Rezensionen

Eine Liebe, in Gedanken
Roman

Autor: Kristine Bilkau

Erschienen 2018 bei Luchterhand Literaturverlag
ISBN 978-3-630-87518-7
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Lesehighlight für mich - 5 Sterne

Der Lebemensch Toni stirbt nach schwerer Krankheit, die sie schon länger an ihre kleine Wohnung gebunden hat und lässt ihre mittlerweile selbst etwas ältere Tochter zurück, die in Erzählungen, Geschichten und der Vergangenheit von ihrer Mutter schwelgt. Dabei nimmt sie die große Liebe von Toni zu Edgar auseinander und versucht das Leben ihrer Mutter vor ihrer eigenen Geburt und somit auch die zwischenmenschlichen Beziehungen besser zu verstehen...

Dieses Buch ist in zwei Erzählebenen geschrieben. Einerseits begleiten wir die Tochter in der Gegenwart, die sich mit dem Tod ihrer Mutter Toni zurechtfinden muss und zum anderen begleiten wir Toni im zarten Alter von Mitte 20 als sie Edgar kennengelernt und ihr Herz an ihn verloren hat. Aus diesen beiden Geschichten, die in kurze Kapital gegliedert sind, flicht die Autorin geschickt einen Blick auf Tonis leben, die teilweise auch ineinander übergehen. Die Sprache ist sehr ruhig, aber in diesem Stil teilweise poetisch (ohne anstrengend zu sein) und sehr berührend und fesselnd. Das Buch lässt sich sehr schnell lesen und bin ich schon nach 35 Seiten in die Geschichte hineingekippt.

Auch der Umstand, wie gut die Autorin die 60er Jahre gezeichnet hat, in denen wir Toni als junge Frau begleiten ist beeindruckend. Dieses Buch gibt die Rolle der Frau samt allen Erwartungen sowie Einschränkungen der damaligen Zeit sehr gut wieder und wirkt die Erzählung daher authentisch. Weiters bedient sich die Geschichte auch versteckten Gegenüberstellungen, Unterschieden und Vergleichen der Leben und Verhaltensweisen von Mutter und Tochter, was meiner Meinung nach wirklich klug ausgeführt wurde.

Für mich handelt es sich bei diesem Buch um ein absolutes Lesehighlight dieses Jahres und hat mich schon länger kein Roman mehr derart ergriffen und beschäftigt. Ich würde es jederzeit weiterempfehlen und freue mich daher 5 Sterne vergeben zu dürfen.

Eine Liebe und das ganze Leben - 4 Sterne

Toni und Edgar scheinen ein Traumpaar zu sein. Toni ist etwas unkonventionell, abenteuerlustig, unabhängig und lebensfroh. Edgar ist davon fasziniert und findet in Toni seiner Meinung nach die perfekte Partnerin, die er bewundert für ihre Eigenschaften, ohne sie selbst zu teilen. Lange führen beide ein scheinbar perfekte Beziehung. Doch Edgar will sich nicht binden, während Toni nichts dagegen hätte. Von Toni dazu ermutigt, tritt Edgar schließlich einen Außenhandelsposten in Hongkong an. Toni soll nachkommen, sobald Edgar sich etabliert und eine Wohnung gefunden hat. Doch ein Jahr lang wartet Toni Monat um Monat und löst schließlich die Verlobung. Rund 50 Jahre später fragt sich Tonis Tochter, die gerade ihre Mutter beerdigt hat und die von ihrer Mutter viele Geschichten über Edgar und die Zeit mit ihm gehört hat, ob ihre Mutter nun gescheitert ist oder ein glückliches, und vor allem das Leben, das sie gewollt hat, geführt hat.

Bilkau zeichnet sehr menschliche Figuren, die einem sehr lebensnah erscheinen. Welches Kind kennt es nicht, dass es den "alten Geschichten" der Eltern wenig Aufmerksamkeit schenkt, weil es nicht interessiert und immer wieder die alten "Kamellen" sind. Auch Tonis Tochter ärgert sich letztlich, nicht genau hingehört zu haben, Details vergessen zu haben und damals nicht begriffen zu haben, welche Gefühle ihre Mutter bewegten. Dennoch war Edgar für sie immer wie ein Schatten, der das Leben ihrer Mutter begleitete. Nun rollt sie die Geschichte anhand der Unterlagen und Briefe ihrer Mutter wieder auf und versucht zu verstehen, was damals passiert ist und ob ihre Mutter einen Abschluss finden konnte oder ewig von den Ereignissen beeinflusst wurde. Es wird nicht besser dadurch, dass Edgar nicht weit entfernt ein Sommerhaus hat und jedes Jahr für eine kurze Zeit in Tonis Nähe wohnt. Nun muss Tonis Tochter ihn, einen für sie völlig Fremden, der ihr aufgrund der Geschichten doch so unendlich vertraut erscheint, bei seinem nächsten Aufenthalt über Tonis Tod informieren. Wie wird er es aufnehmen? Wie wird er sie aufnehmen? Und wird sie von ihm Antworten bekommen? Nicht nur all diese emotionalen und gedanklichen Vorgänge zeichnet Bilkau glaubhaft und nachfühlbar nach, sondern sie fängt auch die Aufbruchsstimmung der 1960er sehr plastisch ein. Die ganze Geschichte über wird einem Edgar nie ganz sympathisch, blitzt doch auch bei ihm immer wieder das damalige Frauenbild durch. Auch wenn er von Tonis Art, Ungezwungenheit und Selbstbewusstsein fasziniert ist, maßt er sich doch immer wieder an, Dinge von ihr fernzhalten und für sie zu entscheiden. Auf die Frage beispielsweise, warum er sie nicht direkt mit nach Hongkong nimmt, antwortet er, das sei nichts für eine Frau und so, wie er momentan lebe, könnte sie nicht leben und würde es ihr nicht gefallen.

