Franz SchuhEin Mann ohne Beschwerden

E-Book (EPUB)

Paul Zsolnay Verlag (2023)

240 Seiten

ISBN 978-3-552-07379-1

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Kurztext / Annotation
Franz Schuh - der 'titanisch gebildete Denker' (Eva Menasse, 'Die Zeit') - widmet sein neues Buch dem Jahr 2022 und schreibt ein Panorama der menschlichen Tragikomödie.
'Dieses Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite dem Jahr 2022 gewidmet, dem 'annus horribilis' im Lebenslauf vieler Menschen, auch in meinem.'
Nach elf Monaten in verschiedenen Krankenhäusern ist Franz Schuh, dieser Solitär der österreichischen Literatur, wieder aufgetaucht. Seine Erzählungen, Essays, Gedichte analysieren die herrschenden Lebensformen und fügen sich mit unterhaltsamem, manchmal melancholischem Witz zu einem Panorama der menschlichen Tragikomödie. Ob er von Erlebnissen in der Eisenbahn berichtet, von seiner Kindheit in der Wiener Vorstadt oder sich mit Anna Netrebkos Widersprüchen auseinandersetzt, Schuh hat einen ausgeprägten Sinn für das Komische im Tragischen. Das Lachen auf gescheite Weise ist sein Metier.

Franz Schuh, geboren 1947 in Wien, studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und Kolumnist für Zeitschriften und Rundfunkstationen. Er erhielt u.a. 2006 den Preis der Leipziger Buchmesse, 2011 den Österreichischen Kunstpreis und 2021 den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay. Bei Zsolnay erschienen zuletzt Sämtliche Leidenschaften (2014), Fortuna. Aus dem Magazin des Glücks (2017) und Lachen und Sterben (2021).

Textauszug
Keine Klinik unter Palmen

Eine Krankengeschichte

Ich habe eine gute Nachricht aus dem Internetlexikon. Dort steht: »Seit 2020 verbringt Schuh krankheitsbedingt viel Zeit in Krankenhäusern als 'Pflegefall'.« Das ist eine gute, eine sehr gute Nachricht, weil sie nicht stimmt. Ich bin nach elf Monaten, ich glaube im Mai 2021, fürs Erste aus der Patientenlaufbahn ausgestiegen. Zuerst war ich intensiv im Spital, dann - auf eine Rückoperation wartend - im Pflegeheim, um schließlich zwei Spitälern meine Aufwartung zu machen. Mir ist das natürlich unvergesslich, dieses auratische Moment, dieser Einschnitt in mein Leben, da die Rettung mich auf der Bahre trug und im Erdgeschoss um die Ecke brachte.

Ich hatte nicht vor, darüber jemals ein Wort zu verlieren und mich zum stolzen Pflegefall aufzuspielen, der seine Halbprominenz mit einer Krankengeschichte aufbessert. Dass es dann doch so gekommen ist, rührt daher, dass das Interesse an Schauergeschichten bei meinen Nächsten groß ist. Der Voyeurismus macht sie munter, und nichts ist wichtiger als eine aufgemunterte Umgebung. Es liegt selbstverständlich auch an meiner Redseligkeit, mit der ich seit alters her meine Einsamkeit übertöne.

Außerdem verdient der Sachverhalt meiner eventuell tödlichen Krankheit mein Schweigen - Schweigen wie ein Grab. Aber je mehr ich mich in diese Richtung schreibend bewege, desto deutlicher wird mir eine Rechtfertigung des Gegenteils: Es gibt überhaupt keine Stimme, es gibt nicht einen Diskurs, der souverän von Patientinnen und Patienten gesteuert wird. Gewiss, wir sind bettlägerig, für die Hilfe dankbar und zugleich von ihr abhängig. Viele von uns sind so krank, ja so kaputt, dass sie etwas anderes zu tun, nein, zu erleiden haben, als Öffentlichkeit herzustellen. Und wenn das doch passiert, dann in den liebenswürdigsten Äußerungen über die aufopfernden Leistungen des Personals.

Na gut, ich habe hervorragende Ärztinnen und Ärzte kennengelernt, und vor allem zur Mitternacht, als die Rettung mich ins Krankenhaus Rudolfstiftung brachte, und da war tatsächlich ein Arzt da, der so etwas konnte wie einen Nabelbruch operieren, durch den sich das ganze reale Innenleben eines Menschen nach unten hin auflöste. Dieser Chirurg spricht derzeit nicht mit mir; es könnte deshalb sein, weil er mein Buch »Lachen und Sterben« gelesen hat, mit dem ich dem Gesundheitssystem keine Ehre mache. Aber zum Lachen ist auch manches: Als ich aus der Intensivstation auf die normale Station verlegt wurde, hatte ich ein technisch hochstehendes Bett, mit vielen Bedienungselementen. Auf einem Knopf stand »Exit«. Dieser Knopf ist dafür da, dass man den schließlich Toten nicht umständlich aus dem Bett herausziehen muss, sondern es schleudert die Leiche nach vorne, und der einstige Mensch fällt in den Sack, mit dem man ihn dann wegschleppt.

Aber die Spitzenleistung der Realkomödie einer Todkrankheit brachte eine niedergelassene Ärztin zusammen. Ich telefonierte mit ihr, während eine Ohrenzeugin dem Telefonat zuhörte. Von Frau Doktor wollte ich eine Bestätigung, dass ich Monate in Spitälern lag, wenn auch nur ein Spital meine Anwesenheit krankenkassamäßig korrekt dokumentiert hatte. Frau Doktor, bitte, möge mir bestätigen, dass ich nicht zu Hause herumtollte, sondern auf höchstem Level litt. Sie bestätigte natürlich gar nix - die haben alle Todesangst, sich in die Stricke der Bürokratie zu verwickeln -, aber sie schenkte mir die Anekdote des letzten Drittels meines Lebens. Der krankenkassamäßig zu erfassende Sachverhalt, den ich am Telefon schilderte, war nämlich bürokratisch dermaßen verwickelt, dass die Ärztin bei der Anhörung vertraulich ins Ohr der Zuhörerin den ernst gemeinten medizinischen Befund flüsterte: »Jetzt halluziniert er.«

In der Krankheit erfährst du dich selbst als nicht funktionierend, eine interessante Erfahrung: Wie kommst du durch, o



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