Und alle so still
Hardcover
Rowohlt Verlag, GmbH (2024)
368 Seiten; 29 mm x 131 mm
ISBN 978-3-498-00298-5
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Besprechung
Fallwickl zeigt Geschick darin, zwischenmenschliche Beziehungen emotional packend zu beschreiben... Durch das im Buch geschilderte drastische Szenario wird klar, wie wichtig Care-Arbeit ist und dass wir noch viel an unseren Gesellschaftsstrukturen arbeiten müssen. ROSALYN KLEUTGENS Frankfurter Allgemeine Zeitung 20240418
Langtext
Ein großer feministischer Gesellschaftsroman über Widerspruchsgeist und Solidarität
An einem Sonntag im Juni gerät die Welt aus dem Takt: Frauen liegen auf der Straße. Reglos, in stillem Protest. Hier kreuzen sich die Wege von Elin, Nuri und Ruth. Elin, Anfang zwanzig, eine erfolgreiche Influencerin, der etwas zugestoßen ist, von dem sie nicht weiß, ob es Gewalt war. Nuri, neunzehn Jahre, der die Schule abgebrochen hat und versucht, sich als Fahrradkurier, Bettenschubser und Barkeeper über Wasser zu halten. Ruth, Mitte fünfzig, die als Pflegefachkraft im Krankenhaus arbeitet und deren Pflichtgefühl unerschöpflich scheint.
Es ist der Beginn einer Revolte, bei der Frauen nicht mehr das tun, was sie immer getan haben. Plötzlich steht alles infrage, worauf unser System fußt. Ergreifen Elin, Nuri und Ruth die Chance auf Veränderung?
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Ein tolles Buch
Dieses Zitat aus Marieke Fallwickls Roman aus dem Jahr 2022 beschreibt für mich sehr gut worum es im aktuellen Roman "und alles so still" geht.
Was geschieht wenn Frauen sich verweigern, sich wehren, sich widersetzen. Diese Fragen versucht Mareike Fallwickl in ihrem neuen Buch zu beantworten und das meiner meinung nach Grandios. Was als stiller protest beginnt wird immer stärker und mächtiger.
Auf eine meisterhaft schonungslose Art legt sie nicht nur einen Finger sondern gleich beide Hände in die Wunden, spricht über sexualisierung, carearbeit und Emanzipation.
"Die Erzieherinnen im Kindergarten: Frauen. Die Lehrerinnen in der Grundschule: Frauen. In sämtlichen Filmen und Serien und Büchern sind die Mütter für alles zuständig. So wird uns die Welt erzählt, es ist unmöglich, davon nicht geprägt zu werden." S.292
Dieses Buch ist wie schon "die Wut die bleibt" ein Aufruf hinzusehen auch oder gerade weil es wehtut und wirkt hierbei wie eine Fortführung der im vorgängerroman von Mareike Fallwickl aufgegriffenen Gedanken. Allerdings wird hier nicht mit Gewalt auf Gewalt reagiert sondern durch Verweigerung seitens der Frauen versucht eine Art stillstand zu erzwingen was ich sehr spannend finde.
Immer wieder lässt die Autorin ihre ProtagonistInnen aus deren Lebenssituation heraus erzählen. Ihr Schmerz, ihre Wut und auch ihre Solidarität, ihre Würde, auch der Kampf nach eben jener und ihr Zusammenhalt werden total authentisch wiedergegeben.
Was ich auch sehr spannend fand ist die Figur von Nuri einem jungen Mann, der versucht sich selbst zu finden und dabei daran zu kauen hat das die Welt ihm sein Recht auf Sanftheit abspricht wodurch der Roman nochmal eine weitere Ebene bekommt.
Das Buch hat durchaus einige triggerwarnungen verdient ist jedoch ungemein wichtig, lesenswert, interessant und auf gute weise aufwühlend. Ein grandioses Anschreiben gegen Ungleichheit und für mehr Sichtbarkeit, Gleichberechtigung und selbstermächtigung.
Wenn Frauen streiken würden
Der Roman bringt die Themen der Ausbeutung von Frauen, prekären Arbeitsverhältnissen und sozialen Ungerechtigkeiten eindringlich, teils derb, teils poetisch zur Sprache. Besonders einfallsreich sind die Zwischeneinschübe aus der Perspektive von Gegenständen wie einer Pistole oder einer Gebärmutter, die eine einzigartige Sichtweise auf die Ereignisse bieten.
Insgesamt ist "Und alle so still" ein äußerst aktuelles Werk, das wichtige gesellschaftliche Probleme anspricht und den Leser zum Nachdenken anregt. Auch wenn mich die anfänglich derbe Sprache zunächst abschreckte, konnten mich die Tiefe und Relevanz der Geschichte letztendlich überzeugen. Dies war mein erster Fallwickl-Roman, aber sicher nicht mein letzter!
Ein cooles Gedankenexperiment, das mich nicht völlig gekriegt hat
Wie auch schon im letzten Buch lehnen sich im neuen Buch von Mareike Fallwickl lehnen die Frauen gegen die Männer-Welt auf. Diesmal geht dies jedoch gewaltfrei von Statten, zumindest von Seiten der Frauen. Inhaltlich geht es um Care-Arbeit und um den Pflegeberuf. Im Buch geht Fallwickl diesmal so weit, dass Frauen nicht mehr mitmachen, und sich und ihre Arbeit niederlegen, in stillem Protest. Da liegen sie nun, tun nichts mehr und bald eskaliert die Situation.
