Rezensionen

Die Nacht unterm Schnee
Roman | Bestenliste des ORF

Autor: Ralf Rothmann

Erschienen 2022 bei Suhrkamp
ISBN 978-3-518-43085-9
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Die Nacht unterm Schnee - 5 Sterne

Das Buch „Die Nacht unterm Schnee“ ist meines Erachtens eine hervorragende Lektüre: Wie können diejenigen Menschen, die weniger beschädigt sind durch den Krieg, jene verstehen, die maximal beschädigt wurden? In den szenischen Rückblendenden, in denen das Grauen der Mutter beschrieben wird, gelingt es Rothmann, eine Liebe zu skizzieren, die sich nach dem Krieg 1945 mit der Aufarbeitung auseinandersetzen muss. Am Schicksal der 16jährige Elisabeth, Opfer der Vergewaltigung durch Soldaten, wird der Schrecken, die Not sichtbar, aber auch der unbedingte Lebenswille und -mut. „Unterm Schnee“ wird Elisabeth gepflegt - in einem Bunker also, zugedeckt und damit verborgen, und dies dank eines russischen Deserteurs, der sich ihrer annimmt. So wird sie gerettet. Elisabeth überlebt, aber ein Leben lang wird sie diese Erfahrung wie eine offene Wunde in sich tragen., den Schmerz darüber übertönend mit einem Gefühl, nun das Leben voll auskosten zu müssen. Dabei fügt sie aber nun ihrerseits denen, die mit ihr in Berührung kommen, Leid zu. Parallel zu dieser berührenden Geschichte erfahren wir vom Leben der jungen Bibliothekarin Luisa, die immer wieder mit dem Leben vom Elisabeth in Berührung kommt, sie freundschaftlich begleitet, ohne bis ins Innerste des Schmerzes, der Elisabeth quält, vordringen zu können, denn – so das Tschechow- Zitat, das dem Buch vorangestellt ist – „eine fremde Seele, das ist ein dichter Wald“. Gleichzeitig finden wir in diesem ergreifenden, stark mit der Biographie des Autors verwobenen Ereignis einen Weg, um in den „Wald“ (das „Dickicht“ der Anderen) doch Eingang finden zu können, ohne in die Irre zu laufen: Hinweis und Mittel dazu ist derselbe Krieg, also die eigentliche Ursache des Schmerzes, denn „eine Zeit im Krieg, wie vergangen auch immer, ist stets eine schwebende Gegenwart“, wie es im Roman heißt. Wir können uns also diesen „fremden Seelen“ nähern, wenn wir zustimmen, uns mit dieser Zeit, die uns alle angeht, auseinanderzusetzen – sie ist vergangen, aber doch auch auf erschreckende Weise präsent. Sie betrifft uns alle – gerade heute, wo in Europa wieder Krieg wütet. Doch Trost begleitet das Buch, denn trotz des Hungers, der Not, der Vergewaltigung, bleibt am Ende das Bewusstsein: „schön, das war das Leben“. Die Hauptfigur, Elisabeth, ist der Mutter von Ralf Rothmann nachgezeichnet. Der Autor selbst sagt in einem Interview: "Das reservierte Verhältnis zu meiner Mutter neutralisierte sich dann im Laufe der Arbeit, so dass ich am Ende tatsächlich so etwas wie ein Gefühl der Liebe für sie empfand. Was ich nicht für möglich gehalten hätte. Und am Ende der Arbeit tatsächlich dachte, Mensch, bei allem - du warst doch ne tolle Frau." Ein unbedingt empfehlenswertes Buch!
von - 2022-09-22 09:25:20

Nacht unterm Schnee - 5 Sterne

Rothmann schreibt über eine vom Krieg traumatisierte Frau, die ihr Leben in den Griff zu bekommen versucht. Von erlittener Gewalt gezeichnet ist sie bemüht, am neuen Leben nach dem Krieg teilzunehmen. Sprachlich ist das Buch einfach großartig und es portraitiert die Nachkriegsjahre ganz hervorragend. Ich empfehle es, weil... es einen in atemlose Spannung versetzt. - ...es nachfühlen lässt, was die Generation unserer Eltern und Großeltern mitmachen musste und was möglicherweise auch uns mitgeprägt hat. - ...weil es nicht zuletzt durch das augenblickliche Geschehen in Europa erschreckend aktuell ist.
von Gerhard Zach - 2022-09-05 15:46:20