Rezensionen

Nebenan
Roman - Shortlist Deutscher Buchpreis 2022

Autor: Kristine Bilkau

Erschienen 2022 bei Luchterhand Literaturverlag
ISBN 978-3-630-87519-4
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Nachbarschaft - 4 Sterne

Astrid ist Ärztin. Ihr Mann ist bereits in Pension, die Kinder sind ausgezogen und im Nachbarhaus wohnt auch seit geraumer Zeit niemand mehr. Einst war ihre Nachbarin ihre beste Freundin, doch die Umstände haben die beiden Frauen entzweit.

Julia ist Ende dreißig und mit ihrem Mann frisch aufs Land gezogen. Sie wünscht sich sehnlichst eine Familie, aber mit der Schwangerschaft klappt es einfach nicht. Sie hat einen Keramikladen in der Kleinstadt eröffnet, doch ihre Geschäfte laufen hauptsächlich übers Internet. Der Onlinehandel floriert und sie ist nicht auf Laufkundschaft angewiesen.

Beide Frauen haben eine eigenwilliges Verhältnis zu ihrem Nebenan. Bei Julia ist die Familie plötzlich verschwunden und das lässt sie nicht los. Sie versucht zu verstehen, was da passiert sein könnte. Liegt ein Verbrechen vor, oder sind die Leute einfach ausgezogen?

Bei Astrid ist ihre ehemals beste Freundin wieder aufgetaucht und es ist schwierig für die beiden Frauen wieder irgendwo anzuknüpfen.

In abwechselnden Kapiteln lesen wir von diesen beiden Frauenleben mit ihren Sorgen, Ängsten und Freuden, die ihren Alltag prägen. Dabei werden diverse Themen wie Umweltschutz, Stadtentwicklung, das Innenstadtsterben der Kleinstädte, unerfüllter Kinderwunsch oder alternative Lebensformen angesprochen. Ganz nebenbei fließen diese gewichtigen Themen in den Text ein und zeigen ein aktuelles Bild des Dorflebens mit all seinen Facetten.

In schlichter Sprache lässt uns die Autorin an den Gefühlen dieser beiden Frauen teilhaben. Wir erkennen Probleme und Sorgen wieder. Dieser Roman könnte in meiner Nachbarschaft angesiedelt sein.

Die wechselnden Kapitel machen den Roman abwechslungsreich, aber es dauert relativ lange, bis die Handlung vorangetrieben wird. Die lange Einleitung fand ich etwas mühsam. Doch dann verdichtet sich die Geschichte, die Protagonistinnen werden aktiver und sehr gut gefallen hat mir, wie sie sich annähern.

Ich habe den Roman sehr gerne gelesen. Das alltägliche an dieser Geschichte hat mir gut gefallen, doch für den 5. Stern fand ich es anfangs zu langatmig.
von Miro - 2022-11-27 11:05:00

Verhalten erzählter, ruhiger Roman - 3 Sterne

Kristine Bilkaus dritter Roman hat es auf die Short-List des Deutschen Buchpreises 2022 geschafft. Für mich ein wenig überraschend, da der Roman so betont ruhig und unspektakulär ist.
Der Roman überträgt wenig Handlung dafür Stimmungen und zeigt einen Zustand.
Es gibt 2 Protagonistinnen, Julia und Astrid, beide sind sensible Frauen und realistisch wirkende Figuren, sie sind aber auch irgendwie verschlossen. Beide ihre Handkungen werden nebeneinander erzählt, sie begegnen sich kaum.

Die 30jährige Julia ist erst vor kurzen aus der Stadt aufs Land gezogen und hat einen starken Kinderwunsch, der sich bisher nicht erfüllt.
Astrid ist die Dorfärztin, 60, eine starke Frau, aber plötzlich wird sie anonym bedroht.
Die Situation ist eigentlich spannend, aber es bleibt doch verhalten.

