Rezensionen

Christina Welser

Autor: Ron Rash

Der Friedhofswärter - 5 Sterne

Laut New York Times ist Ron Rash „einer der besten lebenden amerikanischen Autoren“. Im deutschsprachen Raum läuft er vermutlich eher als „Underdog“, seine Entdeckung lohnt sich jedoch. Sprachlich schlicht, aber mit einem guten Blick für Details erzählt er die Freundschaftsgeschichte von Jacob und Gant, wobei ersterer in den Koreakrieg eingezogen wird und zweiterem die Rolle zufällt die junge schwangere Frau seines Freundes zu unterstützen. Eine unversehens geschmiedete Intrige sorgt für einiges an Spannung und gerade die letzten Kapitel ließen sich dadurch gefühlt in einem Atemzug lesen. Ein sehr gelungener Roman, ich freue mich auf mehr von diesem Autor.
Autor: Claire Keegan

Reichlich spät - 4 Sterne

"Reichlich spät" ist meine erste Kurzgeschichte Keegans, die nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart spielt. Die Gedanken der männlichen Hauptfigur scheinen jedoch durchaus dem vorigen Jahrhundert entsprungen und darauf legt es die Autorin in dieser Geschichte auch an. Die französische Übersetzung läuft entsprechend unter dem Titel "Misogynie" und die Sicht des männlichen Erzählers auf Frauen legt einen solchen Titel auch wirklich nahe. Bei ihren vorhergehenden Texten hat es mich beeindruckt wie schnell man als LeserIn Sympathie für ihre Figuren entwickelt - trotz der Kürze. Bei "Reichlich spät" hat es mich beeindruckt wie schnell sich Antipathie für einen Charakter empfinden lässt - trotz der Kürze. Aber auch wenn diese Innenansicht einer präkeren Figur durchaus interessant ist, finde ich das Gedankenkonstrukt etwas zu schablonenhaft aufgezogen. Jedenfalls aber spannend Claire Keegan auf diese Weise erzählen zu sehen. Als Einstieg würde ich jedoch ihre anderen Kurzgeschichten empfehlen.
Autor: Kent Haruf

Lied der Weite - 4 Sterne

„Lied der Weite“ ist bereits mein zweiter Ausflug in Kent Harufs fiktive amerikanische Kleinstadt namens Holt. Im Originaltitel „Plain Song“ schwingt noch eine schöne zweite Bedeutungsebene mit, nämlich dass „Plain“ nicht nur Weite, sondern auch „schlicht“ bedeutet. Denn Schlichtheit ist bei diesem Buch quasi Programm. Es gibt keine große Dramatik, keine überbordenden Handlungshöhepunkte und doch ist das Leben der bescheidenen Figuren keineswegs ereignislos. Eine Schülerin stellt sich ihrer ungeplanten Schwangerschaft, zwei kleine Jungen müssen das Fortgehen der Mutter akzeptieren, ein Lehrer wird in einen Konflikt mit einem handgreiflichen Schüler verwickelt. Auch die Sprache ist schlicht gehalten, dabei aber nicht ohne Eleganz. Eine schöne und auf positive Weise unaufgeregte Lektüre.
Autor: Claire Keegan

Kleine Dinge wie diese - 5 Sterne

Eine weitere Kurzgeschichte der irischen Autorin Claire Keegan und zwar eine klassische Keegan im positiven Sinne. In einfacher Sprache beschreibt sie auf wenigen Seiten einen Ausschnitt des Lebens eines bescheidenen Kohlehändlers, Vater von fünf Töchtern, der vor eine moralisch schwierige Entscheidung gestellt wird. Die Geschichte spielt zum Jahresende 1985, entsprechend eher ein winterliches Lesevergnügen, aber da die Autorin auch ernste bis hin zu grausamen Komponenten des menschlichen Daseins aufdeckt ist „Kleine Dinge wie diese“ so viel mehr als nur eine berührende Weihnachtsgeschichte. Wieder großartig in seiner Einfachheit und Kürze!
Autor: Claire Keegan

Das dritte Licht - 5 Sterne

Vielen Autoren gelingt es mit Leichtigkeit, dass ihre LeserInnen im Laufe von 400 oder mehr Seiten einiges an Empathie für die fiktiven Charaktere empfinden. Schwieriger wird es da schon bei Kurzgeschichten und doch gelingt es Claire Keegan mit wenigen Worten einen menschlichen Zugang den drei Hauptfiguren dieser Geschichte zu legen. In weniger als 100 Seiten erzählt sie von einem kleinen Mädchen, das kurzerhand bei einem kinderlosen Paar unterkommt, weil seine Eltern aktuell nicht mehr über die Runden kommen. Entsprechend auch der Originaltitel „Foster“, wobei ich den deutschen Titel für die Erzählung noch bedeutungsvoller finde. Keegans Sprache ist einfach und klar, ohne Schnörkel oder Kitsch und das kommt auch in der Übersetzung sehr gut heraus. Auch und gerade wegen der Kürze überaus gelungene Geschichte und das Ende hat es nochmal in sich. Empfehlung!
Autor: Adjei-Brenyah, Nana Kwame; Schmidt, Rainer

