Rezensionen

Rezensionen von Christian Groeger

Autor: Marlen Schachinger

Unzeit - 5 Sterne

In ihrem gerade erschienen Erzählband bildet die große österreichische SchrifstellerIn Marlen Schachinger die Zumutungen und Zurichtungen unserer Zeit ab, wobei diese Zeitangabe weit gefasst werden muss, spannt die Autorin doch einen Bogen, der das gesamte 20. Jahrhundert umfasst, bis in die unmittelbare Gegenwart hinein.

Beginnend mit Theresia, einer alten Bäuerin, deren sehnlichster Wunsch es ist zu sterben. ?Es ginge doch nicht an, daß der Tod sie vergäße!? Erinnerungen an die Zeit der Entbehrungen während des zweiten Weltkrieges werden wach. Der Mauerbau des Nachbarn, eines überzeugten Nationalsozialisten, deren Entstehen ihre Höfe unüberwindbar trennt. Das Massaker von Rechnitz, als in den letzten Kriegstagen etwa 200 Juden von der SS ermordet wurden.

Das Leben der brillanten jüdischen Physikerin Marietta Blau wird gezeigt, die vor den Nazis ins Exil nach Mexiko fliehen musste, um die Früchte ihrer Arbeit betrogen, ?denn eine Frau und eine Jüdin zu sein, das sei zuviel.? Woran sich auch nach ihrer Rückkehr nach Österreich nichts geändert hatte, zumal viele Nationalsozialisten auf ihrem Posten verblieben waren.

In ?Grenzgänge? durchwandert eine Journalistin das Gebiet um den ehemaligen Eisernen Vorhang und taucht ein in die Geschichte dieses Landstrichs ebenso, wie in jene der jüdischen Familie Strakosch, die in der Region eine Fabrik zur Zuckerrübenverarbeitung gegründet hatte, und naturgemäß vor den Nazis fliehen musste.

Die LeserIn wird ZeugIn, wie ein in Ungnade gefallener kubanischer Journalist versucht, im Pariser Exil Fuß zu fassen. Oder wie eine österreichische Autorin am Flughafen von Havanna der Behördenwillkür ausgesetzt ist.

Manche der Figuren oszillieren zwischen den Geschlechtern genauso, ?man verliebt sich in einen Menschen, nicht in ein Geschlecht,? wie es im Buch einmal heißt, wie sie auch in einem nahezu babylonischen Sprachengemisch aufgehen.

Stellvertretend hier die Erzählung ?Dich rufen?, in der eine Autorin und ein Musiker ihre Liebesbeziehung über alle Kontinente hinweg führen, im Hintergrund der reale Fall eines amerikanischen Großkonzerns, der durch Fracking, (also die Gewinnung von Bodenschätzen durch den Einsatz von Chemie) in dessen rumänischer Heimat versuchte, Maximalgewinn bei niedrigsten Kosten zu erzielen. Die Zerstörung der Umwelt wird hierbei ohne Skrupel in Kauf genommen.

In der längsten Erzählung des Buches ?Gegessen wird, was eingekocht? wird der Niedergang einer scheinbaren Bilderbuchfamilie gezeigt. Dieser wird eingeleitet durch die eher zufällige Teilnahme der Tochter an einer Gegendemonstration eines Identitärenaufmarschs. Eine furioses Kammerspiel allererster Güte.

Egal, ob die Figuren in Marlen Schachingers Erzählband sich mit den Umständen, den Zeitläufen abfinden oder nicht, entkommen können sie ihnen keinesfalls. Sie benennt die Ungeheuerlichkeiten staatlich-totalitärer Systeme ebenso wie jene des Kapitalismus. Der große Humanismus der Autorin tritt jedenfalls in jeder einzelnen der elf Geschichten zutage. Hier verlässt die Literatur ihren Elfenbeinturm und bezieht Stellung für eine gerechtere lebenswertere Welt. Mehr kann die LeserIn sich nicht wünschen.

Absolute Leseempfehlung.

