Rezensionen

Tasmanien
Roman | Das Buch, das uns die Gegenwart erklärt

Autor: Giordano, Paolo

Erschienen 2023 bei Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-43132-0
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poetisch, aber hatte andere Erwartungen - 3 Sterne

poetisch, aber hatte andere Erwartungen

Der Wissenschaftler Novelli, ein Freund des Erzählers Paolo, Tasmanien wäre die letzte Rettung - also der letzte Zufluchtsort -> Süßwasserreserven, Temperaturen usw.
Paolo stürzt sich auf Grund privater Gründe in eine Krise - er sucht Antworten auf alle möglichen Krisen, nicht nur für seine eigenen, sondern die Welt betreffend. So viel Verzweiflung.
Der Roman hat leider keinen roten Faden. Er springt hin und her - in Raum und Zeit, in verschiedenen Themen. Ich hatte mir hier inhaltlich definitiv etwas anderes erwartet. Es ist keine leichte Kost - die Sinnkrise von Paolo in Kombination mit den Krisen die die ganze Welt betreffen.
Der Schreibstil jedoch gefällt mir - schön poetisch.
Auch das Cover sagt mir von der Gestaltung her zu.
Mich persönlich hat das Buch schon angesprochen, es war jedoch anders wie erwartet und der rote Faden hat mir gefehlt.
von rassi - 2023-09-17 11:05:00

Zeitgeistig, aber inhaltlich unverbindlich - 3 Sterne

„Tasmanien“ konnte nicht an meine Begeisterung über Giordanos „Den Himmel stürmen“ (2018) anknüpfen. Dieser Roman und „Die Einsamkeit der Primzahlen“ waren für mich eindrückliche Lese- und Hörerlebnisse, was ich über „Tasmanien“ nicht sagen werde.

Ich kann nicht einmal sagen, ob ich „Tasmanien“ für ein gutes Buch halte, zu undifferenziert ist meine Meinung darüber. Es entzieht sich meinem Zugang auf mir ungewohnte und unübliche Weise.

Paolo Giordano schreibt über seine Figur Paolo, die genauso alt ist und einen ähnlichen Beruf hat, wie er selbst. Das lässt mich spekulieren, wie ähnlich Giordano seinem Ich-Erzähler wirklich ist.

Paolo steckt in einer tiefen individuellen und globalen Sinnkrise. Seine Ehe ist am Scheideweg, der gemeinsame Kinderwunsch bleibt unerfüllt.
Klimaveränderungen, Terroranschläge und der unbedingte Zerstörungswille der Menschheit, das sind die globalen Themen, die Paolo beschäfftigen.
Sein einziger Coping Mechanismus: Flucht und Verdrängung. Paolo vermeidet jegliche Stellungnahme und Verantwortung.
Paolos Verhalten scheint mir nicht das eines erwachsenen Mannes, es scheint mir das eines heranwachsenden Kindes.
Das mag alles sehr zeitgeistig sein, ich persönlich kann dieser Erzählart nicht viel abgewinnen. Wahrscheinlich liege ich mit meiner Interpretation daneben, aber mir deucht das schon sehr nach detaillierten Beschreibungen von Vermeidungsstrategien in Kombination mit fragiler Männlichkeit.
Ja, es ist unleugbar ein universales Problem, dass wir uns angesichts unserer privaten und globalen Krisen gerne abwenden und entziehen, doch in Giordanos Bearbeitung des Themas finde ich nichts neues. Zudem ist er mir seiner mutmaßlichen Aussage zu unverbindlich und deutungsoffen. Das sehen die vielen italienischen Leser*innen auf jeden Fall anders, denn „Tasmanien“ gilt als das meistgelesene Buch des vergangenen Jahres.

In den Passagen, in den denen Giordano über die historische Atombombe und seine Entwickler schreibt, spüre ich meine alte Faszination für den Autoren. Sie sind fesselnd und spannend geschrieben und bieten die Parallelen in unsere heutige Zeit deutlich an. Auch handwerklich beherrscht Giordano sein Werkzeug, das wiederkehrende Thema der Wolken (sowohl symbolisch als auch konkret) sowie das allegorische Tasmanien ziehen sich als roter Faden durch den Roman und schaffen so ein anspruchsvollen und literarischen Roman im typischen Giordano Stil.