Ein ruhiges Buch, bei dem ich lange Zeit ratlos war, was ich damit nun anfangen soll.
Dennoch ist das Buch gut geschrieben und es ist kein schwaches Buch, dazu gibt es zu viele gelungene Passagen.
von yellowdog - 2022-09-21 09:49:00

Roman mit Tiefgang - 5 Sterne

Nebenan erzählt von zwei Frauen, Julia und Astrid, die sich nur flüchtig kennen, jedoch beide Nachbarinnen einer Familie in einer Kleinstadt sind. Scheinbar ist die Familie weggezogen, weil deren Haus verlassen wirkt. Der Postkasten geht über und im Garten wuchert es. Schaut man jedoch zum Fenster rein, wirkt es, als ob sie einfach weggefahren wären, wie wenn sie auf Urlaub sind. Viele Kleinigkeiten liegen noch herum. Eine Mandarine am Tisch, mittlerweile verschimmelt, und in der Küche steht noch Geschirr.

Jede der beiden Frauen macht sich so ihre eignen Gedanken, was mit der Familie passiert sein könnte oder ob sie eh vielleicht wiederkommen, weil weder waren Möbelpacker da noch hat sich die Familie verabschiedet.

Wir begleiten die beiden Frauen in deren eigenen Leben. Julia, die mit ihrem Mann Chris erst vor kurzem hierhergezogen ist, deren sehnlichster Wunsch ein Kind ist, was aber einfach nicht klappen will. Astrid, die als praktische Ärztin arbeitet und sich Gedanken darüber macht, dass sie bald in Pension gehen möchte. Ihr ganzes Leben wohnt sie schon hier in der Kleinstadt. Ihr Mann, Andreas, der vor kurzem in den Ruhestand ging, muss sich erst im neuen Alltag zurechtfinden.

Was in der Geschichte passiert ist nichts Großes, sondern alltäglich und doch versteht es Kristine Bilkau, im Alltäglichen genau hinzuschauen und sin die Tiefe zu gehen. Genau das machen auch die Protagonistinnen und die gesamte Geschichte, mit einer feinsinnigen Sprache, zu etwas Besonderem.
von Nicole Koppandi - 2022-07-03 19:48:00

Nebenan oder nebenher? - 5 Sterne

Kristine Bilkau ist ein großartiges Portrait zweier durchschnittlicher Frauen gelungen. Der Roman ist ganz gegenwärtig und durch die Normalität der oberflächlichen Betrachtung, erscheint es uns als ob wir die eine oder die andere schon getroffen hätten. Wir arbeiten uns in beiden Figuren voran, tauchen ab und lernen peu á peu was in ihnen vorgeht.
Da ist Astrid, Anfang 60, Landärztin und tief verwurzelt in diesem kleinen Nest am Nordostseekanal. Eine glückliche Ehe mit 3 Kindern, sie steht mit beiden Beinen fest im Leben, resolut und anpackend. Aber mit der Zeit merken wir Leser:innen, dass sich da doch was tut im Inneren, wenn viele verschwinden aus dem Ort, die eigenen Kinder sich nicht mehr melden. Ihre Sorgen keimen auf.
Die andere Protagonistin ist Julia, 38 Jahre alt. Erst kürzlich in den Ort gezogen mit ihrem Partner Chris und mit einem Kinderwunsch, der sich bisher nicht erfüllen ließ. Beide gehören in die achtsame Welt der Umweltretter und wollen ihren Teil dazu beitragen, dass die Welt für die nächsten Generationen ein besserer Ort wird. Sie eröffnet einen Keramikladen im Nachbarort, aber wäre doch gerne mit ihren Sehnsüchten alleine.
Es ist bereits der dritte Roman der Hamburgerin Kristine Bilkau und Schreiben gelingt ihr! Es liest sich wunderbar leicht und hat trotzdem diese Tiefen. Es gibt nicht nur das eine Thema, hier werden Fragen aufgeworfen, hier wird gedacht und die Charaktere reiben sich (meist an sich selbst).
Ich habe den Roman als ausloten von Grenzen empfunden, wann wird kümmern zu einmischen? Wann ist es in einem kleinen Ort aufeinander achten und wann ist es schon Voyeurismus? Vor allem auch das Hinterfragen von Plänen, die für das eigenen Leben gemacht werden, stand im Mittelpunkt des Textes. Hält man strickt an ihnen fest oder sollte man die Zügel auch mal lockern um wieder atmen zu können? Und zu guter Letzt war natürlich ein Kernelement der Strukturwandel auf dem Land in den kleineren Ortschaften spürbar und wirft auch Fragen des gesellschaftlichen Miteinander auf.
Fazit: Vielschichtig, kontrastreiche Lektüre - Absolut lesenswert!
von nil_liest - 2022-05-09 11:56:00