978-3-7013-1241-2
Unzeit
von Marlen Schachinger
250 Seiten; 2016 Müller (otto), Salzburg
ISBN 978-3-7013-1241-2
19.00 EUR
Autor: Isabella Feimer

Mehr als eine Liebesgeschichte - 5 Sterne

Schrei. Im Erwachen vergegenwärtigt sie sich eines Zimmers, daß ihr unbekannt. Nach und nach die Erinnerung. Leise Geräusche aus dem Nebenraum. Die Türe öffnet sich sacht. ER tritt ein.

Seine ersten Worte an sie: ?Stell dir vor, daß Bäume auf den Kopf gestellt aus den Wolken wachsen??

Jasmingeruch und Kirschtabak. Alles überragende Wahrnehmung. Er reicht ihr einen Zettel mit seiner Telefonnummer. Nichts sonst darauf. ?Wenn sie dich reizt, die verkehrte Welt.? Seine Worte zum Abschied.

Ein Flüstern hatte sie geleitet, geführt in jene Sackgasse, in der bloß sein Laden sich befand. Die Auslage leer, verhangen mit schwarzem Stoff. Durch die Scheibe spähend, erkennt sie eine Hand, ein Skalpell, einen Tierkörper.

Beobachtend, vor und nach ihren Nachtdiensten an einer Hotelrezeption, nimmt sie Umwege in Kauf, hält sich auf in der Nähe dieses so seltsamen Ortes. Er, den Mantelkragen hochschlagend verlässt sein Geschäft. Seine raschen, zügigen Schritte.

Faszination. Nicht seine Aura allein ist es, die diese ausübt auf sie. Sein Beruf als Tierpräparator, wie sie bald herausgefunden hatte, eine zusätzliche Anziehungskraft, seine Kunst dem Tod Einhalt zu gebieten, wenn auch nur vorgeblich.

Auch er hat, ihr gleich, Dämonen aus der Vergangenheit, die es zu bekämpfen gilt. Eine weitere Parallele in ihrer beider Leben. Ständig wiederkehrend albtraumhaft, jenes düstere Geschehnis in ihrer Jugend, welches zu überwinden sie sich bis in die Gegenwart hinein außerstande sah.

In poetischer, lyrisch anmutender Sprache schafft die Autorin Bilder, die sich dauerhaft in das Gedächtnis der LeserIn einprägen. Bilder von Anziehung und Abstoßung, Liebe und Hass.

Einmal mehr stellt Isabella Feimer mit ihrem neuen Roman unter Beweis, daß sie zu den interessantesten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur gehört.
Autor: Isabella Feimer

Ein nichtgelebtes Leben - 5 Sterne

Marias Leben ist von Zurückhaltung bestimmt. Ihr ganzes Leben lang hat sich die nunmehr beinahe fünfzigjährige zurückgenommen und ihre Wünsche und Sehnsüchte hintangestellt.

Sie pflegt den verhassten, jetzt bettlägerigen Stiefvater, dessen Übergriffen sie in ihrer Jugend ausgesetzt war und der die Familie tyrannisiert hatte und ergeht sich nur zeitweise in Gewaltfantasien ihm gegenüber.

Immer wieder steigen Erinnerungen in ihr hoch, die Kriegsjahre. Ihr Ehemann, ihre große Liebe, gefallen an der Front. Die Vergewaltigung, erlitten durch einen sowjetischen Soldaten, das hieraus empfangene Kind wurde ihr weggenommen. Die Entbehrungen der Nachkriegsjahre.

Als der Alte tot ist findet sie Unterschlupf bei ihrer Schwester. Die ?Friedaschwester?, von ihr noch vor den Soldaten versteckt, kurz bevor sie vergewaltigt wurde, behandelt sie kaum besser als eine Dienstmagd. Hinzu kommt die Eifersucht. Friedas Mann scheint bei Maria zu finden, was ihm bei seiner kalten zänkischen Ehefrau verwehrt bleibt.

In Briefen an ihre Schwester in Australien, kann sie von einem besseren glücklicherem Leben träumen. Auch an Juri Gagarin schreibt sie, er könnte vielleicht ihr Sohn sein. In jenen Momenten kann sie für einige Zeit der Realität entfliehen.

Jahre später, als sie bei ihrer, etwas verrückten Schwester, in der großen Stadt lebt, ohne Beine zwar, die ihr abgenommen werden mussten, Diabetes, empfindet sie vielleicht doch noch so etwas wie Glück.

