Rezensionen

Kontur eines Lebens
Roman

Autor: Jaap Robben

Erschienen 2023 bei DuMont Buchverlag
ISBN 978-3-8321-6818-6
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Das Bild der Füße - 4 Sterne

Tagtäglich passiert man alte Menschen auf der Straße, sie werden mit der Zeit unsichbar und verschwinden in Heimen. Die Geschichten, die sie in sich tragen, die eventuell bis heute schmerzen und nachklingen, nehmen wir nicht wahr. Besonders, wenn man bedenkt wie stark sich die Welt verändert hat seit den 50er und 60er Jahren im letzten Jahrhundert.
Und solch eine Geschichte erzählt uns der niederländische Autor Jaap Robben in seinem Roman „Kontur eines Lebens“. Den Titel finde ich äußerst treffend gewählt. Erzählt er die Geschichte er alten Frieda Tendeloo doch abwechselnd in der Gegenwart und in der Vergangenheit.
Über 80 Jahre ist sie nun alt, ihr Mann verstarb, sie nun im Pflegeheim mit viel Zeit zum Denken, viel Zeit für alte Wunden und Trauma wieder an die Oberfläche zu stoßen. Ihr Sohn Tobias kümmert sich rührend, selbst ein werdender Vater. Er ahnt nicht was in seiner Mutter vorgeht, die zu Beginn der 60er Jahre harte Zeiten erlebte, weil sie eine Affäre mit einem verheirateten Mann hatte und dann noch ein Kind von ihm erwartete. Unfassbar damals in den Niederlande.
Jaap Robben erzählt nicht nur exemplarisch was Frieda widerfahren ist sondern macht bewusst, dass diese Zeiten so anders waren und dann doch nicht so lange her. Die offene niederländische Gesellschaft war damals noch weit von ihrer liberalen Ader entfernt.
Diese Kombination aus gesellschaftlicher Entwicklung gebettet in einer persönlichen Geschichte macht den Roman sehr lesenswert.
von nil_liest - 2023-09-21 16:03:00

Diese Buch geht tief unter die Haut - 5 Sterne

Da meine Tochter in Amsterdam lebt, habe ich schon viele Bücher von niederländischen Autoren gelesen. Ich wurde bisher nie enttäuscht, denn die oftmals sehr direkte und unverblümte Art zu schreiben, die ich dadurch kennengelernt habe, gefällt mir sehr gut. Auch bei diesem Roman ist es so. Jaap Robben hat mit "Kontur eines Lebens" ein großartiges Buch geschaffen, das sicher zu meinen diesjährigen Highlights gehören wird. Der junge Autor behandelt ein sehr sensibles Thema, das man gerne verschweigen möchte. Gut, dass er es nicht getan hat, denn seine Geschichte geht ganz tief unter die Haut.

Die 81jährige Frida lässt bei ihrem Umzug ins Altenheim noch einmal ihr Leben Revue passieren und erzählt uns ihr Leben. Jetzt und in Rückblicken. Der Schriftsteller beschreibt dies sehr berührend und gleichzeitig schonungslos offen. Seine Texte zeigen ein großes Gespür für Empfindungen und haben mich oft an meine Grenzen gebracht. Ich wünsche dem Buch sehr viele Leser und hoffe, dass wir Frauen niemals mehr eine solche Zeit erleben müssen.
von Sabine M - 2023-08-21 14:22:00

Frauen in den 60er Jahren - 5 Sterne



Der niederländische Schriftsteller Jaap Robben hat in seinem Roman Kontur eines Lebens ein Thema aus den 60er Jahren aufgegriffen.
Er zeigt die Probleme, wenn eine Frau unehelich schwanger wird. Man glaubt eigentlich das das noch nicht so lange her ist, aber es ist real.
Gut, es gab Familien, die ihren Töchtern beigestanden sind, aber es gab eben auch die anderen.
Dieser Roman spielt in Nimwegen, aber ich weiß, das es so auch in Deutschland zuging.
Der Autor lässt Frieda ihre Geschichte erzählen. Sie ist 81 Jahre alt, als ihr Mann plötzlich stirbt.
Nach der Beerdigung erlaubt sie sich an ihre Jugendliebe zu einem verheirateten Mann und den Folgen zu denken.
Sie hatte ihre Trauer verdrängt. Ihr Mann wusste von ihrer ersten Schwangerschaft nichts. Aber ihrem Sohn erzählt sie davon.
Mit seiner Hilfe kann sie ihre Traumata aufarbeiten.

