Rezensionen

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
Roman

Autor: Anja Tsokos; Michael Tsokos

Erschienen 2024 bei Droemer/Knaur
ISBN 978-3-426-28419-3
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Zu viel des Guten - 3 Sterne

Auf das Buch habe ich mich sehr gefreut, weil der Klappentext genau nach meinem Lesegeschmack klang.
Anfangs war ich auch sehr angetan. Heinz wurde gleich als Kind in die Schublade "dumm" gesteckt und hatte es nicht leicht. Zum Glück hatte er eine Freundin, die zu ihm stand. Das war einfühlsam geschildert und hat mir gut gefallen.
Der heutige Heinz hingegen lebt in einem Seniorenheim ohne jegliche Abwechslung und macht sich angesichts einer rätselhaften Nachricht über seine Kindheitsfreundin auf die Reise nach Warnemünde, mit einem Flixbus.
Das sind drehbuchreife Augenblicke, die das Buch da beschreibt und ich kann mir eine Verfilmung auch gut vorstellen.

Im Bus trifft Heinz dann immer auf unterschiedliche Mitreisende, die eine Teiletappe neben ihm sitzen. Ihnen erzählt er Stück für Stück seine Lebensgeschichte.
Und diese ist so abgefahren, dass es anfangs großen Spaß macht, ihn zu begleiten. Ausgerechnet Heinz tappt nämlich von einem großen historischen Augenblick in den nächsten.

Leider nutzt sich das dann aber irgendwann ab, wahrscheinlich weil es einfach zu unglaubwürdig wird - und damit habe ich auch den Spaß am Buch verloren.
Zumal Heinz so dermaßen als naiver Trottel dargestellt wird, dass mir da beim Lesen unwohl war, auch wenn mir klar ist, dass die Geschichte nur so, mit dem Heinz, funktioniert. Aber der liebevolle Blick wie bei Forrest Gump kam mir hier zu kurz.

Das Ende des Buches hat mir hingegen wieder sehr gut gefallen - genau richtig, dafür gibt es volle Punktzahl.
von Marie aus E. - 2024-04-30 11:26:00

ein anderer Tsokos - 4 Sterne

Vom Autoren Tsokos habe ich bisher nur seine Krimis gelesen, umso gespannter war ich auf den hier veröffentlichten Band den der Autor mit seiner Frau Anja Tsokos geschrieben hat.

Ein wenig erinnert es wirklich an Forrest Gump aus den 90-iger Jahren. Protagonist des Buches ist Heinz Labensky ein 79jähriger Rentner, der im Seniorenheim lebt. Er hat ein kindliches Gemüt und intellektuel ist er auf der unteren Ebene angesiedelt. Dafür hat er ein großes Herz und erreicht mich durch seine Art direkt. Nach einem Brief macht sich Labensky noch einmal auf die Reise und trifft auf die unterschiedlichsten Personen auf seiner Reise. Allen erzählt er etwas aus seinem "bewegten" Leben. Dabei wird immer der Blick auch auf die DDR gerichtet, die er Zeit seines Lebens niemals verlassen hat.
Es vermischen sich in seinen Erzählungen Fiktion und Wahrheit, was für mich sehr unterhaltsam war.

Mich hat das Buch sehr gut unterhalten, es beinhaltete viel Ironie mit einem wirklich sympatischen Protagonisten. Der Schreibsti war Tsokos gewohnt flüssig und sehr gut zu lesen.
von Nele33 - 2024-04-23 11:30:00

Eine nette Geschichte aus der (ehemaligen) DDR - 4 Sterne

Von dosi1980
Das Buch Heinz Labensky – und seine Sicht auf die Dinge des Ehepaars Tsokos war für mich anders als erwartet.
Heinz Labensky, bald 80 Jahre alt, lebt in der ehemaligen DDR in einem Seniorenheim.
Als ihn ein Brief der Tochter seiner Kindheitsfreundin Rita erreicht, begibt er sich auf die lange Reise an die Ostsee.
Im Flixbus erzählt er mehreren Reisebegleitern seine Geschichte aus der Zeit der Nachkriegszeit in der DDR.
Heinz Labensky war unter anderem als Schwarztaxifahrer tätig, wo er auf einer Fahrt spätere Mitglieder der RAF kennenlernte oder auch bei der Suche nach dem legendären Bernsteinzimmer dabei.