Ich möchte keine Empfehlung für oder wieder den Roman aussprechen. Meine Enttäuschung ist tu einem gewissen Teil meiner hohen Erwartungshaltung geschuldet und die schwache Ausarbeitung der Themen hat vielleicht seinen eigenen Sinn und Reiz, der mir verschlossen blieb.
von @lust_auf_literatur - 2023-08-31 11:31:00

Haben wir Menschen eine Zukunft? - 3 Sterne


Der Protagonist des neuen Romans von Paolo Giordano heißt Paolo und ist ebenfalls studierter Physiker. Inzwischen arbeitet er allerdings als Journalist und Romanautor. Er ist mit der etwa zehn Jahre älteren Lorenza verheiratet, die einen Sohn aus einer anderen Beziehung hat. Paolos Ehe ist kinderlos und gerät in eine Krise, als seine Frau beschließt, keine weiteren Versuche mit künstlicher Befruchtung mehr zu unternehmen. Der 40jährige Paolo ist unglücklich und muss sich neu orientieren. Er will so wenig wie möglich zu Hause sein. Deshalb reist er zu Veranstaltungen überall in der Welt und berichtet darüber. So ist er zum Beispiel 2015 bei der Klimakonferenz in Paris, wo er seinen Freund Guilio und den Wolkenforscher Jacopo Novelli trifft. Auch Guilio hat nach seiner Scheidung große Probleme, weil er vor Gericht um das Sorge- und Umgangsrecht für seinen Sohn kämpfen muss. Hier soll Paolo aufgrund seiner Beobachtungen eine für ihn günstige Aussage machen.
Vor dem Hintergrund seines privaten Unglücks beschäftigt sich Paolo mit all den Themen, die die Menschen bedrohen: Klimawandel, Terrorakte überall in der Welt, Kriege und nicht zuletzt die atomare Bedrohung. Er arbeitet an einem Buch über die Bombe, d.h. über die im August 1943 von den Amerikanern über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben. Er nimmt deshalb in Japan an den jährlichen Gedenkfeiern zu diesem Anlass teil und wird mit dem Leid der Überlebenden und ihrer Angehörigen konfrontiert. Das trägt nicht gerade zur Aufhellung seiner Stimmung bei. Mit seinem Buch kommt er ohnehin nicht voran. Er leidet unter einer regelrechten Schreibblockade.
Giordano setzt sich in seinem Roman mit gesellschaftlich relevanten Themen wie z.B. mit den Chancen von Männern und Frauen in der Wissenschaft, aber vor allem mit all den aktuellen Bedrohungen auseinander, die die Menschen ängstigen und unsicher machen. Das wirkt sich auch auf den Leser aus, der zwar Kenntnisse hinzugewinnt, sich aber nach der Lektüre fragt, ob die Menschheit eine Überlebenschance hat. Ich halte “Tasmanien“ für ein interessantes und wichtiges Buch, das zu dem neu entstandenen Genre CliFi gehört, wie so viele andere, die gerade erscheinen, z.B. T.C. Boyle, “Blue Skies“.
von cosmea - 2023-08-27 18:00:00

Ein großer Roman - 5 Sterne

Für dieses Buch waren mir die vorgegebenen 3 Wochen Lesezeit zu kurz. Deshalb ist dieser Versuch einer Rezension eben nur ein Versuch. Denn dieses Buch von Paolo Giordano ist irgendwie nicht fassbar, nicht einordenbar und doch zutiefst verstörend. Es ist kein Sachbuch, obwohl viel sachlich Wissenswertes darin zu finden ist. Es nennt sich zwar Roman, aber auch mit diesem Begriff hadere ich, obwohl er per definitionem richtig ist. Fiktionales Nachdenken über die mögliche Zukunft, philosophisches Nachdenken über Gegenwart und Zukunft, also der Spagat zwischen unserem realen Sein und dem fiktiv Denkbaren – nichts weniger als all das wird in der Schilderung des Mannes Paolo vereint.
Paolo ist gerade mal knapp 40, von Beruf Journalist. Dass seine Frau die frustranen Versuche künstlicher Befruchtung einstellt, wird zur Lebenskrise für Paolo. Und so flieht er zur Klimakonferenz nach Paris, spricht mit Fachleuten über klimatische Phänomene und über Terrorismus, er reist um die Welt, um seinem eigenen Leben zu entfliehen und gleichzeitig die Schrecken der möglichen Zukunft zu erdenken.
Das Buch ist in seiner Tiefgründigkeit nicht einfach nur schnell durchzulesen. Immer wieder lohnt es sich, Pausen beim Lesen zu machen und nachzuforschen, wo man selbst gedanklich steht, ob man Paolo folgen kann in seinem Versuch, der Zukunft einen Hoffnungsschimmer zu verleihen oder ob man eher dazu neigt, die Zuversicht zu verlieren aufgrund der drohenden und zu erwartenden Katastrophen. Der treffend schöne Sprachstil erfordert ebenso ein sehr sorgsames, aufmerksames Lesen. Für mich ist „Tasmanien“ ein Buch, das ich immer wieder neu in die Hand nehmen möchte, weil es mich von Mal zu Mal neu dazu herausfordert, mich den existentiellen Fragen zu stellen und mein persönliches Tasmanien zu suchen. Paolo Giordano hat hier meiner Meinung nach einen wirklich großen Roman geschaffen.



