Rezensionen

Zum Paradies
Der Nummer 1 Bestseller aus UK & USA von der Autorin von "Ein wenig Leben"

Autor: Hanya Yanagihara

Erschienen 2022 bei Claassen Verlag
ISBN 978-3-546-10051-9
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Opus 77 - 5 Sterne

Um den Roman, den ich empfehlen möchte, zu lesen, bedarf es in der Tat ein wenig der Muße, um dabei verweilen zu können, denn nicht weniger als drei Jahrhunderte, drei Versionen des amerikanischen Experiments werden vorgestellt. Deshalb der Vorschlag, den Roman im Urlaub, nachdem man den stressigen Alltag hinter sich gelassen hat, zur Hand zu nehmen. Es ist nicht einfach, den umfangreichen, aber spannenden Text in wenigen Worten zu skizzieren … Wir folgen einigen stets wiederkehrenden Personen, in ihrer Position als Liebende, in ihren familiären Konstellationen; wir erfahren auch vom Verlust wie von gesellschaftlichen Utopien. Doch die Mühe lohnt sich: Folgen wir der Autorin durch die vielen Erzählstränge, gelangen wir „zum Paradies“, das dann doch nicht aussieht, wie wir es erwartet hätten. Darum lädt das Buch zum Nachdenken ein, was wir denn mit diesem Begriff „Paradies“ füllen möchten? … Eine Frage, die nicht beantwortet wird, die aber in den Raum gestellt wird – dem Leser oder der Leserin zutrauend, die richtige Antwort für sich selbst zu finden.
Das Buch beginnt im Jahre1893, in einem Amerika, das anders ist, als wir es aus den Geschichtsbüchern kennen: New York gehört zu den Free States, in denen die Menschen so leben und so lieben, wie sie es möchten – so jedenfalls scheint es. Ein junger Mann, Spross einer der angesehensten und wohlhabendsten Familien, entzieht sich der Verlobung mit einem standesgemäßen Verehrer und folgt einem charmanten, mittellosen Musiklehrer.
Der zweite Teil spielt im Jahre 1993, in einem Manhattan im Bann der AIDS-Epidemie: Ein junger Hawaiianer teilt sein Leben mit einem deutlich älteren, reichen Mann, doch er verschweigt ihm die Erschütterungen seiner Kindheit und das Schicksal seines Vaters Der letzte und dritte Teil katapultiert uns ins Jahr 2093, in eine von Seuchen zerrissene, autoritär kontrollierte Welt: Die durch eine Medikation versehrte Enkelin eines mächtigen Wissenschaftlers versucht, ohne ihn ihr Leben zu bewältigen – und herauszufinden, wohin ihr Ehemann regelmäßig an einem Abend in jeder Woche verschwindet. Drei Teile, die sich zu einer aufwühlenden, einzigartigen Symphonie verbinden, deren Themen und Motive wiederkehren, nachhallen, einander vertiefen und verdeutlichen: Ein Town House am Washington Square. Krankheiten, Therapien und deren Kosten. Reichtum und Elend. Schwache und starke Menschen. Die gefährliche Selbstgerechtigkeit von Mächtigen und von Revolutionären. Zwischen den Zeilen finden wir die Sehnsucht nach dem irdischen Paradies – und die Erkenntnis, dass es nicht existiert. Und all das, was uns zu Menschen macht: Angst. Liebe. Scham. Bedürfnis. Einsamkeit.
Jedes Buch endet mit dem Satz „zum Paradies“ und erinnert an „Dantes Commedia“. Besonders erschütternd ist der dritte Teil, in dem die Autorin die Ausnahmesituation während der uns noch immer verfolgenden Corona-Pandemie reflektiert: Sie zeigt auf, wie problematisch es sein kann, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse unsere Leben umgestalten und wagt die Frage, wie weit man gehen darf, ohne die Freiheit des/der Einzelnen zu sehr zu beeinträchtigen. Es ist kein leichtes, aber ein gewinnbringendes Buch für diesen Sommer, den wir als einen von Krisen geschüttelten erleben. Doch die Hoffnung bleibt: Sind wir denn nicht alle auf der Suche nach einem Miteinander, das „zum Paradies“ führen kann? – Vielleicht nicht so, wie wir es uns vorstellen, aber so, dass jeder darin Platz findet und wir gemeinsam darin leben können.
von - 2022-08-03 14:02:38

Das Paradies als Trugbild - 4 Sterne

"Und dann gehe ich los...an denselben Ort, an den Du hoffentlich gegangen bist, und ich werde nicht stehen bleiben, ich werde nicht rasten müssen, nicht ehe ich nicht den ganzen Weg gegangen bin...den ganzen Weg zum Paradies."