Jaap Robben hat das in einem intensiven Stil verpackt.
Es ist ein würdiges Leseerlebnis.

von begine - 2023-08-15 09:47:00

Emotional, wertvoll und empfehlenswert! - 4 Sterne

Nach dem Beenden des Romans durfte ich den beigelegten, geheimnisvollen Brief lesen. Er war vom Autor Jaap Robben selbst und sehr bewegend. Darin schreibt er über die Enstehungsgeschichte des Romans und die real zu Grunde liegenden Hintergründe und Menschen.
Seine Protagonistin Fieda Tendeloo ist fiktional und steht stellvertretend für viele Frauen ihrer Generation, nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in seinen Nachbarländern.

Frieda ist heute 81 Jahre alt und lebt in einem Pflegeheim, da sie seit dem kürzlichen Tod ihres Mannes nicht mehr alleine leben kann. Ihr einziger Sohn, der selbst kurz davor steht das erste Mal Vater zu werden, ist einer ihrer wenigen verbliebenen Sozialkontakte. Frieda ist keine rüstige thoughe alte Dame, wie ich sie aus anderen Romanen kenne. Robben beschreibt sehr einfühlsam aus Friedas Sicht, wie es sich anfühlt, selbst bei intimsten Verrichtungen auf bezahlte Hilfe angewiesen zu sein und wie sie immer mehr die Kontrolle über sich selbst und ihr Leben verliert.
Aber ich lerne auch eine ganze andere Frieda kennen, eine ganz junge Frieda, voller Träume, Liebe und Hoffnungen. Es ist die Frieda der Vergangenheit, der, trotz der geschlechtervorgegeben Bergrenzungen der damaligen Zeit, viele Wege offen stehen.
Bis sie sich in einen verheirateten Mann verliebt, mit ihm eine Affäre beginnt und ungeplant und ungewollt schwanger wird…

Ich finde die Passagen aus dem Heute sehr gelungen. Die unausgesprochenen Themen zwischen Mutter und Sohn, die langsam an die Oberfläche drängen, fangen einen ganzen Generationenkonflikt ein.
In den Erzählsträngen aus der Vergangenheit thematisiert Robben unter anderem die strengen gesellschaftlichen Konventionen denen v.a. Frauen unterworfen waren. Mir als glücklich unverheiratetes Elternteil macht das deutlich wie viel sich seither geändert hat.
Die Eingangs erwähnte Universalität seiner Figuren macht den Roman zu einem Spiegel dieser Zeit. Diese Universalität lässt den Figuren auf der anderen Seite für mich zu wenig Raum für Indiviualität. Sie wirken manchmal wie Spielbälle ihrer Zeit und ihres Schicksals und dadurch sehr determiniert. Das wirft die Frage auf, wie frei wir (auch heute) wirklich in unseren Handlungen sind oder doch durch die Umstände und unser Umfeld gezwungen sind.
Spannend finde ich die Frage, wie und ob trotz tragischer Vergangenheit ein glückliches, gutes Leben möglich ist und welche Rolle Schweigen und Verdrängung in diesem Kontext spielt.
Der Erzählstil ist konventionell und hält trotz der am Ende etwas zu gewollt erzeugten Suspense wenig Überraschungen bereit. Das kann je nach persönlichen Vorlieben als angenehm zu lesen oder als vorhersehbar aufgefasst werden.

Unabhängig davon erzählt Robben mit Friedas wertvoller Geschichte entlang der Kontur eines Lebens und schafft dabei einen sehr lesenswerten und zu Herze gehenden Roman.
von @lust_auf_literatur - 2023-08-15 09:26:00

