Paul Collier; John KayDas Ende der Gier

E-Book (EPUB)

Siedler Verlag; Allen Lane (2021)

288 Seiten

ISBN 978-3-641-28204-2

EPUB sofort downloaden
Downloads sind nur für Kunden mit Rechnungsadresse in Österreich möglich!

Kurztext / Annotation
Wie der radikale Individualismus unsere Gesellschaft zerreißt - und wie die Politik dagegensteuern kann
Warum werden die demokratischen Gesellschaften der westlichen Welt in ihrem Kern immer weiter ausgehöhlt? Wie war es möglich, dass unter dem Firnis der Demokratie Extremismus und Populismus gedeihen? Die beiden weltweit renommierten britischen Ökonomen Paul Collier und John Kay zeigen in ihrem leidenschaftlichen Debattenbuch, wie der Ethos des extremen Individualismus unser Gemeinwesen zerrüttet - nicht nur durch das noch immer vorherrschende Ideal kapitalistischer Gewinnmaximierung und das Trugbild des Homo Oeconomicus, sondern vor allem durch die permanente Ausweitung individueller Rechte zulasten des Gemeinwohls. Sie führen vor, wohin die Gier des Einzelnen führen kann - und was politisch geschehen muss, um das Auseinanderbrechen der Gesellschaft zu verhindern.

Paul Collier, geboren 1949 in Sheffield, ist einer der wichtigsten Wirtschaftswissenschaftler der Gegenwart. Er war Leiter der Forschungsabteilung der Weltbank und lehrt als Professor für Ökonomie an der Universität Oxford. Seit vielen Jahren forscht er über die ärmsten Länder der Erde und untersucht den Zusammenhang zwischen Armut, Kriegen und Migration. Sein Buch »Die unterste Milliarde« (2008) sorgte international für große Aufmerksamkeit und wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Lionel Gelber Prize und der Corine. Im Siedler Verlag erschienen außerdem »Gefährliche Wahl« (2009), »Der hungrige Planet« (2011), »Exodus« (2014) - eines der wichtigsten Bücher zur Migrationsfrage - sowie »Gestrandet« (2017, mit Alexander Betts). Sein Buch »Sozialer Kapitalismus!« wurde 2019 mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis ausgezeichnet. Zuletzt erschien »Das Ende der Gier« (2021, mit John Kay).

Textauszug

1
Was geht hier vor?

»Ich feiere mich selbst und singe mich selbst«

Walt Whitman, »Gesang von mir selbst«

Wir leben in Gesellschaften, die von Selbstsucht durchdrungen sind. Wie können wir dann vom »Ende der Gier« sprechen? Wir meinen damit Folgendes: Der extreme Individualismus, zu dem sich viele berühmte und erfolgreiche Personen in den letzten Jahrzehnten bekannten und der seine Rechtfertigung in herausragender Leistung oder Prominenz suchte, ist intellektuell nicht länger haltbar. Menschen sind soziale Wesen, und zur Schau gestellte Gier ist nicht nur ärgerlich, sondern auch ansteckend. Den exzessiven finanziellen Forderungen von Managern und den Ansprüchen der Identitätspolitik, dem selbstgefälligen Gehabe von Trump, Putin, Bolsonaro und Kim Jong-un und dem wachsenden Einfluss von Reality-TV-Stars und Influencer_innen ist ein zentrales Merkmal gemein: Es dreht sich immer alles um sie selbst. Einige sind geldgierig, andere gieren nach Aufmerksamkeit. Die libertären Fantasien des Silicon Valley beruhen auf einer ähnlich egoistischen Motivation. Und all dies wurde zu weit getrieben.

Die Ansprachen zweier im Amt aufeinanderfolgender US-Präsidenten markieren den Übergang vom Kommunitarismus der Nachkriegszeit zum anschließenden Aufstieg des Individualismus. Im Jahr 1960 hielt John F. Kennedy, der bei den Präsidentschaftswahlen Richard Nixon besiegt hatte, eine Antrittsrede, die zur ikonischen Formulierung kommunitaristischer Politik wurde. »Und daher sollten Sie, meine amerikanischen Mitbürger, nicht fragen, was Ihr Land für Sie tun kann - vielmehr sollten Sie fragen, was Sie für Ihr Land tun können.«1 Kennedy war schon lange tot, als Nixon 1973 seine zweite Antrittsrede hielt. Nixons Appell an seine Landsleute begann mit einer Wiederholung von Kennedys Aufforderung: »Lassen Sie jeden von uns fragen - nicht nur, was die Regierung für mich tun wird ...« Aber das, was nun folgte, war deutlich weniger inspirierend: »... sondern, was ich für mich selbst tun kann«.2

Vierzig Jahre später erreichte das Zeitalter des Individualismus seine unschöne Vollendung. Während des Wahlkampfs für seine Wiederwahl im Jahr 2012 wurde Präsident Obama bei, wie das Wall Street Journal schrieb, »einem Ausbruch ideologischer Freimütigkeit« erwischt, »... nur selten enthüllen Politiker ihre Grundüberzeugungen so unmissverständlich«.3 Für den fanatischen konservativen Talkmaster Rush Limbaugh war das »der entlarvendste Moment der Präsidentschaft Obamas«.4 Was hatte dieser in seinen spontanen Äußerungen verraten?

Wenn du erfolgreich bist, hast du irgendwann von jemandem Hilfe bekommen. Es gab einen großartigen Lehrer in deinem Leben. Jemand hat dabei geholfen, dieses unglaubliche amerikanische System zu erschaffen, das es dir ermöglichte, erfolgreich zu sein. Jemand hat in Straßen und Brücken investiert. Die Firma, die du leitest, hast du vielleicht nicht selbst aufgebaut. Jemand anders hat das getan. Das Internet hat sich nicht selbst erfunden. Das Internet, mit dem heute zahlreiche Privatunternehmen viel Geld verdienen, ging aus einem staatlich geförderten Forschungsprojekt hervor. Damit will ich sagen: Wenn wir erfolgreich sind, dann aufgrund unserer individuellen Initiative, aber auch deshalb, weil wir Dinge gemeinsam tun.5

Sind Sie schockiert über diese banale Verlautbarung des Offensichtlichen? Die Republikaner waren es: Auf ihrem Parteitag würdigten sie einen ganzen Tag lang die Leistungen von Kleinunternehmer_innen und schunkelten voller Stolz, als der Countrymusiker Lane Turner sang: »I Built It« (sinngemäß: »Ich hab den Laden ganz allein aufgebaut«). In der Geschäftswelt manifestiert sich extremer Individualismus als eine materielle Anspruchshaltung: »Ich habe es aufgebaut: Es steht



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet