Rezensionen

Weil da war etwas im Wasser
Roman

Autor: Kieser, Luca

Erschienen 2023 bei PICUS VERLAG GmbH
ISBN 978-3-7117-2137-2
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Ein großes Tier, kein Ungeheuer. - 5 Sterne

Die Liebe zum Riesenkalmar des Autors Luca Kieser schlägt sich in seinem Roman wieder mit dem er auf der Longliste zum Deutschen Buchpreis 2023 landete. Eine allumfassende Konstruktion, die sich mit der Frage beschäftig wie man über ein Wesen erzählt, dass uns als Mensch ferner nicht sein könnte. Er nimmt die tierische Perspektive ein ohne die eigenen Ängste zu projizieren. Gar dekonstruier er solche, wie sie durch den weißen Hai bekannt sind.
Er schreibt über die Andersartigkeit des Tintenfischs. Die Geschichte wird erzählt von einer Riesenkalmarin, aber nicht aus der Gesamtheitssicht, sondern aus der Sicht jedes einzelnen Armes.
Im Grunde sind wiederum drei Erzählstränge im Roman eingebettet, zum einen gibt es da den Trawler in der Antarkis, dem dieser Riesentintenfisch ins Netz geht. Dann gibt es eine künstlerische Beschäftigung mit dem Kalmar und ein dritter Kontext ist eine Familie im Jahr 1829.
Der junge Autor Luca Kieser, ein studierter Philosoph und Sprachkünstler, nutzt viele literarische Formen wie Tagebuch oder Chronik. Dadurch bekommt der Text auch einen ganz eigenen Sound. Auch das Element der Fußnoten wird Teil des Textes, wenn die Arme sich widersprechen. Ein wirklich neugedachter Text.
Ein abgefahrener toller Roman! Lesenswert in jedem Fall, auch wenn Hintergrundwissen an der einen und anderen Stelle von Vorteil ist.
von nil_liest - 2023-11-05 20:20:00

Faszinierend - 5 Sterne

Eine Riesenkalmarin berührt mit ihren Armen ein Tiefseekabel – und die Arme beginnen zu erzählen. Das alleine klingt schon fantastisch genug, oder?

Tatsächlich ist der Roman dann anders, als ich erwartet hatte. Die Arme, ein Kalmar hat zehn davon, zwei zu Tentakeln entwickelt, erzählen nämlich nicht nur ihre Geschichte bzw. die ihrer Kalmarin, sondern auch die verschiedenster Menschen. Jeder Arm hat seinen eigenen Namen, es gibt den Armen Arm, den Hehren Arm, usw., sein eigenes Wesen und eine eigene Geschichte, die er erzählt, wobei diese immer mehr ineinandergreifen. Besonders gut haben mir die Fußnoten gefallen, die nicht etwa – nur – Erklärungen oder ähnliches liefern, sondern auch davon berichten, wie sich die Arme gegenseitig ins Wort fallen und zu ihren eigenen Geschichten locken wollen.

Ich habe mir sehr früh im Roman erst einmal Wissen über Kalmare angelesen, einfach, damit ich manches besser verstehe. Zunächst gibt es auch viel über das Tier zu erfahren, später dann immer mehr über die Menschen. Menschen allerdings, die in irgendeiner Weise mit Kalmaren zu tun haben, so z. B. Jules Verne, in dessen Roman „20.000 Meilen unter dem Meer“ ein solcher vorkommt, der aber auch noch eine andere Beziehung hat. Oder Peter Benchley, der nicht nur über einen Hai geschrieben hat. Und dann gibt es noch Sanja, die auf einem Krillfangschiff in der Antarktis unterwegs ist, hier u. a. kommt auch das Thema Klima zum Tragen. All dies und noch viel mehr ist irgendwie miteinander verbunden. Wie der Autor das alles in seinen Roman packt und entwickelt, finde ich ebenfalls sehr faszinierend.