(Zitat aus Zum Paradies,  Pos. 6298)

Zum Paradies war mein erstes Buch von Hanya Yanagihara, eine Autorin, die ich mir auf jeden Fall merken werde. Hanya Yanagihara erzählt in 3 Episoden über Liebe, Familie, Krankheit, Verlust, Hoffnung und der Suche nach dem irdischen Paradies. Diese Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte epochale Werk und doch sind die 3 Geschichten nur sehr vage miteinander verknüpft. Mehrfach habe ich während des Lesens versucht die Zusammenhänge zu erfassen, habe auf den großen Aha-Effekt gehofft und dass mich die Erkenntnis einholt. Das war aber leider nicht der Fall, was auch mein größter Kritikpunkt ist. Und dennoch konnte ich das Buch nur schwer zur Seite legen.

Hanya Yanagihara hat mich mit ihrem unglaublich intensiven, sehr einnehmenden Schreibstil gefesselt.  Sie schreibt sehr ausschweifend und detailliert und sie lässt sich viel Zeit. Ihre Kunst ist es selbst belanglose Dinge und Ereignisse so zu beschreiben,  dass sie beim Lesen wichtig und spannend erscheinen.

Die Autorin nimmt uns auf eine Reise mit, die 3 Jahrhunderte umfasst; in die Jahre 1893, 1993 und 2043 bzw. 2093. Auf dieser Reise lernen wir David, Charles, Peter und Edward kennen, deren Leben in einem Haus aus Washington Square zusammenlaufen. Die Namen wiederholen sich in jedem Jahrhundert, es sind allerdings immer andere Persönlichkeiten bzw. Schicksale die dahinter stehen. Hier hätte ich mir eine eindeutiger erkennbare Verbindung gewünscht und nicht nur Namen, die sich überschneiden.

Mich hat besonders der erste Abschnitt beeindruckt. Es ist das Jahr 1893 und man hat natürlich eine gewisse Vorstellung davon. Doch schnell wird klar, dass Hanya Yanagiharas 1893 anders ist. Ein unabhängiger Teil der USA hat sich zum Freistaat ernannt. Ein scheinbares Paradies, in dem gleichgeschlechtliche Ehen vollkommen natürlich sind. Dieses Bild der alternativen Realität hat mich fasziniert. Es hat aber auch zum Nachdenken angeregt.

Leider konnte die zweite Geschichte hier nicht mithalten, da sie für meinen Geschmack dann doch zu viele Längen aufgewiesen hat.

Die dritte Geschichte hat mich wieder richtig begeistert, angesichts ihrer erschreckenden Aktualität. Es ist hier ein dystopisches Szenario, das Hanya Yanagihara zeichnet. Amerika ist unter staatlicher Kontrolle und schlittert von einer Pandemie in die nächste. Von dem scheinbaren Paradies zu Beginn ist nichts mehr übrig. Eine Erkenntnis macht sich breit: Die Suche nach dem irdischen Paradies ist vergeblich.

Fazit

Liebe, Familie, Sehnsucht, Hoffnung, Krankheit, Verlust und Trugbilder!