Ich habe aufgrund des Klappentextes bzw. der Leseprobe ein etwas anderes Buch erwartet, es ist teilweise ziemlich langatmig.
Da ich ein Kind der Achtziger bin und nicht aus Deutschland stamme, konnte ich mit den Themen der ehemaligen DDR nicht wirklich viel anfangen.
Aber trotz allem ein nettes Buch.
von dosi80 - 2024-03-26 10:15:00

Herzergreifende Leseempfehlung - 5 Sterne

Der Senior Heinz Labensky wird durch Erhalt eines Briefes auf einen Raod-Trip durch die ehemalige DDR gerufen. Er macht sich mit einem Flixbus auf den Weg von Erfurt nach Warnemünde, um das Rätsel des Verschwindens einer Freundin zu lösen. Dabei trifft er auf verschiedene Menschen, denen er während der Fahrt Geschichten aus seinem Leben in der DDR und seiner Freundin Rita erzählt. Wobei man nicht weiß, wieviel Fantasie und wieviel Wahrheit darin stecken, da er, teilweise in geschichtliche Ereignisse verstrickt wird, die unglaublicher nicht sein können. Ich sage nur RAF!

Ich wurde von einer Bekannten mit der Frage, „Du mochtest doch ‹Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg?“, zu dem Buch gelockt und habe es nicht bereut, es zu lesen.
Die sympathische Hauptfigur wächst einem sofort ans Herz. Seine Naivität, Treue und sein Mut sind teilweise so herzergreifend, dass man über gelegentliche Längen, zum Ende hin, einwegschauen kann. Die fantasievollen Geschichten von ihm verbinden gekonnt reale Geschichte mit Fiktion. Interessante Details aus der DDR Geschichte und dem Leben in selbiger, sind gekonnt in die Story eingewoben. Auch wenn Eisenbahnfreunde bei einem Detail die Augen verdrehen könnten.

Eine herzerwärmende Geschichte über Freundschaft, Liebe, Treue und das Leben in der ehemaligen DDR, die ich so nicht erwartet hatte. Eine Leseempfehlung von mir.
von Kokoloreslot - 2024-03-01 19:40:00

Ein humorvoller Roadtrip durch die Geschichte der alten DDR - 5 Sterne

Tsokos und Tsokos, das sind das Ehepaar Anja und Michael. Sie haben diesen wunderbaren Roman rund um Heinz „Heinzi“ Labensky geschrieben , und kramen dabei tief in der DDR Geschichte.
Heinzi ist ein besonderer Mensch, mit einer wahrlich besonderen Sicht auf so manche Dinge. Denn, mit dem Denken hat er es nicht so. Da wurde er von der Natur wirklich ziemlich benachteiligt, auch wenn so manche Gedanken von ihm oftmals in ihrer Naivität gar nicht mal so verkehrt erscheinen. Aber seine geistige Tolpatschigkeit lässt ihn in so manches Fettnäpfchen treten.
Dafür hat er aber etwas, was vielen anderen Menschen gründlich entsagt blieb: ein aufrichtiges Herz.
S.31: „Seine Mutter selbst erklärte ihm das alles so, dass er ganz einfach da, wo Herz und Hirn vergeben wurden, leider nur einmal seine Hand gehoben habe.“
Gegen Ende, auf S.458, folgt auch noch so ein schöner Satz: „Luftschlösser brauchten keine Baugenehmigung, aber sie halfen einem, nicht die Hoffnung zu verlieren.“
Denn Heinz gab niemals die Hoffnung auf. Die weiterführende Schule wurde ihm als „förderungsunfähig“ verwehrt, und so schlug er sich mit Jobs durch, die sonst keiner machte.
Wir begleiten ihn von seinen Kindertagen an bis zu seinem 79sten Lebensjahr quer durch die Geschichte von DDR und BRD. Wir treffen auf Russengeneräle, Schatzsucher, nichtentnazifizierte DDRler, Honecker und Brandt, usw. Und immer mit dabei: seine Rita. Also zumindest in seinen Gedanken. Von Kindesalter an waren sie Freunde, wohnten in der tiefsten DDR die es nur gab. Während Labensky sich mit seinem Schicksal abfand, wollte Rita mehr. Vor allem eines: in den Westen fliehen. Labensky hatte sich und Rita geschworen, dass er immer auf sie aufpassen wird (man ahnt schon das Chaos). Doch Rita verschwand, machte ihr Ding, während Heinzi verzweifelt zurückblieb. Er tümpelte wie ein Forrest Gump durch die DDR Geschichte, und weist auch manchmal Ähnlichkeiten zum „Hundertjährigen“ von Jonas Jonasson auf. Denn seine Begegnungen mit gewissen Persönlichkeiten blieb für diese nicht ohne Folgen.

