Rezensionen

Verbrenn all meine Briefe
Roman | »Sein Buch ist kein Krimi und könnte doch aufregender nicht sein.« Christine Westermann

Autor: Alex Schulman

Erschienen 2022 bei DTV
ISBN 978-3-423-29037-1
Rezension verfassen

Schlachtfeld Familie - 5 Sterne

Eine Familiengeschichte – aber eine wirklich sehr spezielle! Denn der Autor begibt sich auf die Suche nach den Wurzeln seiner eigenen Wut. Einer Wut, die zwar nicht ganz erklärbar ist, aber wirklich tief sitzt und sogar droht, seine Familie zu zerstören.

Im Rahmen seiner Psychotherapie beleuchtet er die innerfamiliären Strukturen und stößt dabei auf die interessante Geschichte seiner Großeltern: Sven Stolpe (bekannter Schriftsteller, Literaturkritiker und Journalist) und Karin (Übersetzerin) haben 1931 geheiratet. Aber bereits 1932 verliebte sich Karin in den Schriftsteller Olof Lagercrantz (sic! Sein Enkel hat die Millenium-Serie weitergeführt).
Es entwickelte sich eine sehnsuchtsvolle Liebesgeschichte, die allerdings ohne Happy End blieb. Sven Stolpe reagiert mit Hass, Verbitterung, Demütigungen, Bloßstellungen und vor allem mit unüberwindbarer Wut. Eine bestürzende Entwicklung, die im Endeffekt die Leben von vielen Menschen negativ beeinflusst hat. Ein Lehrbuchbeispiel für transgenerationale Traumata und doppelt interessant, weil es eben auf wahren Begebenheiten beruht – jeder Leser ist ja in gewissem Sinne auch Voyeur.

Ein autofiktionaler Roman, der sehr private Einblicke erlaubt – gleichzeitig abstoßend und faszinierend. Es ist ein Roman mit enormer Sogwirkung, spannender als ein Thriller, aber für den Leser emotional und auch intellektuell fordernd. Es ist kein federleichtes Lesevergnügen, aber durch Inhalt und Sprache wirklich beeindruckend.
Ein faszinierendes Buch!



von MiriamBrandl - 2023-08-07 21:19:00

Langatmig - 3 Sterne

1932 lernt Karin den Schriftsteller Olof kennen, die beiden verlieben sich ineinander. Aber Karin ist nicht frei, sie ist mit Sven, ebenfalls einem Schriftsteller, verheiratet.
Von da an verbringen Sven und Olof ihr Leben in ewiger Missgunst füreinander.

Ich fand den Klappentext eigentlich ganz interessant, aber die Geschichte sehr langatmig. Es dauerte mir einfach zu lange, bis die Geschichte interessant genug wurde. Ich dachte auch schon über Abbrechen nach, wurde dann aber doch wieder in den Bann gezogen.
Die Geschichte spielt auf drei Zeitebenen. Einmal in der Gegenwart, in der Alex mit seiner eigenen Wut zu kämpfen hat, einmal im Jahr 1988 als Alex zu Besuch bei seinen Großeltern war und dann noch 1932 als alles begann.
Alles in allem eine Geschichte, die berühren könnte, wenn sie ein wenig lebendiger erzählt wäre. Mich konnte sie leider nicht überzeugen.
von _ich.lese_ - 2022-12-18 16:31:00

Zutiefst berührender und beeindruckender Roman - 5 Sterne

Der dtv Verlag hat "Verbrenn all meine Briefe", den neuen Roman des schwedischen Autors Alex Schulman, veröffentlicht. Nach der Lektüre seines ersten in deutscher Sprache erschienenen Buches "Die Überlebenden" war ich sehr neugierig auf sein neues Werk - und ich wurde nicht enttäuscht!
 
Der Autor Alex Schulman erkennt eines Tages, dass seine Frau Amanda und seine Tochter Frances Angst vor ihm haben. Er ist unbeherrscht und trägt eine Wut in sich, gegen die er etwas unternehmen muss. Alex beginnt mit einer Therapie und stellt dabei fest, dass es in der Verwandtschaft seiner Mutter stets viele Zerwürfnisse gegeben hat. Seine Recherchen ergeben, dass sein Großvater mütterlicherseits sehr aufbrausend war und diese Wut über Generationen hinweg auch an ihn vererbt hat.
 Alex befasst sich daraufhin intensiv mit der Lebensgeschichte seines Großvaters. Sven Stolpe war ein sehr erfolgreicher und bekannter Schriftsteller, dessen literarischen Nachlass Alex akribisch sichtet. Mit Hilfe der Tagebücher und zahlreicher Briefe setzt er das Puzzle zusammen und erfährt, dass seine Großmutter Karin sich im Sommer des Jahres 1932 in den jungen Geschichtsstudenten Olof Lagercrantz verliebte ....
 
