Érik OrsennaGeschichte der Welt in 9 Gitarren

E-Book (EPUB)

C.H.Beck (2020)

103 Seiten

ISBN 978-3-406-75991-8

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Kurztext / Annotation
In den neun höchst originellen Episoden dieses Buches wird die Geschichte der Gitarre von den Pharaonen bis zu Jimi Hendrix als weltgeschichtliches Ereignis behandelt.
Die mit viel Witz und Erfindungsreichtum erzählten Geschichten oder Träume dieses Buches verdanken sich auch der besonderen Beziehung Érik Orsennas zur Musik allgemein und speziell zur Gitarre. Sein Bruder Thierry Arnoult ist Gitarrist und hat an dem Buch mitgewirkt, und die Idee, die größten Gitarristen in einem Buch auftreten zu lassen, haben die Brüder gemeinsam entwickelt. Und so lassen sie den jungen Mann mit der Gitarre im Bett von der Eroberung Perus und der Pest in Barcelona träumen und davon, was die Gitarren dabei vermochten, vom Wettstreit zwischen Luigi Legnani (Gitarre) und Niccolò Paganini (Geige), von den Bemühungen Ludwigs XIV. am Versailler Hof um dieses Instrument und von einem großen Gitarristen-Showdown auf Kuba. In einer für ihn typischen Mischung aus Realismus und Phantasmagorie erzählt Érik Orsenna intelligent und unterhaltsam, komisch und grotesk von der heilenden und die Welt verwandelnden Kraft der Kunst.

Érik Orsenna ist Schriftsteller, Ökonom, Mitglied der Académie Française und leidenschaftlicher Seefahrer. Er wurde u.a. mit dem Prix Goncourt und dem Lettre Ulysses Award ausgezeichnet.

Textauszug

«Ich möchte sie Ihnen zurückbringen...»

«Und warum, wenn ich fragen darf ...?»

Die Stimme des Instrumentenbauers, hoch und dünn wie die aller Greise, zitterte vor Wut.

«Ist sie Ihnen runtergefallen? Stellen Sie sich vor, eine Gitarre ist empfindlich! Man muß vorsichtig mit ihr umgehen.»

Der Instrumentenbauer drehte und wendete die Gitarre nach allen Seiten. Mit Handbewegungen von bestürzender Zärtlichkeit, als ob er sie streichelte ...

«Ich kann nichts sehen. Wo ist die Schramme?»

Es gibt hochgeschossene junge Männer, die so zart gebaut sind, als wären sie aus Glas. Der Besucher war einer von ihnen. Und er war schüchtern, so schüchtern ... Als er die Tür aufstieß, hätte er nie gedacht, daß ihn in einem so kleinen Laden ein solcher Sturm empfangen würde. Am liebsten hätte er Reißaus genommen. Zu spät. Eine Kraft hielt ihn zurück, er war gefangen. Eingeschüchtert sah er sich um. Es herrschte ein unvorstellbares Durcheinander: An den Wänden lehnten Furnierblätter; im Gebälk hingen, mit Klammern an einer Wäscheleine befestigt, Girlanden aus schmierigen Skizzen, dazu alle denkbaren Arten von Sägen, Unmengen von Zangen, ein Wald von Pinseln und vor allem Körper, ein Dutzend offene Klangkörper, die aussahen wie Rümpfe beim Schiffsbau, nur daß sie kleiner waren, wie Spielzeugschiffe. Eine seltsame Werft.

Der junge Mann holte tief Atem, nahm allen Mut zusammen. Es roch nach Staub, Leim und Lack.

«Das ist es nicht.»

«Tatsächlich? Was dann?» höhnte der Instrumentenbauer. «Ah, lassen Sie mich raten: Sie klingt falsch. Stimmt's?Fragen Sie sich lieber einmal, ob nicht Ihre Finger schuld daran sind. Was verstehen Sie eigentlich von Musik, Sie Grünschnabel?»

«Nichts. Das ist es ja. Ich bin kein Musiker. Mein kürzlich verstorbener Onkel ...»

Der Instrumentenbauer würdigte ihn noch immer keines Blickes. Er hatte nur Augen für das Instrument.

«Die Gitarre stammt eindeutig von mir. Ich kann Ihnen sogar sagen, von wann: Sommer 1939. Frühherbst möglicherweise. Eine meiner letzten vor dem Krieg.»

«Deshalb dachte ich... Wozu eine Gitarre, wenn man nicht spielen kann?»

«Und da dachten Sie ...»

Die Stimme des Instrumentenbauers klang verändert: Seine Wut war verraucht, hatte einem belustigten Ton Platz gemacht. Kleine, schelmische Augen hefteten sich auf den Besucher.

«Ich dachte ..., also... Kommt es vor, daß Sie eine Ihrer Gitarren zurücknehmen?»

«Kann alles vorkommen. Sogar, daß einer seine Chance nicht nutzt.»

«Das verstehe ich nicht.»

«Sie haben diese Gitarre nicht zufällig geerbt. Eine Gitarre bekommt man nie zufällig geschenkt. An Ihrer Stelle würde ich sie ein paar Wochen behalten, mal sehen, was zwischen ihr und Ihnen geschieht.»

Der junge Mann sagte nichts. Vielleicht braucht man länger zum Nachdenken, wenn man so großgewachsen ist.

«Was ist? Wollen Sie hier Wurzeln schlagen? Soll ich sie nun behalten, oder nehmen Sie sie wieder mit?»

Wortlos streckte der junge Mann die Arme aus.

«Ausgezeichnet. Das ist mir viel lieber. Jetzt muß ich Sie noch warnen. Sehen Sie den Gitarrenhals? Sieht er nicht aus wie ein Schiffsmast mit seiner ganzen Takelage? Ein umgelegter Mast. Was das heißt? Dieses Schiff braucht keine Segel. Nicht der Wind trägt es weiter, sondern die Musik. Ich möchte Sie nicht im unklaren darüber lassen. Wer eine Gitarre in sein Leben aufnimmt, muß sich darauf gefaßt machen, viel in der Welt herumzukommen. Ein letzter Rat: Nehmen Sie sie in der ersten Zeit mit ins Bett. Damit sie Vertrauen zu Ihnen gewinnt. Sie werden sehen, sie wird es Ihnen danken. Und jetzt gehen Sie. Ich muß noch zwei Geigen fertigmachen. Alles Gute auf Ihren Reisen!»



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