Nur zweimal traf er in seinem Leben noch auf Rita, bis sie endgültig von seiner Bildfläche verschwand – und auch diese Begegnungen blieben nie ohne Folgen. Vor allem für Rita.

Die Erzählung erfolgt in Rückblenden, welche Heinz während einer Busreise nach Warnemünde seinen wechselnden Reisenachbarn erzählt. Er hatte einen Brief von einer Frau aus W. erhalten, in welchem ein Bezug zu ihm und Rita (welche anscheinend tot war) hergestellt wurde. Also setzte er sich ohne lange nachzudenken sogleich in den Bus, und machte sich auf an die Ostsee.
Und somit beginnt die Geschichte und mutiert zu einem herrlichen Roadtrip.
Die Sprache ist frech, direkt. Manche Sprüche lassen einen beim Lesen richtig schmunzeln, und setzen der ganzen Erzählung, welche viele ernste Themen (u.a. viele DDR-Sachen) aufgreift, eine humoristische Note.
Ich habe das Buch wirklich sehr gerne gelesen, mochte die Art und Weise der Sprachführung. Ein geschichtlicher Roadtrip durch die alte DDR. Absolute Leseempfehlung für diesen wirklich wunderbaren Roman, auch wenn ich für mich tatsächlich Parallelen zu Forrest und „seiner“ Jenny fand.
von MarcoL - 2024-02-22 14:24:00

ein kauziger Typ erzählt aus seinem Leben - 4 Sterne

Heinz Labensky lebt jetzt schon seit 10 Jahren in einem Seniorenheim am Rande von Erfurt. Obwohl er es in seinem gesamten Leben nie besonders leicht hatte, hat er sich nie über irgendetwas wirklich Sorgen gemacht, was aber hauptsächlich an seinem schlichten Gemüt liegt. Schon in der Schule in der damaligen DDR wurde er als "nicht förderungsfähig" eingestuft und so hat er noch nicht mal die Grundschule ganz abgeschlossen.
Einen Menschen gab es in seinem Leben, den er von ganzem Herzen liebte und eigentlich immer noch liebt, obwohl dieser Mensch längst aus seinem Leben verschwunden ist. Seine Freundin Rita lernte er damals in der Schule kennen, beide waren Außenseiter und freundeten sich sofort an. Er wollte seine geliebte Rita am liebsten vor allem beschützen, obwohl die sich auch ganz gut selbst verteidigen konnte.
Irgendwann verschwand Rita einfach aus seinem Leben und seitdem wartete er immer darauf, dass sie eines Tages wieder auftauchen würde, was aber nie passiert ist.
Jetzt sitzt er also tagein tagaus in seinem "Feierabendheim" und wartet nur noch auf den Tod. Doch da bekommt er ganz überraschend einen Brief von einer Frau, die behauptet die Tochter seiner verschwundenen Freundin Rita zu sein. Sie erzählt, dass auch sie den Großteil ihres Lebens keinen Kontakt zu ihrer Mutter hatte, weil die einfach verschwand und jetzt wurde wohl auf einer Baustelle eine Leiche gefunden, von der sie vermutet, es könnte ihre Mutter sein.
Heinz Labensky überlegt nicht lange und macht sich auf den Weg zur Adresse dieser Frau. In seiner schrulligen sorglosen Art macht er auch gar nicht lange Pläne , sondern setzt sich einfach in einen Flixbus und fährt los Richtung Warnemünde.
Unterwegs unterhält sich Heinz, der noch nie Berührungsängste hatte, dann mit allerlei Mitreisenden und er erzählt ihnen so nach und nach seine gesamte Lebensgeschichte. Und die hat es wirklich in sich, denn langweilig war sein Leben nicht, ganz im Gegenteil, manches, was er so erlebt hat ist direkt unglaublich.
Und als er dann Ritas Tochter trifft, muss er eine Entscheidung treffen. Ist es wichtig, die ganze Wahrheit zu erfahren oder reicht es nicht, weiterhin einfach das zu glauben, was man glauben will?

