Rezensionen

Das glückliche Geheimnis

Autor: Arno Geiger

Erschienen 2023 bei Hanser
ISBN 978-3-446-27617-8
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Hin- und hergerissen - 5 Sterne

Zuerst zu Fuß, später mit dem Fahrrad, ist Arno Geiger laut seinem biografischen Buch unterwegs, um sich mit in Papiercontainern gefundenen Büchern, Tagebüchern und Briefen einzudecken und dann daraus Inspirationen für seine Bücher zu finden, aber auch seinen Alltag zu finanzieren, da er die nicht benötigen Gegenstände auf dem Flohmarkt veräußert.
Vor allem die Tagebücher und Briefe faszinieren ihn, sind sie doch für ihn Einblicke in das Seelenleben der früheren Besitzer, die für ihn somit erlebbar werden, obwohl oder gerade deshalb, weil er sie nicht kennt. Die Beziehung zu seinem Vater, der im Alter dement wurde, nimmt ebenso einen großen Raum ein wie sein Liebesleben mit verschiedenen Partnerinnen, einschließlich seiner Langzeitfreundin und derzeitigen Frau.
„Das Glückliche Geheimnis“ erzählt auch von den Höhen und Tiefen eines Schriftstellers, der von den Verlagen trotz Zusagen immer wieder vertröstet wird, anfänglich auch wenig Erfolg hat, bis ihm der große Durchbruch gelingt. Die Schreibweise Arno Geigers liest sich flüssig, das Geschriebene klingt schonungslos und verletzlich ehrlich.
Ein wirklich gelungenes Werk.
von froschman - 2023-03-26 19:32:00

Die Entwicklung eines Schriftstellers - 5 Sterne

Das glückliche Geheimnis des Arno Geiger wird gleich in den ersten Sätzen enthüllt: Ein Vierteljahrhundert machte der Autor Streifzüge durch Wien, anfangs zu Fuß, später erweitert er seinen Radius mit dem Fahrrad. Dabei wühlte er kopfüber in Altpapiercontainern, immer auf der Suche nach Verwertbarem.
Ausgelöst wurde diese Passion durch einen Zufallsfund, fünf große Kartons voller Bücher. Zu dieser Zeit war Arno Geiger ein mittelloser Student mit dem Berufswunsch Schriftsteller. Seine Funde verhalfen ihm zu Zufallslektüren, aber vor allem trugen sie zu seinem Lebensunterhalt bei. Geiger verkaufte seine „ Beute“ auf Flohmärkten und wertvollere Stücke, wie seltene Bücher, Briefmarkensammlungen oder Druckgrafiken, an Auktionshäuser. Ein Bündel lithografierter Postkarten der Wiener Werkstätten brachten ihm einmal ein halbes Jahresgehalt ein.

Arno Geiger beschränkt sich in seiner autobiographischen Erzählung nicht nur darauf, sein Geheimnis zu lüften, sondern er lässt uns auch an seinem Privatleben teilnehmen. Wie in jedem menschlichen Leben spielen Liebesglück und Liebesleid, Krankheit und Tod auch in seinem Leben eine große Rolle.
Wir lesen deshalb von seinen langjährigen Beziehungen zu M. und K. und den diversen Affären dazwischen. Einerseits diskret -er verwendet jeweils den Anfangsbuchstaben als Kürzel- andererseits sehr freimütig und offen schreibt er von Untreue, Streitereien und Beziehungskrisen. Dass seine Ehe mit K., einer Ärztin, heute so stabil und glücklich ist, liegt für den Autor in den gemeinsam durchgestandenen „ schlechten Jahren“. So vermag er auch darin etwas Positives sehen.
Es geht im Buch ebenfalls um das Verhältnis des Autors zu seinen Eltern. Die Demenzerkrankung seines Vaters, die er sehr einfühlsam in seinem Buch „ Der alte König in seinem Exil“ geschildert hat, spielt eine wesentliche Rolle, genauso wie die Beziehung zur Mutter.