Sicher ist der Roman nicht einfach zu lesen, man muss schon aufmerksam sein, und vielleicht auch ein bisschen Wissen mitbringen, allerdings nichts, was man nicht leicht recherchieren könnte. Ich hatte mir zwar mehr „Unterwasser“ erhofft, letztlich bin ich dennoch zufrieden mit dem Roman, auch, wenn ich noch manche Frage hätte. Dass nicht alles beantwortet wird bzw. das eine oder andere offen bleibt, ist aber sicher Absicht, und nicht nur ich werde noch ein bisschen länger über den Roman nachdenken.

Luca Kiesers Roman hat mich fasziniert und mich auf gewisse Weise gepackt. Man braucht zum Lesen Aufmerksamkeit und sollte offen sein für Unerwartetes. Ich bin gespannt darauf, mehr von dem jungen Autor zu lesen.
von PMelittaM - 2023-10-20 17:24:00

Weil da war etwas im Wasser - 5 Sterne

Ein Tintenfisch als Erzähler, der die Abfolge der einzelnen Erzählstränge gleich der Bewegung seiner Arme managt. Eine Geschichte legt sich vor die andere, wird wieder zurück gezogen, macht einer völlig neuen Platz. Definitiv ein experimenteller Text, der etwas Aufmerksamkeit und Konzentration bedarf. Hat man sich jedoch einmal damit zurecht gefunden wird das Buch zu einer ganz besonderen Lesefreude. Sprachlich ausgefeilt, ökologisch-kritisch und im Kern vor allem eine Beleuchtung unterschiedlichster Menschenleben, meist vereint durch seltsame und doch nur allzu authentische Neurosen. Eine ungewöhnliche, sehr interessante Lektüre, die letztlich ein sehr stimmiges Gesamtbild ergibt. Anspruchsvoller Lesetipp!
von Christina Welser - 2023-09-19 12:21:43

Ganz besondere Erzählweise - 5 Sterne

Wo fängt man an bei einer Geschichte, die eigentlich nicht nur eine einzige Geschichte ist, sondern gleich ein ganzes Geflecht? Die sieben Generationen in der Zeit zurück und tausende Meter tief bis auf den Grund des Ozeans reicht? Die mit jedem Satz klarer erkennen lässt, wie sehr alles mit allem (und zwar wirklich ALLES mit ALLEM) verbunden ist?

Vielleicht fängt man tatsächlich am besten dort an, wo auch der Text selbst beginnt: bei den acht Armen eines Riesenkalmars. Denn während dieser durch die Weltmeere schwimmt, sind es seine Arme, die ein Eigenleben entwickeln und gemeinsam dieses Geflecht an Geschichten erzählen. Und darin geht es um Sanja, die während eines Praktikums auf einem Frosttrawler nicht nur nach Krill, sondern vor allem auch sich selbst sucht; um Dagmar, die für einen Geheimdienst arbeitet und in der Antarktis stationiert ist; um Minenarbeit, Deutschland zur NS-Zeit, die Entstehung des Weißen Hais, häusliche Gewalt, ja selbst um Jules Vernes. Und dazwischen gibt es immer wieder alle möglichen kulturellen Verweise, es geht um Nachhaltigkeit, Leben in der Tiefsee, Umweltschutz, Beschneidung, transgenerationale Traumata. Sogar um Peter Wohlleben und Omega-3-Fettsäuren.

Ist das viel? Ja.
Ist das manchmal anstrengend? Ja.
Lohnt sich das? Ja!

"Weil da war etwas im Wasser" ist kein Roman zum Einfach-Weglesen. Man muss dranbleiben, man muss mitdenken, vielleicht das ein oder andere googeln. Und doch wird es weder langweilig, noch verlieren sich die zahlreichen Fäden einfach im Nirgendwo. Alles ist verbunden, auch dadurch, dass die unterschiedlichen Handlungsstränge selten am Stück erzählt werden, sondern sich abwechseln, teilweise ineinander eingebettet sind, sich gegenseitig ebenso auslösen wie erklären. Das zeigt auch der ständige, unterhaltsame "Kampf" der Arme darum, wer jetzt eigentlich mit dem Erzählen dran ist.

