dieser Menschen, die den Umbruch vorantreiben wollen, die ein Ende der Kaiserzeit herbeisehnen und für die Freiheit aller Menschen steht, ist Sakae Ôsugi, gelehrt, und voller revolutionärere Ideen. Als Gegenspieler hat er Hauptmann Amakasu, einen aufopferungsvollen Diener des Kaiserreichs. Er wird auf Ôsugi angesetzt, überwacht ihn, und kennt ihn schon bald besser, als dieser sich selbst. Eine sehr einseitige Beziehung, denn Ôsugi hat kein Bild dazu, wer ihn überwacht. Als 1923 das große Kantô-Erdbeben den Großraum Tokios erschüttert, läutet sich für Japan eine Stunde Null ein. Das Militär stutzt alles wieder zurecht, was in den Jahren der Jahren der laschen Regentschaft Yoshihitos entstehen konnte.

Weder Amakasu-Zwischenfall, noch Sakae Ôsugi waren mir vorher ein Begriff, doch der Klappentext, revolutionäre Bestrebungen und die konservativen Gegenströmungen reizten mich sehr. Und so bekommt man von Hans Platzgumer eine literarisch außerordentlich hochwertige Aufarbeitung mit schon fast biographischen Zügen präsentiert. Als Erzähler haben wir Hauptmann Amakasu, der am Ende seines Lebens über die wohl prägendste Figur seines Lebens und seiner Laufbahn nachdenkt. Er teilt mit uns, wie Yoshihito, Sakae Ôsugi und die anderen im Roman relevanten Protagonist:innen zu den Menschen heranreifen konnten, die sie am Höhepunkt, dem Kantô-Beben, waren. durch diese Form der Nacherzählung werden wir beim Lesen nicht mit überflüssigen Informationen zugeschüttet, sondern bekommen ein recht einfühlsames und Interessantes Bild der unterschiedlichen Figuren. Doch gerade Hauptmann Amakasu kommt einem dadurch besonders intensiv und nahe, auch wenn er durch seine Verhaltensweisen - diese sind nicht übermäßig negativ oder abscheulich - und seine politisch abscheulich reaktionären und rückständigen politischen und gesellschaftlichen Einstellungen absolut nicht sympathieweckend wirkt.

"Ein Wissen, dass sich und seine Konsequenzen nicht ständig hinterfragt, beschränkt sich auf die eigenen Erfolge und widersetzt sich in logischer Folge jeglichen Veränderungen. es ist kein Wissen, sondern ein Festhalten. Niederträchtig steht es im Schulterschluss mit der Macht." (S. 96)

Grundsätzlich liegt, trotz der darin beschriebenen Ereignisse dem Buch eine magische Ruhe und Unaufgeregtheit zu Grunde. Kein sonderlich imposanter Spannungsbogen zieht sich vom Anfang bis zum Ende des Buches. Viel mehr arbeitet der Autor die damaligen gesellschaftlichen und politischen Umbruchsversuche in Japan auf, die universell genauso für andere Länder gültig sein hätten können, und im Kern ihrer Diskussion auch noch im 21. Jahrhundert Geltung finden, Gesellschaftskritik, Schilderung historischer Gegebenheiten und literarisch zum Verlieben.
Autor: Mat Osman