Zum Paradies hat mich beeindruckt, auch wenn mir nicht alles gefallen hat. Ich hätte mir insbesondere eine stärkere Verbindung zwischen den drei großen Abschnitten gewünscht. Die Motive und Themen kehren zwar in allen drei Geschichten wieder, der große Aha-Effekt ist aber ausgeblieben.









von April1985 - 2022-04-10 18:09:00

Zum Paradies - 5 Sterne

Uff. Nach fast 900 Seiten in kürzester Zeit bin ich etwas platt und ziemlich sprachlos. Wie auch schon mit „Ein wenig Leben“ hat es Hanya Yanagihara mit ihrem neuesten Roman „Zum Paradies“ geschafft, mich für ein paar Tage aus meiner Welt in ihre zu katapultieren.
Zur Handlung möchte ich gar nicht viel sagen, da diese so komplex und verschachtelt ist, dass eine Zusammenfassung entweder total nichtssagend werden oder den Rahmen dieses Buchtipps sprengen würde. Eigentlich hat Yanagihara drei Romane bzw. Erzählungen in ein Buch gepackt, und eigentlich und ganz ehrlich hätte mir der dritte Teil, der umfangreichste, auch gereicht.
Vielleicht liegt es daran: Der erste Teil spielt 1893, der zweite 1993. Und auch wenn diese Vergangenheiten zwar anders sind als die Vergangenheit, die wir kennen bzw. im Geschichtsunterricht usw. gelernt haben, so ist es doch Vergangenheit. Der dritte Teil jedoch spielt in den Jahren 2043 bis 2093 und zeigt eine Zukunft, die man sich mittlerweile vorstellen kann, und die schon jetzt einen Teil unserer Gegenwart abbildet.
Ganz klare Leseempfehlung von mir!
von Maxie Bantleon - 2022-02-22 18:32:55

Beeindruckendes und außergewöhnliches Buch - 5 Sterne

Mit ihrem neuen, fast 900 Seiten umfassenden Werk hat Hanya Yanagihara einen Roman geschrieben, der sicherlich für viele Diskussionen sorgen wird.
Das Buch besteht aus drei unterschiedlichen Büchern, die sich auf eine Zeitspanne zwischen 1893 und 2093 erstrecken.
 
"Washington Square"
Im ersten Buch wird die 220 Seiten umfassende, im Jahre 1893 in den Freien Staaten spielende Geschichte von David Bingham erzählt, der bei seinem Großvater Nathaniel in New York lebt. Dieser hatte nach dem Tod der Eltern die Kinder David, John und Eden aufgenommen. Mittlerweile ist John mit Peter verheiratet, Eden mit Eliza, beide haben ihre eigenen Haushalte und Kinder.
 
Auf Veranlassung des Großvaters soll der 28jährige David mit Charles Griffith, einem 41jährigen wohlhabenden Geschäftsmann, verheiratet werden. Charles ist Witwer eines Lehrers, der 9 Jahre zuvor an Krebs starb.
 
David ist Vorsitzender der wohltätigen Stiftung des Finanzinstitutes seines Großvaters und unterrichtet ehrenamtlich Kunst in einem Waisenhaus. Dort lernt er den neuen Musiklehrer Edward Bishop, der in sehr ärmlichen Verhältnissen lebt, kennen und verliebt sich in ihn. Während einer längeren Abwesenheit von Edward - dieser lässt trotz seiner Ankündigung nichts von sich hören - trifft David sich häufiger mit Charles, der aus seinem Interesse für ihn keinen Hehl macht.
 
Nach Edwards Rückkehr berichtet dieser David von einem lukrativen Angebot in Kalifornien und bittet David, ihn dorthin zu begleiten. Davids Großvater hat in der Zwischenzeit Erkundigungen über Edward eingezogen und konfrontiert seinen Enkel mit dessen Vergangenheit. 
 
 
"Lipo-wao-nahele"
Dieses Buch umfasst 228 Seiten und ist in zwei Teile gegliedert.
 
Im ersten Teil erzählt die Autorin die Geschichte des 25jährigen Rechtsanwaltsgehilfen David Bingham, der heimlich mit dem 30 Jahre älteren Charles Griffith liiert ist, einem New Yorker Anwalt. Wir schreiben das Jahr 1993, und Charles ist damit beschäftigt, für seinen krebskranken Freund Peter ein Abschiedsessen zu organisieren. David unterstützt ihn bei den Vorbereitungen und erinnert sich dabei an die Zeit, als er Charles kennenlernte und an ihr bisheriges gemeinsames Leben. Ihr Leben ist geprägt von Aids, sie müssen viele Freunde beerdigen, und auch Charles hatte ihm kurz nach der ersten Begegnung eröffnet, dass er HIV-positiv ist.
 