Isabella Feimers Buch handelt von den letzten Lebensjahrzehnten einer Frau, deren Wünsche und Sehnsüchte Zeit ihres Lebens Schimäre blieben. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, ihre Ziele zu verfolgen. Das Leben wird gelebt, ertragen und hingenommen.

Einmal mehr beeindruckt mich Isabella Feimers poetische Sprachkunst. Ihr Verständnis von Sprache und dem, was Literatur im besten Falle zu leisten vermag, Realitäten zu schaffen, Welten zu erzeugen, ist in der Riege der jüngeren österreichischen AutorInnen ohne Beispiel.

Ein fantastisches, leider viel zu kurzes Werk.
Autor: Sandra Gugic

Großstadtleben - 5 Sterne

Sommer in der Großstadt. Hier kreuzen sich die Lebenswege der sechs Figuren in Sandra Gugi?s Debutroman.

Die Schulfreunde Darko und Zeno. Suchende beide. Einander Halt gebend, trachten sie danach, in ihrer fragilen Welt eine Konstante zu finden. Auf ihren Streifzügen durch die Stadt kommen sie sich doch mehr und mehr abhanden.

Der Taxifahrer Alen. Ein verhinderter Schriftsteller. Dessen Manien sich beispielsweise im ständigen neu Ordnen und Umgruppieren seines Manuskripts zeigen. Mit dessen Fertigstellung er seit Jahren nicht vorangekommen ist. Oder dem besonderen Augenmerk, dem er Formen und Linien und Zahlen beimisst. Trotzdem sein Anspruch an sich selbst, seinem Sohn Darko ein guter Vater zu sein.

Mara. Tochter einer ehemals erfolgreichen Künstlerin. Maras Alltag zwischen den Sitzungen bei ihrer Therapeutin, ihrer Affäre mit Alen und den alkohol- und drogenbedingten Zusammenbrüchen ihrer Mutter.

Der Polizist Niko. Seine Mühsal zwischen dem fordernden Dienst und seinem Privatleben mit Frau und Kleinkind.

Der Drogenabhängige Alex. Sohn aus gutem Hause, der sich als Kleinkrimineller zwar auch seine Sucht finanziert, dem es bei seinen Taten aber wohl auch um den Kick, den Adrenalinrausch geht.

Sie alle sind Getriebene, im Kampf mit den Geistern der Vergangenheit oder den Zumutungen der Gegenwart. Ihr Leben ist geprägt von der Suche nach Liebe und Wärme. Dem Versuch ihrer Vereinsamung zu fliehen.

Im hochpoetischen Ton geschrieben, schafft die Autorin Figuren von grosser Authentizität. Es entstehen Bilder von solcher Schönheit und Kraft, wie man sie in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur selten zu lesen bekommt.

Die Wienerin Sandra Gugi? hat mit ihrem Debut einen großartigen Roman geschrieben. Weit mehr als eine Talentprobe

Krankheit Liebe - 5 Sterne

Als die Dichterin und Essayistin Ester Nilsson den Auftrag erhält, über den Künstler Hugo Rask einen Vortrag zu halten, ahnt sie noch nicht, daß das Zusammentreffen mit ihm der bestimmende Moment ihrer näheren Zukunft sein wird.

Doch bereits während der Vorbereitung auf ihre Rede ist sie mehr und mehr fasziniert von dem charismatischen Künstler. Sie imaginiert sich einen Traummann, der all ihren Vorstellungen und Sehnsüchten entspricht.

Seltsam banal und unaufgeregt dagegen ihr erstes Aufeinandertreffen. Nichts erfährt er von ihrem Gefühlschaos. Zwei Wochen vergehen, ehe sie sich in sein Atelier aufmacht, seiner Einladung folgend, ausgesprochen bereits an jenem verhängnisvollen Abend. ?Filme seiner früheren Werke wolle er ihr leihen, ob sie das interessieren würde??. Es würde.

Die folgenden Monate. Ein vorsichtiges einander Umkreisen. Unverfängliche SMS. Gemeinsame Essen, selten zu zweit, meist in Gegenwart seiner Entourage. Ihre zaghaften Avancen. Seine Zurückgenommenheit. Hat sie irgendetwas falsch gemacht? Den richtigen Moment verpasst? Um ihrer Liebe, den lieben musste er sie doch auch, mit ihrer fleischlichen Vereinigung die Krönung folgen zu lassen?