Phantastische Reise durch ein längst vergangenes London - 3 Sterne

Mir fällt es wirklich schwer, den Inhalt, oder zumindest einen ansatzweisen Ausblick auf das Buch in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Und da wären wir auch schon bei meinem ersten großen - eigentlich dem Hauptproblem - des Buches. Ich hatte den Klappentext schon nicht so ganz durchblickt, erwartete mir ein Theater, dass in die höchsten Kreise der Londoner Gesellschaft aufsteigen würde, wodurch unsere Protagonistin Shay in Berührung mit dem Königshof und der Königin selber kommen würde. Das ganze dann garniert mit fantastischen Elementen, bei denen die Grenze zum Realismus verschwimmt. In dieser Hinsicht wurde ich auch nicht enttäuscht. Physische und Metaphysische Magie findet statt. Aber die Geschichte weiß dennoch nicht so ganz, was sie nun eigentlich möchte. Immer wieder werden neue Richtungen angerissen, ohne dass sich letztendlich darauf weiter intensiviert wird. Teilweise werden wirklich interessante Dinge am Rande erwähnt, die meiner Meinung nach deutliches Potential haben, und dann einfach liegen gelassen. Es entsteht ein richtig konfuses Bild der Geschichte und noch dazu kommt, dass das eigentliche Ziel der Geschichte, woraufhin die Protagonist:innen hinarbeiten, undurchsichtig bis nicht existent ist. Ich hatte die ganze Geschichte über absolut keine Ahnung, auf was ich nun eigentlich hinsteuere. Im Mittelteil lichtete sich der Nebel, hier wurde die Geschichte viel klarer und Strukturierter, verlief lange in einem linearen Muster, doch im letzten Drittel liesen Aufbau und Struktur wieder stark nach. Dennoch muss man dem Buch eines lassen, über weite Teile ist es wirklich rasant, spannend und hat wirkliches Pageturner Potential.

An den Figuren unserer Geschichte muss ich auch noch einmal Kritik üben. Shay und Nonesuch sind eigentlich so ziemlich die beiden wichtigsten Figuren der Geschichte. Dennoch vermag es der Autor nicht, ihnen eine angemessene Tiefe und eine Charaktergestaltung zu geben, die ihrer Rolle gerecht werden würde. ZU Shay konnte ich keine wirkliche Bindung aufbauen, auch wenn man immer wieder ihre Emotionslage sehr nahe mitbekommt, und Nonesuch war so blass, dass er mir mit der Zeit auch einfach egal wurde. Im Näheren Umfeld des Theater gab es dann auch noch ein paar andere Charaktere, die eigentlich interessant wären, zumindest, was man so angedeutet bekommt, aber ja, sie bleiben mehr als nur farblos.

Was ich dem Autor allerdings zugute halten muss, ist, dass er es vermag, ein spannendes Setting zu kreieren. Die Beschreibungen vom pulsierenden Leben in London haben fast süchtig gemacht. Im Generellen wurde alles immer geradezu magisch und fantastisch beschrieben, was bei mir sehr oft das Bedürfnis, weiterzulesen gesteigert hat.

Insgesamt ist das Buch viel zu konfus und undurchsichtig, als wisse der Autor selbst nicht so ganz, was alles er nun in die Geschichte packen solle. Die Spannung und die Atmosphäre können das Buch aber teilweise retten. Dennoch leider keine Leseempfehlung.
Autor: Lauren Groff

Flucht in die Freiheit - 5 Sterne

Virginia in den spärlichen Anfängen einer Kolonie: Ein junges Mädchen entflieht der Siedlung, die man zuvor vielleicht als ihre Heimat bezeichnen hätte können. Was sie getan hat, ist anfangs nicht klar. Wir wissen nur, dass es etwas bedeutungsschweres und unverzeihliches sein muss, denn die Kälte des amerikanischen Winters und die allgegenwärtige Gefahr des Todes sind der englischen Siedlung scheinbar vorzuziehen. Und so beginnt für das Mädchen jeden tag auf neues ein Kampf um die Freiheit, jeden Schritt und Atemzug aufs neue zu tun.

Ohne große Erklärungen wird die Leserschaft sogleich in die abgehetzte Flucht und die rasenden Gedanken der Protagonistin geworfen. Gestochen scharf bekommt man jede Empfindung, den Schmerz und die Bitterkeit des Hungers und der Kälte des ersten Fluchttages präsentiert, ohne genau zu wissen, wer das Mädchen ist, und was es getan hat. Erst langsam, mit Voranschreiten der Flucht des Mädchens - immer weiter in Richtung Norden - erfahren wir so banale dinge wie Herkunft und Namen des jungen Mädchens, und was nun eigentlich der Grund für diese Geschichte ist. Je tiefer wir in der Geschichte sind, umso mehr merken wir, dass das nebulöse Konstrukt rund um die Person im Zentrum des Buches sich immer weiter auflöst, im Umkehrschluss die Person selbst durch die Entbehrungen des Alltags in der Natur immer weiter zu entgleiten scheint, physisch und psychisch abbaut. Und so Baut sich die Geschichte in einem weiten Bogen auf und ebenso sanft wieder ab, wobei gerade der finale Punkt der Geschichte unabweichbar und ebenso schmerzhaft ist.