Die Geschichte, die der Autor seiner Großmutter widmet, wird auf drei Zeitebenen erzählt.
Der Ich-Erzähler Alex erzählt auf der Gegenwartsebene aus dem Hier und Jetzt und erinnert sich auf der zweiten Zeitebene an die späten achtziger Jahre, als er als 12jähriger regelmäßig einmal im Monat mit dem Bus zu seinen Großeltern fuhr.
Auf der dritten Zeitebene steht das Leben der Großeltern im Mittelpunkt, hier ganz besonders der Sommer 1932.
 
Dem Autor ist es gelungen, in großartiger und intelligenter Sprache die drei Perspektiven zu einer spannenden und berührenden Geschichte zu verweben. Ich habe die Offenheit bewundert, mit der er seine Familiengeschichte erzählt. Mit viel Einfühlungsvermögen hat er nicht nur die tragische Liebe zwischen Karin und Olof beschrieben, sondern auch die Grausamkeiten, Demütigungen und die Eifersucht des cholerischen Großvaters. Die schmerzhafte und ergreifende Dreiecksgeschichte, die der Autor so intensiv und voller Mitgefühl für seine Großmutter erzählt, hat mich mitgerissen und zutiefst berührt.
 
Seine Suche nach der Wahrheit hat der Autor faszinierend und fesselnd beschrieben, ebenso die toxische Beziehung der beiden, die von psychischer Gewalt geprägt war. Die Charaktere sind ganz wunderbar und intensiv gezeichnet. Ich habe mit Karin und Olof mitgelitten und Sven aufs Tiefste verachtet. Selbst am Ende, als sich der Grund offenbarte, weshalb Sven zu dem Mann geworden war, der er war, konnte ich keinerlei Sympathie für ihn empfinden.
 
Das außergewöhnliche Buch, das mich noch lange beschäftigen wird, gehört für mich zu den Highlights dieses Jahres.
Von mir absolute Leseempfehlung und 5 Sterne!
von Bücherfreundin - 2022-11-24 12:07:00

Verbrenn all meine Briefe - 5 Sterne

Hier erzählt der Autor die Geschichte seines Großvaters, ein schwieriger Mensch, ein Egoist, ein großer Schriftsteller seiner Zeit. Aber auch die Geschichte seiner Großmutter. Diese verliebt sich in einen jungen Kollegen ihres Mannes. Darf diese Liebe sein ? Bringt sie den nötigen Mut auf ? Anhand von Tagebüchern und Briefen wird hier das Leben von drei Menschen, zwei Generationen und einem Geheimnis großartig erzählt. Eben auch weil der Autor seiner eigenen inneren Unruhe, Wut auf die Spur kommen will. Sehr toll, mit einem Titel der viel aussagt, klare Lessempfehlung !
von Michaela Santer - 2022-11-13 10:02:28

Wie kam der Schmerz in die Familie? - 5 Sterne

Alex Schulman ist einer DER schwedischen Autoren, die momentan große Aufmerksamkeit genießen. Im vergangenen Jahr erschien ins Deutsche übersetzt der Roman „Die Überlebenden“ und nun ist sein eigentliches Debüt übersetzt von Hanna Granz auch bei uns zu haben. Im Original ist diese autofiktionale Geschichte bereits 2018 erschienen und gibt uns einen intimen Einblick ins Schulmans Leben.
Drei Ebene hat der Roman und alle greifen ineinander und sind doch grundsätzlich verschieden. Sein Schreibstil entspannt wieder eine Sogwirkung in dem er sein eigenes psychologisches Familiendrama skizziert:
Analyse. Denn der erste Faden spielt in der Gegenwart und zeichnet ein von unvorhersehbarer Wut und vom Zorn gepackten Mann in Mitten seiner Familie. Alex Schulman schildert seine psychotherapeutischen Aufarbeitungen und macht sich auf die innere und äußere Spurensuche was ihn zu solch einem Verhalten leiten lässt. Schnell wird klar: Es liegt in der Familiengeschichte seiner Mutter begraben und er recherchiert.
Rekonstruktion. Strang Nummer 2 spielt im Jahr 1932, in dem seine Großmutter Karin (der auch das Buch gewidmet ist) ihrer großen Liebe Olof Lagercrantz begegnet, nur leider ist sie bereits verheiratet mit Sven Stolpe. Und dieses Drama entspinnt sich jahrzehntelang. Sven Stolpe macht seiner Frau das Leben zur Hölle und liefert sich einen erbitterten literarischen Kampf mit seinem Nebenbuhler. Olof und Karin lieben sich und doch kann es nicht sein und wird nie gelebt.
Erinnerung. Schulman taucht in seine eigene Kindheit ab und reflektiert wie er den narzisstischen, frauenverachtenden Mann, seinen Großvater, wahrgenommen hat. Mit Kinderaugen verfolgen wir die unheilvolle und kalte Stimmung im Hause der Großeltern.
Auch wenn hier viel vom Autor und all den bekannten schwedischen Literaten in seinem Umfeld enthalten ist, (Auch Karin war im Literaturbetrieb tätig als Übersetzerin ins Schwedische aus 4 Sprachen!) ist und bleibt es ein Roman, da ja doch viel unklar bleibt im Rückblick.
Schulman hat ein besonders ergreifenden Roman geschrieben, der mich noch lange nach der Lektüre beschäftigt hat. Er hat die Gabe in seinen Texten die Beklemmung einer ganzen Familie darzustellen und zeigt uns wie weit das Unglück dreier Personen noch sehr lange nachhallen kann in den kommenden Generationen. Wirklich ein Stück gute Literatur!
von nil_liest - 2022-11-10 14:59:00

