Rezensionen

Sekunden der Gnade
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi-Preis International 2023 (3. Platz)

Autor: Lehane, Dennis

Erschienen 2023 bei Diogenes Verlag AG
ISBN 978-3-257-07258-7
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Düster, pointiert und äußerst kraftvoll - 5 Sterne

„Sekunden der Gnade“, englischer Titel „Small Mercies“, ist ein erbarmungsloser Thriller, der 1974 in Boston spielt, als die sg. Buskrise, gerade erst in der Stadt ausbrach, im Englischen besser als „bussing“ beschrieben. Zwiespältig die Bezeichnung Thriller oder Krimi, eher ein betäubendes Sittenbild der amerikanischen rassistischen Gesellschaft.
Es geht nicht um die „Letzten Tage von Pompeji“, sondern um die letzten Tagen des Sommers 1974 in South Boston, um eine alleinerziehende, zweifach geschiedene Mutter im irisch dominierten Stadtteil „Southie“ von South Boston. Mary Pat Fennessy, kam nie aus den öffentlichen Wohnsilos, den „Projects“ hinaus, sie ist 42, hat zwei Jobs und kommt immer noch nicht über die Runden, ihr Sohn starb nach seiner Rückkehr aus Vietnam an einer Überdosis Drogen. Eines Nachts bleibt Mary Pats 17-jährige Tochter Jules lange unterwegs und kommt nicht nach Hause. Am selben Abend wird ein junger Schwarzer unter mysteriösen Umständen tot in einem U-Bahnschacht gefunden.
Die beiden Ereignisse scheinen vorerst keine Verbindung zu haben. Mary Pat, angetrieben von der verzweifelten Suche nach ihrer vermissten Tochter, beginnt mit Nachforschungen in ihrem Viertel, im Bekanntenkreis ihrer Tochter und tritt dabei dem kriminellen König von South Boston, Marty Butler auf die Zehen.

„Sekunden der Gnade“, ist zwar Fiktion, aber sie basiert auf tatsächlichen Ereignissen, wie dem Entscheid des US-Bezirksrichters W. A. Garrity vom 21. Juni 1971, dass der Bostoner Schulausschuss im öffentlichen Schulwesen „schwarze Schüler systematisch benachteiligt“ habe. Abhilfe sollte schaffen, Schüler aus überwiegend weißen Stadtvierteln mit Bussen in überwiegend schwarze Stadtviertel zur Schule zu bringen, um die Rassentrennung an den öffentlichen Highschools aufzuheben – eben das „bussing“.

Dennis Lehane, neun Jahre alt, fuhr in diesem Sommer 1974 mit seinem Vater nach South Boston und hat die Protestbewegung gegen die Einführung von Schulbustransporten zur Aufhebung der Rassentrennung als Augenzeuge miterlebt. Bereits damals wusste Lehane, dass er einmal etwas über das „bussing“ schreiben wollte.

In diesen simplen, unscheinbaren Gesprächen und Texten steckt eine ungeheure Sprengkraft, die einen erschaudern lässt. „Sekunden der Gnade“, eine brutale Darstellung von Kriminalität und Macht, und ein unbestechliches Porträt des dunkelschwarzen Herzens des amerikanischen Rassismus.
von Manfred Fürst - 2024-03-03 16:55:00

Sekunden der Gnade von Dennis Lehane - 5 Sterne

Boston, Mitte der 1970er Jahre: Dennis Lehane erzählt die Geschichte von Mary Pat, die verzweifelt ihre 17-jährige Tochter Jules sucht und dabei immer weiter vorstößt in die mafiösen Strukturen ihrer Heimatstadt, die von Rassismus, Armut und Gewalt geprägt wird. Eine Mutter, die auf Rache aus ist und die nichts mehr zu verlieren hat - bedrückend und fesselnd zugleich.
von Gerda Mangl - 2024-01-31 15:08:20