Neben der akribischen Beschreibung der Gedanken des Mädchens auf der Flucht spielen vor allem auch die Umgebung, in der wir uns Befinden, das Setting - die Natur eine zentrale Rolle. Wir erleben in detailreicher Schilderung den Übergang von Winter zu Frühling, das Erwachen der Tier und Pflanzenwelt in einer heute längst verlorenen Intensität. Und fast ist man gewillt, sich an die Stelle des jungen Mädchens zu wünschen, nur um diese Reinheit der Empfindungen auf sich einströmen zu lassen.

Und auch, wenn das Buch nur mit diesem einzigen Handlungsstrang auskommt, so ist es dennoch keineswegs ruhig oder langweilig. Brausend steigern sich die Geschehnisse der Flucht hin, peitschen die Geschichte voran, sei es nur, ebenso wie die Protagonistin selbst beim Lesen auf den nächsten Sonnenuntergang hinzufiebern, nur um zu erfahren können, ob all die Mühen und der Schmerz es gelohnt haben, und das Licht des neuen Tages erneut auf sie herunterscheint. Dabei kommt die Geschichte im Wald fast gänzlich ohne andere Menschen aus, die Natur ist vielseitig genug, um Motor für Spannung zu sein.

Insgesamt einfach ein gelungenes Buch, das mich wirklich gefesselt, mit seiner rohen Schönheit verzaubert und mich mit seinen intelligenten, teilweise auch tieftheologischen Gedankenansätzen gebannt hat.
Autor: Bjerg, Bov

Die gesellschaftliche Überwindung der emotionalen Trauer - 2 Sterne

Europa ist im politischen und klimatisch bedingtem Chaos versunken. Als stabiler Staat bleit nur mehr Resteuropa zurück, an dessen Grenzen sich die Flüchtlinge aus aller Welt tummeln. In diesem Resteuropa leben A. wie Anna und ihre Tochter B. wie Berta. A. wie Anna beschließt sich einen Vorweiner zuzulegen und B. wie Berta erzählt die Geschichte, zumindest versucht sie es. Der Vorweiner hat die Aufgabe, sich emotional an seinen Herren oder seine Herrin zu binden und nach deren Ableben das Publikum der Zerstreuungszeremonie, der zukünftigen Form der Beerdigung, beim Trauern anzuführen.

B. wie Berta soll also die Erzählerin der Geschichte darstellen, schafft es irgendwie aber nicht, von sich selbst in der dritten person als neutrale Beobachterin zu erzählen, sondern schweift ständig in die erste Person zurück, wenn es um sie geht. B. wie Berta zeiht aus dem elterlichen Haus in Nordostresteuropa, einer sehr trockenen Gegend, aus und beginnt ein Leben auf eigenen Beinen in Neuhamburg in Nordwestresteuropa, wo es immer regnet. Irgendwie muss sie Platz machen für den Vorweiner, oder will einfach nicht mit diesem unter einem Dach leben. Darauf, das der Leserschaft genauer mitzuteilen wird verzichtet. Ingesamt wird in dem buch generell auf sehr viel verzichtet. Man hat zwar ständig Einblicke in die Gesellschaft Resteuropas, in die dortigen gesellschaftlichen Spannungen und vor allem in deren Sterberitual, mit der Geschichte rund um A. wie Anna und ihren Vorweiner und B. wie Berta geht es aber nur sehr dünn her. Ich habe schnell gemerkt, dass ich mich zunehmend begonnen, zu langweilen. Stark zu langweilen. Dann wird die Geschichte immer wieder unterbrochen vom Bild in Bild, irgendetwas mit Götterauge. Banale Beschreibungen von irgendetwas, das absolut keine Bedeutung für die Geschichte hat und diese nur noch zäher und noch sterbenslangweiliger macht.

