Rezensionen

Nicht ich
Roman | Das Debüt der großen israelischen Schriftstellerin

Autor: Zeruya Shalev

Erschienen 2024 bei BERLIN VERLAG GmbH & CO. KG
ISBN 978-3-8270-1476-4
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? - 5 Sterne

Vor knapp 30 Jahren veröffentlichte Zeruya Shalev diesen Roman in Israel. Er wurde von der Kritik gnadenlos verrissen. Sie war ganz eindeutig ihrer Zeit voraus. Mittlerweile gehört die Autorin zu den wichtigsten literarischen Stimmen Israels, hat zahlreiche Preise und Ehrungen erhalten und somit wurde ihr Debütroman jetzt auch ins Deutsche übertragen.

Es ist ein wirklich seltsames Buch: eine Art literarisches Kaleidoskop voller zusammenhangloser (Alb)traumbilder, zerfetzter Gedanken und Gefühle, voller überbordender Symbolik. Das Lesen ist ein ständiges Deuten und Interpretieren. Da verwandeln sich Kinder in Monster und dann wieder in Engel, der Exmann klaut die Gebärmutter und der Vater verwandelt sich in eine Kuckucksuhr. Es ist eine rasanter Monolog ohne chronologische oder logische Ordnung. Manchmal absurd, manchmal komisch, manchmal tragisch.
Die Wirklichkeit des Romans versteckt sich irgendwo zwischen all diesen bizarren Sequenzen.

Mittlerweile wird der Roman von der Kritik hochgejubelt - ich glaube trotzdem, dass er seiner Zeit nach wie vor weit voraus ist. Es ist ein Buch, das ich mit keinem anderen vergleichen kann.
Der Stil ist spannend, fesselnd, faszinierend – ich konnte es nicht aus der Hand legen. Leider bedeutet dies nicht, dass ich es auch nur ansatzweise verstanden hätte...
Genossen habe ich diese Verwirrung auf 208 Seiten trotzdem - es ist wirklich ein außergewöhnliches Buch.
Ich kann diesen Roman empfehlen, auch wenn ich niemanden kenne, dem ich es schenken würde. Dieses psychedelische Leseexperiment muss jeder selbständig wagen.

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Buchhändler!
;-)
von MiriamBrandl - 2024-02-02 04:32:00