Ihre Orgasmen durch Onanie. Bleiben von kurzer und nutzloser Wirkung. Kein Ersatz für seine sie umfangenden Arme. Einzige Ablenkung von dem Objekt ihrer Begierde: Die Vorbereitung auf ihre erste Marathonteilnahme. Mit immer höheren Laufpensen versucht sie das Unmögliche.

Als er sie schließlich doch erhört. Er folgt einer Einladung zum Essen in ihre Wohnung. Sie schlafen miteinander. Dies wird sich noch zweimal wiederholen. Und dann zieht er sich zurück von ihr. Beantwortet ihre Nachrichten nicht, geht nicht zum Telefon.

Ihr Inneres von nun an ein leerer Raum. Mit der Hilfe von Freundinnen und Reisen versucht sie sich zu heilen, von einer Krankheit, die Hugo Rask heißt. Ob ihr dies gelingen mag?.

Dieser Roman ist ein Buch für alle Liebenden. Egal ? ob jemand aktuell verliebt ist oder sich verlieben möchte oder unter Liebeskummer leidet.

Und trotz der Qualen ihrer Heldin, ist Lena Anderssons Roman äußerst komisch, cool, schräg und wahrhaftig
Autor: Hoon Kim

Nah am Leben - 4 Sterne

Es sind Menschen, die hart vom Schicksal getroffen wurden, welche uns in diesem Erzählband des südkoreanischen Autors Kim Hoon, der jetzt im wunderbaren Wiener Septime-Verlag erschienen ist, gezeigt werden.

Sei es ein pleite gegangener ehemaliger Kleinunternehmer, der nun versucht als Taxifahrer über die Runden zu kommen und der zwischen sturzbetrunkenen Fahrgästen, Verkehrsstaus und dem alltäglichen Irrsinn auf Südkoreas Straßen versucht, seinen vorgeschriebenen Tagesumsatz zu erreichen und nicht in Melancholie zu verfallen. Bis ihn der Anruf einer früheren Angestellten, mit der er einen One-Night-Stand hatte, erreicht.

Oder ein leitender Angestellter, der über den Bildern seiner kürzlich verstorbenen Frau und den anschließenden Begräbnisvorbereitungen erotischen Zwangsvorstellungen einer, ihm untergebenen Kollegin, erliegt.

In der Story ?Seezeichen? erwartet ein kürzlich Vater gewordener, auf einer sturmumtosten Insel tätiger Leuchtturmwärter seine Ablöse. Diese kommt in Gestalt eines Managers, der, nachdem sein Unternehmen bankrott gegangen ist, vor den Scherben seiner Existenz steht.

In ?Die langen Schatten der Heimat?, wird ein Seouler Polizist in jene Provinzstadt beordert, in der er seine Kindheitsjahre verbracht hatte, um einen kleinkriminellen Schiffsjungen in Gewahrsam zu nehmen und in die Hauptstadt zu überführen. Eine anziehende Sturmfront verhindert vorerst jedoch das Einlaufen des Frachters, auf dem sich der Verdächtige befinden soll.

Ein ehemaliger Novize erinnert sich in ?Ferne irdische Welt? an die ruhigen, eintönigen Tage im Kloster, die je durchbrochen wurden, als ein gesuchter Terrorist dort um Schutz und Hilfe gebeten hatte. Dies alles, während er im Boxring um den Meistertitel in seiner Gewichtsklasse kämpft.

In ?Gangsanmujin, Panorama des Lebens? ist ein knapp vor der Pensionierung stehender Mann gezwungen, seinen Lebensplan zu ändern. Die kürzlich erhaltene Diagnose ? bereits metastasierender Leberkrebs.

In klarer, präziser Sprache wird die LeserIn mit den Härten der menschlichen Existenz konfrontiert. Das Kim Hoons Figuren trotzdem nie den Mut verlieren, kann den/der Lesenden neben dem intellektuellen Genuss, den die Lektüre dieses Bandes bietet, vielleicht über manche Schattenseite des eigenen Daseins hinwegtrösten.