Kurzum, mein Interesse war groß, die Enttäuschung leider auch. Ich hatte mir ein besser ausgestaltetes dystopisches Szenario vorgestellt, dass ich ja weitestgehend auch bekommen habe. Von einer ansatzweise interessanten Geschichte rund um A. wie Anna und B. wie Berta fehlt leider jede Spur.
Autor: Lehane, Dennis

Ein wahrlich heißer Sommern im Jahr 1974 - 5 Sterne

Per Gerichtsbeschluss wird in Massachusetts 1974 die Rassentrennung an öffentlichen Schulen aufgehoben. Busse sollen Kinder aus den mehrheitlich weißen, armen Stadtteilen in Schulen in mehrheitlich schwarze, ebenfalls arme Stadtteile bringen. Doch in keinem der betroffenen Viertel ist die Begeisterung darüber sonderlich groß. So auch nicht im irischstämmigen South Boston, kurz Southie, in dem Mary Pat zusammen mit ihrer siebzehnjährigen Tochter lebt. Eines Nachts verlässt ihre Tochter mit Freunden das Haus und kommt am nächsten Morgen nicht mehr zurück. Tief in ihrem Inneren weis Mary Pat, dass sie ihre Tochter nie wieder lebend sehen wird, doch niemand ist auch nur ansatzweiße gewillt, ihr die Wahrheit zu sagen. Ein Feldzug der Rache durch eine brodelnde Stadt beginnt.

Ich weiß nicht ganz was ich von der Geschichte erwartet habe, auf jeden Fall bin ich aber überrascht und in meinen Erwartungen übertroffen. Denn der Autor will nicht nur eine spannende Geschichte schaffen, sondern erzeugt gleichzeitig eine brisante und authentische Milieustudie der Unterschichtviertel Bostons, genährt aus den eigenen Erfahrungen und Erinnerungen seiner Kindheit in der Stadt. So hat das Verschwinden Mary Pats Tochter sehr viel mit Bandenkriminalität zu tun und diese erzeugt ein besonders spannendes Element für Mary Pats Rachefeldzug. Hinzu kommt, dass sich der Autor über Mary Pat als Charakterin kritisch mit dem überschwellenden Rassismus der damaligen Zeit auseinandersetzt. Denn in ihr selbst spiegeln sich die tief eingesessenen und von Generation zu Generation weitergegebenen Vorurteile wieder, die Grundlage auch der heutigen Rassismusausuferungen sind. Denn der Autor spannt gekonnt eine Brücke von den Siebzigern in die heutige Zeit, ladet ein, seine eigenen stereotypen Vorstellungen zu reflektieren.

Vor allem bringt das Buch aber Spannung und Gewalt mit sich. Man muss beim Lesen selbst entscheiden, wie viel Blut und Tod man verträgt, ich hatte mit der schonungslosen Darstellung von Verletzungskinematik und dem fließen von Blut keinerlei Probleme. Doch seien diejenigen gewarnt, die mit diesem Thema nicht auf so gutem Fuß stehen, denn dieser Roman hält die Zügel in dieser Hinsicht nicht zu straff. Doch gerade dadurch wird auch Tempo erzeugt.

Insgesamt ein wirklich spannendes Buch, eine tolle Milieustudie einer mir unbekannten Welt, die mit dem Bild von den USA, das wir heute haben, kaum mehr was zu tun hat, und eine gelungene Auseinandersetzung mit Rassismus als Volkskrankheit.
Autor: Jessie Burton

Untergang im Amsterdam des Jahres 1705 - 4 Sterne

Die achtzehnjährige Thea Brant liebt das Theater und besucht regelmäßig die neuesten Vorstellungen. Denn neben ihrer Liebe zum Theater arbeitet dort auch noch Walter, der Kulissenmaler, in den sich due junge Frau verliebt hat. Doch als letzte Erbin eines mittlerweile verarmten Handelsgeschlechts hängt von Thea die Zukunft der ganzen Familie ab. Und so sucht Theas Tante Nella emsig nach einem geeigneten Heiratskandidaten. Mit Jacob van Loos wird dieser auch gefunden. Doch Thea wird nicht so richtig warm mit ihm, wo ihr Herz doch eigentlich für Walter schlägt. So stellt sich für sie die Frage, ob sie ihrer Familie einen Platz in der Oberschicht sichert, oder auf ihr Herz hört und der Liebe nachgeht.