Im zweiten Teil des Buches steht Davids Vater Wika im Mittelpunkt. Er ist sehr krank, lebt in einem Pflegeheim und erzählt in der Ich-Form von seiner Kindheit auf Hawaii, den dortigen politischen Verhältnissen, der komplizierten Familiengeschichte und seinem Freund Edward, der sein Leben immer wieder kreuzte. 
 
 
"Zone Acht"
Dieses Buch, das fast 450 Seiten umfasst, schildert die Erlebnisse der jungen Charlie im Jahr 2093. Sie lebt in einer durch ihren Großvater arrangierten Scheinehe mit einem Homosexuellen. Charlie lernt anlässlich ihrer wöchentlichen Besuche bei einem Geschichtenerzähler den geheimnisvollen David kennen, der ihr eines Tages erzählt, weshalb er den Kontakt zu ihr suchte.
Die Schilderungen über Charlies Leben werden unterbrochen durch Emails, die ihr Großvater Charles an seinen Freund Peter schrieb, der in Neubritannien lebt. In diesen Emails schilderte er ausführlich sein Leben mit seinem Ehemann Nathaniel, seinem Sohn David und der Enkelin Charlie während einer Zeitspanne von 2043 bis zu seinem Tod.
 
In diesem dritten Buch leben die Menschen in einem Überwachungsstaat. Ziel ist es, die Pandemien zu bekämpfen, die alle paar Jahre neu auftreten. Es gibt kaum Bücher, kein Fernsehen, kein Internet, niemand darf das Land verlassen, ständige Kontrollen erschweren den Alltag. Die Lebensmittel sind rationiert, ebenso das Wasser, es gibt Coupons, mit denen Lebensmittel gekauft werden können. Gegen die Hitzeperioden schützen die Menschen sich mit speziellen Kälteanzügen.
 
Das anspruchsvolle Buch ist außergewöhnlich und hat mich sehr beeindruckt. Es ist in wunderbarem Sprachstil geschrieben und hat mich bis zum Ende gefesselt. 
Die Autorin zeichnet im dritten Teil des Romans ein sehr deprimierendes Horrorszenario auf, das vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie noch lange auf mich nachwirken wird.

Unbedingte Leseempfehlung!
von Bücherfreundin - 2022-02-17 18:21:00

Drei Geschichten, drei Jahrhunderte - 4 Sterne

1893, New York. Ein junger Mann, Sohn einer angesehenen Familie, löst sein Verlobung um Musiker zu werden. Sehr zum Missfallen seiner Familie und seiner Verlobten.
1993, Manhattan. Aids ist auf seinem Vormarsch. Ein junger Man aus Hawaii lebt mit einem deutlich älteren Mann und verheimlicht seine Vergangenheit.
2093, eine Welt voller Kontrolle. Die Enkelin eines Wissenschaftler ist auf der Suche nach der Wahrheit.

Drei Jahrhunderte, drei verschiedene Geschichten. Alle durchaus spannend, aber auch ein wenig verwirrend.
Im Prinzip hatte ich was anderes erwartet. Es waren eigentlich drei Gesch die für mich nichts miteinander zu tun haben. Völlig unterschiedlich, die erste und die dritte fand ich noch ganz interessant, die zweite war nicht so ganz meins, die fand ich sehr langatmig.
Mir blieb glaub ein bisschen der Durchblick und sie konnte mich nicht ganz überzeugen. Ich hätte gern nur die letzte, die dystopische, gelesen.

Manchmal ist weniger mehr - 2 Sterne

Wo fängt man an bei einem Roman, der eigentlich aus drei größtenteils unabhängigen Geschichten besteht? Vielleicht genau damit, denn das war es, was mein Gefühl beim Lesen geprägt hat. Zwischen den einzelnen Geschichten liegen jeweils hundert Jahre, sie spielen alle auf dem amerikanischen Kontinent und behandeln alle Themen wie Homosexualität, Armut vs. Reichtum, Krankheit, Sehnsucht. Was mir aber gefehlt hat, ist eine wirkliche Verbindung, die über die thematische hinausgeht. Ja, es gibt einige wenige Anspielungen auf den möglichen Fortgang der jeweils anderen Geschichten, aber im Großen und Ganzen bleiben ihre Enden mehr als offen. Erwartet hatte ich eine Handlung, die sich über drei Jahrhunderte erstreckt, stattdessen musste ich mich gleich dreimal auf völlig neue Geschichten einlassen, die sich in ihrer Weitschweifigkeit verlieren.

