Rezensionen

Die Wahrheiten meiner Mutter
Roman

Autor: Hjorth, Vigdis

Erschienen 2023 bei Sigloch Distribution S. Fischer Verlage Remittendenabteilung
ISBN 978-3-10-397512-3
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Ein Mutter-Tochter Roman der besonderen Art - 5 Sterne

Warum die achtzigjährige Mutter zur sechzigjährigen Tochter keinen Kontakt haben will, bleibt ein Geheimnis. Ein undurchsichtiges Familiendrama schwingt mit, wenn die Tochter obsessiv Kontaktaufnahme sucht. Vigdis Hjorts Roman thematisiert eine vergiftete Beziehung und obwohl es biografische Details gibt, muss man den Text doch als Fiktion lesen - so will es die Autorin. Die Verwendung authentischer Personen, Familienmitglieder, hat ihr viel Kritik eingebracht, nicht nur aus der eigenen Familie. Lesenswert!
von HEYNi Christine Klepitsch im Unruhestand - 2024-02-28 15:34:53

Die Wahrheiten meiner Mutter - 5 Sterne

Testleserin SONJA, Tyrolia-Filiale Innsbruck (Vösendorf)

Johanna kehrt als Witwe in ihre Heimat nach Norwegen zurück, welche sie vor 30 Jahren verlassen hatte. Es war eine Flucht vor dem Gefühl der Unfreiheit, dem Gefühl nicht sie selbst sein zu können und aufgrund des Drangs zur Selbstfindung. Sie brach mit ihren Eltern und ihrer Schwester, verließ ihren damaligen Ehemann, da sie sich neu verliebte und nach Utah zog. Dort konnte sie ihrer Leidenschaft nachgehen, dem Kunststudium. Doch als ihr Vater starb und sie nicht zum Begräbnis kam, wurde die Kluft zu ihrer Mutter unüberwindbar groß.

Das Hauptthema des Buches ist folglich die Aufarbeitung der Kindheit und des Gefühls von Johanna, eine schlechte Tochter gewesen zu sein. Sie versucht nach 30 Jahren Kontakt zu ihrer Mutter aufzunehmen, doch diese möchte mit ihr nichts mehr zu tun haben. Die Autorin hat das Buch in der Ich-Person aus der Perspektive von Johanna verfasst. Dabei wechselt sie von monologartigen Kapiteln zu Rückblicken und Erinnerungen an Erlebnisse aus der Kindheit und schließlich finden sich die erzählten Handlungen, wie sie versucht Kontakt zu ihrer Mutter herzustellen.

Generell hat mir die Art dieser gemischten Erzählform sehr gut gefallen und machte das Lesen doch abwechslungsreicher, da ich zeitweise die monologartigen Zweifel von Johanna etwas langatmig fand. Die Phasen der Kontaktaufnahme waren zeitweise schon sehr in Richtung Stalking gehend und auch das Ende, wo Johanna letztlich mit Gewalt zu der ihr wichtigen Erkenntnis gelangte, war für mich gewöhnungsbedürftig. Dennoch hat es die Autorin sehr gut geschafft, das nicht verarbeitete Kindheitstrauma der Protagonistin herauszuarbeiten und damit den Drang der Wahrheitsfindung, wenn auch mit Gewalt, nachvollziehbar darzustellen. Ein sehr interessantes Thema mit interessanter Darstellung – sehr zu empfehlen!
von Kund:innen-Tipp Tyrolia - 2024-02-06 12:07:28

Die Wahrheiten meiner Mutter - 5 Sterne

Johanna ist eine berühmte Künstlerin, als sie von den USA in ihren Heimatort Oslo zurückkehrt. Dort überkommen sie „eingekapselte Gefühle“, denn seit 30 Jahren weiß sie so gut wie nichts von ihrer Mutter. Nun lebt sie nur einige Kilometer von ihr entfernt. Besessen vom Gedanken an sie sucht Johanna den Kontakt zu ihr. Ein raffiniert aufgebautes Buch über Verletzungen und der Hoffnung auf Versöhnung.
von Unsere Magazin Redaktion - 2024-02-04 14:39:42

Durch ein tiefes Tal - 3 Sterne

Johanna ist vor drei Jahrzenten vor den Zwängen ihrer Familie geflohen. Zurück in ihrer Heimat versucht sie sich der Mutter zu nähern und das Wesen der Mutter zu ergründen. Sie rennt gegen Mauern. Zurückgezogen in einer Waldhütte beschäftigt sie sich mit dem möglichen (Innen-)Leben ihrer Mutter.

