Rezensionen

Frag nach Jane

Autor: Marshall, Heather

Erschienen 2023 bei Arche Verlag AG, Raabe + Vitali
ISBN 978-3-7160-0000-7
Rezension verfassen

Frag nach Jane - 5 Sterne

Heather Marshalls beeindruckender Roman „Frag nach Jane“ handelt von drei Frauen – Evelyn, Nancy, Angela – und spielt auf drei verschiedenen Zeitebenen, wobei sich die Wege der Frauen zum Ende hin kreuzen.

„Ihre Mutter telefonierte, Pater Richard kam zum Tee, und die Entscheidung, sie nach Sankt Agnes zu schicken, war getroffen, noch ehe der Priester um eine zweite Tasse Orange Pekoe bitten konnte.“
Im Jahr 1960 ist die Scham der Familie Taylor über die verzweifelte Lage ihrer Tochter zu groß, und so wird die junge Evelyn – schwanger und unverheiratet – nach Sankt Agnes, das Heim für ledige werdende Mütter geschickt – ungefragt und gegen ihren Willen.
Dort soll das Kind in einem möglichst diskreten Umfeld zur Welt kommen und danach an ein adoptionswilliges, ehrbares Ehepaar vermittelt werden, während Evelyn nach der Entbindung noch drei Monate im Haus bleiben wird, um ihre Schulden für Kost und Logis abzuarbeiten. Im Anschluss kann sie mit möglichst unbeflecktem Ruf in den Schoß ihrer Familie zurückkehren…
Jahre später wird Evelyn eine der wenigen Gynäkologinnen in Toronto sein, die neben ihrer normalen Arbeit heimlich und unter größter Gefahr illegale Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Evelyn ist ein Teil des geheimen Jane-Netzwerks.

„Jane. Telefonieren Sie rum. Fragen Sie nach Jane, so lange, bis Sie bekommen, was Sie brauchen… Sagen Sie einfach nur, Sie sind auf der Suche nach Jane.“
1979 begleitet die siebzehnjährige Nancy ihre Cousine zu einer illegalen Abtreibung, die unter entsetzlichen Umständen vorgenommen wird und bei der Clara beinahe verblutet.
Dieses Erlebnis schockiert Nancy so nachhaltig, dass auch sie einige Jahre später als Helferin zu den „Janes“ kommt.

1917 findet die Antiquarin Angela in einem Marmorkästchen einen jahrealten Brief, der seine Empfängerin augenscheinlich nie erreicht hat. Es ist der Brief einer Mutter, die ihrer Tochter endlich sagen möchte, dass sie als Baby adoptiert wurde. Angelas Neugier ist geweckt und sie beginnt nachzuforschen…

Schwangerschaftsabbrüche wurden in Kanada erst mit dem 28. Januar 1988 legal.
Vorher durften Abtreibungen nur dann durchgeführt werden, wenn eine Fortsetzung der Schwangerschaft Leben und Gesundheit der Frau gefährden würde. „Die Parameter dieser ‚Gesundheit‘ wurden von einem voreingenommenen und lachhaft kaputten System vorgegeben, das von Männern erdacht wurde.“
Die allermeisten Frauen, die eine Schwangerschaft beenden lassen wollten, waren also gezwungen, diesen Eingriff illegal und unter oftmals höchst zweifelhaften Umständen über sich ergehen zu lassen – bei dubiosen Pfuschern, unter entwürdigenden Bedingungen und in einem fragwürdigen hygienischen Rahmen – viele haben den Abbruch nicht überlebt.
Um den Bedarf zu decken und den Frauen eine sichere Abtreibung unter einer angemessenen ärztlichen Versorgung zukommen zu lassen, existierten deshalb heimliche Netzwerke.

Auf den ersten Blick ist das Thema Abtreibung das vorherrschende Thema in diesem Roman, aber das stimmt so nicht. „Frag nach Jane“ ist ein Buch über Mutterschaft. Es ist ein Buch über den Wunsch, Mutter zu sein, und den Wunsch, keine Mutter zu sein, und über alle Graubereiche dazwischen.

„Es geht um den schmalen Grat, auf dem sich viele Frauen irgendwann in ihrem Leben bewegen, zwischen der Angst, schwanger zu werden, und der Angst, nicht schwanger zu werden, obwohl man schwanger werden will.“

Vor allem aber handelt Heather Marshalls Buch von Frauen, die einander in ihren individuellen Entscheidungen und den daraus resultierenden Konsequenzen beistehen und sich gegenseitig unterstützen.

Für mich ist „Frag nach Jane“ eines der besten Bücher in diesem Jahr!






von Maxie Bantleon - 2023-10-05 17:15:20

Auch im 21. Jahrhundert in vielen Ländern immer noch ein Thema - 5 Sterne

1988 wurde in Kanada der Schwangerschaftsabbruch endlich entkriminalisiert. Dieser Roman schildert eindringlich Frauenschicksale der 60er/70er Jahre, das Schicksal schwangerer junger Mädchen, die in Heime gezwungen wurden, die unter Druck die Einwilligung zur Adoption geben mussten. Eine spannende Handlung rund um ein illegales Abtreibungsnetzwerk, ein Roman der nahegeht.
von HEYNi Christine Klepitsch im Unruhestand - 2023-09-12 14:10:30

Aufwühlender Roman über ein wichtiges Thema - 5 Sterne

In ihrem Debütroman "Frag nach Jane", in dem es um das zentrale Thema Selbstbestimmte Mutterschaft geht, erzählt die kanadische Autorin Heather Marshall in drei Handlungssträngen, die am Ende zusammengeführt werden, die Geschichte dreier Frauen.