Doch „ Das glückliche Geheimnis“ erzählt vor allem vom mühevollen Weg des Schriftstellers Arno Geiger, von Selbstzweifeln und einem Leben in prekären Verhältnissen und von seinen Erfahrungen im Literaturbetrieb. Seine ersten Bücher verkaufen sich schlecht; eine Lesung in Klagenfurt stößt auf wenig Resonanz. Erst mit seinem 2005 erschienenen Roman „ Es geht uns gut“ gelang ihm der Durchbruch. Das Buch erhält den erstmals verliehenen Deutschen Buchpreis. Doch der Erfolg fordert seinen Tribut, ein Burnout ist die Folge. Das „ Vater- Buch“ wird ebenfalls zu einem Bestseller; sein letzter Roman „ Unter der Drachenwand“ gilt vielen als sein bester.
Wesentlich zu seiner Entwicklung als Schriftsteller beigetragen, haben seine Funde aus dem Müll, davon ist Arno Geiger überzeugt. Hat er anfangs überwiegend Verkaufbares aus den Containern gefischt, so suchte er später ganz gezielt nach Tagebüchern und Briefen. Hierin fand Geiger das wirkliche Leben; das habe ihm eine enorme Menschenkenntnis gegeben, ein notwendiges Wissen für einen der, „ vom Leben der Menschen erzählt.“ „ Ich kenne Glück und Kummer aus zwei Jahrhunderten,… Mir ist das eine Menschliche nicht fremder als das andere.“ so heißt es im Buch. Z. B. hat Arno Geiger als Vorbereitung für seinen Roman „ Die Drachenwand“ etwa 20.000 Briefe aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gelesen, sehr viele davon im Abfall gefunden.
Aus diesen authentischen Zeugnissen entwickelt Geiger eine Poetologie für sein Schreiben. „ Ein Künstler des Ungekünstelten“ will er sein. Und er habe, wie er überspitzt formuliert, aus Tagebüchern mehr gelernt als aus dem ganzen Proust. Doch ohne Kunst entsteht keine Literatur. Das weiß auch Arno Geiger. „Aber eine Katze, wenn sie auch zehn Kanarienvögel frisst, kann deshalb noch lange nicht singen. Es braucht eine literarische Verwandlung, eine Form, eine Sprache.“

Scham über sein „ Doppelleben“ hat Geiger oftmals empfunden, deshalb wussten davon auch nur wenige. Sein Abtauchen in Altpapiercontainern ließ sich nicht mit seinem „ Selbstbild eines souveränen Künstlers“ vereinbaren. Dass er als gefeierter Autor nie dabei erkannt wurde, verwundert ihn wenig. Wer in Müll wühlt, hat kein Ansehen. „ Und wer kein Ansehen hat, der ist unsichtbar.“

Etwaigen Vorwürfen, dass er durch das Lesen von persönlichen Briefen und Tagebüchern die Privatsphäre anderer verletzt, kommt Arno Geiger zuvor. Durch das Wegwerfen verwandelt sich das Private in Abfall und er macht daraus dann ein Dokument.

Gleichzeitig ist das Buch eine kleine Kulturgeschichte des Abfalls. Im Müll findet sich das kulturelle Gedächtnis. „ Denn in den Müll kommt, was erledigt ist, und in diesem Erledigten gibt eine Gesellschaft Auskunft über sich selbst.“
Im Verlaufe von Arno Geigers Sammlertätigkeit hat sich auch der Inhalt der Papiercontainer verändert. Fanden sich früher vermehrt Liebesromane, so sind heute die Krimis in der Überzahl, statt Zeitungen und Handschriftliches vermehrt Verpackungsmüll, statt Sexhefte Pizza- und Weinkartons.