Fast fühlt man sich ein bisschen wie in einem RPG, wenn in den Fußnoten (ja, es gibt Fußnoten!) mal wieder einer der Arme darauf verweist, dass man doch jetzt bitte endlich seine Geschichte lesen möge, dazu einfach auf Seite XY vorblättern, danke, bis gleich.

Der Roman ist gleichermaßen humorvoll und ernst, hat einen gewissen Sachbuchcharakter und lässt gleichzeitig ganz tief eintauchen (ich musste einfach!) in die Leben seiner Protagonist:innen. Manchmal fragt man sich, worum genau es gerade eigentlich geht, wo die Geschichte gerade ist und wie sie dort hingekommen ist; aber das macht nichts, weil schon bald darauf alles wieder Sinn ergibt und sich die losen Enden verknüpfen. Was am Ende bleibt, ist keine stringente Geschichte, sondern etwas Rundes, ein Stück... ja, was? Zeit? Materie? das zusammenhängt, obwohl es aus vermeintlich vollkommen inhomogenen Bestandteilen zusammengesetzt ist. Das bringt es vermutlich alles nicht wirklich auf den Punkt, aber besser erklären kann ich es nicht. Lest am besten einfach selbst.
von Anna625 - 2023-09-08 20:47:00

Außergewöhnliche Leseerfahrung - 4 Sterne

Der Roman "Weil da war etwas im Wasser" ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Sei es die ungewöhnliche Erzählweise, der Romanaufbau oder die unterschiedlichsten Protagonisten und Erzählungen. Es geht um einen Riesenkalmar, der von einem Krillfänger gefangen wird und Sanja, die auf dem Schiff als Praktikantin arbeitet und sich um sie kümmert.

Gern hätte ich mehr aus der einzigartigen Sichtweise eines Tintenfisches gelesen, dessen acht benannte Arme, um die Aufmerksamkeit des Lesers konkurrieren. Die Erzählweise ist nicht nur faszinierend, sondern auch (heraus)fordernd und abschweifend bis unangenehm überraschend. Die Erzählungen verlieren sich, landen in Rückblenden, Mythen, vom „Weißen Hai“ bis Walt Disney und ergründen, woher die Angst kommt. Hier schließt sich der Kreis zum Buchtitel, hier wird die sprachliche Kraft deutlich, die sich in vielen Ansätzen präsentiert. Ganz vielfältig ist der Versuch einer Erklärung, das Vermitteln ganz unterschiedlicher Botschaften: Aufgeschlossenheit, Schamgefühle und eine neue Betrachtungsweise. Sehr gut hat mir auch die aktive Möglichkeit des Lesens gefallen und die einnehmende Erzählweise, die Tagebucheinträge, eine Familienstammbaum, Anmerkungen und Verweise. Lediglich mehr Tiefe hätte ich mir gewünscht, statt zahlreicher Andeutungen. Wenn man sich darauf einlassen kann, ist "Weil da war etwas im Wasser“ unheimlich gut und lädt zum erneuten lesen ein.
von La Calavera Catrina - 2023-09-02 17:00:00

