Jens Malte FischerKarl Kraus

E-Book (EPUB)

Paul Zsolnay Verlag (2020)

1008 Seiten

ISBN 978-3-552-05997-9

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Kurztext / Annotation
'Vieles von dem, was Kraus schrieb, trifft unsere Zeit noch genauer als seine eigene.' (Jonathan Franzen) Jens Malte Fischer holt Karl Kraus mit einer großen Biografie zurück in die Gegenwart.
Im Alter von 25 Jahren gründet er 'Die Fackel', die er von 1911 bis 1936 alleine schreibt, die 'Letzten Tage der Menschheit' werden zur radikalen Abrechnung mit dem Weltkrieg, die 'Dritte Walpurgisnacht' nimmt es auf mit der Hitlerei. Karl Kraus: Das sei der größte und strengste Mann, der heute in Wien lebe, heißt es bei Elias Canetti. Kraus, geboren 1874 im böhmischen Jicin, gestorben 1936 in Wien: Für die einen war er Gott, für andere der leibhaftige Gottseibeiuns. Sein Name ist legendär geblieben, doch wofür er stand, das verblasst mehr und mehr. Jens Malte Fischer holt ihn jetzt mit einer großen Biografie in die Gegenwart. Persönlichkeit und Werk, Freund- und Feindschaften, Sprüche und Widersprüche zeigen einen der größten Schriftsteller in seiner Zeit und darüber hinaus.

Jens Malte Fischer, 1943 geboren, studierte Germanistik, Musikwissenschaft und Geschichte und war Professor für Theaterwissenschaft an der Universität München. Bei Zsolnay sind erschienen: Jahrhundertdämmerung. Ansichten eines anderen Fin de siècle (2000); Gustav Mahler. Der fremde Vertraute (2003); Vom Wunderwerk der Oper (2007) und Richard Wagner und seine Wirkung (2013). 2020 folgt die Biografie von Karl Kraus.

Textauszug
I Karl Kraus wohnt

Am 12. Februar 1912 zog Karl Kraus hier ein und blieb dort bis zu seinem Tod 1936: Lothringerstraße 6, im 1. Bezirk. Er hatte, auch als er schon als Schriftsteller etabliert war, relativ lange bei seinen Eltern gewohnt, zunächst in der Maximilianstraße 13 im 1. Bezirk (ab 1919 hieß sie Mahlerstraße, nach 1938 Meistersingerstraße und dann wieder ab 1946 bis heute Mahlerstraße; eine kleine österreichische Geschichte in Straßennamen), dann in der Elisabethstraße 4. Seine erste eigene Wohnung befand sich ganz in der Nähe in der Elisabethstraße, eine weitere in der Dominikanerbastei 22. Die Lothringerstraße führt vom Karlsplatz zum Stadtpark. An ihrem Anfang stehen Häuser, die nahezu Ringstraßencharakter haben und heute als ziemlich prunkvoller "Altbau" bezeichnet werden. Leopold Liegler nennt die Nummer 6 das "vielleicht geschmackloseste Haus dieser Gegend, über und über mit gipsernen Ornamenten bedeckt". 1 In der Tat war es kein Haus, das Adolf Loos, dem Kämpfer gegen das Ornament, gefallen hätte, aber das scheint Kraus gleichgültig gewesen zu sein, ganz im Sinne seines Aphorismus: "Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst." 2 Als Kraus einzog, war es faktisch ein Neubau, 1904 fertiggestellt. Der Architekt war Julius Goldschlager. Gegen die Straße war das Haus anders als heute durch Portalpfeiler und einen schmiedeeisernen Zaun abgetrennt. Im Hochparterre war und ist die Wohnung, keineswegs groß, wenn auch für eine alleinstehende Person ausreichend. Es war das eine Zweieinhalbzimmerwohnung: ein großes Arbeitszimmer, ein relativ kleines Schlafzimmer, ein Bad und ein Vorraum als Diele. An der Eingangstür zum Vorzimmer war ein geräumiger Briefkasten angebracht, sehr groß, weil die Umschläge mit den Korrekturen der aktuellen Fackel aus der Druckerei hineinpassen mussten. Diese wurden gegen acht Uhr in der Früh von einem Boten gebracht, der einen Schlüssel zur Wohnung hatte, damit Kraus, der sich dann erst vor Kurzem zum Schlafen niedergelegt hatte, nicht gestört wurde. Vom Vorzimmer ging rechts das Badezimmer ab, in das Kraus einen kleinen Gaskocher gestellt hatte - mehr war nicht nötig, denn er nahm seine Mahlzeiten grundsätzlich außer Haus ein. Die eigentliche Küche, als solche nicht benötigt, im Souterrain (wie damals nicht unüblich), war durch eine Wendeltreppe vom Badezimmer aus zu erreichen und in eine Mischung aus Archiv, Registratur und Poststelle umfunktioniert worden. Links vom Vorzimmer aus ging es ins sehr große Arbeitszimmer mit einem angemessen großen Fenster.

Der Freund Karl Jaray ließ sehr bald nach dem Tod von Kraus die Wohnung (mit Ausnahme der Küche und des Bades) vom Fotografen J. Scherb im letzten Zustand (Juli 1936) fotografieren. Sie macht auf den Fotos den Eindruck, Kraus habe sich nur eben auf ein Nachtmahl wegbegeben. Das Bett soll in dem Zustand abgebildet sein, in dem der Bewohner darin starb. So ist ein ungewöhnlicher Blick in die sogenannte Privatsphäre möglich - einen ähnlichen Eindruck vermitteln ja die Fotos, die Edmund Engelmann in der Wohnung Sigmund Freuds aufgenommen hat, unmittelbar vor dessen letzter Reise in die Londoner Emigration. Kraus hielt ansonsten seine häuslichen Verhältnisse vor der Öffentlichkeit (wie sein privates Leben überhaupt) streng verborgen. Dass er etwa einen jungen Mann, den er gerade erst kennengelernt hatte, wie den Verleger Kurt Wolff, mit zu sich nach Hause nahm, nachdem man sich in einem Café getroffen hatte, war eine Ausnahme und ein ganz außergewöhnlicher Sympathiebeweis.

Zunächst fallen die vielen Bilder auf, in der Mehrzahl Fotos, an den Wänden, nicht nur im Wohn- und Arbeitszimmer, sondern auch im Schlafzimmer und in der Diele - die Wohnung wirkt geradezu gepflastert mit Bildern. Die R

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