Arno Geiger hat mit „ Das glückliche Geheimnis“ ein sehr persönliches Buch vorgelegt. Mir gefiel die Mischung aus Privatem und Essayistischem und ich habe diese kluge, unterhaltsame und selbstironische Erzählung sehr genossen. Der Autor wünscht sich, „ dass alle, die das Buch lesen, darin etwas für sie Wichtiges finden.“ Das ist ihm auf jeden Fall gelungen.
von Ruth - 2023-03-23 08:21:00

Schätze aus Altpapier - 4 Sterne

Ein junger Student streicht durch die Straßen von Wien. Immer Montags, immer die gleiche Runde. Er durchsucht Altpapier nach Schätzen, die er lesen, sammeln und auch verkaufen kann.
Dabei verliert er ein wenig sein Ziel aus den Augen, ein Buch zu veröffentlichen.

Ein autobiografischer Roman von und über Arno Geiger. Ein Autor der als junger Student im Altpapier stöberte und sich dafür schämte und auch sein Ziel ein wenig aus den Augen verloren. Er erzählt von seinen Frauenbekanntschaften, von seinen Sommern in Bregenz bei den Festspielen, aber auch von seinem Erfolg als Autor.
Ich bin zwiespältig. Einerseits fand ich es furchtbar langatmig, andererseits konnte ich nicht aufhören zu lesen, weil er einen tolle Schreib- und Erzählstil hat.
Auch erfolgreiche Autoren fangen klein an. Teilweise war es auch sehr ausschweifend. Aber dennoch hat es mich unterhalten können.
von _ich.lese_ - 2023-03-12 19:02:00

Auch schlanke 240 Seiten können sich ziehen - 2 Sterne

Ich war sehr gespannt auf das Buch und habe mich im Vorfeld nicht spoilern lassen. Was wohl der Autor in den Straßen der Stadt gemacht hat? Ein Doppelleben, wie spannend, noch dazu nicht fiktiv.

Tja, Pustekuchen. Es war überhaupt nicht spannend. Das Rätsel wurde umgehend gelüftet, er hat in Altpapiercontainern nach Briefen, Büchern & Co gesucht. Er wird nicht müde, das fortwährend zu betonen. Kommt es nur mir so völlig unspektakulär vor? Das ist das große Geheimnis? Er stellt es auch so dar, dass er dafür von der Gesellschaft schief angesehen wird. Dass dem wirklich so war, war für mich so deutlich nicht ersichtlich.
Es waren Papiercontainer, keine Restmüll- oder Biomüllbehälter, das riesengroße Drama und Geheimnis darum erschließt sich mir nicht.

Die Beziehung zur Freundin und Frau einschließlich stolz erzähltem Sexualleben sowie Auszeichnungen in der Schriftstellerkarriere bekommen noch viel Raum, aber ich las darüber aus der Distanz, ohne dass es mich sonderlich interessierte und auch ohne Tiefgang.

Von dem Buch hatte ich mir mehr erwartete, für mich plätscherte es ohne große Höhen und Tiefen so vor sich hin und ich hätte am liebsten schon nach dem ersten Drittel abgebrochen. Schade.
von Marie aus E. - 2023-03-09 22:12:00