Ich kannte bisher nur die Thriller von Michael Tsokos und war schon sehr gespannt auf dieses Buch, das ja mal so ganz anders ist und das der Autor zum ersten Mal zusammen mit seiner Frau Anja Tsokos geschrieben hat. Schon die Kurzbeschreibung hat mich sehr neugierig gemacht, denn ich liebe Bücher über so skurrile Personen . Ich fand die Geschichte über den etwas seltsamen aber herzensguten Heinz Labensky auch sehr gut, muss aber zugeben, dass sich einige Stellen zu sehr in die Länge zogen. Also wenn manches nicht ganz so ausufernd erzählt worden wäre, hätte es mir vielleicht noch etwas besser gefallen. Trotzdem gefiel mir dieses Buch gut und ich würde es auf jeden Fall weiterempfehlen.
von PeLi - 2024-02-19 15:14:00

entspricht nicht meinen Erwartungen - 2 Sterne

Ich habe mich sehr auf das Buch gefreut. Ich habe beim Lesen aber recht schnell merken müssen, dass dieses Buch der Eheleute Tsokos nicht meinen Erwartungen entspricht.
Heinz Labensky, Bewohner eines Seniorenheimes, erhält von der Tochter seiner Jugendliebe Rita einen Brief. Rita ist spurlos aus seinem Leben verschwunden, eine Tatsache, die ihn noch nach vielen Jahren beschäftigt. Er macht sich kurzentschlossen auf den Weg zu ihr. Heinz ist ein eher schlichtes Gemüt, aber ihm gelingt es mit den Flixbus nach Warnemünde zu fahren. Dort erzählt er wechselnden Reisebegleitern seine Lebensgeschichte. Die Autoren haben viele politische Ereignisse in den Lebenslauf von Heinz gepackt. Er fuhr Meinhof, Baader und Ensslin in seinen geklauten Moskwitsch zum Flughafen, war an der Spionageaktion gegen Brandt beteiligt und auf der Suche nach dem Bernsteinzimmer. Das war mir alles ein bisschen viel. Auch die Geschichte mit dem Auto fand ich sehr unglaubwürdig.
von peppi - 2024-02-16 17:35:00

Hörbuch-Empfehlung - 4 Sterne

Diese schräge Geschichte ist eine Zeitreise in die die ehemalige DDR mit dem Zeitzeugen Heinz Labensky, einem neunundsiebzig Jahre altem Mann, „planlos wie eine Kuh, wenn’s donnert“, kein Genie, kein Mann der Worte, aber einer mit Herz.

Heinz Labensky führt ein unauffälliges Leben in einem Feierabendheim in einem Betonklotz, als er einen Brief erhält. Darin schreibt eine Frau von seiner allerbesten Jugendfreundin Rita, welch schreckliches Schicksal sie ereilt haben soll, und wie Heinz die Absenderin, Ritas Tochter, kontaktieren kann. Bestürzt von dem möglichen Tod seiner Freundin, fackelt Heinz nicht lange und macht sich von Erfurt auf den Weg nach Rostock Warnemünde zum Hotel Neptun, um dort Ritas Tochter zu treffen. Auf dieser Reise landet er schließlich in einem Flixbus, der ihn sozusagen auf eine Zeitreise schickt, bevor er sein Ziel erreicht. Wechselnde Reisende kommen mit Heinz ins Gespräch und ermutigen ihn, mehr von dem zu erzählen, was er nicht schon unfreiwillig in seinem dahin geträumten Wachkoma preis gegeben hat. Es geht vor allem um die Liebe, denn Heinz wurde stets davon angetrieben, Rita zu finden und zu beschützen, wobei er das ein oder andere Abenteuer in der DDR erlebte insbesondere schicksalshafte Begegnungen, die ihren unvorhersehbaren Lauf nahmen.

Der Erzählstil erinnert ein bisschen an den schwedischen Autor Jonas Jonasson, während die Figur Heinz Labensky die unbedarfte Liebenswürdigkeit eines Forrest Gump besitzt, der ebenfalls durch große historische Momente streifte, ohne die Bedeutung dessen gänzlich zu begreifen und äußerst bildhaft von seinen Erlebnissen berichtet. Ähnlich ist es mit der Hauptfigur, die unwissend der Roten-Armee-Fraktion half, obwohl er am liebsten Eisbecher in der Mokka-Milch-Eisbar aß, in der Sibylle blätterte und genügsam vor sich hin träumte.