Dabei macht Yanagihara durchaus deutlich, dass sie schreiben kann. Die Figuren und ihr Schicksal werden einfühlsam beschrieben, ihr Leid in allen Facetten geschildert - und doch habe ich bis zur dritten Geschichte gebraucht, um mich darauf einlassen zu können. Erst hier wurden die Protagonist*innen für mich greifbarer, erst hier konnte ich mich in sie hineinfühlen und mit ihnen hoffen. Sicherlich hat dazu auch die spannende bis beklemmende dystopische Grundstimmung beigetragen, die hier vorherrscht; in den beiden vorherigen Teilen hat mir diese Spannung größtenteils gefehlt. Gerade die zweite empfand ich über weite Strecken als sehr anstrengend, was das Weiterlesen manches Mal zur Überwindung gemacht hat.

Meine Kritik besteht hauptsächlich in der für meinen Geschmack zu losen Verknüpfung und der darunter leidenden, fehlenden Tiefe der Charaktere und Handlung(en). Ich frage mich, ob es wirklich notwendig war, drei Geschichten in ein Buch zu packen? Meiner Meinung nach nicht unbedingt.
Insgesamt ein Roman, den man lesen kann, aber nicht muss - mich hat er eher weniger überzeugt.
von Anna625 - 2022-02-08 06:46:00

Das Haus am Washington Square - 4 Sterne

Mit "Zum Paradies" hat die Autorin ein episches Werk mit fast 1000 Seiten vorgelegt. Es wirkt fast ein bisschen einschüchternd, aber wenn man zu lesen beginnt, erscheint es gar nicht mehr so mächtig.

Das Zentrum des Buch bildet das Haus am Washington Square, das durch die Jahrhunderte mehr oder weniger das selbe bleibt. 1894 liegt es in einem florierenden Freistaat und sein Besitzer ist ein berühmter Bankier und Mitbegründer des liberalen Landes. Er zieht seine Enkelkinder groß und möchte sie gut verheiratet sehen. Gleichgeschlechtliche Ehen sind normal und werden üblicherweise arrangiert. Doch David, das Sorgenkind möchte außerhalb seines Standes sein Glück finden.

Hundert Jahre später finden wir uns in einem New York, wie wir es kennen und das Haus wird bewohnt von einen ungleichen Paar - ein älterer Advokat und sein Partner ein junger, mittelloser Hawaiianer. Die homosexuelle Szene ist eingeschüchtert von der Krankheit. HIV dominiert die Sorgen und Nöte und viele Freunde der beiden sind erkrankt oder bereits gestorben.

Und weitere hundert Jahre später befinden wir und in einer dystopischen Welt, die durch Pandemien und die Klimakrise in eine Diktatur geführt wurde. Das Haus am Washington Square ist nun ein Mehrparteienhaus. Lebensmittel und Wasser sind rationiert, Information gibt es nur mehr vom Staat und Freiheit ist ein Fremdwort, an das sich nur noch die ältere Generation erinnert.

Damit wir dieser Entwicklung folgen können, erzählt uns die Autorin die Geschichte dazwischen in einem Briefroman. In wechselnden Kapiteln lesen wir vom Aufbau dieses Terrorregimes, in das die Gesellschaft durch den Schutz vor Krankheiten "gerutscht" ist. Zu spät haben die führende Köpfe erkannt, wohin ihre Maßnahmen führen.

Dieser dritte Teil ist sicher der stärkste Teil des Buches. Wir finden Vieles wieder, das uns ängstigt, wenn wir an die Zukunft denken. Und dieser Teil ist auch der spannendste! Spätestens ab hier, kann man das Buch kaum mehr aus der Hand legen.

