Rezensionen

Harz
Thriller. Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis 2016

Autor: Ane Riel

Erschienen 2019 bei btb
ISBN 978-3-442-71553-4
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skurril - 3 Sterne

Die kleine Liv ist 6 Jahre als sie in der Brandung vor einer abgelegenen Insel Dänemarks ertrinkt. Das erzählt zumindest der Vater den Behörden denn er möchte alles was ihm lieb ist bei sich behalten. Dafür musste seine Mutter sterben als sie Liv mit auf das Festland nehmen wollte damit sie zur Schule gehen kann.

Es ist eine zutiefst skurrile Welt die in diesem Buch geschildert wird und die für Liv völlig normal ist. Der Vater sammelt alles was ihm in die Finger fällt. Nach und nach wird das Haus und der Hof mit Sachen vollgestellt die ihm bei nächtlichen Diebestouren in die Hände fallen. Für Liv ist das vollkommen normal, ebenso das sie später alleine auf nächtliche Touren geht und Lebensmittel und alle möglichen Sachen in anderen Häusern ‚findet‘. Sie ist auch nicht alleine, ihr Zwillingsbruder ist ja bei ihr. Das dieser als Säugling bei einem Unglück starb tut nichts zur Sache. Die Mutter hat sich selbst aufgegeben, wird fettleibig und kann das Zimmer schon längst nicht mehr verlassen.

Erzählt in Ich Form aus Sicht der kleinen Liv muss man beim Lesen oft schmunzeln während man gleichzeitig eine Gänsehaut bekommt bei der Vorstellung des Geschilderten.

Als Thriller würde ich das Buch nicht bezeichnen aber als interessanten Roman. Bei Gelegenheit werde ich mir das andere Buch der Autorin besorgen.
von Ecinev - 2019-08-25 17:46:00

Wie weit würde man auch Liebe gehen? - 5 Sterne

Wie weit kann man gehen, um das zu schützen, was einem das liebsten im Leben ist? Das ist die zentrale Frage in diesem Buch. Wie lange kann man es schaffen ein Lügengerüst aufrecht zu erhalten.
Jens Haarder ist mit Maria verheiratet und hat mit ihr die Zwillinge Carl und Liv bekommen. Nach dem frühen Tod von Carl und dem Druck von außen durch seine Mutter, beschließt Jens seine Tochter für tot zu erklären, damit ihnen diese nicht weggenommen werden kann.
Unter dem Buch habe ich mir etwas anderes vorgestellt, allerdings war ich angenehm überrascht.
Der Erzählstil ist gut zu verstehen und das Buch flüssig zu lesen. Die Erzählung wechselt immer wieder zwischen den Hauptpersonen des Buches hin und her. Anfangs fand ich es etwas verwirrend, aber man gewöhnt sich dran.
Zu Beginn springt die Geschichte etwas oft zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart hin und her, was sich im Laufe aber ändert. Jedes Kapitel hat eine eigene Überschrift, wodurch man immer genau weiß wo in der Geschichte man sich gerade befindet.
Schockierend ist aber wozu ein Mensch fähig ist, wenn er Angst um sein Kind und seine Familie hat.
Alles in allem ein guter Thriller, bei dem allerdings noch mehr machbar gewesen wäre.
von Jules118 - 2019-07-15 11:53:00

Obsession wie im Horror-Märchen - 4 Sterne

Jens Haarder ist ein liebevoller Vater, der auf übertriebene Weise sein Kind vor den Gefahren dieser Welt bewahren will. Vor allem aber will er es nicht verlieren, an was oder wen auch immer. Ein Mann mit starkem Beschützerinstinkt, der aber eben auch manisch sammelt und anhäuft. Ein paranoider Messie.
Und so wird der Radius, der Liv für ihr eigenes Leben zugestanden wird, immer eingeschränkter, bis es enger nicht mehr geht. Ihr Container hat als unmittelbare Nachbarn etliche Särge. Särge, die in früheren Jahren auch mal ausprobiert worden sind. Ein allgegenwärtiger Tod. Neben wenigen Spielsachen gehören im Harz konservierte Tiere zu Livs Zeitvertreib. Ebenso die Briefe ihrer Mutter. Tja, und da ist auch noch Carl. Wer das ist? Lesen Sie selbst, wie es zu diesen absonderlichen Lebens- und "Besitzverhältnissen" kam und wie die Vergangenheit der Familie, besonders die von Jens, zuvor ausgesehen hat.
Man kann mit fortschreitender Lektüre das Motiv zum krankhaften Tun des Vaters weitgehend verstehen. Trotzdem nagt es an der eigenen Psyche, dass man nur lesen und nicht eingreifen kann. Stellenweise ist es kaum auszuhalten, und die grösste Sympathie gilt natürlich dem Mädchen. Wobei mir scheint, dass es weniger als die Eltern unter Isolation und Angst leidet, denn der Container ist für Liv zum Alltag geworden.
Der Thriller ist unterteilt in verschieden lange Abschnitte, manchmal nur mit einem kurzen Text, aus verschiedener Sicht. Bei Liv (und natürlich in den Briefen) wurde die Ich-Form gewählt, was besonders nahegeht. Das Geschehen ist sehr plastisch und lebendig geschildert, manchmal fast schon zu intensiv. Auf mich wirkt das Buch sehr bedrückend und verfolgt mich regelrecht, nachdem ich es beiseitegelegt habe. Grimms und Hauffs Horror-Märchen sind gar nicht weit entfernt. Gleichzeitig enthält der Text, quasi Inseln zwischen all dem Schrecken, ein wohltuendes Bouquet verschiedenster Düfte. Streckenweise ist es ein Lesen "der Nase nach", ausdrucksstark und sinnlich.
Am Ende der einzelnen Abschnitte sind immer wieder raffinierte kleine Cliffhänger eingebaut. Und der Satz gleich zu Beginn ("…, als mein Vater meine Grossmutter umgebracht hat") könnte ein Klassiker für erste Sätze in der Literatur werden.
Zum Cover: Fast erwartet man klebrige Buchstaben, wenn man den harzfarbenen Titel auf dem Umschlag berührt. Harz, die Absonderung vieler Bäume (ja, auch der Lackschildlaus), welche die geschlagene Wunde wieder verschliesst und zur Heilung beiträgt. Mehr als nur doppeldeutig!