Vererbte Wut - 5 Sterne

Alex muss sich eingestehen, dass seine Kinder häufig Angst vor ihm haben. Dabei erhebt er nie die Hand gegen sie. Aber Wut kann man auch anders zum Ausdruck bringen. Um dieser Wut, die immer wieder in ihm brodelt auf den Grund zu gehen, setzt er sich mit seiner Familiengeschichte auseinander und erkennt, dass alles mit seinem Großvater, dem berühmten Schriftsteller Sven Stolpe begann.

Er macht sich auf die Suche nach dem Auslöser und wird fündig in dessen Werk, seinen eigenen Erinnerungen und in Briefen einer beteiligten Person.

Sven Stolpe hat zeit seines Lebens seine Frau dominiert und diese hat es zugelassen, aus Schuldgefühlen und Angst. Auch seine Kinder hat er immer wieder schikaniert. Diese Familie hat keine Bande. Es ist eine Geschichte von gekappten Banden und schlecht vernarbten Verletzungen, die bis ans Lebensende schwelen. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen muss sich Alex seinen Vorfahren stellen.

Der Autor entspinnt hier eine spannende Suche nach dem großen Geheimnis, dass Generationen ins Unglück gestürzt hat. Er betont zwar, dass es eine fiktive Geschichte ist, bedient sich aber dennoch an den Lebensgeschichten seiner Vorfahren.

Alex Schulman erzählt die Geschichte seiner Großeltern mit Bedacht. Er verurteilt nicht; er versucht zu ergründen. Das hat mir sehr gut gefallen und imponiert mir gleichzeitig, denn es scheint viel einfacher, zu urteilen, als Verständnis aufzubringen.

Ich habe dieses Buch fast in einem Stück gelesen, denn diese Suche hat mich stark gefesselt. Diese vertrackte Ehe hat mich sehr berührt! Da das Geheimnis hier natürlich nicht gelüftet werden darf, kann ich kaum mehr verraten. Nur noch so viel: Lest dieses Buch! Es ist wirklich eine schöne, spannende und berührende Geschichte, die bestimmt mehr als einen Kern Wahrheit enthält.
von Miro - 2022-11-05 18:04:00

Kein Titel - 5 Sterne

Alex Schulman begibt sich auf die Spurensuche, seiner eigenen Großmutter. Großartig und einfühlsam erzählt. Ein fesselndes Leseerlebnis.
von HEYNi Isabella Lehner - 2022-10-22 12:57:21

Großartig - 5 Sterne

„Er kommuniziert sein Missfallen, in dem er gar nicht kommuniziert oder durch subtile Gesten, wie neulich, als sie sich ein Bad einließ und er plötzlich angelaufen kam und die Badezimmertür hinter ihr schloss. Er erträgt keine Geräusche. Es muss still sein um ihn herum.“ (S. 55)

Wir begeben uns in die Jahre 1932, 1988 und die Gegenwart des Protagonisten Alexander, sein sozusagen „buchiges Ich“. Buchiges Ich deshalb, da sich Alex Schulman in Ermittlungen stürzt. Solche, die seine eigene Familie betreffen; gewidmet seiner Großmutter Karin. Detektivisch inspiziert er die Familiengeschichte von vor über 60 Jahren, nimmt Orte, Briefe, Archive und Bibliotheken unter die Lupe, um einem Familiengeheimnis auf die Spur zu kommen.