Gesprochen wird das Hörbuch von Katharina Thalbach, der es hörbar Spaß gemacht haben muss, diese Geschichte einzulesen. Ihre Stimme passt hervorragend. Heinz Labensky ist eine Figur, mit der man mitfühlen kann, deren Missverständnisse für einige Lacher sorgen. Der Schreibstil bedient sich zahlreicher Ausrücke und Begriffe der DDR, teilweise ist die Story ein bisschen überdreht, eine Mischung aus freier Fiktion und realer Ereignisse und Personen, voller bildhafter Vergleiche, was man mit einem fantasievollen Augenzwinkern betrachten sollte, denn insgesamt wurde ich gut unterhalten und der Schluss hat mir gut gefallen. Wer den Film "Forrest Gump“mochte, gedanklich gern noch einmal in die DDR reisen möchte und skurrile Geschichten mit Herz mag, für den wäre dieses Buch wohlmöglich etwas.
von La Calavera Catrina - 2024-02-13 22:16:00

Heinz Labensky muss man einfach lieben - 5 Sterne

Heinz Labensky, ein 79-jähriger stinknormaler Kauz, wie er sich selbst nennt, mit eher schlichtem und sorglosem Gemüt, aber einer überbordenden Fantasie, hat es satt seine Tage im Seniorenheim am Erfurter Stadtrand zu verdämmern. Mit nichts als sich selbst macht er sich von Erfurt auf nach Rostock-Warnemünde um dort der Tochter seiner Jugendliebe Rita Warnitzke, die ihm einen Brief geschrieben hat, einen Besuch abzustatten. Dorthin ist er mit einem Flixbus über Leipzig und Berlin unterwegs. Auf dieser Reise erzählt er verschiedenen Mitreisenden die Geschichten seines Lebens und seine Sicht auf viele Dinge, zu denen er immer wieder abdriftet. Wobei ich mir oft nicht sicher bin, was wirklich zu seiner Lebensgeschichte gehört oder was seine ausschweifende Fantasie sich da zurecht reimt.

Anja und Michael Tsokos haben mit Heinz Labensky einen Menschen erschaffen, den ich ab der ersten Seite mochte. Ich kann mir den alten Herrn vor dem neumodischen Fahrkartenautomaten so gut vorstellen. Als er dann dank acht junger Männer auf ihrem Junggesellenabschied im Flixbus sitzt, setzen seine Gedanken an, als er acht Jahre alt ist und ich lerne ihn und etwas später auch Rita kennen, eine Außenseiterin genau wie er in dem kleinen Ort Briesen in Brandenburg, die im Gegensatz zu ihm hochintelligent ist und die ihm lesen beibringt. Um sie kreisen die meisten seiner Gedanken und als sie aus ihrem Heimatort nach Berlin verschwindet, muss er natürlich hinterher. Denn er hat seiner großen Liebe versprochen, sich immer um sie zu kümmern.
Ich mag diesen unbedarften Mann mit seinem beschränkten Geist, seinem Mut und seinem riesengroßen Herzen, der sich seine Welt, wenn ihn seine Erinnerungen mal im Stich lassen, so macht, wie sie ihm gefällt oder gerade passt. Mit ihm erlebe ich einen Streifzug durch die damalige DDR, aus der Heinz nie heraus gekommen ist. Er weckt Erinnerungen an einige Ereignisse oder Menschen, an die ich mich noch aus meiner Jugend erinnern kann. Besonders gut gefallen hat mir die Geschichte mit dem Bernsteinzimmer und natürlich das Zusammentreffen mit Ritas Tochter. Mit einem solchen Ausgang, der mich genau wie Heinz stark berührt hat, als er sich dessen bewusst wird, hätte ich nie gerechnet. Mehr verrate ich hier aber nicht.
Aber auch was die Südsudanerin Didinga Heinz auf dieser Busfahrt erzählt, finde ich sehr spannend und interessant.