Das glückliche Geheimnis - 5 Sterne

Das neue Buch des österreichischen Schriftstellers Arno Geiger erzählt von einem „glücklichen Geheimnis“. Der Titel allein macht neugierig, diese Seiten zu lesen – und damit zu erkunden, worin nun dieses „Geheimnis“ gründet. Dass die Kenntnis davon zudem „glücklich“ macht, ist ein weiterer Ansporn, dem leichten Ton des Erzählers zu folgen. Überraschend erfahren wir dabei, dass der Autor, der 2005 den deutschen Buchpreis gewonnen hat, viele seiner Inspirationen literarischen Schreibens aus Altpapier-Containern entnommen hat.
Doch sei hier nicht zu viel verraten: Um das titelgebende „glückliche Geheimnis“ zu bergen, ist jeder eingeladen, selbst die Seiten Geigers in die Hand zu nehmen. Wer sich nachdenklich die Frage stellen mag, ob man die schriftlichen Hinterlassenschaften, die andere wegwerfen, für das eigene Schaffen verwenden kann, darf beruhigt sein: Zwar enthüllen die Altpapiere allerlei Privates, doch im Grunde sind sie ein Zeugnis von Menschlichkeit, ein Zeugnis menschlichen Ringens und unmittelbares Leben, das sich offenbart. Und das hat Allgemeingültigkeit: Es ist ein privater Raum, den wir alle teilen. – Ein glückliches Geheimnis unseres Zusammenseins also, dem gleichzeitig etwas Nostalgisches innewohnt: Briefe und Tagebücher auf Papier werden immer mehr zur Seltenheit, da das digitale Zeitalter uns längst eingeholt hat; Festplatten speichern nun unsere Erinnerungen. Wer ließe sich da nicht gerne in eine Zeit entführen, wo Lebenszeugnisse noch haptisch, als greifbar waren, - selbst wenn man, um sie zu entschlüsseln, mit der Hand in einen Altpapiercontainer greifen musste? Arno Geiger bezeichnet sich selbst als „Künstler des Ungekünstelten“ – tatsächlich genial scheint mir die Idee, das zu verwenden, was für die Entsorgung bestimmt ist: Was in den Müll kommt, gilt als erledigt. Doch gerade in dem Erledigten geben wir Auskunft über uns selbst, offenbaren wir unser „Geheimnis“. Und besteht das Glück vielleicht nicht gerade in der Suche danach?
von Katja Hölzl - 2023-03-04 14:23:21

Vom Glück der Berufung - 5 Sterne

Arno Geiger ist für mich einer der österreichischen Autoren, aus dem die Geschichten mit Selbstverständlichkeit und Gewandtheit herauszufließen.
Um so spannender ist es zu erfahren: Auch einer, der sich seiner Berufung zum Schreiben immer bewusst war, muss um Worte ringen und nach Stoffen suchen.
Und das jeder Umweg bereichert, so lange man das Ziel nicht aus den Augen verliert. Was für den Einen nur noch Müll und Belastung ist, bedeutet für Andere Bereicherung , Inspiration und Lebensunterhalt, bedarf es dazu lediglich dem Mut, der eigenen Inspiration zu folgen.
So gibt uns Herr Geiger in seinem autobiografischen Werk auf amüsante Weise Einblicke in die Entstehung seines Schaffens und seinen Blick auf die Welt. Nichts ist selbstverständlich, nichts unmöglich. Vielleicht ist es manchmal Glück, sicherlich ist es aber auch die Fähigkeit, zum glücklich sein.
Mir hat die Lektüre dieses Buches nicht nur viel Spaß gemacht, sondern sie hat mich auch inspiriert meine Umwelt wieder einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Ein Buch, dass Mut macht , den eigenen Ideen zu vertrauen.


von Heike - 2023-02-25 18:32:00

Absolut empfehlenswert! - 5 Sterne

Die Überlebensstrategie eines erfolglosen jungen Autors in der Großstadt Wien, die zur Obsession wird. Die frühmorgendlichen Streifzüge um in Altpapiercontainern zu wühlen bringen ihm nicht nur am Flohmarkt notwendiges Geld sondern auch einen Fundus an Materialien für seine literarische Arbeit. Ich finde die unaufgeregte Sprache, die lakonischen Beschreibungen und die autobiografischen Bezüge einfach großartig. Absolut empfehlenswert!
von HEYNi Christine Klepitsch im Unruhestand - 2023-02-13 10:33:58