Jetzt stellt sich mir die Frage, warum man diese ganzen Vorgeschichte braucht, um diesen dystopischen Roman zu lesen. Die Verbindungen zwischen den Teilen sind recht lose. Man kann keine Verwandtschaftsbeziehungen entdecken, obwohl sich die Namen ständig wiederholen. In allen Teilen heißen die Protagonisten gleich. Es finden sich immer Davids und Charles' und Nathaniels die Bingham oder Griffith heißen. Das stiftet Verwirrung und stößt immer wieder die Frage an, warum?

Ist es ein Hinweis auf Charakterzüge? Auf Wiedergeburt? Auf den ewigen Kreislauf? Ich kann es ehrlich nicht beantworten. Vielleicht ist es auch einfach nur ein Spleen der Autorin. Mangelnde Kreativität kann es definitiv nicht sein, denn der Roman beweist das Gegenteil. So eine Geschichte muss man sich erst einmal ausdenken können. Alle drei Zeiten strotzen vor Ideen und manchmal sind die Beschreibungen der Umgebung, des Alltags etwas ausufernd.

Das ist auch meine einzige Kritik an diesem Werk, das mich mehrere Tage lang ausgezeichnet unterhalten und zu Diskussionen mit anderen Leser*innen angeregt hat. Es wirkt nach. Deshalb empfehle ich es allen, die sich an ein seitenstarkes Buch heranwagen!
von Miro76 - 2022-02-06 08:45:00

Dein Paradies ist meine Hölle - 5 Sterne

Stellt euch vor die Vergangenheit wäre anders gelaufen. Wie würde die Welt heute ticken? Stellt euch vor, dass das Leben in 1893 schon komplette Gleichberechtigung der Geschlechter hervorgebracht hätte. Was für eine Vorstellung! Genauso startet Hanya Yanagihara neuster Roman „Zum Paradies“. Wir tauchen ins Jahr 1893 ein, sind in New York am Washington Square. Technologisch ist die Zeit entsprechend unseres eigenen Wissensstands, aber die gesellschaftliche Akzeptanz ist einen andere in Bezug auf gleichgeschlechtliche Ehen und Gleichberechtigung. Großartig wie die Autorin diesen einen Aspekt der gesellschaftlichen Ordnung dreht und das Leben wäre ein anderes gewesen. Dies ist nur EIN Aspekt dieser Lektüre.
Strukturell tauschen wir in diesem Buch in drei verschiedene Zeiten ab. Erst zieht es uns ins Jahr 1893, in dem der obige Aspekt verändert wird. Im zweiten Abschnitt sind wir im Jahr 1993 und mitten in der Aids-Krise in New York, dort wohnen wir einer Party bei, eher ein Abschied der und mit voller Wucht trifft. Der zweite Teil des zweiten Teils (keine Sorge es klingt alles wirrer als Hanya Yanagihara es inszeniert hat!) spielt auf Hawaii mit einer tiefen Vater-Sohn Auseinandersetzung und zugleich mit der Auseinandersetzung der hawaiianischen Geschichte. Der abschließende dritte Teil beschäftigt sich mit dem Jahr 2093. Hier erleben wir was wiederkehrende Pandemien und Naturkatastrophen aus der Welt gemacht haben. Ein erschütterndes Bild einer totalitären Welt zeigt sich hier.
Was die drei Teile verknüpft ist der Ort des Geschehens, immer wieder Washington Square in New York City, auch wenn es 2093 nur noch Zone 8 heißt. Die zweite lose Klammer sind Namen der Charaktere (David und Charles) und auch ein paar wenige Überschneidungen und Bezüge auf die Vergangenheit.
Ein wirklich beeindruckender Roman, der lange nachklingt. Hanya Yanagihara schreibt so unfassbar greifbar. Ich habe so manches körperlich gespürt, was bei weitem nicht immer die besten Gefühle waren. Als Leser:in leidet man mit und begreift was es heißt in dieser Situation zu sein. Ich muss auch noch oft an das Buch denken.
Fazit: Jede Zeit hat seine Herausforderungen und das Paradies ist und bleibt eine Utopie.
von nil_liest - 2022-02-04 09:00:00