Toronto 1960: Die junge Evelyn Taylor erwartet von ihrem verstorbenen Verlobten ein Kind. Sie wird von ihrem Vater in das Sankt Agnes-Heim gebracht, einem Heim für ledige Mütter, das von Nonnen geführt wird. Dort macht man ihr klar, dass ihr Kind nach der Geburt an ein Ehepaar zur Adoption gegeben wird. Evelyn erlebt eine traumatische und leidvolle Zeit im Heim, ist Schikanen ausgesetzt und sämtlicher persönlicher Freiheiten beraubt. Später absolviert sie ein Medizinstudium. Neben ihrer Tätigkeit als Hausärztin hilft sie verzweifelten Mädchen und Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind. Sie führt Schwangerschaftsabbrüche durch und schließt sich dem illegalen Abtreibungsnetzwerk "Jane" an.

Toronto 1979: Die 18-jährige Nancy begleitet ihre Cousine Clara, die ihr sehr nahesteht, zu einer Abtreibung. Ein Jahr später, sie lebt inzwischen nicht mehr bei ihren Eltern, erhält sie von ihrer demenzkranken Großmutter einen Hinweis und hat Grund zu der Annahme, dass ihre Eltern nicht ihre leiblichen Eltern sind. Wenige Jahre später wird auch Nancy ungewollt schwanger und sucht auf Vermittlung von "Jane" Evelyn Taylor auf. Zwei Jahre später schließt sie sich dem Netzwerk an.

Toronto 2017: Angela, die Leiterin eines Antiquitätenladens, und ihre Frau Tina wünschen sich ein Baby. Das Kinderzimmer ist bereits eingerichtet, doch Angela hatte nach mehreren Kinderwunschbehandlungen Fehlgeburten. In einer Kommode findet sie den Brief einer ihr unbekannten Mutter an ihre Tochter, in der sie dieser offenbart, dass sie nach ihrer Geburt adoptiert wurde. Der Brief stammt aus dem Jahr 2010, und Angela begibt sich auf die Suche nach der rechtmäßigen Empfängerin.

Heather Marshall beschreibt in schönem Sprachstil und mit sehr viel Empathie die Schicksale der drei Frauen. Dabei verflechten sich ganz langsam die Handlungsstränge miteinander. Die Autorin zeichnet die starken Figuren absolut authentisch und bildhaft, und sie lässt uns tief in ihre Gedanken- und Gefühlswelt blicken. Einen Handlungsschwerpunkt bildet Evelyns Leben. Wir begleiten sie ab dem Jahr 1960 und erleben ihren Aufenthalt im Heim für ledige Mütter und die unnachgiebige Härte, mit der sie dort von den Nonnen behandelt wird. Das geht unter die Haut und ist oft nur schwer zu ertragen.

Das emotionale Buch, in dem außer Abtreibung auch Adoption und unerfüllter Kinderwunsch thematisiert werden, hat mich vom Beginn bis zum überraschenden Ende gefesselt, es hat mich zu Tränen gerührt, aber auch wütend gemacht. Sehr lesenswert ist auch das Nachwort der Autorin, in dem sie u.a. das System der Entbindungsheime und der Netzwerke beschreibt und ihrer Enttäuschung über die Aufhebung des Roe-Urteils im Jahr 2022 Ausdruck verleiht.

Absolute Leseempfehlung von mir für diesen zutiefst berührenden Roman über ein wichtiges Thema!
von Bücherfreundin - 2023-08-02 21:29:00

Ein ungemein berührender Text! - 5 Sterne

Drei Frauenschicksale. Evelyn, die in den 60er Jahren in ein Heim für ledige Mütter gesteckt wird. Nancy begleitet ihre Cousine zu einer illegalen Abtreibung, schließlich Angela, die versucht schwanger zu werden. Verschiedene Zeiten, verschiedene Schicksale und doch verbindet sie etwas.
Spannung, große Emotionen, ungeschönte Wahrheiten und einfach ein großartiges Buch über das Thema Mutterschaft hat uns Heather Marshall mit ihrem Debutroman beschert.
Hoffentlich wird das Buch hierzulande ähnlich erfolgreich wie im Heimatland der Autorin Kanada. Verdient hätte es sich! Von uns kriegts jedenfalls ein großes EMPFEHLUNGS-Pickerl!
von Elisabeth Wallinger - 2023-08-02 10:58:37

Selbstbestimmung - 5 Sterne

Die Geschichte erzählt über gewollte oder ungewollte Mutterschaft, verbotene Schwangerschaftsabrüche und das Recht bzw. die Möglichkeit der Frauen auf freie Entscheidung. Einfühlsam und berührend erzählt.
von HEYNi Isabella Lehner - 2023-07-19 14:04:44

Drei Frauen – drei Generationen – und der Kampf um selbstbestimmte Mutterschaft! Eine so fesselnde und berührende Geschichte! So toll! - 5 Sterne

von Irmgard Preißler - 2023-07-14 09:50:56