Ein offengelegtes Geheimnis - 3 Sterne

Schonungslos und frappierend offen präsentiert und Arno Geiger in diesem autobiografischen Werk eine Antriebsader seines Schreibstils – die 25 Jahre andauernde Runden, bei denen er Altpapiercontainer in Wien und Umgebung auf verwertbares durchstöberte.
Seine „Runden“, die er frühmorgens am Montag drehte, galten ihm in den Anfangszeiten, als Geiger noch ein unbekannter Name in der Literaturszene war, als durchaus willkommene Einnahmensquelle. Doch die Funde, vor allem Tagebücher und Briefwechsel, die er aus den Müllcontainern zog, eröffneten Geiger auch eine andere Sichtweise, eine direktere, persönlichere Sprache und gaben dem „Empathiemonster“ Geiger auch Einblicke in zahllose fremde Leben.
Das Buch fließt Runde um Runde locker in der Geiger eigenen Sprache dahin, der Leser erfährt Details zu Geigers früheren Werken, zu deren Entstehung, deren Ideenfindung, und verfolgt den Autor von der Unbekanntheit zum Licht der heutigen Person Arno Geiger. Erstaunlich offen und verletzlich präsentiert sich Geiger in diesem Werk, in dem er sein Leben detailreich schildert, von Liebesbekanntschaften, der Geschichte der Liebe seines Lebens, K., bis über die Pflege seines zunehmend dement werdenden Vaters und seiner Mutter. Erschreckend ehrlich muten die Einzelheiten an, wenn er anführt, wie seine Mutter, eine frühere Lehrerin, nach einem Schlaganfall mit den Worten kämpft, die in seiner Familie, in Geigers Welt, doch eine so große Rolle spielen.
Während Geiger immer wieder betont, dass die Tagebücher und Briefe ihm unbekannter Menschen einfach nur wertvolle Rohstoffe für sein Werk bedeuten, er in diesem Sinne aber ja keine intimen Geheimnisse offenbaren kann, da er den Menschen hinter den Zeilen ihre Anonymität bewahrt, beschreibt er Personen aus seiner nächsten Umgebung unglaublich detailliert, mit allen Ängsten, Schwächen und Problemen. Hier habe ich als Leser mich zum Teil beschämt gefühlt, auch bei den Schilderungen, wann Geiger mit wem wie häufig Sex hatte. Auf diese Episoden der Geschichte, die mir den Status eines Voyeurs gaben, hätte ich verzichten können.
Spannend hingegen empfand ich die Veränderungen der Umwelt und des Alltags über die Jahre, die Geiger auch aus Sicht des Altpapierdurchstöberers dokumentiert. Weniger Bastelmüll, mehr Versandkartone. Weniger Liebesromane, mehr Krimis und Thriller. Keine Urlaubspostkarten mehr, keine Tagebücher. Plakate von Klimademos, auf die Rückseite eines Kartons für einen Benzinrasenmäher aufgebracht. Der Wandel in Broschüren von Möbelhäusern, in denen keine Bücher mehr in den leeren Regalen zu sehen sind.
Diese Veränderungen geben auch einen Einblick in den Wandel der Gesellschaft, in das Wertesystem, das wir uns vorgeben. Die Lektüre wird aufgelockert durch zahlreiche Zitate, kleine Lebensweisheiten, Denkanstöße, Fundstücke aus dem Altpapier.
Das Buch hat mich nicht nur durch die Parallelen zwischen dem Leben Arno Geigers und meiner eigenen Geschichte tief berührt, und ich habe zwei der Bücher von Geiger, die noch nicht in meinem Regal standen, während der Lektüre bestellt.
von buchstabensuechtig - 2023-02-09 18:37:00