Sekunden der Gnade - 4 Sterne

1974, ganz Boston ist in Aufruhr, künftig sollen hell- und dunkelhäutige Kinder zusammen unterrichtet werden. Das befeuert den Rassismus in der teils sehr armen Bevölkerung.
Als Mary Pat Fennessys 17-jährige Tochter Jules eines Nachts nicht nach Hause zurückkehrt und Mary Pat bei ihrer Suche nach ihr nur auf Widerstand stößt, begreift sie, dass sie ihre Tochter verloren hat.
Blind vor Schmerz beginnt sie, an den Verantwortlichen Rache zu nehmen.
Eine Geschichte über eine Gesellschaft, in der Grundsätze nicht in Frage gestellt werden dürfen.
von Margit Pircher - 2024-01-10 08:13:51

Plädoyer gegen Rassismus - 5 Sterne

Mary Pat trauert noch immer um ihren Sohn, als sie auch ihre Tochter verliert und nun nichts mehr hat, wofür es sich zu leben lohnt und sie stellt sich den Tätern.
Boston 1974 ist Schauplatz dieses bedrückenden Thrillers, der vor allem ein Mahnmal gegen Rassismus sein sollte.
"Sie haben ein Kind großgezogen, das dachte, Menschen zu hassen, die eine andere Hautfarbe haben sei okay." Ein Satz, der Mary Pat erschüttert, muss sie nun ihre eigene Schuld hinterfragen.
Eine Thema, das leider an Aktualität nie verliert.
Ein außergewöhnlicher Thriller auf höchstem Niveau!
von HEYNi Elisabeth Sonnberger - 2023-10-21 12:49:10

Rassismus, Gewalt und Korruption - 5 Sterne

1974 - Ein heißer Sommer in Boston und die Stimmung wird noch mehr aufgeheizt mit dem Beschluss, dass die Rassentrennung an öffentlichen Schulen aufgehoben wird und die Schulkinder mit Bussen hin und her gekarrt werden sollen.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Mary Pat Fennessy, eine 42jährige Krankenschwester, die in ihrem Leben schon sehr viel Leid erfahren hat. Ihr erster Ehemann ist gestorben, vom zweiten lebt sie getrennt und ihren Sohn Noel hat sie durch eine Überdosis Heroin verloren. Als eines Nachts ihre 17jährige Tochter Jules nicht mehr nach Hause kommt, läuten bei Mary Pat alle Alarmglocken. Doch bei ihrer Suche und ihren Fragen trifft sie immer wieder auf eine Mauer aus Schweigen und auch die Polizei kann ihr nicht wirklich helfen. Wut und Hass lassen nicht nur ihre persönliche Situation eskalieren.
Die Story ist definitiv nichts für schwache Nerven, hier wird mit Gewalt und Blut nicht gespart. Der Plot überzeugt allerdings mit gut aufgebauten Szenen und lebendigen Figuren.
Dennis Lehane hat in seinem Buch die sozialen Spannungen in Boston der 70er Jahre perfekt mit den Handlungen von Mary Pat's Rachefeldzug verwoben. Der brodelnde Hass zwischen Schwarz und Weiß ist geradezu mit Händen greifbar und die gesellschaftskritische Message der Geschichte regt zum Nachdenken an.
Der Schreibstil des Autors hat mich so gefesselt, ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen und gebe für diese erstklassige Unterhaltung eine klare Leseempfehlung.
von gerlisch - 2023-09-14 21:39:00

Highlight - 5 Sterne

"Sekunden der Gnade" ist mein erstes Buch von Autor Dennis Lehane. Nachdem ich im Vorfeld viel Gutes über seine Bücher gehört habe, war ich entsprechend gespannt auf sein neustes Buch.
Die Thematik bekommt durch die persönliche Notiz des Autors zu Beginn des Buches eine noch viel persönlichere und nahbarere Note, ist jedoch auch ohne diese eine sehr bewegende.
Gnade, wie im Titel suggeriert, habe ich in diesem Buch jedoch keine gefunden. Der Umgang ist rau, die Verhältnisse von Protagonistin Mary Pat ärmlich. Sie ist eine sehr spannede und ausgewogen charakterisierte Hauptperson, die mir wiederwillig ans Herz gewachsen ist. Sie ist eine sehr authentische und vielschichtige Person, deren Komplexität immer wieder durchscheint. In dem Plot ist wenig Raum für Charakterentwicklung, aber dennoch blinzeln auch diesbezüglich hier und da Kleinigkeiten hervor.
Der Spannungsaufbau war für mich sehr gelungen - ich habe das Buch nicht aus den Händen legen können und in einem Rutsch durchgelesen. Mary Pat auf ihrem Rachefeldzug zu begleiten war eine sehr intensive und düstere Erfahrung. Lehane schafft es in diesem Buch hervorragend reale geschichtliche Ereignisse und Realitäten mit seiner geschaffenen Fiktion zu verbinden, so dass ein absolut packender und mitreißender Roman entstanden ist. Die Thematik wird mir auch weiterhin im Kopf bleiben.
von CanYouSeeMe - 2023-08-27 22:51:00