Das Leben eines Riesenkraken als roter Faden für einen Roman - 3 Sterne

Im Picus Verlag erscheinen immer wieder Romana, die mich überraschen und begeistern, deshalb habe ich immer ein Auge auf seine Neuerscheinungen. Bei diesem Roman hat mich vor allem auch das Cover angesprochen und das Thema: Kraken. Welch spannende Tiere.
Der rote Faden, der sich durch das Buch zieht, ist auch die Geschichte einer Riesenkrakin. Sie kommt in Kontakt mit einem Tiefseekabel, wird gefangen, freigelassen, verändert ihre Farben, kommuniziert. Und was das wirklich spannende an diesem Roman ist, dass ihre einzelnen Arme als Erzählstimmen zu Wort kommen. Dieser Teil ist auch wirklich gelungen.
Dazwischen ranken sich die Lebensgeschichten der Nachfahren eines Seefahrers, der viel früher in Kontakt gekommen war mit einem Riesenkraken, sich von diesem Schock nie erholt.
Es ist oft schwer zu wissen, in welcher Geschichte man sich befindet, die vielen Lebensgeschichten ziehen sich auch, es ist nicht einfach, die Zusammenhänge zu behalten.
Dazu kommen noch Episoden aus dem Leben verschiedener Autoren, die alle nur beim Vornamen genannt werden, u.a. ist Peter Benchley, der Autor von „Der weiße Hai“ dabei, denn in einem seiner Romane ging es ebenfalls um eine Riesenkrake.
Der Roman ist gut recherchiert, der Teil rund um die Riesenkrakin und ihre Arme gefiel mir hervorragend. Dazwischen rankten sich aber zu viele andere Geschichten, damit zog sich die Lektüre etwas.
Ein Roman mit Stärken, der mich aber nicht zur Gänze überzeugen konnte. Ich freue mich trotzdem für Autor und Verlag, dass er auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht!
von Petris - 2023-08-25 16:18:00

Ansichen eines Kopffüßers - 3 Sterne

Ein Riesenkalmar (Architeuthis dux) wird von einem Fischereiboot gefangen. An Bord ist Sanja, die ihn mit der Hand berührt und eine Verbindung mit dem Tier spürt. Sie begleitet ihn auf das Forschungsschiff, auf dem er wissenschaftlich untersucht werden soll.
So ein Kalmar kann über zehn Meter lang werden. Er hat acht Arme, und jeder dieser Arme besitzt ein eigenes Gehirn. Durch einen Zusammenstoß mit einem Tiefseekabel erlebte der Kalmar dieser Geschichte eine Belebung und Bewusstwerdung seiner Arme. Dieses Tier besteht aus acht verschiedenen Einzelwesen, die durch Berührung Informationen aufnehmen und miteinander reden.
Sie erzählen die Geschichte von Sanjas Familie und schildern, dass schon einer von Sanjas Vorfahren Kontakt mit einem solchen Meeresungeheuer hatte. Erst nach fünf Generationen ist dieses angsteinflößende Erlebnis in der Familiengeschichte einigermaßen bewältigt. Doch Kalmare leben nur wenige Jahre. All diese Geschichten, auch wenn sie schon Jahrhunderte alt sind, entnehmen die Krakenarme den Berührungen mit anderen Wesen und geben sie hier wieder. Und sie erzählen noch viel mehr. So kommen Jules Verne vor, Peter Benchley und Steven Spielberg. Aber auch Geschichten vom Leben im tiefen, nachtschwarzen Ozean und von Begegnungen mit Walen und einem anderen Kalmar berichten die Arme.
Das ist eine sehr seltsame, eigenartige Angelegenheit. Das Erleben und Empfinden eines so fremdartigen Wesens nachzubilden, ist eine Aufgabe für einen gut recherchierenden Schriftsteller. Es zu genießen ist nicht jedermanns Sache. Das Wiedererkennen einiger Berühmtheiten hilft, sich zurecht zu finden, aber vielleicht wäre weniger Länge leichter zu verdauen gewesen. So sind es zu viele Einzelgeschichten, die zu wenig zusammenhängen. Das Ganze erscheint oft etwas wirr. Die menschlichen Nebenfiguren sind sehr unterschiedlich und alle etwas oberflächlich. Doch der Kalmar wird dem Leser durchaus vertrauter. Was für ein faszinierendes Tier!
von Krani - 2023-08-20 20:08:00