Das Leben sichtbar und verständlich machen - 4 Sterne

In „Das glückliche Geheimnis“ erzählt Arno Geiger, dass er etwa 25 Jahre lang fast jede Woche einmal frühmorgens durch Wien zog und Paper-Container durchsuchte. Er fand große Mengen von Büchern, die er teilweise las, zum Teil weiterverkaufte, in Auktionshäusern, wenn sie wertvoll waren, oder auf Flohmärkten. Er fand auch alte Druckgrafiken, Brief-Konvolute Tagebücher, alte Postkarten und historische Wertpapiere. Anfangs war er als Schriftsteller weder erfolgreich noch bekannt und bestritt damit seinen Lebensunterhalt. Er setzte seine Runden aber auch noch fort, als er sein Roman „Es geht uns gut“ 2005 mit mehreren Buchpreisen ausgezeichnet wurde. Inzwischen schämte er sich nicht mehr dafür, obwohl das Risiko, erkannt zu werden, inzwischen erheblich gestiegen war. Ein Schriftsteller, der kopfüber in riesigen Container hängt und sein Tagewerk verdreckt und oft verletzt beendet, ist schon ungewöhnlich. Dass er sein glückliches Geheimnis nun öffentlich macht, bedeutet das Ende dieser Tätigkeit. Er betrachtet diese Phase seines Lebens als abgeschlossen.
Was hat ihm dieses jahrzehntelange „Containern“ gebracht? Durch die Lektüre von Tausenden von Briefen und unzähligen Tagebüchern erhält er Einblick in verschiedene Milieus, lernt nicht nur private Schicksale, sondern die Menschen allgemein und auch sich selbst besser kennen. Er erweitert seinen Horizont und hat eine nie versiegende Inspirationsquelle. Müll ist also nicht nur ein wiederverwertbarer Rohstoff, sondern auch eine kulturelle Ressource.
Neben seiner sehr speziellen Abfallverwertung behandelt der Autor auch eine Reihe anderer Themen. Der Leser erfährt, wie lang der Weg bis zum erfolgreichen Schriftsteller war. Der Autor porträtiert seine Eltern und sein Verhältnis zu ihnen und schreibt sehr detailliert über seine Frauengeschichten, nicht nur über die Beziehung zu K., der Liebe seines Lebens. Diese Passagen finde ich weniger gelungen, vor allem überwiegend entbehrlich. Ansonsten habe ich das Buch gern gelesen, vor allem wegen der gehaltvollen Umsetzung seines Anspruchs, in der Literatur das Leben sichtbar und verständlich zu machen. Nicht sein bestes Buch, aber lesenswert.
von cosmea - 2023-02-05 18:24:00

Lebenswege - 3 Sterne

Den Autor Arno Geiger kenne ich gar nicht; ich habe mich gefragt ob es interessant sein kann die Lebensgeschichte eines Autoren zu lesen, von dem ich noch gar nichts gelesen habe. Das Geheimnis von dem er erzählt ist, dass er seit seinen jungen Jahren in Wien frühmorgens mit dem Fahrrad die Stadt durchstreift und die Papiercontainer durchsucht. Anfangs nutzt er die gefundenen Bücher um auf dem Flohmarkt ein bisschen Geld zu verdienen.

Er erzählt uns auch über seine Beziehung zu seiner Frau, mit der er schon früh zusammen war. Doch dies war eine sehr streitbare Zeit mit gegenseitigem Fremdgehen. Trotzdem sind die beiden heute noch zusammen. So privates hätte ich wahrscheinlich nicht preisgeben wollen. Die Bedeutung seiner Fundstücke begleiten seine Entwicklung als Autor. Die Erzählung seiner Lebensumstände erläutert er uns parallel zur Schaffenszeit seiner Bücher. Auch das Altwerden und Sterben seiner Eltern thematisiert er.

Zum Schluß hin merkt man wie er die Bedeutung seiner „Runden“ abwägt und wertschätzt und sich daraus das Bedürfnis entwickelt hat, dieses Geheimnis zum Inhalt eines ganzen Buches zu machen. Auch wenn der Schreibstil ansprechend war zog sich die Geschichte für mich ziemlich in die Länge. Es wäre wohl doch interessanter gewesen, ich würde den Autor und seine Bücher kennen.
von BR - 2023-01-28 13:50:00