Lehane kratzt an der Substanz - 4 Sterne

Dieser Roman ist in meinen Augen vor allem eines: extrem heftig. Gewalt, Drogen, Mord, Hass, Rassismus... dass alles und noch viel mehr sind die Kernthemen die Lehane hier in die unglaublich spannende Handlung eingewoben hat.

Nachdem die Regierung in Boston 1974 beschlossen hat das sie die Rassentrennung in Schulen verbieten und die Vermischung fördern will kochen die Gefühle hoch und Angst und Hass brechen sich Bahn. Dann wird ein junger Mann brutal ermordet und Mary Pats Tochter verschwindet am selben Abend.

Mary Pat sucht ihre Tochter vergebens und als sie versteht das ihr das letzte genommen wurde beschließt sie ihre Tochter zu rächen. Um jeden Preis, denn nun hat sie nichts mehr zu verlieren.

Dennis Lehane hat es geschafft einen Roman zu schreiben der einen tiefgreifenden Hass und Rassimus demaskiert den man im allgemeinen versucht unter den Tepich zu kehren.

Kompromiss - und Schonungslos beschreibt er eine Welt die nicht mehr von Vernunft und Gerechtigkeit regiert wird sondern von Hass, Rache und Impulsivität. Ein sehr spannender Roman der jedoch mit Vorsicht zu genießen ist und einen nicht mit Samthandschuhen anfassen wird was allerdings für mich als absoluter Pluspunkt zu Werten ist.
von Katharina Grassmugg - 2023-08-23 11:14:00

Absolut spannend - 5 Sterne

Um der Rassentrennung entgegenzuwirken, sollen in Massachusetts 1974 weiße Kinder aus den armen Vierteln mittels Bus in Schulen von vorwiegend schwarzen, armen Kindern gebracht werden und umgekehrt – die Schüler:innen sollen gemeinsam unterrichtet werden. Dies löst massive Unruhen und Proteste in den Stadtteilen von Boston aus. Dieses Konzept hat es wirklich gegeben.

Mary Pat Fennessy, eine Alleinerziehende, will sich an den Demonstrationen beteiligen, denn die reichen Viertel sind davon nicht betroffen. Mary Pat hat erst vor kurzem ihren Sohn verloren, jedoch nicht im Vietnamkrieg, aus dem er lebend zurückgekehrt ist, sondern an einer Überdosis. Geblieben ist ihr ihre Tochter Jules, die eines Nacht nicht mehr nachhause kommt.

Als sie sich auf die Suche nach ihrer Tochter macht und bei den Gangs der Stadt nach ihr fragt, wird ihr bald klar, dass Jules getötet wurde. Für die Mutter ein Schock. Sie beschließt Selbstjustiz zu üben – sie will sich an den Tätern rächen.

Ein Roman, der atmosphärisch von Hass, Armut, Gewalt und Drogen geprägt ist. Jugendliche, die schlechte Jobs verrichten, Drogen konsumieren, dealen und in Banden organisiert sind. Ein trauriges und erschreckendes Bild wird hier gezeichnet von jenen, die im untersten Milieu der amerikanischen Gesellschaft leben.

