Claire BerestDas Leben ist ein Fest

E-Book (EPUB)

Insel Verlag (2021)

221 Seiten

ISBN 978-3-458-76873-9

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Kurztext / Annotation

Frida spricht nicht, sie brüllt, sie flucht wie ein Bierkutscher, demonstriert mit den Kommunisten auf den Straßen von Mexiko-Stadt, trinkt literweise Tequila, feiert unzählige Feste - und das alles mit einem von Schmerzen gepeinigten und geschundenen Körper. Und sie malt, revolutioniert mit ihren Selbstporträts die Kunst ihrer Zeit, man sieht ihre Werke in den Galerien von New York und Paris. Frida will kein Leben ohne Sturm. Und sie kann sich kein Leben ohne Diego Rivera vorstellen, den großen mexikanischen Maler, auch wenn die beiden - »der Elefant und die Taube« - ebenso wenig getrennt wie gemeinsam leben können ...

Noch nie war man Frida Kahlo so nah wie in dieser Romanbiografie, die ebenso gut aus der Feder der mexikanischen Künstlerin selbst hätte stammen können.



Claire Berest, geboren 1982 in Paris, veröffentlichte mit 27 Jahren ihren ersten Roman. 2017 schrieb sie zusammen mit ihrer Schwester ein Buch über ihre Großmutter, Gabriële, das in Frankreich rasch zu einem Bestseller wurde. Mit Frida Kahlo beschäftigte sich Berest jahrelang, ehe sie ihren Erfolgsroman schrieb.



Textauszug
Kobaltblau

Sie sieht nur ihn, ohne ihn anschauen zu müssen.

Er vergnügt sich endlos im beinahe toten Winkel, am Rand des Blicks, wo man mehr erahnt als erkennt. Ein spektakuläres Gebilde, halb Dickhäuter, halb Krake mit vereinnahmenden Tentakeln, das den ganzen Raum nassspritzt, in dem sich seine Masse ausbreitet. Eine Zirkustrophäe, die sich jede Frau gern an die Brust heften, der sie sich gern hingeben würde. Dieser zentnerschwere Mann von unnatürlicher Beweglichkeit, dessen Überfülle rosafarbenen Fleisches die Wendigkeit und Schnelligkeit eines Knüppels noch verstärkt, weckt bei einer jeden unmittelbare und unzähmbare Lust auf Verbotenes. Ohne dass sie es sich eingestehen können, verzaubert Diego Rivera das schwache Geschlecht wie ein berauschender Duft, der im Vorüberziehen die Sinne betört, ein Hypnotiseur, durch den alle Scham verschwindet, die Brüste schwellen, und das Urbedürfnis nach Besitz erwacht.

In seinem Beisein steigt die Stimmung eines Festes um eine Oktave, Ungeniertheit breitet sich aus, Schönheitsflecken glänzen, schlummernder Mut kommt in Schwung. Es knistert. Allein seine Gegenwart lässt den Charme der Schönredner und wohlgeformten Körper verfliegen, der eben noch in der Luft lag. Er fesselt, er fasziniert. Während Frida ihn anstarrt, kommen ihr die leuchtenden Punkte in den Sinn, das lästige Blinken, das ständig vor den Augen tanzt, auch bei geschlossenen Lidern, wenn aggressives Licht die Netzhaut so gereizt hat, dass geisterhaftes Blitzen im Innern der Augen andauert. Durch welche Gunst ruft die Aura dieses Monsters ein so aphrodisisches Glitzern hervor? Diego ist nämlich hässlich, wirklich hässlich, was ihn selbst amüsiert. Eine Hässlichkeit, die schmeckt, den Appetit anregt. Man möchte in den dicken Bauch hineinbeißen, sich die Zähne schmutzig machen, seine kräftigen Finger lecken, mit der Zunge über seine zu weit auseinanderstehenden dunklen Glupschaugen fahren.

Sie reißt sich von der Betrachtung des bekanntesten Malers Mexikos los und lässt ihren Blick über die anderen Anwesenden schweifen, eine formlose, berauschende Menge an Möglichkeiten. Eine Feier wie jede andere, oder?, denkt sie. Wie immer lüftet sich ein wenig der Schleier von den Pflichten des Tages, man brüllt lauter, atmet tiefer, trinkt mehr und rascher, das Lachen wird schneller, fällt vom Mund herab, stürzt sich auf den, der gerade vorbeikommt, und küsst ihn. Doch die Feste bei Tina Modotti haben den seltsamen Reiz, einander nie zu gleichen. Sie versprechen solche Entgleisungen, dass Frida gern die stille Beobachterin spielt.

Frida Kahlo geht von einem Raum zum nächsten, um die von leidenschaftstrunkenen Geschöpfen bevölkerte Mondlandschaft aus wechselnden Perspektiven zu betrachten. Sie mustert die Männer, die wie Herren des alten Spanien gekleidet sind, ihre strahlenden Knöpfe, die geraden Nähte, ihr Strähne um Strähne gebändigtes Männerhaar, ihre elegante Haltung, die danach verlangt, außer Fassung gebracht zu werden; und die schönen Dichter mit ihrem gepflegten Äußeren dicht an dicht mit anderen hombres in zerknitterten Hemden, Besitzer einer einzigen Hose, die sie jeden Tag der Woche über ihre grau gewordene Unterhose ziehen, denen wenig gehört, da sie mit den Händen arbeiten, doch sie alle haben für sie den gleichen perfekten Schweißgeruch, sie alle verschmelzen zu einem Bild, denn Frida sieht sie nackt vor sich, mit einem Wimpernschlag wischt sie ihr stolzes Gehabe, ihre Posen und ihre Staffage beiseite. Angespannte Muskeln, Sehnen, schwarz behaarte Oberkörper, zarte und zu große Füße junger Männer nehmen in ihrem Kopf Gestalt an. Hier bei Tina stehen die Frauen ihnen in nichts nach, sie sind ebenso selbstsicher und heißblütig; auch sie sind frei. Die einfachen Näherinnen, die gekommen sind, um zu trinken, reden ebenso laut wie die Frauen, in deren Milieu man taillierte Kleider trägt. Für die Zeit eines Rausches ve



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