Salman RushdieDie satanischen Verse

E-Book (EPUB)

Penguin Verlag; Vintage, New York 1988 (2022)

720 Seiten

ISBN 978-3-641-30580-2

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Kurztext / Annotation
Salman Rushdie erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2023 »für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichert.« (Aus der Begründung der Jury)
Über der englischen Küste wird ein Flugzeug in die Luft gesprengt. Die einzigen Überlebenden sind Gibril Farishta und Saladin Chamcha, zwei indische Schauspieler, die wie durch ein Wunder unversehrt bleiben. Danach geschehen seltsame Dinge mit ihnen: Gibril zeigt immer mehr Ähnlichkeit mit dem Erzengel Gabriel, während sich Saladin, der stets seine Herkunft verleugnete, zu einem Abbild des Teufels entwickelt. Und das ist erst der Beginn einer überwältigenden Odyssee zwischen Gut und Böse, zwischen Fantasie und Realität.

»Ein klassisches Stück humanistischer Aufklärungsliteratur - Ratio gegen Mythos, Verstand gegen Glauben.« taz

Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, ging mit vierzehn Jahren nach England und studierte später in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman »Mitternachtskinder«, für den er den Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2007 schlug ihn Königin Elizabeth II. zum Ritter. 2022 ernannte ihn das deutsche PEN-Zentrum zum Ehrenmitglied. 2023 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.



Textauszug
1

Um wiedergeboren zu werden«, sang Gibril Farishta, während er vom Himmel stürzte, »mußt du erst sterben. Ho ji! Ho ji! Um weich zu landen am Busen der Erde, mußt du erst zum Vogel werden. Tat-Taa! Taka-tan! Um heiter zu genießen, müssen erst Tränen fließen. Wie willst du die Liebe wagen, mein Herr, ohne zu klagen? Baba, willst du wiedergeboren werden...« An einem Wintermorgen kurz vor Tagesanbruch, so um den ersten Januar herum, fielen zwei leibhaftige, ausgewachsene, quicklebendige Männer aus einer Höhe von achttausendachthundertvierzig Metern in Richtung Ärmelkanal, und zwar ohne Hilfsmittel wie Fallschirme oder Flügel, aus heiterem Himmel.

»I tell you, you must die, I tell you, I tell you«, und dergleichen mehr unter einem Mond von Alabaster, bis ein lauter Ruf die Nacht durchschnitt: »Zum Teufel mit deinen Liedern«, kristallklar hingen die Worte in der eisweißen Nacht, »im Film hast du nur zum Playback die Lippen bewegt, verschon mich also jetzt mit diesem infernalischen Geschrei.«

Während Gibril, der unmusikalische Solist, sein improvisiertes Ghasel sang, schlug er im Mondschein Kapriolen, schwamm in der Luft, Bruststil, Schmetterlingsstil, rollte sich zu einer Kugel zusammen, spreizte wie ein Adler Arme und Beine vor der Beinahe-Unendlichkeit der Beinahe-Dämmerung, nahm heraldische Posen ein, drohend aufgerichtet, wie ein Löwe mit erhobenem Kopf liegend, spielte seine Leichtfertigkeit gegen die Schwerkraft aus. Nun kullerte er beglückt auf die höhnische Stimme zu. »Ohé, Salad Baba, du bist es, nicht möglich. Holla, alter Cham.« Worauf der andere, ein pedantischer, kopfüber fallender Schatten in einem grauen Anzug, alle Jackettknöpfe zugeknöpft, Arme an die Seiten gepreßt, der die Unwahrscheinlichkeit der Melone auf seinem Kopf als selbstverständlich hinnahm, ein spitznamenfeindliches Gesicht zog. »He, Spoono«, schrie Gibril und löste damit ein zweites auf den Kopf gestelltes Zusammenzucken aus, »London, Bhai! Wir kommen! Diese Ärsche da unten werden keine Ahnung haben, was sie getroffen hat. Ein Meteor, ein Blitz oder die Strafe Gottes. Aus dem Nichts, Herzchen. Dharrraaammm! Wumm, na? Was für ein Auftritt, yaaar. Ich schwör's dir - platsch.«

Aus dem Nichts: ein Urknall, gefolgt von einem Feuerwerk von Meteoren. Ein allumfassender Beginn, ein Miniaturecho der Geburt der Zeit... der Jumbo-Jet Bostan, Flug AI-420, explodierte ohne Vorwarnung hoch über der großen, verrotteten, wunderschönen, schneeweißen, hellerleuchteten Stadt, Mahagonny, Babylon, Alphaville. Aber Gibril hat ihr bereits einen Namen gegeben, ich darf mich nicht einmischen: Das Große London, Hauptstadt von Vilayet, zwinkerte, blinzelte, nickte in der Nacht. Während in Himalaja-Höhe eine kurzlebige und frühreife Sonne in die pulvrige Januarluft barst, verschwand ein Echoimpuls von den Radarschirmen, und das Nichts war voller Körper, die vom Mount Everest der Katastrophe auf die milchige Blässe des Meeres niedersanken.

Wer bin ich?

Wer ist sonst noch da?

Das Flugzeug brach mitten entzwei, eine Schote, die ihre Samen, ein Ei, das sein Geheimnis preisgibt. Zwei Schauspieler, der tänzelnde Gibril und der zugeknöpfte, steife Mr. Saladin Chamcha, fielen wie Tabakkrümel aus einer zerbrochenen alten Zigarre. Über, hinter, unter ihnen im leeren Raum hingen zurückgeklappte Sitze, Kopfhörer, Getränkewagen, Tüten für Flugkranke, Einwanderungsformulare, zollfreie Videospiele, bortenbesetzte Käppchen, Papierbecher, Decken, Sauerstoffmasken. Zudem - denn es waren nicht wenige Einwanderer an Bord gewesen, ja eine ziemlich große Anzahl von Ehefrauen, die von einsichtigen, pflichtbewußten Beamten wegen der Länge und der charakteristischen Leberflecke der Genitalien ihrer Ehemänner in die Mangel genommen worden waren, genügend Kinder, deren Ehelichkeit die britische Regierung in begründeten Zweifel zog - mischte sich unter die Überreste des



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