Absolute Empfehlung
von Spannring - 2023-08-23 10:53:00

Brutaler Rachefeldzug - unbedingt lesen - 5 Sterne


1974 in Boston: Ein Gerichtsbeschluss urteilt, dass in öffentlichen Schulen noch die Rassentrennung zu bestehen hat. Als Reaktion erfüllt eine bedrohliche Atmosphäre die Stadt: Proteste, Demonstrationen und Gewalt sind die Folge. Dennis Lehane hat diese Zeit als Kind selbst miterlebt. Dementsprechend lebhaft und atmosphärisch sind seine Schilderungen. Hauptfigur Mary Pat wohnt mit ihrer Tochter in einem weißen Stadtteil, der von Kriminalität geprägt ist. Jules ist alles, was sie hat und als sie nachts nicht nach Hause kommt, geht Mary vom Schlimmsten aus. Ihr drastisches Vorgehen wird nachvollziehbar dargestellt. Ihre innere Zerrissenheit, diese gnadenlose Verzweiflung und Trauer einer Mutter, die tut, was getan werden muss, das war schockierend und befreiend zugleich, aber vor allem berührend, traurig und so fesselnd, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte. Bei alldem ist Mary so authentisch, dass ich in jeder Zeile mit ihr mitfühlen konnte. Indes verschwimmen die Grenzen und man spürt die tief verwurzelten Spannungen. Dennis Lehane hat ein emotionales, wendungsreiches und sehr packendes Buch, in einem aufgeladenem historischen Kontext, geschrieben. Meisterlich entwirft er unvergessliche Charaktere, verliert nie das Tempo und entschlüsselt schonungslos alle Geheimnisse. Konnte mich total begeistern. Unterhaltsam, inspirierend und durchrüttelnd. Absolute Empfehlung!
von La Calavera Catrina - 2023-08-14 15:56:00

Ein Buch wie ein Hollywoodfilm - 5 Sterne

Boston, August 1974.
Mary Pat ist in ihren 40ern und lebt schon ihr ganzes Leben in Süd-Boston. Eine Gegend, die sie Armut, Härte aber auch Zusammenhalt innerhalb der eigenen Gruppe gelehrt hat. Sie ist verwitwet und ihre zweite Ehe mit ihrer großen Liebe wurde geschieden. Ihren Sohn verlor sie an Drogen und im August 1974 verschwindet ihre 17jährige Tochter spurlos, während ihr Viertel wegen des „Busings“ in Aufruhr ist (die Rassentrennung in den 70er Jahren soll an Schulen durch den Transfer von Schülerinnen und Schülern aufgehoben werden). Mary Pat macht sich auf die Suche nach ihr. Dabei hat sie eine schreckliche Erkenntnis nach der anderen. Sie kämpft mit allen Mitteln und macht sich viele Feinde, besonders in ihrem eigenen Viertel.
Der Polizist Bobby untersucht den gewaltsamen Tod eines jungen Mannes in einer U-Bahnstation in Süd-Boston, bei dem ein rassistischer Hintergrund vermutet wird. So lernt er Mary Pat kennen, die ihm mit ihrem Insiderwissen auf verstörende Art Zeugen und Zeuginnen sowie Täter und Täterinnen liefert.
Dennis Lehane schreibt dieses Buch so, dass sich seine Worte in meinem Kopf sofort in einen Film verwandelten. Erst im Interview am Ende des Buches fand ich heraus, dass er seit Jahren für Filmproduktionen arbeitet und „Sekunden der Gnade“ zurzeit zu einer Serie adaptiert wird. Das erklärt mir meinen Eindruck. Lehane hat Erfahrungen aus seiner Kindheit in Boston verarbeitet und das lässt den Roman sehr lebensnah wirken.
Die Ereignisse im Buch sind teilweise so schockierend, dass man sich emotional distanziert, weil man sie für reine Fiktion hält, bis man sich daran erinnert, wie unsere Welt wirklich war und ist…dann tut es weh.
Mit seiner Protagonistin erschuf er keine sympathische Figur, aber eine, die trotz allem großartig die Geschichte trägt. Sie lässt ihre menschliche Seite durchscheinen und entwickelt sich im Laufe des Buches, sodass man mit ihr mitleidet.
Ich war von dem Buch gefesselt, berührt und gleichermaßen schockiert von der Brutalität, die zum Alltag vieler Figuren gehört. Für mich ein lesenswerter Roman!
von stina23 - 2023-08-08 22:51:00