Nicht ich - 5 Sterne

„Nicht ich“ lautet der Debüt-Roman der großen israelischen Schriftstellerin Zeruya Shalev, in welchem sie von einer jungen Frau erzählt, die ihre Familie – Mann und Tochter – für den Geliebten verlassen hat. Die Autorin beschreibt beeindruckend, welche Scherben diese Erfahrung hinterlassen hat, wie viel Schmerz, Wut und Trauer sich hinter diesem Schicksal eines zerbrochenen Glücks verbergen.
Als der Roman vor 30 Jahren in Israel erschien, rief er wütende Empörung und Unverständnis hervor. Erst jetzt scheint die Zeit reif zu sein, dieses frühe Meisterwerk einer inzwischen renommierten Autorin zu würdigen.
Zeruya Shalev selbst schreibt im Vorwort, das sie ausdrücklich den deutschsprachigen Lesern widmet: „Erst als ich ›Schicksal‹, meinen 7. Roman, geschrieben hatte, wagte ich, mein Debüt wieder zu lesen. Endlich spürte ich die Bereitschaft, ihn als Teil von mir anzunehmen, auch wenn er nicht ich ist ... Ich konnte meine wilde und gebeutelte Heldin ins Herz schließen und Mitgefühl für sie empfinden. Als ich begann, den Roman für Sie, mein treues deutsches Publikum, vorzubereiten, spürte ich, dass es nötig war, ihm ebenjene mütterliche Zuwendung zukommen zu lassen, die ich ihm vor dreißig Jahren nicht hatte geben können. Ich tauchte noch einmal in seine Welt ein und versuchte, auf dem Zeitstrahl zurückzukehren und der jungen Autorin, die ich damals war, die Hand zu reichen.“ „Nicht ich“ wendet sich gegen die Rollenklischees der damaligen israelischen Gesellschaft; gezeichnet wird nämlich das ambivalente Bild einer Frau, die sich ihren Ängsten und Imaginationen stellen muss, sodass Splitter entstehen, aus denen sich das „Ich“ der Erzählerin zusammensetzt. Gleichzeitig wird die Realität entrückt und Szenen wie im Nachtwandel erinnern an Traumsequenzen, die einer Freud´schen Interpretation bedürften, um die Bilder zu entschlüsseln. So bleibt „Nicht ich“ ein faszinierendes mysteriöses Rätsel, das keine Antworten gibt, aber zum Nachdenken anregt. Gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen Situation in Israel, das sich im Kampf gegen die Hamas befindet, muten einige Szenen im Buch erschreckend aktuell an – etwa, wenn die kleine Tochter der Erzählerin in langen unterirdischen Bunker-Gängen verschwindet, die uns an die Entführung der Geiseln vom 7. Oktober 2023 erinnern.
Das Lesen dieser Seiten ist herausfordernd und verlangt innere Stärke – erst jetzt, da der Frühling naht und die Tage länger und heller werden, scheint die Zeit, sich dem „Nicht Ich“ zu stellen, da das Vertrauen der erwachenden Natur Hoffnung gibt, dass ein neuer Anfang und Frieden möglich sein werden. Selbst wenn „Nicht ich“ das zu entscheiden habe, selbst wenn „nicht ich“ in die Weltgeschehnisse eingreifen kann, bleibt der Wunsch erlaubt, die Unbeschwertheit zu erleben, wie Shalev schreibt: „Nennen Sie mich Varda, und Sie werden sehen, was aus mir werden wird. Wie das Mädchen, möchte ich unbesorgt umherstreunen, am Kiosk an der Ecke einen großen Sesamkringel kaufen und ihn mir um den Hals hängen, ohne Angst kauen und runterschlucken. Lassen Sie mich den Eltern vor dem Schlafengehen Gute Nacht sagen, ohne dass etwas Schlimmes passiert. Lassen Sie mich, wenn die Sonne tief steht, müßig durch die Gegend schlendern und meinen Freundinnen kleine Geheimnisse erzählen; beieinander untergehakt wie eine Mauer, verteidigen wir unsere junge Weiblichkeit."
von Katja Hölzl - 2024-01-30 09:26:05

Debütroman - 4 Sterne

Zeruya Shalevs Debütroman, der jetzt erstmals auf Deutsch erscheint und ein Vorwort der Autorin enthält, ist sprachlich anders als ihre späteren Romane. Doch einige bekannte Motive ihrer anderen Bücher gibt es doch.

Eine Frau verlässt Mann und 5jährige Tochter für ihren Geliebten.
Doch damit kommt sie nicht klar. Sie isoliert sich selbst und beklagt ihren Zustand. Sie leidet. Ihr gehen sogar die Haare aus.
Diesen Bewusstseinszustand macht Zeruya Shalev mit Mitteln des magischen Realismus deutlich. Das hat mich nach anfänglicher Skepsis doch überzeugt.
von yellowdog - 2024-01-02 11:55:00

Nicht ich - 5 Sterne

Nach 30 Jahren kommt der erste Roman von Zeruya Shalev in unsere Bücherregale. Ein Roman über eine Frau, die ihre Familie für eine neue Liebe verlässt und nicht damit klarkommt. Vor allem für ihr treues deutschsprachiges Publikum hat diese bedeutende Erzählerin ihren Erstling noch einmal überarbeitet. „Ihr Roman Nicht ich ist eines der kühnsten Werke der postmodernen israelischen Literatur. Man könnte ihn als die Urquelle ihrer gesamten
Erzählkunst bezeichnen.“ (Avner Holtzman)
Erscheint im Jänner 2024.
von Robert - 2023-11-01 13:00:14