Fallwickl konstruiert, wie sie selbst in einem Live-Talk gesagt hat, ein Gedankenkonstrukt, in dem sie aufzeigen will, wie es wäre, wenn Frauen sich verweigern, streiken und untereinander nur mehr solidarisch und verständnisvoll wären. Und das ohne Sorgearbeit das System zusammenbricht.
Die Idee finde ich unheimlich spannend, auch wenn sie mir persönlich (nach Beendigung des Buches) zu kurz gegriffen ist, denn es gibt zig andere Dinge, die uns ALLE täglich betreffen, und wenn die nicht mehr gemacht werden, bricht ein System auch auseinander. Mit ist vollkommen klar, dass diese Arbeit, die wir als Frauen unablässig leisten, mehr gesehen, mehr honoriert (auch in monetärer Hinsicht) werden muss. Doch ausgehend von dem Gedankenexperiment schaudert es mich einfach. Und das möchte ich kurz erklären.
Vielleicht bin ich nicht die komplett richtige Zielfrau für diese Geschichte, denn vieles was täglich beklagt wird ist nicht zu 100% meine Lebensrealität (meine Care-Arbeit bspw. findet bei zwei älteren Menschen statt) und auch die von Menschen in meinem Umfeld, die Care-Arbeit leisten oder in der Pflege tätig sind. Und ich möchte auch gar nicht bezweifeln, dass es diese Erschöpfung gibt, denn im Buch von Franziska Schutzbach wird diese ausführlich und nachvollziehbar beschrieben.
Was mich so beschäftigt nach der Lektüre ist, dass ich dieses Buch nicht als vereinend empfinde, im Gegenteil. Mir mutet es an vielen Stellen wie eine Utopie an, deren Gegner nur Männer sind und das ist nicht die ganze Wahrheit (gibt da noch Politik, etc. und so). Es wird außer Acht gelassen, dass es sehr wohl auch Frauen gibt, die auf diese gewünschte Solidarität einen Dreck geben. Diese Stereotypisierung im Buch ist vielleicht gewollt, aber mir ist sie auch too much. Nuri ist plötzlich DER Mann, der Frauen komplett versteht. Elin, deren Einkommen auf dem Spiel mit ihrem Körper beruht, hat plötzlich vollstes Verständnis für das Thema Care-Arbeit, hatte aber selbst noch nie Berührungspunkte damit und macht innerhalb weniger Tage eine komplette Drehung ihrer Persönlichkeit. Ruth war mich für der einzig greifbare Charakter, deren Tun ich nachvollziehen konnte, die ein Opfer des Systems ist. Viele Dinge im Buch sind auch einfach nicht erklärt, sie geschehen auf einmal ohne Erläuterung.
Was ich cool gefunden hätte für diese gute Idee, dass diese etwas differenzierter herausgeschält ist. Die prekäre Situation von vielen Frauen in der Gesellschaft wird thematisiert und öffnet den Raum für eine Diskussion, jedoch ohne vielleicht auch Lösungsansätze zu bieten. Dass es vor allem eines kulturellen Wandels bedarf, um traditionelle Geschlechterrollen zu überdenken und zu verändern, kommt eigentlich gar nicht vor.
„Und alle so still“ … es sollte provozierend sein und der Grundgedanke, den sie erklärt, ist sehr interessant. Der hat mich gekriegt, daher wollte ich das Buch lesen!
Mich persönlich jedoch hat die Message nicht zu 100% erreicht, denn sie fühlt sich nicht fertig gedacht an, spielt mir persönlich zu viel mit Stereotypen (Migration, ALLE Frauen sind erschöpft, ALLE Frauen legen sich nieder – in manchen Ländern legt sich sicher niemand nieder, weiße CIS-Frau, , Pflege, etc.), entfacht zwar eine Diskussion, jedoch mit dem Tenor darauf, dass alle Männer böse sind; plötzlich sind alle Frauen solidarisch (das sind sie nicht, das ist etwas, dass ich sehr oft im beruflichen Kontext erlebe und das wird es auch nicht, denn so sind Menschen nicht). Und mir fehlt auch ein wenig die Diversität, auch wenn wir Nuri im Plot haben. Als divers kommt dies jedoch nicht bei mir an.
Ich habe das letzte Buch sehr gefeiert und ich mag es sehr, dass Fallwickl den Finger in die Wunde drückt, um Dinge aufzuzeigen. Ich hätte mir in diesem Buch weniger von allem, und mehr von möglichen Lösungen gewunschen, denn eine weitere Verhärtung von Fronten wird uns nicht weiterbringen.
Der Schreibstil ist direkt, trocken, stellenweise etwas sperrig. Dennoch bin ich leider, außer mit Ruth, nicht warm geworden mit der Lektüre. Mir wirkte vieles zu gewollt, ohne Ziel und wo man eigentlich hinmöchte; nur Chaos und keine Auflösung …
Im Buddyread mit hat unsere Whats-App-Gruppe förmlich geglüht vor Diskussionen, möglichen Annahmen und Szenarien in unseren Köpfen. Bei dreiviertel des Buches hatte ich Angst in eine Leseflaute zu rutschen.
In meinem Gedankenexperiment wäre es jedoch genial gewesen, diese Idee auf zwei oder drei Bücher aufzuteilen, denn ich verstehe im Grundsatz, was Fallwickl möchte. So war mir persönliche die Lektüre diesmal zu gewollt negativ und anstrengend. Oder vielleicht habe ich die Lektüre in ihrem Umfang einfach nicht verstanden. Mag auch sein.