"Eine Liebe, in Gedanken" ist eine emotionale Geschichte, die völlig ohne Kitsch und Pathos auskommt. Sie ist nicht rosarot und zuckerwattesüß, sondern realistisch, bodenständig, bittersüß und voller unterschwelligem Herzschmerz. Mir hat die Geschichte gut gefallen, hat mich hineingezogen und mitfühlen lassen, auch wenn sie vielleicht nicht so nachhallt und zum Nachdenken anregt, wie manch andere. Es ist dennoch ein gelungenes Buch über die Wege, die das Leben geht und die Entscheidungen, die wir, mal zum Besseren, mal zum Schlechteren, treffen oder die für uns getroffen werden und mit denen wir uns irgendwie arrangieren (müssen).
von anushka - 2018-04-25 22:57:00

Wunderschön erzählt - 5 Sterne


Manchmal liest man ein Buch und mag es sehr und kann hinterher gar nicht genau sagen, wieso eigentlich. So ging es mir ein bisschen bei „Eine Liebe, in Gedanken“. Aber ich werde versuchen, meine Gefühle in Worte zu fassen. Doch zuerst zum Inhalt:

Die Ich-Erzählerin hat gerade ihre Mutter verloren, sie ist alleine in ihrer Wohnung gestorben, sie hat sie gefunden. In Gedanken führt sie noch Gespräche mit ihr. Die Erzählerin ist selbst gerade in einer Phase des Umbruchs, denn ihre eigene Tochter ist erwachsen und wird bald ausziehen. Das ist die Rahmenhandlung, doch der eigentliche Star des Buchs ist die Mutter: Toni, Antonia Weber. Das Buch erzählt uns ihre Geschichte. Es sind die 1960er Jahre, sie ist von zu Hause ausgezogen und genießt ihre Freiheit, auch wenn sie nur zur Untermiete in einem Zimmer wohnt. Sie ist eine selbstbewusste junge Frau und als sie eines Tages auf der Straße von einem Mann angesprochen wird, ob sie eine Tasse Kaffee mit ihm trinken will, lässt sie ihn erst einmal warten. Als er nach einer halben Stunde immer noch da ist, hat er den Test bestanden und Toni verliebt sich in ihn. Dieser Mann, ihre erste große Liebe, Edgar Janssen, wird ihr Schicksal sein und auch im hohen Alter wird sie noch an ihn denken.
Selbst ihre Tochter (die ihn nur aus den Erzählungen der Mutter kennt) denkt oft an ihn und beschließt sogar, sich mit ihm zu treffen.



Wenn man den Klappentext des Buches gelesen hat (der mehr verrät als meine Inhaltsangabe), dann kennt man eigentlich schon die ganze Handlung des Buches. Lohnt es sich denn dann trotzdem noch, es zu lesen? JA! Und warum? Es ist ganz wunderbar erzählt. Schon nachdem ich die Kennenlern-Szene zwischen Toni und Edgar gelesen habe, war ich ganz verliebt in das Buch. Edgar ist etwas schüchtern und geht ängstlich an das Leben ran, ganz anders als die unbekümmerte Toni. Es ist schön, die junge Liebe in der 60er Jahren zu begleiten. Als man sich noch Briefe geschrieben hat und eine Beziehung fast zwangsläufig aufs Heiraten zusteuerte. Man leidet mit Toni, die ihrer Zeit eigentlich voraus ist, die gerne Karriere machen möchte und Reisen und die die Pille nehmen möchte, die sie zur damaligen Zeit aber noch nicht bekommt.
Und zwischendurch treffen wir immer wieder die Tochter, die das große Rätsel im Leben der Mutter nicht los lässt: Edgar Janssen.

Ein sehr berührendes Buch, sehr schön zu lesen, ich habe jede Seite genossen. Schon der Debütroman der Autorin Kristine Bilkau („Die Glücklichen“) hat mir sehr gefallen und ich freue mich auf weitere Bücher von ihr.

Eine Leseempfehlung an alle, die auch die „leiseren“ Bücher mögen.
von TanyBee - 2018-03-14 10:26:00