Chain-Gang All-STars - 5 Sterne

Adjei-Benyah versteht es eine richtig gute Dystopie zu schreiben: die Geschichte seines Romans spielt in der nahen Zukunft und überspitzt die heutige Realität gerade nur so viel, das sie schockiert und doch nur aufzeichnet, wieviel Kritik die Gegenwart eigentlich bereits schon verdient. Dabei pokert er durchaus hoch; sein Roman nimmt quasi en passant Rassismus, Kapitalismus, Sexismus und vor allem die Missstände und Ausbeutung in Gefängnissen (respektive Amerikas Gefängnisindustrie) aufs Korn, während er eine rasante und auch sehr blutige Geschichte rund um seine Hauptfiguren erzählt. In meinen Augen gelingt ihm dieser Ansatz fabelhaft und auch sprachlich überzeugt er mich dabei auf ganzer Linie. Spannend, schonungslos, intelligent. Chain-Gang All-Stars bekommt von mir alle Sterne!
Autor: Barbara Capponi

So erziehst du deinen Menschen - 5 Sterne

Heiteres, kleines Büchlein, das sowohl satirisch auf Menschen, als auch auf Katzen eingeht. In kleinen Anekdoten aus Katzensicht wird das Zusammenleben beider Spezies liebevoll aufs Korn genommen und sorgt -vor allem bei Katzenerfahrung- für einige Schmunzler beim Lesen. Unterbrochen von passenden Tuschezeichnungen ein nettes, unverfängliches Lesehäppchen für alle Katzenliebhaber.
Autor: Everett, Percival

James - 4 Sterne

"James" ist ein Buch, das für mich erst eine Weile nach der Lektüre so richtig seine Wirkung entfalten konnte. Erst nach Abschluss der Geschichte wurde mir bewusst, wie gut es dem Autor letztlich gelingt das feste Konzept der bekannten Figuren rund um Huckleberry Finn aufzubrechen und neu zu beleuchten - und das gnadenlos. Leider hatte ich von Mark Twains Geschichten -gelesen als Kind- nicht mehr soviel in Erinnerung wie erhofft und dadurch sind mir sicherlich gewisse Sub-Ebenen der Erzählung entgangen. Rassismus jedenfalls und die mannigfaltige Grausamkeit der Sklaverei sind nicht nur der rote Faden der Geschichte, sondern auch Rahmen und Hintergrund. Praktisch jeder geführte Dialog der Figuren dreht sich darum und wenn ich während des Lesens noch unsicher war wie ich diese starke Konzentration darauf einstufen sollte, fand ich schließlich doch, dass es gut ins Gesamtkonzept passt. Eine gewisse Komik findet sich trotz der Tragik und "James" hat damit viele Züge eines Schelmenromans. Auch in der deutschen Übersetzung merkt man wie geschickt Everett mit Sprache und deren Prestige spielt und welche Wichtigkeit sie auch für die Figuren selbst hat. Ein gutes Buch mit Nachhall.
Autor: Maggie Millner

Paare - 5 Sterne

Ein sehr interessantes Büchlein von Maggie Millner liegt hier im Klett-Cotta Verlag in deutscher Übersetzung vor. Im Original "Couplets"(=Paarreime) geheißen schreibt sie in diesem Band hauptsächlich in zweizeiliger Lyrik (aber auch mit Prosaeinschlägen) eine zusammenhängende Geschichte. Wie üblich Respekt an die Übersetzung, denn auch im Deutschen wurde auf die Reimform geachtet. Sprachlich und inhaltlich fängt die Autorin sehr aktuelle Themen und entsprechende Begrifflichkeiten ein. Coming-Out, Queer-Sein, Polyamorie, Kinks und wie sich dies alles in Höhen und vor allem Tiefen einer Paar-Beziehung niederschlagen kann. Ich erkenne darin viele Gedanken und Muster mit denen sich ein Teil meiner Generation in den letzten Jahren auseinander gesetzt hat - vor allem auch im Internet- und schätze die Aktualität der Erzählung sehr. Definitiv etwas für Fans von Julia Engelmann, Rupi Kaur oder LeserInnen, die sich an etwas Neues wagen möchten.
Autor: Danya Kukafka

Notizen zu einer Hinrichtung - 4 Sterne

Eine weitere Autorin, der man ihr "Creative Writing" Studium definitiv von der ersten Seite weg anmerkt. Wirkt die verspielte Sprache auch bei einem Thriller? Meiner Ansicht nach auf jeden Fall. Kukafka erzeugt mit ihren zum Teil kurzen, sehr atmosphärischen Textpassagen eine rasche Nähe zu den Figuren. Die Herangehensweise den Mörder durch die Augen der ihn umgebenden Frauen darzustellen, ist außerdem abwechslungsreich für das Genre und man bekommt während des Lesens eine zutiefst menschliche Komponente im Gesamtgeschehen geboten. Trotzdem gelingt es ihr immer wieder spannende und unerwartete Handlungsverläufe einzuflechten. Einzig zum Ende hin verliert die Geschichte etwas an Tempo, wenngleich sie dadurch auch einen realistisch-guten Abschluss bekommt. In Summe jedenfalls eine abwechslungsreiche Lese-Empfehlung!