Große Literatur. Unbedingt
Autor: Ryu Murakami

Eine düstere Welt - 5 Sterne

Coin Locker Babys bezeichnet jene Neugeborenen, die in öffentlichen Schließfächern abgelegt werden. Eine, vor allem in den Achtziger und Neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durchaus gängige Praxis in Japan.

Dieses Schicksal teilen die beiden Helden des bereits im Jahr 1980 erschienen Romans des japanischen Kultautors Ry? Murakami. Aus dem Original kongenial neu übersetzt von Ursula Gräfe.

Somit verleben also Kiku und Hashi ihre ersten Lebensjahre in einem Waisenhaus. Bis die beiden Unzertrennlichen eines Tages doch gemeinsam von einem Ehepaar adoptiert werden. Eine abgelegene Insel ist von nun an ihre neue Heimat.

So vergehen die Jahre im Leben der beiden Helden. Und während Hashi sich zum bisexuellen Rockstar wandelt, sucht Kiku nach wie vor nach einer Möglichkeit sich an jener Frau zu rächen, die ihn einst weggelegt hatte. Dies versucht er mit Hilfe seiner Freundin, einem Model, die ein Krokodil in ihrem Hochhausarpartement hält, zu verwirklichen. Jenes frühe Trauma sorgt immer noch für die Dämonen und alptraumhaften Visionen, welche Kiku und Hashi regelmäßig heimsuchen.

Was nun folgt, ist ein genresprengender Entwicklungs- und Bildungsroman allererster Güte. Der Autor spielt mit Versatzstücken der Horrorliteratur ebenso, wie auch soziale Mißstände oder Umweltskandale aufgezeigt werden. Sex spielt, wie in allen Romanen Murakamis, ebenfalls eine gewichtige Rolle.

Dieser frühe Roman Ry? Murakamis fügt sich nahtlos in dessen großes Gesamtwerk ein.

Twin Peaks im Salzkammergut - 5 Sterne

Seltsame Dinge geschehen im Leben des Ich-Erzählers. Nachdem ihm seine langjährige Freundin eröffnet hat, ?daß ihre Beziehung ohne Zukunft sei und sie ihn verlassen werde?, gerät er in eine Phase der Antriebslosigkeit und der zunehmenden Erschöpfung.

Doch als wäre diese Hiobsbotschaft nicht genug, ist er sich nun auch seiner Selbst und seines Geisteszustandes nicht mehr gewiss. Dinge verschwinden spurlos. Verloren Geglaubtes taucht wieder auf. Er erinnert Gespräche, die nie statt gefunden haben und dergleichen mehr.

So versucht er, dessen Beruf als Programmierer und Firmeneigner ohnedies Stress genug birgt, im Salzkammergut im Haus einer Jugendfreundin, Abstand zu gewinnen.

Dort, bei einem seiner Spaziergänge, trifft er auf eine mysteriöse junge Frau. Die, leicht verletzt, einen somnambulen Eindruck erweckt und ihm, nachdem sie die Nacht zusammen verbracht haben, gesteht, ?dass ein geheimnisvoller Fremder ihr folge und sie sich bedroht fühle?.

Der Beginn einer Kette von rätselhaften Ereignissen.

Patricia Brooks hat ein Buch geschrieben, dass von den ersten Zeilen an, eine Sogwirkung entfaltet, der die LeserIn sich nicht zu entziehen vermag. Ein spannendes Vexierspiel allererster Güte.

Keine glückliche Ehe... - 5 Sterne

Milo fährt, von seinem kleinen niederösterreichischem Heimatdorf aus, in dem er seit vielen Jahren lebt, mit dem Auto nach Slowenien. Jenes Land, in welchem er geboren wurde. Im Kofferraum liegt Hans, sein ehemals bester Freund.

Dort, nahe seines Geburtshauses, möchte er dessen Leichnam entsorgen. Hans war starker Trinker, aufbrausend und gewalttätig. Vor allem seiner Frau Rosa gegenüber. Mit ihr hat Milo eine leidenschaftliche Affäre. Mitanzusehen, wie sie die Ausbrüche und Schläge ihres Ehemannes geduldig ertragen hat, brachte ihn beinahe um den Verstand. Vor wenigen Wochen noch gestand sie, ?Ich werde ihn niemals verlassen?.