Provokativ und zum Nachdenken anregend - 5 Sterne

Zum Paradies ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt, besonders während des Buches III über eine Pandemie, die seit über 50 Jahren andauert und dieser Teil des Buches war für mich wirklich aussergewöhnlich, dass ich nicht aufhören konnte zu lesen.
Zum Paradies ist auch ein Buch über Einsamkeit, Was es bedeutet, allein zu sein und wie wichtig die Idee von einem Zuhause und Familie und Sehnsucht nach Freiheit und Glück ist. Es vereint das Beste aus Yanagihara’s ersten beiden Romanen – Unzufriedenheit mit der Wissenschaft, vielschichtige Beziehungen zwischen Männern, Ausbeutung der Ureinwohner gepaart mit einer poetischen und melancholischen Sprache.
Die ersten beiden Bücher sind sehr dicht, das letzte ist grosszügiger und ausdehnender. Es fühlt sich auch wie Yanagiharas bisher persönlichster Roman an, es gibt hier eine Menge hawaiianischer Geschichte zu finden. Es fühlte sich auch aktueller als alles an, was sie vorher geschrieben hatte, es ist offensichtlich ein Roman über Pandemien, aber es fühlte sich frisch an, durchdacht.
Bemerkenswerterweise hat Zum Paradies mehr Frauen als ihre früheren Romane, obwohl sie immer noch keine Handlungsmacht haben, obwohl sie im Zentrum der Erzählung stehen. Ich mag es aber, dass sie es nicht erzwingt und sich an das hält, was sie am besten kann, und trotzdem in der Lage ist, ihr Schreiben neu zu erfinden.
Ich habe auch das Gefühl gehabt, dass es ihr erster Roman ist, in dem sie sich eindeutig mit homosexuellen Beziehungen auseinandersetzt. Alles in allem eine herzzerreissende Ode an die Macht der Liebe und ein passender Abschluss dieses majestätischen Werkes.
von eleisou - 2022-01-28 19:50:00

Eine Geschichte, die man nicht vergessen kann - 5 Sterne

Aufgeteilt in 3 Sektionen, die 1893, 1993 und 2093 spielen, ergeben sich 3 verschiedene Geschichten, die sich jedoch teilweise überschneiden: das gleiche Manhattan-Brownstone am Washington Square Park wird von Charakteren aus allen drei Sektionen besetzt, ebenso wie die Charaktere, die die gleichen Namen wie die der vorherigen Sektionen haben. Für mich waren die gleichen Namen, die in jedem Abschnitt verwendet wurden, sowohl verwirrend als auch irgendwie vereinigend, um die Geschichte voranzubringen. 1893 wird Amerika in die freien Staaten, die Kolonien und den Norden geteilt. 1993 wird während der AIDS-Epidemie dargestellt und 2093 ist eine Zukunft, in der aufeinanderfolgende Pandemien und der Klimawandel zu totalitärer Herrschaft geführt haben.
Die Suche nach Liebe zu sich selbst und zu den geliebten Menschen ist durch die drei Jahrhunderte hindurch ein ständiges Thema geblieben. Yanagiharas wunderschöne künstlerische Prosa erforscht und erklärt menschliche Emotionen in Abwechslung von Sätzen und Formulierungen, die mich immer wieder dazu brachten, Sätze zu wiederholen, nur um immer wieder die tiefen Empfindungen zu erfahren, die ich empfand, als ich ihre Beschreibungen von Angst, Einsamkeit, Opfer und Liebe las.
Auf 704 Seiten schildert Yanagihara die sich wandelnde soziale, politische, ökonomische und ökologische Welt mit ihren vielfältigen Aspekten von Hoffnung, Toleranz, Heuchelei und Scheitern. Der letzte Teil war nicht leicht zu lesen, solange die aktuelle Pandemie andauert; das Szenario erschien mir viel zu real. Doch ich konnte das Buch nicht weglegen, weil die Brutalität der Situation von 2093 auch so schön menschlich gemacht wurde. Mit den letzten Absätzen des Romans schloss ich das Buch mit einem inneren Gefühl, das ich noch nie erlebt hatte, als ich ein Romanwerk beendet hatte.
Eine Geschichte, die man nicht vergessen kann.
von bibliofreund - 2022-01-23 23:45:00