Rezensionen

Die Gabe der Lüge
Ein Fall für Karen Pirie

Autor: Val Mcdermid

Erschienen 2024 bei Droemer/Knaur
ISBN 978-3-426-44801-4
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Mörderische Schreibwelten - 4 Sterne

Ein spannender Krimi bietet eine Auszeit vom Alltag, die Lesende mit dem wohligen Gefühl genießen können, dass es sich nur um Fiktion handelt und am Ende in der Regel wie im Märchen das „Böse“ besiegt wird und der oder die Schuldige ins Gefängnis wandert. Doch was, wenn das Gelesene auf geradezu verstörende Weise real existierenden Personen und Gegebenheiten ähnelt? Genau dieses beklemmende Gefühl bekommt eine Bibliothekarin, die den Nachlass eines verstorbenen Schriftstellers sichtet und in einem unvollendeten Manuskript deutliche und beunruhigende Parallelen zum Fall Lara Hardie, einer jungen vermissten Frau, erkennt. Sie entschließt sich, den ihr bekannten Kriminalbeamten Jason aus Karen Piries Team zu kontaktieren …

Mit dieser ungewöhnlichen Ausgangslage beginnt Karen Piries siebter Fall, der zudem noch unter äußerst ungewöhnlichen Umständen stattfindet: der frühen Phase der Pandemie, als es noch keine Impfstoffe gab und in Schottland ein sehr strenger Lockdown mit Ausgangssperre herrschte. Äußerst spannend war für mich als Bücherfan das Setting: die Literaturwelt mit den angehenden oder bereits etablierten Autor:innen, dem Archivmaterial aus dem Nachlass eines Schriftstellers, einem Schreibkurs und Schreibwettbewerb. Da kommen unwillkürlich Fragen danach auf, wie Menschen zu Schriftsteller:innen werden, wie ein Werk entsteht und ganz besonders natürlich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Fiktion und Realität, eine Frage, die angesichts des Vermisstenfalls eine ganz besondere Brisanz gewinnt.

Mir gefiel sehr, dass über das geheimnisvolle unvollendete Manuskript, das die Ermittlungen von Piries und ihrem Team in Gang setzt, nicht nur geredet wird, sondern dass McDermid sich auch die Mühe gemacht hat, es selbst zu verfassen und in voller Länge zu präsentieren. Das ist ihr sehr gut gelungen – der Schreibstil unterscheidet sich spürbar und ich hatte so tatsächlich den Eindruck, dass ich den Text eines anderen Menschen lesen würde. Es handelt sich um eine eiskalte Morderzählung, packend und erschreckend angesichts der Anmaßung und völligen Empathielosigkeit des Täters. Doch bezieht sie sich auch auf reale Geschehnisse? An diesem Punkt gingen meine Spekulationen in alle Richtungen. Hier hatte mich McDermid ganz gepackt und meine Fantasie angeregt – allerdings so sehr, dass ich hinterher vom tatsächlichen Ausgang dieses Kriminalromans leider etwas enttäuscht war.

Nicht enttäuscht und wie bei den anderen Büchern von ihr aufs Neue begeistert haben mich: ihre zwischen den Zeilen spürbare Liebe zu den Menschen (ungewöhnlich im Thrillergenre, wo ich manchmal den Eindruck habe, die Autor:innen würden detaillierte blutige Schilderungen diverser Grausamkeiten förmlich genießen) und ihre engagierte und zugleich schottisch-gemäßigte, sensible Art, diverse aktuelle Themen in ihre Erzählungen einzubinden.

Engagiert, bodenständig und zupackend – so wirkt auf mich die Hauptfigur Karen Pirie, die neben ihrer Arbeit auch schon mal mutige und unorthodoxe Wege geht, um einem Menschen in Not zu helfen, und ähnlich wie sie stelle ich mir auch die Autorin vor. In diesem Roman wuchs mir Karen regelrecht ans Herz. Dass wir Leser:innen auch die private Seite der Ermittlerteammitglieder kennenlernen, erscheint mir in vielen anderen Krimis überflüssig, zu dieser Reihe jedoch passt diese menschliche Seite hervorragend.

