Eric-Emmanuel SchmittFelix und die Quelle des Lebens

E-Book (EPUB)

C. Bertelsmann Verlag; Editions Albin Michel (2020)

224 Seiten

ISBN 978-3-641-25608-1

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Kurztext / Annotation
Ein origineller und tiefsinniger Roman über die Kraft von Herkunft und Familie
Der zwölfjährige Felix ist verzweifelt. Seine lebenslustige Mutter Fatou, die in Paris ein kleines Café betreibt, ist in eine Depression geraten. Fatou, einst der Dreh- und Angelpunkt der liebenswerten und schrulligen Gemeinschaft ihrer Stammkunden, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Um sie zu retten, unternimmt Felix mit ihr eine abenteuerliche Reise nach Afrika, die sie zu ihren Wurzeln und zur Versöhnung mit der Vergangenheit führen wird.

Wie in seinen Welterfolgen »Oscar und die Dame in Rosa« und »Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran« bringt uns Eric-Emmanuel Schmitt in einem humorvollen und lebensklugen Roman philosophische und spirituelle Themen näher, indem er sie mit den Augen eines Kindes betrachtet. Darüber hinaus ist das Buch die wunderbare Liebeserklärung eines Jungen an seine Mutter.

Eric-Emmanuel Schmitt, französischer Schriftsteller, Bühnenautor und Filmemacher, wurde 1960 in St.-Foy-les-Lyon geboren. Bekannt wurde er mit seinem Roman »Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran« (2001). Seine Bücher wurden seither in 48 Sprachen übersetzt, 2007 lief sein Regiedebüt »Odette Toulemonde« im Kino. Seit 2016 ist er Mitglied der Académie Goncourt.



Textauszug
1

»Merkst du denn nicht, dass deine Mutter tot ist?«

Mein Onkel deutete auf meine Mama, die groß, aufrecht und zu blass vor der Spüle stand und das Abtrocknen des Geschirrs beendete, indem sie den letzten Teller auf den Stapel stellte.

»Tot?«, murmelte ich.

»Tot!«

Der Onkel hatte das Wort mit seiner tiefen Stimme so heftig wiederholt, dass es die Küche erfüllte, an die Möbel stieß, von den Wänden abprallte, gegen die Decke schlug und schließlich durch das Fenster floh, um die Nachbarn anzugreifen; guttural, gellend, krächzend zersplitterte der Klang im Hof in tausend Echos.

Unter der schwankenden Glühbirne kehrte wieder Stille ein.

Das Krächzen hatte Mama nicht tangiert. Sie hatte währenddessen abwesend angefangen, die Untertassen zu zählen. Ich biss mir auf die Unterlippe bei dem Gedanken, sie könnte einen neuerlichen Anfall von Zähleritis haben - wenn sie in letzter Zeit eine Bestandsaufnahme machte, begann sie stundenlang immer wieder von vorn.

»Tot, mein Junge, eindeutig tot. Deine Mutter reagiert auf nichts.«

»Sie bewegt sich!«

»Du lässt dich von einem Detail täuschen. Ich kenne mich mit Leichen aus, ich habe bei uns Dutzende gesehen.«

»Bei uns?«

»Im Dorf.«

»Bei dir, meinst du! Für Mama und mich ist hier bei uns!«

»In diesem schrecklichen Mocheville?«

»Belleville! Wir wohnen im wunderschönen Belleville, Onkel!«

Ich hatte geschrien. Ich ertrug es nicht, dass mein Onkel verachtete, was mich mit Stolz erfüllte, Paris, die Krake, deren Tentakel ich war, die Hauptstadt Frankreichs, Paris mit seinen Prachtstraßen, seiner Périphérique, seinem Kohlendioxid, seinen Staus, seinen Demonstrationen, seinen Polizisten, seinen Streiks, seinem Élysée-Palast, seinen Grundschulen, seinen Gymnasien, seinen Autofahrern, die herumbellen, seinen Hunden, denen man das Bellen abgewöhnt hat, seinen heimtückischen Fahrrädern, seinen breiten Boulevards, seinen aschfarbenen Dächern, auf denen sich die grauen Tauben verstecken, seinen glänzenden Pflastersteinen, seinem stumpfen Asphalt, seinen lärmenden Geschäften, seinen Lebensmittelläden mit Abendöffnung, seinen Metroeingängen, seinen heftigen Kanalisationsgerüchen, seiner quecksilbern schillernden Luft nach dem Regen, seinen von der Luftverschmutzung rosa gefärbten Dämmerungen, seinen Straßenlaternen, seinen Nachtschwärmern, seinen Vielfraßen, seinen Pennern, seinen Betrunkenen. Was den Eiffelturm betrifft, unseren friedlichen Riesen, den stählernen Aufpasser, der über uns wachte, so hatte jeder, der ihn nicht verehrte, meiner Meinung nach einen Tadel verdient.

Der Onkel zuckte die Achseln und fuhr fort: »Deine Mutter wurde nicht hier geboren, sie hat das Licht der Welt im Busch erblickt. Oh, ich liebe diesen Ausdruck, 'das Licht der Welt erblicken', wie gemacht für Fatou, die an einem brütend heißen Tag aus dem Bauch ihrer Mutter geglitten ist. Ich erinnere mich gut, ich habe geschwitzt wie ein Schwein. Und du, um welche Zeit bist du geboren worden?«

»Eine halbe Stunde nach Mitternacht.«

»Genau, wie ich mir gedacht habe: Du hast nicht das Licht erblickt, du hast die Nacht erblickt.«

Er kratzte sich am Kinn.

»Und wo?«

»Im Krankenhaus.«

»Im Krankenhaus! Im Krankenhaus, als hätte deine Mutter im Sterben gelegen ... Im Krankenhaus, als wäre schwanger sein eine Krankheit ... Krankenschwestern und Ärzte, das ist es, was du als Erstes gesehen hast, was für ein Jammer! Mein armer Felix, ich frage mich, inwiefern du deine Mutter verstehen kannst.«

Tränen traten mir, ohne dass ich es ihnen erlaubt hätte, in die Augen. Das ärgerte mich. Genug! Keine Schwäche mehr! Es machte mir schon genug zu schaffen, ein zwölfjähriger Junge zu sein, da musste ich die Situation nicht noch schlimmer machen, indem ich zu einem heulenden Rotzlöffel mutierte ... Die Wut hielt meine Tränen zurück und erlaubte mir,



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