Die Erzählung ist schwerfällig und ihre Bemühungen Kontakt zu ihrer Mutter aufzunehmen haben etwas Schmerzliches und Belastendes. Nur einzelne Male wird der Monolog durchbrochen. Dies steigert die Spannung der Erzählung jedoch noch mehr. Gleichzeitig entwickelt sich die Erzählung wie bei Robinson Crusoe, scheinbar passiert nichts. Die starken Sprachbilder und die Länge bzw. Kürze der Kapitel unterstützen den Lesefluss, doch kommen nicht gegen die Schwerfälligkeit an. Die Atmosphäre ist lähmend und die Entwicklung der Geschichte kommt viel zu spät. Die Wendung, die Johanna durchmacht ist wegen der Zeitsprünge und der vielen sich drehenden Gedanken und Gefühle schwer nachvollziehbar.

Anspruchsvoller Monolog über eine Tochter, die bei ihrer Mutter gegen Wände rennt. Robinson Crusoe in einer Waldhütte.
von Marianna T. - 2023-12-19 21:49:00

Vergangenheitsbewältigung - 3 Sterne

Vigdis Hjorth hat mit "Die Wahrheiten meiner Mutter" einen eindriglichen Roman über die Gedanken und Gefühle einer Tochter in den 60-igern geschrieben.

Johanna ist vor 30 Jahren mit ihrer großen Liebe Marc nach Utah ausgewandert. Zurückgelassen hat sie ihren Mann, ihre Schwester und ihre Eltern. Dies ist nur auf völliges Unverständnis in ihrer Failie getroffen und der Kontakt wurde rigoros abgebrochen, auch auf Erklärungsversuche in Briefform kam nicht die erwartete Reaktion.
Nun 30 Jahre später kommt sie zurück und möchte ihre Beziehunng zur Mutter, der Vater ist mittlerweile verstorben, klären. Sie hat viele Fragen, doch die Mutter geht nicht ans Telefon.

Der Schreibstil ist ungewöhnlich, aber sehr beeindruckend und eindringlich. Die Gedanken von Johanna sind sehr gut transportiert worden und einige Gedaken und Erkenntnisse sind mir nicht fremd. Vieles aus der Kindheit sieht man im Erwachsenenalter doch etwas aus anderer Perspektive.
Im Mittelpunkt bleibt die Betrachtung einer sehr destruktiven und dysfunktionalen Familienstruktur wie sie leider häufiger vorkommt. Vor allem wenn Schweigen und Leiden die einzige Kommunikationsform ist.

Mich hat das Buch beeindruckt und ich habe es kaum aus der Hand legen können.
von Nele33 - 2023-11-21 11:35:00

Intensive und sehr lesenswerte Introspektion einer Mutter-Tochter Beziehung - 4 Sterne

Während dieser 400 Seiten wollte ich das Buch kaum aus der Hand legen. Das lag ebenso an der lockeren Textsetzung wie an dem Sog, den dieser Roman ausübt.

Eigentlich passiert nicht viel und doch läuft alles unaufhaltsam auf den einen Endpunkt zu.

Auf der äußeren Handlungsebene gibt es Johanna, die Ich-Erzählerin, eine ältere Künstlerin, die nach 30 Jahren in den USA in ihre norwegische Heimatstadt zurückgekehrt ist. Sie verließ damals zusammen mit einem anderen Mann ihre Ehe, ihre Familie und die Enge ihrer Herkunft um in den USA eine neues und anderes Leben zu beginnen. Mit ihrer Mutter verbindet sie seit der Kindheit ein sehr kompliziertes und schwieriges Verhältnis, das sie in ihrer Kunst in den USA verarbeitet. Das stößt beim Rest der Familie auf Unverständnis und Ablehnung und seitdem ist der Kontakt zur Mutter abgebrochen.

Auf der inneren Handlungsebene gibt es aber auch Johanna, in der, inzwischen selbst seit langem Mutter, noch immer das kleine verletzte Kind steckt, das sich nach der Nähe und der Liebe seiner Mutter sehnt.

Nach 30 Jahren wieder zurück in Norwegen drängen sich diese vergessen geglaubten Gefühle an die Oberfläche und die Erzählerin verstrickt sich zunehmend in Spekulationen über das Leben ihrer Mutter. Das obsessive Nachdenken über den Tagesablauf und die Beziehung der Mutter zu ihrer anderen Tochter Ruth nehmen sie immer mehr gefangen. Bald verfolgt, ja stalkt, sie ihre Mutter richtiggehend, ruft sie an, hofft auf eine zufällig Begegnung.