Ganz hat McDermid das Potenzial, das diese Geschichte bot, leider nicht ausgeschöpft, aber was sie geliefert hat, war ein kniffliger und herrlich mysteriöser Fall mit überzeugender Auflösung.
von Alais - 2024-05-06 16:32:00

sehr zäher Anfang - 3 Sterne

Mit " Die Gabe der Lüge" ist der 7. Band um Karen Pirie der Autorin Val Mc Dermid erschienen.

Karen Pirie und ihr Team ermitteln in sogenannten Historic Case Unit /Cold Cases. Die Studentin Lara Hardie ist vor einem Jahr nach einem Bibliotheksbesuch verschwunden. Als die Bibkiothekarin den Nachlass eines Autors sichtet, fällt ihr ein Manuskript auf, welches dem Verschwinden von Laura Hardie sehr ähnelt. Sie gibt ihre Entdeckung an die Polizei weiter und für Karen und ihr Team beginnt in der Zeit des schottischen Lockdowns eine mühsame Suche nach weiteren Hinweisen. Um so weiter sie in den Fall eintauchen, umso mysteriöser erscheint er. Gibt es doch zu den Personen im Manuskript den realen Gegenspieler. Hat hier jemand wirklich den perfekten Mord begannenß

Val Mc Dermid ist für mich immer eine Garantin für spannende Lesestunden gewesen, doch in diesen Fall bin ich nur sehr schwer herein gekommen. Durch die ganzen Beschreibungen von Corona und den damit zusammen hängenden Einschränkungen im Alltag zog sich der Anfang für meinen Gescchmack ziemlich in die Länge. Die Personen waren für mich teilweise nicht so gut charakterisiert, auch wenn der Versuch zu erahnen war.

Der Plot ansich war eine gute Idee, die Umsetzung ist in meinen Augen nicht wirklich gelungen, darum verabschiede ich mich von der Reihe um Karen Pirie.
von Nele33 - 2024-05-05 13:17:00

Mordermittlung in Zeiten des Lockdown - 4 Sterne


Im neuesten Roman von Val McDermid ermittelt Karen Pirie aus der Abteilung für Cold Cases in Edinburgh in einem ungeklärten Vermisstenfall, nachdem eine Bibliothekarin im Nachlass des kürzlich verstorbenen Krimiautors Jake Stein ein unvollständiges Manuskript gefunden hat, das so eng an den Fall der verschwundenen Studentin Lara Hardie angelehnt ist, dass es wie die Vorlage für ein Verbrechen wirkt. Die fiktiven Krimiautoren Jamie Cobain und Rob Thomas entsprechen Jake Stein und seinem Rivalen und Schachpartner Ross McEwan, der ebenfalls eine Affaire mit der Frau des Kollegen hat. Während die Karriere des einst überaus erfolgreichen Autors Jake Stein nach einem öffentlichen Skandal bei einer Lesung beendet ist, geht es mit Rob Thomas steil aufwärts. Karen Pirie und ihr Team kommen erst nicht weiter mit den Ermittlungen, die durch den Lockdown 2020 entscheidend behindert werden, ist es doch eher unwahrscheinlich, dass Stein sich durch seinen Roman selbst belastet. Erst allmählich kommen weitere Details ans Licht und führen zu neuen Ermittlungsansätzen.
Neben der Mordermittlung spielen auch Karen Piries Beziehung zu dem Unternehmer Hamish Mackenzie nach dem Tod ihres geliebten Partners, das Schicksals des geflohenen Syrers Rafiq und vor allem die tiefgreifende Veränderung der Lebensumstände der Menschen durch die Corona-Pandemie und den Lockdown im April 2020 eine zentrale Rolle. Mir hat der umfangreiche, wenn auch trotz etlicher Handlungsumschwünge nicht durchgängig spannende Roman mit seiner sorgfältigen Charakterzeichnung und guten sprachlichen Qualität gefallen. Raffiniert ist die komplexe Handlungsstruktur mit dem Roman im Roman, in dem fiktive Figuren die in der Welt der „realen“ Geschichte existierenden spiegeln. Val McDermid bleibt für mich eine sehr empfehlenswerte Autorin.

von cosmea - 2024-04-23 16:53:00