Die Geschichte entführt die Leserschaft in das Amsterdam des anbrechenden 18. Jahrhunderts. Also gerade hinein in das Goldenen Zeitalter, in dem die Niederlande eine der führenden Kolonialmächte der Welt waren. Gerade über diese Pracht und das florierende Leben in der Handelsmetropole wollte ich etwas lesen. Die Ausgestaltung dieser Atmosphäre ist der Autorin sehr gut gelungen, sodass man sehr schnell in die Geschichte und das Setting eintaucht. Gespräche über Handel, das Auftauchen neuer, exotischer Früchte, die bei uns mittlerweile schon zum Alltag gehören, oder aber auch die Tatsache, dass Theas Vater aus der niederländischen Kolonie Suriname stammt und eine dunklere Hautfarbe hat, als der Großteil der Amsterdamer Bürger, werden grazil und sanft in die Geschichte mit eingeflochten, ohne dabei zu drückend oder zu gewollt zu wirken, sodass sich diese bezaubernde Stimmung ergibt.

Die Geschichte ist an und für sich recht ruhig anfangs zumindest, entwickelt dann aber im weitern Verlauf ziemliche Spannungsmomente. Liebe und Verrat sowie diplomatisches Geschick bestimmen die Handlung. Nicht zu vergessen dabei, die Geheimnisse, die jeder und jede der Hausbewohner:innen der Herengracht vor einander haben, sodass sich zusätzliche Spannung erzeugen, die die Geschichte voranbringen. Gerade die Protagonist:innen sind meiner Meinung nach einer der wichtigsten Träger der Geschichte. Sie sind authentisch und vielschichtig aufgebaut, sodass sie es vermögen, das Interesse der Lesenden an sich zu binden. Vor allem Theas Tante ist mir als besonders bemerkenswert in Erinnerung geblieben.

Dennoch blieb das Lesevergnügen auf meiner Seite nicht ungetrübt. Einerseits stellt sich heraus, dass der Roman mehr oder weniger einen Vorgänger hat. In "Die Magie der kleinen Dinge" geht es um Theas Tante Nella, als diese 18 Jahre alt war und ebenso wie Nella im aktuellen Roman vor wichtigen Entscheidungen des Lebens gestellt wird. Allerdings verabsäumt es der Verlag, online und vor allem auf dem Buch darauf hinzuweisen, dass wir einen großen Teil der jetzigen Protagonist:innen bereits aus einem anderen Roman kennen. Dementsprechend ging ich an das Buch mit der Erwartung heran, dass sich die beiden Romane auch getrennt von einander lesen lassen können. Schnell stellt sich aber heraus, dass die "Miniaturistin" die im ersten Buch eine tragende Rolle zu spielen scheint, auch hier von nicht zu unterschätzender Bedeutung zu ein scheint. Man stößt immer wieder auf Geschichten aus der Vergangenheit der Familie, die dem Lesenden eigentlich bekannt sein sollten, es aber aufgrund der Tatsache, dass eben diese teils essentiellen Informationen, die darüber hinaus noch recht spannend erscheinen, nur recht kurz abgehandelt werden. So hätte ich beispielsweise sehr gerne viel mehr über diese Miniaturistin erfahren, vor allem, was ihre Motive und ihre bisherigen Handlungen betrifft. Meiner Meinung nach hat hier der Verlag wirklich mangelnde Kommunikation mit der Kundschaft betrieben.