von heinoko - 2023-08-08 13:24:00

Bewegend - 5 Sterne

Der Hauptcharakter des Buches "Tasmanien" heißt Paolo. Besagter Paolo ist aktuell Mitte 30 und musste feststellen, dass sich sein Leben und seine Pläne innerhalb kürzester Zeit radikal wandelten. Lange haben er und seine Frau versucht, durch künstliche Befruchtung schwanger zu werden, doch ihr Wunsch nach einem Kind ließ sich nicht erfüllen und mit dem Scheitern ihres Traumes scheint auch ihre Ehe auf der Kippe zu stehen.
Neben den Sorgen in seinem Familienleben, sorgt sich Paolo auch um den Zustand der Welt. Im November 2015, nur wenige Wochen nach den Terroranschlägen in Paris, reist Paolo in die Hauptstadt Frankreichs, um hier die Weltklimakonferenz zu besuchen. Von den Zuständen der Welt und den Zukunftsaussichten berührt, beginnt Paolo zu überlegen, welcher Ort auf der WElt wohl sicher ist und ihm überhaupt eine sichere Zukunft bieten kann. Seine Begleiter empfehlen Tasmanien als diesen sicheren Zukunftsort und Paolo muss sich auf eine Suche und Erkundungsreise machen, um herauszufinden, welcher Ort für ihn infrage kommt.

Der Autor hat hier einen wirklich tiefgehenden Roman geschrieben. Mit einem großartigen Erzählstil geht er hier Zukunftsfragen nach und eröffnet eine wunderbare geschaffene Gefühlswelt seines Protagonisten. Man kann seine Ängste, die Konflikte aber auch die Hoffnungsschimmer nachvollziehen und fühlt sich unglaublich von diesen berührt. Gleichzeitig schafft es der Autor, dass man während des Lesens selbst über den Zustand der Welt und seine eigenen Erwartungen an die Zukunft nachdenkt. Auch die Tatsache, dass Giordano so aktuelle und bedeutende gesellschaftliche Themen ausgewählt und in sein Werk eingearbeitet hat, ist gleichzeitig bedrückend, aber ebenso sehr gut gelungen und macht das Lesen zu einer großen Freude.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass "Tasmanien" ein großartiges Werk ist, in dem große gesellschaftliche Themen behandelt werden. Gleichzeitig führt es zu Denkanstößen und führt dazu, dass man selbst über die Zukunft und seine eigene Bedeutung nachdenkt.
von Karo - 2023-08-07 23:56:00

Chaos auf der Welt, Depression im Herzen - 4 Sterne

Wer erinnert sich noch an den Roman „Die Einsamkeit der Primzahlen“ vor vielen Jahren? Ja, und gefallen? Ja! So, geht es einigen, wenn sie zu dem neuen Werk des Autors Paolo Giordano greifen. Dies hier ist anders und verwegen düster, daher denke ich, dass das Buch eine gespaltene Leserschaft haben wird. Die einen, die einen „Girodano“ erwarten, was auch immer das sein soll und die anderen die sich in dieses depressiv-werden Szenario eindenken können.
Ich finde den Roman auch sehr sehr flüssig und wohlklingend übersetzt von Barbara Kleiner!
Der Ausgangspunkt ist denkbar simpel, ein Journalist der den Namen des Autors trägt Paolo, wird unwiderruflich klar, dass er eines nie sein wird: Vater. Und mit dieser niederschmetternden endgültigen Wahrheit begibt er sich auf eine Suche, nach anderen Wahrheiten, nach anderen Themen über die wir – die Menschheit – glaubten Kontrolle zu haben, aber es doch nie taten. Er tritt eine Reise nach Tasmanien an, so auch der Titel des Romans. Die melancholische Erzählweise und niederschmetternden Themen, die hier angerissen werden wie die Klimakrise, Terroranschläge oder eine journalistische Arbeit über den Atombombenangriff auf Hiroshima zeigt uns mit wie vielen Dingen wir kämpfen, was es zu verarbeiten gilt und zu reflektieren.
Was ich bemerkte und noch kein Resümee gezogen habe, ob es mich sehr stört: Der Roman hat vor allem männliche Stimmen die zu Wort kommen.
Ein sehr gegenwärtiger Roman, der viel in uns aufwühlen kann, wenn wir ihn lassen!
von nil_liest - 2023-08-03 20:42:00