Doch die Mutter reagiert nicht und verweigert jede Kontaktaufnahme…

Vigdis Hjorth erforscht in ihrem introspektiven Roman dieses Verhältnis zwischen Mutter und Tochter. Gibt es ein Recht auf die Liebe einer Mutter?
Es rührt mich, wie diese lebenserfahrene Frau sich in ihrem Innersten noch immer nach der nie erreichten Liebe ihrer Mutter verzehrt. Wie sie an diesen nicht aufgearbeiteten Gefühlen leidet, ihr die Sicherheit entgleitet. Wie sie sich noch immer verletzten lässt.
Hjorth vermeidet dabei Pauschalisierungen und Schwarz-Weiß Malerei. Die Rolle der Bösen bleibt unbesetzt. Stattdessen zeigt sie die komplexen Ambivalenzen in dieser so wichtigen und usprünglichsten Verbindung zwischen Eltern und Kind.

Vor allem aber zeigt Hjorth, wieviel Macht diese Verbindung über uns haben kann, wenn wir es zulassen.

„Die Wahrheiten meiner Mutter“ war für mich ein großer, rauschhaft gelesener, intimer Roman, der für mich viele persönliche Berührungspunkte hatte. Hat mich bewegt und mir sehr gefallen!
von @lust_auf_literatur - 2023-10-01 19:06:00

Intensiver und z.T. schmerzhafter Roman - 3 Sterne


Vigdis Hjorth zählt zu den wichtigsten Autorinnen der norwegischen Gegenwartsliteratur. Dieser schon 2020 , im Original unter dem Titel „ Er mor dod“ - „ Ist Mutter tot“, erschienene Roman war nominiert für den International Booker Prize“.
Die Ich- Erzählerin Johanna kehrt als erfolgreiche Malerin nach dreißig Jahren in ihre Heimat Norwegen zurück, um eine Ausstellung ihrer Werke mitzugestalten. Ihr amerikanischer Ehemann, für den sie damals ihren Mann und ihre Familie verlassen hat, ist gestorben. Der erwachsene Sohn ist selbst schon Vater und lebt in Dänemark.
Für ihre Eltern war ihre Flucht damals ein Schock und als Johanna nicht einmal zur Beerdigung ihres Vaters nach Hause kam, hat die Familie endgültig mit ihr gebrochen.
Nun versucht sie Kontakt zu ihrer Mutter aufzunehmen. Sie wünscht sich eine Aussprache und vielleicht sogar eine Aussöhnung. Doch die Mutter geht nicht ans Telefon, reagiert auch nicht auf ihre Mail- Anfragen. Auch ihre jüngere Schwester, die sich ständig um die betagte Mutter kümmert, will nichts von ihr wissen.
Johanna zieht sich in die Einsamkeit einer Hütte am Fjord zurück, um Klarheit zu finden.
Ihre Gedanken führen sie in die Vergangenheit . Schon vor ihrem Weggang war das Verhältnis getrübt. Johanna fühlte sich unverstanden, nicht angenommen. Der Vater hatte für die ersten künstlerischen Versuche seiner Tochter nur Spott übrig und die Mutter, die zuvor noch stolz war auf die Bilder, schließt sich der Meinung des Vaters an. Das für sie vorgesehene bürgerliche Leben als Juristin und Ehefrau war nicht das, was sich Johanna vorgestellt hat. Johanna musste gehen, um ihren eigenen Weg zu finden. Doch das hat ihre Familie nicht verstanden. Die beiden von Johanna geschaffenen Gemälde über eine Mutter mit Kind empfanden sie als persönlichen Angriff, als Beleidigung, nicht als künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Mutterschaft.
Neben den Erinnerungen kreisen Johannas Gedanken um ihre Mutter. Wie war sie damals, war sie glücklich? Und was ist sie heute für eine Frau? Da sie so lange keinen Kontakt zu ihr hatte, ist sie „ zu einem fremden Land geworden“. Sie muss sie neu für sich erfinden. „ Mutter, ich erdichte dich mit Wörtern, um ein Bild von dir zu haben.“
Johannas Wunsch einer Begegnung mit der Mutter wird immer obsessiver. Sie wartet stundenlang im Auto vor deren Wohnung, geht ihr hinterher, schreckt aber vor einem persönlichen Kontakt zurück. Sie erfindet sich den Alltag der Mutter, imaginiert ein Wiedersehen mit ihr.
Das ist zum Teil beklemmend zu lesen, manches ermüdend, weil sich die Gedanken und Handlungen, die wir detailliert miterleben, im Kreis drehen. Allerdings ist genau dieses gleichzeitig sehr glaubhaft und psychologisch stimmig.
Der Roman ist voll mit grundsätzlichen Überlegungen zu Mutterschaft und familiären Beziehungen. „ Wenn man wüsste, wenn man in jungen Jahren verstünde, wie entscheidend die Kindheit ist, würde man niemals wagen, selbst Kinder zu bekommen.“ heißt es im Text.
Auch Bezüge zur Literatur ( Ibsen ) und zur Bibel ( Heimkehr des verlorenen Sohnes ) lassen sich finden. Und Fragen nach dem Recht des Künstlers auf seine freie Gestaltung, ohne Rücksicht auf familiäre Bindungen, werden angesprochen. Diese Reflexionen geben dem Roman zusätzliche Tiefe.
Die Sprache ist klar und präzise, poetisch wird der Text, wenn die Autorin die Natur rund um Johannas Rückzugsort beschreibt. Hier finden sich Bilder, die Johannas Seelenleben spiegeln.
„ Die Wahrheiten meiner Mutter“ ist ein intensiver und z.T. schmerzhafter Roman über eine komplizierte Mutter- Tochter- Beziehung, über Familienstrukturen und seelische Verletzungen. Keine angenehme Lektüre, aber eine gewinnbringende.




