Colin CotterillDr. Siri und die Tränen der Madame Daeng

E-Book (EPUB)

Goldmann Verlag; Soho Press (2018)

320 Seiten

ISBN 978-3-641-20367-2

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Kurztext / Annotation
Dr. Siri Paiboun, der rüstige Pathologe, der eigentlich seinen wohlverdienten Ruhestand genießen möchte, erhält ein anonymes Paket. Darin findet sich ein handgewebter pha sin, ein farbenfroher Rock, der vor allem im Norden Laos getragen wird. Ein wunderschönes Geschenk - wäre da nicht ein abgetrennter Finger in den Saum des Kleidungsstücks genäht. Siri ist sicher, dass ihm jemand eine Nachricht übermitteln wollte, und er wird nicht ruhen, bis er herausgefunden hat wer. Also organisiert er eine Reise in den Norden. Doch an der laotischen Grenze droht ein blutiger Konflikt auszubrechen - und Siri und seine Entourage halten geradewegs darauf zu ...

Colin Cotterill, in London geboren, begab sich nach einer Ausbildung zum Englischlehrer auf eine lange Weltreise. Mittlerweile lebt er in Chumphon, Thailand. Seine in Laos angesiedelte Krimireihe um Dr. Siri wurde bereits mehrfach ausgezeichnet.

Textauszug

1

ZWEI SCHLIMME FINGER

Am 25. Dezember 1978 flog der Lautsprechermast in Abschnitt sechs im Süden That Luangs unversehens in die Luft, ein laotischer Rock, in dessen Saum ein abgetrennter Finger eingenäht war, passierte unbeanstandet das staatliche Postbeförderungssystem, und Vietnam marschierte in Kambodscha ein. Seitdem waren ein paar Wochen vergangen, aber die beiden alten Männer, die am Ufer des schokoladenbraunen Mekong auf einem Baumstamm saßen, hatten ihre Ansichten zu diesen drei Ereignissen noch längst nicht hinreichend erörtert. Dr. Siri Paiboun - ehemals amtlicher Leichenbeschauer der Demokratischen Volksrepublik Laos - hatte Ersteres mit eigener Hand herbeigeführt. Genosse Civilai Songsawat - ehemals Mitglied des Politbüros - hatte Letzteres vorhergesagt, doch seine Mahnungen waren, wie üblich, ungehört verhallt. Aber der Finger? Tja, darauf konnte sich keiner der beiden einen Reim machen.

»Vielleicht gehörte er ja der Weberin«, gab Civilai zu bedenken. »Und es war ein schnöder Arbeitsunfall.«

»Was?«, sagte Siri. »Du meinst, sie war so sehr in Kette und Schuss vertieft, dass sie ihren eigenen Finger in den Saum einnähte, ohne es zu merken? Und als sie abends nach Hause kommt und ihr Mann fragt: 'Wo ist denn dein Finger geblieben?', senkt sie versonnen den Blick, stellt fest, dass ihr der Finger abhandengekommen ist, und sagt: 'Hm. Ich muss ihn wohl versehentlich in einen der Röcke eingenäht haben?'«

Eine Zeitlang herrschte Schweigen, während die beiden alten Knaben sich über ihr Mittagessen hermachten. Seit sie die Mitte der siebzig überschritten hatten, bissen sie sich an den kross gebackenen Baguettes buchstäblich die Zähne aus. Ebenso wie die Schnapsbrenner ihrem Whisky inzwischen Ingredienzien beimischten, welche die Wahrscheinlichkeit eines massiven Katers um ein Vielfaches erhöhten, und die Fahrradhersteller genau die Gänge abgeschafft hatten, die es einem ermöglichten, einen Hügel zu erklimmen, ohne aus der Puste zu geraten, schien der Bäcker sich auf die Fertigung von Schuhsohlen verlegt zu haben. Alles untrügliche Indizien für den Verfall zivilisatorischer Errungenschaften, da gab es für Siri keinen Zweifel.

Civilai nahm einen Schluck Tamarindensaft und spülte sich damit den Mund, bevor er schluckte. »Sarkasmus«, sagte er, »heißt mit Stöcken nach dem Gegner werfen, wenn einem die Munition ausgeht.«

Siri nickte und bedachte seinen ältesten Freund mit einem Lächeln. »Lenin?«

»Civilai.«

»Was du nicht sagst. Nun ja, für deine traurigen Verhältnisse gar nicht so übel.«

»Die Firma dankt. Und ich bleibe bei meiner Hypothese. Eine des Lesens und Schreibens unkundige junge Frau, die für einen Hungerlohn in einem Sweatshop schuftet, schneidet sich einen Finger ab und schickt ihn, als verzweifelten Hilfeschrei, mit der abendlichen Phasin-Lieferung in die weite Welt hinaus.«

Wieder nickte Siri. Eine Geste, die bei ihm nur selten Zustimmung signalisierte. »Deine Theorien werden ja immer grauer, großer Bruder«, sagte er. »Wie, bitte, sollen wir mittels eines abgehackten Fingers die Identität der Frau feststellen?«

»Fingerabdrücke.«

»Fingerabdrücke? Oha. Darin zeigt sich, wie schon so oft, der fundamentale Unterschied zwischen einem Mediziner und einem Politiker.«

»Inwiefern?«

»Der Mediziner - ein Mann der Wissenschaft - würde den relativen Wert eines Fingerabdrucks ermessen. Und die zu Gebote stehenden Möglichkeiten sondieren. Soll er die zentrale Fingerabdruckkartei zu Rate ziehen, die es in Laos bekanntlich nicht gibt? Soll er ihn mit ähnlichen Abdrücken vom nicht vorhandenen Tatort vergleichen? Oder soll er von Haus zu Haus ziehen wie der Prinz im Märchen, bis er ein Aschenputtel gefunden hat, dessen Gliederstumpf perfekt zu dem ausrangierten Finger passt?«

Civilai grinste. »Und der Politiker?«

»Würde vor Kameras und Mikrofone tre



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