Terézia MoraAuf dem Seil

E-Book (EPUB)

Luchterhand Literaturverlag (2019)

368 Seiten

ISBN 978-3-641-17246-6

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Kurztext / Annotation
Ist das Leben ein ewiger Balanceakt? Darius Kopp drohte an seinem Unglück zu zerbrechen. Drei Jahre sind vergangen, seit seine Frau Flora, seine große Liebe, gestorben ist. Der IT-Experte ist mit Floras Asche durch Europa gereist und schließlich auf Sizilien gelandet. Dort taucht eines Tages unverhofft seine 17-jährige Nichte auf. Das Mädchen ist allein unterwegs und weicht ihm nicht mehr von der Seite. Lorelei braucht Darius' Hilfe - und er die ihre. Mit ihr geht er zurück nach Berlin. Und lernt, sein Glück daran zu messen, was man durch eigenen Willen verändern kann - und was nicht.

Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Für ihren Roman »Das Ungeheuer« erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Ihr literarisches Debüt, der Erzählungsband »Seltsame Materie«, wurde mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr 2018 der Georg-Büchner-Preis zugesprochen. Terézia Mora zählt außerdem zu den renommiertesten Übersetzer*innen aus dem Ungarischen.

Textauszug
1.

Etwas mehr als ein Jahr später, an einem Tag Mitte Juli, erwachte Darius Kopp mit dem Gesicht zur Wand gedreht auf einer Matratze in der fensterlosen Ecke des Wohnzimmers. Der Wand entströmte Kälte und Modergeruch, er drehte sich weg. So sah er das Sofa vor sich. Das hölzerne Bein des Sofas und Teppichfransen. Staub war nicht zu sehen, aber er war natürlich da. Jenseits des Sofas ein Couchtisch aus Rauchglas, daneben ein Ohrensessel, daneben ein Beistelltischchen, dahinter, an der Wand entlang, Regale und ein metallener Blumenständer mit abblätternder, buttergelber Farbe. Auf dem Boden diverse Teppiche und Läufer, teilweise überlappend, vor dem Fenster in einem schmaler Streifen Bodenplatten aus Kokosfasern. Die Fenster standen offen, die Spaletten waren zu.

Kopp kurvte - vorsichtig, nicht den Zeh stoßen - zwischen den Möbeln zum Fenster. Spaletten auf. Das gibt ein Geräusch, das im ganzen Hof zu hören ist. Dritter Stock, hinterer Teil des Gebäudes. Im Innenhof stehen Oleander und Opuntien in Kübeln, daneben Näpfe für die Katzen und der Wäscheständer der Nachbarin im Erdgeschoss. Steif getrocknete Küchentücher.

Kopp fand die Sandalen mit den abgetretenen Fersen, die er im Haus trägt, schlüpfte im Laufen nach und nach hinein, ging in die Küche, stellte die Waschmaschine an, ging ins Bad, kam wieder zurück in die Küche. Die Tür zum Schlafzimmer war zu. Schlafzimmer, Küche und Bad haben Fenster zu der Straße hinter dem Haus, wo die Mülltonnen stehen. Sie werden jeden Tag gegen Mitternacht geleert, alles andere wäre bei dem Klima mörderisch.

Kopps mit Ruhe ausgeführte morgendliche Routinen dauern genau so lange, wie die Waschmaschine für einen Durchlauf braucht. Er füllte die Wäsche in einen weißen Plastikeimer und verließ die Wohnung. Am vierten Stock vorbei, dann noch eine halbe Etage bis zur Dachterrasse. Das Meer ist nur vier Querstraßen entfernt, man kann es nicht sehen, aber manchmal riechen. Kopp atmete tief ein. (Nein, heute nicht. Ein wenig Aschegeruch. Als wär's vom Berg. Aber das ist unwahrscheinlich.) Er ging um den Schornstein herum, dort sind die Trockenseile gespannt. Er nahm die Bettwäsche ab, die dort hing, und hängte stattdessen zwei weiße Hosen und zwei weiße Poloshirts auf. Die getrocknete Wäsche roch nach Marsala-Seife, Salz- und Stadtluft. Er legte sie in den Liegestuhl, den normalerweise er benutzte. Zwei Segeltuchliegestühle, ergrautes Weiß mit ausgeblichenen blauen Streifen, mit dem Rücken zum Schornstein. Je nach Tageszeit im Schatten oder nicht. Neben dem, den normalerweise nicht Kopp benutzt, zerdrückte Stummel von selbstgedrehten Zigaretten, dort riecht das Segeltuch dezent nach Tabak- und Marihuanarauch.

Kopps Mitbewohner, der diese Woche das Schlafzimmer für sich haben darf, hat von seinen Eltern den Namen Metin bekommen, aber hier nennt man ihn Matteo, wie man auch Kopp Dario nennt, das ist nur natürlich. Unmittelbar nachdem seine Schwester bei ihm aufgetaucht war, wandte sich Kopp an seinen Freund und Helfer Francesco und sagte: Francesco, ich danke dir, dass du mich zu Gabriella gebracht hast, als ich weder Geld noch ein Obdach hatte, aber jetzt wäre ich dir dankbar, wenn du mich wieder von ihr wegbringen könntest. Er hoffte auf eine Anstellung bei den Ätna-Touren, aber es wurde ein Job an einer Pizzatheke in Catania daraus, das ist auch gut. An die Wohnung kam er ebenfalls durch Beziehungen, namentlich über den alten Mann, den er an einem denkwürdigen Tag am Meer kennenlernte und den er seitdem auch Aug in Auge bei dessen Beinamen Itzehoe nennt. Itzehoe wohnt die meiste Zeit in seiner Hütte (er sagt: Landhaus) am Meer, derweil Kopp seine Stadtwohnung mit dem gesammelten Trödel (er nennt sie Antiquitäten) hütet. Vier winzige Zimmer, davon zwei bis auf den letzten Quadratzentimeter mit altem Kram vollgestellt. Diese Lagerräume mit dem Staub und den Schimmelpilzsporen sind nicht gut für Kopps Asthma, er betritt



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