Wir lesen von drei verschiedenen Personen, drei Generationen und damit vielen verbundenen Geschehnissen und Gefühlen, die innerhalb der gesamten Familie, in hässlichen Streitereien und Zermürbungskämpfen oder auch Ohnmacht enden, die man über sich ergehen lassen muss.
Sven Stolpe, seines Zeichens erfolgreicher Schriftsteller, angesehen in der Welt, außen hui, innen pfui. Verheiratet mit Karin. Karin, eine Frau, die er unbedingt ehelichen wollte, aber nach kurzer Zeit schon wie einen Fußabtreter behandelt, die er tyrannisiert, niedermacht, malträtiert sie regel-mäßig. Stolpe erkrankt an Tuberkulose und sein Benehmen wird immer grausamer. Auf einer Schreibreise von Stolpe in die Sigtuna-Stiftung lernt Karin Olof kennen. Die beiden verlieben sich ineinander. Und die Reise in die Hölle geht los. Sie treffen sich heimlich, immer in Sorge erwischt zu werden. Als Sven Lunte riecht droht er Karin. Erst erschieße ich deinen Geliebten, dann Dich und dann mich.

„Es ist, als würde seine Laune sich in sie hineinfressen und sie krankmachen. So ist es nicht immer gewesen. Anfangs war es, als würde sein Temperament ihnen beiden Aufwind verleihen. Sven war wütend auf die Welt, auf Kritiker, die keine Ahnung hatten, […] Es war zugleich eine Wut, die sie beschützte. […] Dann kam die Veränderung. Sie erinnert sich an das an das erste Mal, als Svens Zorn sich gegen sie richtete“. (S. 132)

Zeitgleich lernen wir Alex kennen, Familienvater, aggressiv und offensichtlich mit angsteinflößen-dem Wesen. Seine Frau hält diese Situationen zu Hause nicht mehr aus, droht mit Auszug. Und als Alex erkennt, dass seine Frau und Kinder Angst vor ihm haben, dies anhand kleiner Dinge fest-macht, erkennt er ein Muster. Eines, das ihm sehr gut bekannt ist. Eines, das er selbst immer spür-te, im Hause der Großeltern. Aufs massivste sensibilisiert waren sie alle auf kleine Veränderungen in der Sprache, im Handeln von Großvater Sven. So möchte Alex nicht sein und er beginnt zu forschen, warum er so wurde. Wurden die innerfamiliären Konflikte weitergegeben? Ist diese unbändige Wut, diese Aggression, dieses Verhalten anderen Menschen gegenüber vererbbar?

Axel Schulman hat bei mir hier genau ins Schwarze getroffen. Ich konnte das Buch nicht mehr weg-legen, habe es förmlich inhaliert. Der Schreibstil ist intensiv, mitreißend, ehrlich; der Plot klug auf-gebaut, mit viel Leidenschaft geschrieben und das spürte ich intensiv beim Lesen. Mit wenig Be-schreibung hat Schulman tiefe Charaktere gezeichnet. Es hat mich nicht mehr losgelassen. Das Mit-fiebern mit Alex, das Bangen und Hoffen für Karin und Olof. Diese schiere Wut, die sich in mich gefressen hat beim Lesen über diesen narzisstischen Kerl, der diese liebevolle Frau stets tyrannisierte, und die dennoch immer stark war, egal wie klein sie sich fühlte. Sie auf eine Art und Weise fertig machte, die ich nicht begreifen kann und schwer ertrug beim Lesen. Und zeitgleich auch die Ohnmacht, die sie erleben musste in dieser Zeit. Dass es nicht so einfach war, sich einfach loszusagen – schon gar nicht mit so einem Kontrollwahnsinnigen. Für Sven Stolpe ist alles ein Krieg, lesen wir im Buch. Und genauso behandelte er die Welt. Quelle allen Übels ist einfach die Wut, die ganze Generationen vergiftet. 20 Jahre nach ihrem Tod verschafft ihr Enkel mit seinem Buch eine Sicht dieser tollen Frau, die viele uns beim Lesen erkannten, die zur damaligen Zeit aber leider vielen verborgen blieb! Wie unglaublich schön und zugleich traurig ist das!

Großartiger Roman und uneingeschränkte Leseempfehlung!