Im Generellen hat mir das Buch recht gut gefallen, mich für Stunden in eine andere Welt entführen können, und damit erfüllen können, wonach ich gesucht habe. Allerdings bin ich nicht vollends überzeugt und musste beim Lesen immer wieder auch eher trockenere Stellen durchwandern. Dennoch eine Empfehlung, auch wenn ich den vorhergegangenen Roman zu erst empfehle.
Autor: Emma Cline

Egotrip durch die Hamptons - 3 Sterne

Die dreiundzwanzigjährige Alex lebt davon sich den Bedürfnissen und Gepflogenheiten anderer Menschen anzupassen. So sichert sie sich ihr Überleben. Mit dem Lesen aus Mimik und Gestik und den Verschwinden in der gehobenen Gesellschaft ist sie auch jetzt beschäftigt, an der Seite Simons, eines Jahre älteren Mannes. Doch ein Fehltritt, und sie wird aus dieser Welt geworfen. Fortan zieht sie auf einer wirren Suche nach einem Überleben durch die Hamptons, nur mit einem Ziel vor Augen: Simons Gartenparty am Ende der Woche, denn sie ist sich sicher, der Fehltritt kann ausgebügelt werden. Ein Ziel, das ohne Rücksicht auf Verluste verfolgt wird.


Meine Erwartungen gingen dahingehend, mich in einer Geschichte wiederzufinden, in der auf akribische Art und Weise das Leben der gehobenen Gesellschaft aus der Sicht Alex', die sich gewissermaßen ja in diese eingeschlichen hat, zerpflückt wird. Auf diese Unterschiede in Wesen und Handeln werden wir immer wieder darauf hingewiesen, da wir mit Alex ja den direkten Blick als jemanden haben, die man als Mitglied der Durchschnittsgesellschaft ansehen kann. Der Fokus der Geschichte ist jedoch viel mehr darauf gerichtet, Alex' psychische Verfassung und ihre Handlungen zu analysieren, anstatt - was der Klappentext meiner Meinung nach eher andeutet - die Differenzen und Divergenzen zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten aufzudecken und zu interpretieren. Ähnlich, wie es im Film "Parasite" geschieht. Damit beginnt auch schon ein wenig das Problem des Buches. Denn mit dem Informationsgehalt, den man beim Lesen geboten bekommt, bleiben einfach zu viele Fragen offen. Denn was ist der Grund, dass Alex so davon besessen ist, Simon von sich zu überzeugen, wo er sie doch relativ eindeutig ebenso benutzt hat, wie man es eigentlich von ihr auch erwartet hätte, dass sie es machen würde. Und so erschließt sich mir nicht so ganz, warum die gute Frau sich von Tag zu Tag hantelt. Dann werden einem beim Lesen immer wieder Bröckchen hingeworfen aus der Vergangenheit von Alex. Da gibt es Dom. Diesem Dom hat Alex in ihrer Vergangenheit etwas schlimmes angetan und er ist nun dabei, nach ihr zu suchen und ihre Schuld einzufordern. Was genau geschehen ist, und in welcher Beziehung die beiden zu einander standen, bleibt das ganze Buch über schleierhaft. Auch so erfährt man absolut garnichts über Alex' Vergangenheit. Zwar kann ich mir gut verostellen, dass die Autorin damit den Fokus auf das Hier und Jetzt, die Phase zwischen dem Fehltritt und der Gartenparty legen möchte, doch für mich erleidet das charakterliche Bild von einen starken Bruch.


Auch besteht das Buch ansonsten nur aus einer Aneinanderreihung von Sequenzen. Menschen und Szenen, die Alex im Rausch durchlebt, kommen und gehen, ohne für die Geschichte von sonderlicher Bedeutung zu sein. Auch wenn der Inhalt ohne ein leitenden Faden - wenn man von der Gartenparty als Sehnsuchtsort absieht - umherwabert, so sind die einzelnen Sequenzen für sich selbst äußerst interessant. Ich habe es genossen, wie die Begegnungen jeweils zustanden kommen, wie weit Alex kommt, ohne sehr viel über sich preisgeben zu müssen und vor allem wie Alex auf zwischenmenschlicher Basis mit den anderen Protagonist:innen agiert. Erstaunlich ist dabei auch, dass bedingt dadurch, dass wie so wenig über Alex erfahren, sie immer ein wenig fremd bleibt. Ganz im Gegensatz zu den anderen Charakteren, denen man auf der Reise begegnet. Sie konnten sogleich meine Sympathien für sich gewinnen, da Emotionen und Empfindungen, wenn auch nicht Verhaltensweisen, doch den eigenen ähneln.