von Ruth - 2023-09-22 09:31:00

Beeindruckender und intensiver Roman, der unter die Haut geht - 5 Sterne

Der S. Fischer Verlag hat "Die Wahrheiten meiner Mutter", den neuen Roman der norwegischen Autorin Vigdis Hjorth, veröffentlicht, der in Norwegen bereits 2020 unter dem Titel "Er mor død (Ist Mutter tot)" erschienen ist. Das Buch stand auf der Longlist für den diesjährigen International Booker Prize.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die 60-jährige Ich-Erzählerin Johanna. 30 Jahre ist es her, dass die Jurastudentin, die mit einem jungen Anwalt frisch verheiratet war, einen Abendkurs in Aquarellmalerei besuchte. Sie verliebte sich in den amerikanischen Kursleiter Mark und brannte mit ihm nach Utah durch. Später kam Sohn John auf die Welt, und Johanna arbeitete erfolgreich als Malerin. Nach dem Tod ihres Mannes ist Johanna nun wieder in der Heimat, da dort eine Retrospektive ihrer Werke geplant ist. Sie bezieht eine Wohnung am Fjord, die nur 4 1/2 km von der Wohnung ihrer Mutter entfernt liegt. Später mietet sie sich zusätzlich eine kleine Blockhütte im Wald, in der Hoffnung, dort gut arbeiten zu können.

Ihren plötzlichen Weggang haben die Eltern trotz erklärender Briefe von Johanna nie verstanden, ihre Berufung als Malerin nie akzeptiert. Sie finden ihre Bilder "Kind und Mutter 1 und 2" empörend und reagieren gekränkt. Als der Vater einen Schlaganfall erleidet, reist Johanna nicht in die Heimat, sie kommt auch nicht zur Beerdigung. Ihre Mutter und ihre jüngere Schwester Ruth sind so verletzt, dass sie den Kontakt zu Johanna abbrechen.

Seit Johanna zurück ist, versucht sie, ihre mittlerweile 85-jährige Mutter in ihrer Wohnung anzurufen. Sie erreicht sie nicht, versucht es immer wieder. Warum geht die Mutter nicht ans Telefon? Hat Ruth ihre Nummer gesperrt? Johanna fragt per Email bei der Schwester nach und erhält keine Antwort. Auch auf ihre Briefe an die Mutter erfolgt keine Reaktion. Sie wünscht sich verzweifelt, mit der Mutter in Kontakt zu treten, um über die Vergangenheit zu sprechen, und sie beginnt, sich den Alltag der Mutter, wie er sein könnte, vorzustellen. Ihr Wunsch, sie zu sehen, ist so groß, dass sie sie heimlich beobachtet und ihr auf ihren Wegen folgt.

Das Buch über den krampfhaften und verzweifelten Versuch der Wiederannäherung einer Tochter an ihre Mutter hat mich gleichermaßen gefesselt und erschüttert. Ich konnte nicht verstehen, dass eine Mutter ihre Tochter nicht sehen will, dass sie sich nicht für Johanna, deren Sohn und den Enkel interessiert. Johanna lässt nicht nur ihre Kindheit Revue passieren und sucht nach den Gründen, weshalb ihre Mutter zu der geworden ist, die sie nun ist, sie hinterfragt auch ihre eigene Vergangenheit und ihre Entscheidungen. Die Autorin schreibt in wunderbarer und intelligenter Sprache, die Kapitel sind kurz, bisweilen umfassen sie nur einen oder zwei Sätze. Die Charaktere sind authentisch und bildhaft gezeichnet. Vigdis Hjorth ermöglicht es dem Leser, intensiv in Johannas Gefühls- und Gedankenwelt einzutauchen und dabei ihren Schmerz zu erleben. 

Mir hat der intensive und berührende Roman, der mich noch lange beschäftigen wird, sehr gut gefallen - absolute Leseempfehlung! 
von Bücherfreundin - 2023-09-12 18:23:00