… und wie es zum Buchtitel kam, das müsst ihr dringend nachlesen!
von mari_liest - 2022-10-15 20:30:00

Verhängnisvolle Vergangenheit - 5 Sterne

Der Prolog hört sich bedrohlich an, aber obwohl Alex eine ständige Wut in sich trägt und seine Frau und Kinder immer darauf bedacht sind, nichts Falsches zu sagen oder zu tun vor lauter Angst vor den Folgen, so bewundere ich Alex‘ dafür, dass er erkennt, was er selbst mit seiner Art anrichtet, und darum beschließt, sich zu ändern. „Ich trage eine Wut in mir, und dagegen muss ich etwas unternehmen.“
Bereits in der Leseprobe erfährt man, dass Alex schon beim ersten Besuch einer Therapeutin klar wird, wo er etwas über den Ursprung seiner Wut finden kann.
So beginnt das erste Kapitel im Behandlungszimmer einer Therapeutin – und ich war zu dem Zeitpunkt davon überzeugt, dass wir Alex dort häufiger antreffen werden. Doch der Autor Alex Schulman hat einen anderen Weg für seine Geschichte gewählt.
Der Protagonist Alex sucht nach Spuren in der Vergangenheit seiner Familie, um Antworten zu finden. Dabei stößt er auf Antworten, die Alex Schulman gekonnt und mit großem Einfühlungsvermögen erzählt. Es ist die Geschichte einer leidenschaftlichen Liebe, die begleitet wird von Eifersucht und Wut - Angst machend, tieftraurig und hochsensibel.
„Was soll aus uns werden?“, fragt sie. „Ich weiß es nicht“, antwortet er. „Wir haben abgehoben. Aber wir wissen noch nicht, wo wir landen.“
In Alex Schulman habe ich mit diesem Buch für mich einen neuen Stern am Autorenhimmel entdeckt.
Wenn es in diesem Jahr zwei Bücher gibt, die zu meinen besonderen Highlights zählen, dann ist dies eines davon. Darum kann ich nur eine absolute Leseempfehlung aussprechen.

von liesmal - 2022-10-14 16:28:00

Countdown zum Chaos - 5 Sterne

Der schwedische Autor Alex Schulman erzählt auf literarisch wunderbare Weise seine tragisch intensive Familiengeschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, über eine unglückliche Liebe, die das Gefühl der Wut wie ein Gift über Generationen weitergab und Erinnerungen der Furcht und der Reue hinterließ.

Als hochrangiger schwedischer Schriftsteller ist Sven Stolpe ein wandelnder Mythos und unangenehmer Zeitgenosse, vor dessen Wutausbrüche man immer auf der Hut sein musste. Sein Enkel und Ich-Erzähler Alex Schulman sieht nährende Katastrophen voraus und lernt, ihnen rechtzeitig auszuweichen. Diesen Radar hat Alex perfektioniert - nur seine eigene Wut, die sieht er nicht kommen. Um seine Ehe und die Beziehung zu seiner Kindern zu retten, geht er seiner Wutgeschichte auf den Grund und recherchiert über sein Großvater. Er will die Vergangenheit nicht über sein Leben bestimmen lassen und verstehen, was in ihm weiterlebt. Fakten und Erinnerungen vermischen sich. Es sind kindliche Erinnerungen an eine lieblose Beziehung der Großeltern, die erst jetzt einen Sinn ergeben. Zahlreiche Tagebucheinträge von Sven Stolpe und weitere Briefe von seiner Großmutter und ihrem Geliebten wertet Alex aus, um der Spur der Wahrheit zu folgen. Stolpe war ein Mann, der sein Dasein als Gefängnis empfand, alles niederschrieb, aber ungewöhnliche Wage blieb, als es um den Sommer 1932 ging, als eine geheime Liebe seine alten Wunden aufriss, von denen niemand erfahren durfte.

Schulman schafft es, dass man diese Familienbiografie mit Spannung liest, in der es um tiefgreifende Gefühle wie Wut, Untreue und Einsamkeit geht. Die Rolle der Frau ist prägend. Die demütigende Gefangenschaft der Großmutter geht einem zu Herzen. Trotz distanzierter Erzählweise, aus der Sicht des Enkels und dessen Recherchen, berührt diese Geschichte auf intensive Art. Die Liebesgeschichte zwischen Karin und Olof ist spürbar besonders und die Folgen jeder Entscheidung, die getroffen wird, wiegen schwer. Lebendig wechselt Schulman zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Bildhaft zeichnet er erzählerisch ein Porträt des aufbrausenden mitunter boshaften Großvaters und erfasst sanft persönliche Szenen, die ganz für sich selbst sprechen. Nach "Die Überlebenden" hat mir "Verbrenn all meine Briefe" sehr gefallen. Es ist der besonders sanfte Schreibstil, der mich immer wieder begeistert und der aufmerksame Blick auf das Leben und die Vergangenheit. Sehr empfehlenswerter Roman.
von La Calavera Catrina - 2022-10-12 18:55:00