Ein massives Problem ergibt sich dann allerdings damit, dass diese Gartenparty als großes Ziel zur Auflösung und Erfüllungen der eigenen Erwartungen beim Lesen in Schall und Rauch aufgeht. Kurzum, es geschieht nichts, dass mich in irgendeiner Weise zufriedenstellen würde. Das Buch hat einfach kein Ende.


Die Aneinanderreihungen von Begegnungen im Buch sind durchaus lesenswert und unterhaltsam, das fehlende Ende und das Nichtvorhandensein eines figurellen Hintergrundens zu Alex lassen das Buch einfach unvollständig.
Autor: Vera Buck

Der Tod in den Bergen - 5 Sterne

Am Ende eines engen Tales, an den Hängen der Alpen liegt das winzige Dorf Jakobsleiter. Hier findet das leben noch ohne Elektrizität und moderne Kommunikation im Einklang mit der Natur statt. Hier wachsen Jesse und Rebekka auf, denen ständig eingetrichtert wird, dass unten im Tal das Böse lauert, dass nur darauf wartet, die Lebensweise der Bewohner:innen Jakobsleiters zu vernichten. Doch Rebekka ist davon nicht überzeugt. Sie will Jakobsleiter verlassen und die weite Welt kennenlernen. Doch da verschwindet sie auf einmal spurlos. Wie schon davor dutzende andere junge Frauen in der abgelegenen Alpenregion. Alles scheint Zufall zu sein. Nicht jedoch für die Smilla, die beim lokalen Fernsehen arbeitet. Sie sieht Parallelen zum Verschwinden ihrer Jugendfreundin Juli vor zehn Jahren, und macht sich auf die Suche, die Wahrheit aufzudecken.

Das Buch beginnt recht ruhig, beinahe schon zu ruhig, denn man bekommt alle wichtigen Protagonist:innen vorgestellt, taucht in deren Alltag ein. Doch mit Voranschreiten des Buches nimmt die Geschichte immer mehr an Fahrt auf und die Ereignisse beginnen sich schon fast zu überschlagen. Die Autorin vermag es wirklich, die Leserschaft an der Stange zu halten. Der Spannungsbogen ist gut gezogen, wird beständig mit neuen Geschehnissen genährt. Hinzu kommt der flüssige und unterhaltsame, wenn auch unaufregende Schreibstil der Autorin, der sich wunderbar für einen Thriller eignet. Diese Paarung ergibt das Potential für einen wahren Pageturner.

Das alleine macht ein Buch aber noch zu nichts besonderem. Mich, als der ich wenige Thriller lese, konnte die Autorin vor allem mit der mystischen Stimmung und dem Setting überzeugen. Die Alpen kommen sehr natürlich herüber und die Natur wird beim Lesen schon fast greifbar. Die beiden Handlunsschauplätze, Jakobsleiter am Berg und Almenen im Tal, bzw. deren Bewohner:innen lassen die Stimmung aber erst so richtig aufleben. Man fühlt sich fort aus dem 21. Jahrhundert gerissen, weil Denken und Handeln vielfach einem so vorkommen, als würde man sich noch in den Fünfzigern bewegen.

Richtig gut gefallen hat mir auch, dass die Geschichte aus vielen unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird, die sich abwechseln. Ein rundum gutes Bild entsteht, und man bekommt die meisten der handelnden Personen so richtige Nahe zu fühlen. Hinzu kommt noch die Auflösung der Geschichte, also der Vermisstenfälle. Hier schaffte es die Autorin mich beim Lesen noch einmal richtig vom Hocker zu hauen. Denn viele es kommt ähnlich wie erwartet, doch in komplett anderen Formen.

Insgesamt hat das Buch einfach Spaß gemacht und mich einfach begeistern können.