Alles in allem hat mich das Ehepaar Tsokos mit dieser so originellen Ost-Geschichte mit vielen ostdeutschen Ein- und Ausdrücken sehr gut unterhalten, zum schmunzeln gebracht und auch nachdenklich gemacht. Eine wirklich lesenswerte Geschichte, die ich gerne weiter empfehle.
von gaby2707 - 2024-02-10 11:34:00

Unterhaltsame Zeitreise - 4 Sterne

Der 79-jährige Heinz Labensky wohnt in einem Seniorenheim am Erfurter Stadtrand und führt ein unscheinbares Dasein. Sein Alltag ist eintönig, Höhen oder Tiefen gibt es nicht. Das ändert sich, als er einen Brief aus Warnemünde erhält, in dem es um das spurlose Verschwinden seiner Kindheitsfreundin und Jugendliebe Rita Warnitzke vor fast fünfzig Jahren geht. Kann es wirklich sein, dass es sich bei dem in einer Berliner Klärgrube gefundenen Skelett um Ritas Überreste handelt? Heinz will es genau wissen und steigt in einen Flixbus nach Warnemünde. Sein Ziel: endlich die Wahrheit über Ritas Verbleib klären und damit das größte Rätsel seines Lebens lösen.

Mein Roadtrip mit Heinz Labensky beginnt am Bahnhof, als er gerade im Begriff ist, sich ein Seniorenticket Richtung Ostsee zu kaufen. Die Bedienung des Fahrscheinautomaten erweist sich als Hürde - die Welt, so scheint ihm, ist in den zehn Jahren, die er mittlerweile im Heim verbracht hat, komplizierter geworden. Er hat Glück und wird eingeladen, sich einer Reisegruppe anzuschließen. Damit steht der Fahrt zu Ritas Tochter nach Rostock/Warnemünde nichts mehr im Weg.

Kaum sitzen wir im Bus, wird mir klar, dass diese Fahrt eine Zeitreise werden wird - in Heinz’ Vergangenheit und in die Historie der DDR, denn Heinz beginnt, unterschiedlichen Mitreisenden und damit auch mir aus seinem bewegten Leben zu erzählen. Heinz ist in einem kleinen brandenburgischen Dorf aufgewachsen. Er hat ein schlichtes Gemüt, ist ziemlich begriffsstutzig. Seine Mutter hat ihm damals erklärt, „…dass er ganz einfach da, wo Herz und Hirn vergeben wurden, leider nur einmal seine Hand gehoben habe…“ (S.31). Er galt als Außenseiter, bis auf Rita hatte er keine Freunde. Seine Welt ist immer klein geblieben, er hat den Osten Deutschlands zeitlebens nicht verlassen. Das Besondere an dem Mann, der als Rechenniete mit Leseschwäche schon früh die Schule verlassen musste: er macht seinen Mangel an Bildung durch eine herrlich blühende Fantasie wieder wett. Ich bin begeistert und lausche gespannt seinen Geschichten.

Rita hat ihr Heimatdorf sehr zum Verdruss von Heinz schon in jungen Jahren verlassen. Da er aber geschworen hat, sie immer zu beschützen, macht er sich irgendwann auf die Suche nach ihr (er spürt sie sogar in Berlin auf, verliert sie aber wieder aus den Augen). Auf seinen Wegen gerät er immer wieder in absonderliche Situationen und ist in allerhand Machenschaften verstrickt. Diese erlebe ich hautnah und sehr umfassend mit und erfahre dabei, wie das alltägliche, politische und gesellschaftliche Leben in der DDR aus Sicht von Heinz war. Die Geschichten sind interessant, zum Teil aber auch sehr langatmig.

Heinz’ Geschichten sind genauso aufgebaut wie seine Gedankenwelt. Abstrus. Abenteuerlich. Alles, was er sieht, hört oder riecht, verarbeitet er nur sehr langsam. Wenn er etwas nicht begreift, improvisiert er. Er kramt in Erinnerungen rum oder füllt die Lücken mit spontanen Hirngespinsten. Auch kommt er beim Denken und Erzählen oft vom Weg ab, schweift mal hierhin, mal dorthin. Auf diese Weise bastelt Heinz sich seine Sicht auf die Dinge. Wie viel Wahrheit in dem steckt, was er zu erzählen hat und wo sich Luftschlösser eingeschlichen haben, bleibt unklar. Aber egal, es hat Spaß gemacht, diesem einfachen, aber gutherzigen Mann zuzuhören. Seine Geschichten sind zwar ausgesprochen weitläufig und driften ab und an ins Skurrile ab, sind aber gleichzeitig auch sehr unterhaltsam. Ich habe es als Bereicherung empfunden, ihn auf seiner Fahrt begleitet zu haben.

Irgendwann ist die Reise nach Warnemünde zu Ende. Und was Heinz dann dort erlebt, hätte selbst er sich nicht zusammenreimen können.
von dorli - 2024-02-08 14:02:00