Nun also ist er tot. Erstochen von Rosa mit einer Haushaltsschere. Hans hatte sie ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt.

Als er wieder einmal betrunken nach Hause gekommen ist und sie vergewaltigen wollte, hat sie sich ins Badezimmer geflüchtet, wohin er ihr wie ein tollwütiges Tier gefolgt ist. So, um ihr Leben fürchtend hat sie zugestoßen. Den Blick auf seinen fallenden schweren Körper gerichtet, als er die Stiege hinunterfällt, noch vergeblich versuchend seine Frau mitzureißen.

Magda Woitzuck erzählt im Folgenden, in abwechselnden Kapiteln, die Geschichte von Rosa und Milo. Wie Rosa ihren Mann als vermisst meldet und sie versucht Spuren zu beseitigen. Wie Milo den Leichnam loswerden will und dabei von Erinnerungen an den Beginn ihrer Affäre und seine Kindheitstage in Slowenien geflasht wird.

Große mitreißende Literatur, welche ein virulentes gesellschaftliches Problem, die Gewalttätigkeit von Männern hinter bürgerlichen Fassaden, thematisiert.

Unbedingt lesen.

Ein weiterer, mehr als überzeugender Titel im, von Karoline Cvancara neu gegründeten und in Wien ansässigen Verlag Wortreich. Dessen ambitioniertes literarisches Programm bereits mit
Autor: Dave Eggers

Wütende weiße Männer - 5 Sterne

Im Mittelpunkt des Buches steht Thomas. Der junge weiße Amerikaner hat viele Fragen. Antworten erhofft er sich von Menschen, die es seiner Meinung nach wissen müssten. Um diese Antworten zu erhalten, entführt er sie in ein stillgelegtes Militärareal, kettet sie an und beginnt mit der Befragung.

Da wäre zum einen ein Astronaut und ehemaliger Kommilitone von Thomas. Er möchte die in ihm vermutete Desillusionierung bestätigt bekommen. Kein Flug ins All. Kein Flug zum Mond oder gar Mars. Stattdessen weitgehend sinnlose Trainingsprogramme oder Testreihen.

Von einem Kongressabgeordneten und Kriegsveteran möchte er erfahren, wie es soweit kommen konnte, mit den Vereinigten Staaten. Milliarden werden für Kriege in entfernten Weltgegenden ausgegeben, während es in der Heimat an Vielem mangelt. Auch an Idealen, an die Leute wie er glauben könnten und für die zu leben sich lohnen würde.

Von seinem damaligen Lehrer möchte er dessen vermutete pädophile Neigung bestätigt bekommen. Ihn macht er mitverantwortlich für den späteren Tod seines besten Freundes. In ihm möchte er auch den ursächlichen Grund für seine eigene Lebenskatastrophe ausmachen können.

Seine Mutter befragt er zur angeblichen Vernachlässigung an ihm, derer sie sich schuldig gemacht. Das sie ihn nicht vorbereitet habe, auf ein Leben, welches ihn erwartet hat.

Einen Polizisten, zu den genauen Umständen, bei denen sein Freund ums Leben kam.

Eine Krankenhausangestellte, weshalb sie ihm den Zugang zu eben diesem lebensgefährlich verletzten Freund verwehrt hat.

Und als er letztendlich von einer Frau, die er am Strand beobachtet hat und die ihm, wie für ihn bestimmt erschien, wissen möchte, warum sie sich ihm verweigert, droht Thomas endgültig die Kontrolle über sich zu verlieren.

Der Autor führt tief in die Gedankenwelt eines Getriebenen hinein, der voller Enttäuschung und Zorn ist und dessen Gefährlichkeit sich schliesslich in seinen Taten bestätigt.

Und doch gibt es keine einzige Gewaltszene im gesamten Roman. Alles spielt sich auf einer Meta-Ebene ab und in der Phantasie der LeserIn. Verfasst ausschließlich in Dialogen, ist Dave Eggers mit diesem Buch wieder einmal ein ganz großer Wurf gelungen.

Und der Preis für den genialsten Buchtitel des heurigen Jahres gebührt diesem Roman ohnedies.