Rezensionen

Unter dem Sturm
Kriminalroman | Die Nummer 1 aus Schweden

Autor: Christoffer Carlsson

Erschienen 2022 bei Rowohlt TB.
ISBN 978-3-499-00262-5
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Schwedischer Alptraum - 5 Sterne

November 1994. Marbäck, Südschweden. Der marode Hof der Markströms liegt in Flammen und brennt bis auf die Grundmauern nieder. Die Markströms waren nicht zu Hause, also keine großen Umstände machen, wäre da nicht eine verbrannte Leiche in der Asche und wie sich später herausstellt deren 20jährige Tochter Lovisa mit eingeschlagenem Kopf und ohne Rauch in der Lunge. Also: Mord. „Let‘s fetz“.

Nicht so Christoffer Carlsson, Kriminologe und preisgekrönter Autor; ihm geht es vielmehr um die Menschen und den Ort, in dem sie leben. Was macht ein Verbrechen mit den Personen, die das Opfer kannten, was mit einer Gemeinschaft, die bereits den Schuldigen gefunden zu haben glaubt? Er erzählt von einer besonderen Beziehung zwischen einem Onkel und seinem Neffen und einem charismatischen Polizisten, den dieser Fall viele Jahre nicht loslässt und der dabei fast zugrunde geht: Edvard Christensson 25, Isak 8 und der junge Vidar.

Schuldig muss Edvard Christensson sein, Außenseiter und Freund Lovisas, aufbrausend, ein Wüterich. Wenn nach knapp mehr als 100 Seiten die Bewohner und die Polizei schnell, ohne stichhaltige Beweise, einen Verdächtigen gefunden haben und der vermeintliche Mörder zu lebenslanger Haft verurteilt wird, was soll dann noch auf den verbleibenden 340 Seiten geschehen? Carlsson präsentiert uns zwei zusätzliche Romanteile.

Herbst 2004: Isak war 8, als das Verbrechen geschah. Mit Edvard verband ihn eine enge Freundschaft, fast ein Vaterersatz. Nun ist Isak 18, und noch bevor er sich mit seinem neuen Auto zu Tode fährt fegt der Orkan Gudrun über Schweden. Draußen überlebt er, weil er sich „unter dem Sturm“ befindet. Isak glaubt nicht an die Unschuld seines Onkels, vielmehr beschäftigt ihn der Gedanke, dass in ihm selbst die Saat des Bösen aufgehen wird. Als Kleinkrimineller strebt er unaufhaltsam auf eine „self-fulfilling-prophecy“ hin. Vidar hat selbst eine Familie gegründet, behält den Jungen im Auge. Vidar ist von der Schuld Edwards nicht restlos überzeugt, recherchiert ohne polizeilichen Auftrag weiter. Er entdeckt ein Schema einer Einbrecherbande mit Verbindung zu Lovisa. Seine Chefin will Vidar für seine Eigenmächtigkeiten „Manieren“ beibringen. Das „Ende“ Vidars Polizeikarriere „naht.“

Sommer 2017: Isak ist jetzt 31 Jahre alt, mit schwangerer Freundin, da verschwindet er spurlos. Vidar, kein Polizist mehr, begibt sich auf die Suche nach Isak.

Wie das Land, so die Leute. Marbäck hat nichts zu bieten, einen Fluss mit Wasserfall und sonst nur Wald. Die guten Zeiten sind längst vorbei. Papierfabrik geschlossen, nachdem deren Chemie die Fischerei ruiniert hatte, die Eisenbahn stillgelegt, wer kann zieht weg. Gelebter Rassismus, sogar gegenüber Vidars Frau, einer Schwedin, in Schweden geboren, spricht perfekt schwedisch – nur ihre Haut ist nicht schwedisch hell. Vidar und Isak ziehen nicht fort. Warum auch? Sie sind wie dieses Land. Christoffer Carlsson arbeitet sich an Marbäck, seiner Vergangenheit (und seinen Einwohnern) ab.

Der Verlag hat es sich nicht nehmen lassen, die „überaus positiven“ Pressestimmen im Anhang zu veröffentlichen.
von Manfred Fürst - 2024-01-25 18:23:00