Manchmal kommt alles anders - 5 Sterne

Louis und Frieda sind viele Jahrzehnte verheiratet. Selbstverständlich, dass er seiner pflegebedürftigen Frau beisteht und hilft. So soll es auch bleiben. Doch manchmal kommt es anders. Plötzlich ist Louis nicht mehr da und Frieda zieht in ein Pflegeheim. Inzwischen ist sie 81 Jahre alt und erst jetzt stellt sie sich ihren Erinnerungen.
Der Autor Jaap Robben erzählt Friedas Geschichte in verschiedenen Zeitebenen. Wir lesen, wie sie heute ihre Tage verbringt, dass ihr Sohn Tobias und seine Frau ihr bei vielen Dingen helfen, und erfahren viel über Louis und ihre gemeinsame Zeit. Es war eine gute Zeit.
Doch es gibt auch die Jahre, die noch weiter zurück in die Vergangenheit führen. Diese Erlebnisse hat Frieda ganz fest in ihrem Inneren verschlossen und erst jetzt ist sie bereit, sich ihren Erinnerungen zu stellen und ihre Geschichte zu teilen.
Sie ist noch nicht mal zwanzig Jahre alt, als sie in den Sechzigerjahren mit Otto ihre erste große Liebe kennenlernt. Doch die Liebe steht unter keinem guten Stern. Otto ist verheiratet, Frieda wird schwanger. Undenkbar in der damaligen Zeit, ein Kind allein großzuziehen. Mit großem Einfühlungsvermögen gelingt es Robben, die Dramatik der Situation zu beschreiben. Nicht nur, dass Otto seine Frau nicht verlässt, muss Frieda die Erfahrung machen, dass sie von ihren Eltern verachtet wird und plötzlich ganz allein auf sich gestellt ist.
Auch wenn Frieda im Alter nicht ohne Ecken und Kanten ist, so ist sie mir dennoch ans Herz gewachsen. Ihre Geschichte und die ihres verlorenen Kindes hat mich zutiefst berührt. Das hat zum größten Teil Jaap Robben mit seinem lebensnahen, emotionalen und einzigartigen Schreibstil bewirkt. Er hat mit seiner Geschichte von Frieda Tendeloo eine Geschichte geschrieben, die stellvertretend für unendlich viele Frauen steht, die damals in derselben Situation waren und Ähnliches erleben mussten wie Frieda.

von liesmal - 2023-08-14 14:03:00

aufwühlend - 5 Sterne

In "Kontur eines Lebens" erzählt Jaap Robben die bewegende Lebensgeschichte von Frieda Tendeloo und sie beginnt fast am Ende ihres Lebens, als ihr geliebter Mann Louis ganz plötzlich stirbt.
Nie hätte sie gedacht, dass er einmal vor ihr sterben würde, denn eigentlich ist sie diejenige, die schon seit Jahren auf seine Hilfe angewiesen war. Und Louis hat sich sehr liebevoll um seine geliebte Ida gekümmert, er wollte auf jeden Fall verhindern, dass sie jemand anders pflegen muss. Doch nun, da er tot ist, ist es unvermeidlich, Frieda muss ins Pflegeheim ziehen.
Ihr Sohn Tobias und seine schwangere Frau Nadine, helfen ihr beim Umzug und beim Ausräumen des Hauses, so viel sie können und schließlich ist es soweit, die erste Nacht im Pflegeheim ist da.
Schlaflos liegt Frieda in ihrem Bett, am nächsten Morgen wird sie zum ersten Mal nicht von Louis gewaschen, sondern von einem fremden jungen Pfleger. Der Autor hat diese Situation so einfühlsam beschrieben, dass man Friedas Scham, so nackt und schutzlos vor einem fremden Menschen zu sitzen, sich von ihm waschen zu lassen, Windeln wechseln zu lassen, direkt mitfühlt. Und in dieser einsamen , fremden Umgebung sitzt Frieda nun tagsüber oft einfach in ihrem Stuhl vor dem Fenster, oder liegt nächtelang wach und sie erinnert sich an ihr vergangenes Leben und an ihren schlimmsten seelischen Schmerz, den sie viele Jahre verdrängt hat und von dem nicht einmal ihr geliebter Mann etwas geahnt hatte. Denn vor Louis gab es schon einen Mann in Idas Leben, Otto. Schon bei ihrer ersten Begegnung war Ida fasziniert von ihm und obwohl sie schnell von Ottos Ehefrau erfuhr, lies sie sich auf eine Liebesbeziehung mit ihm ein und wurde schließlich von ihm schwanger.
Und eine unverheiratete schwangere Frau , das war in den Sechzigerjahren eine Katastrophe. Ida wollte dieses Kind behalten, egal, wie schwer es ihr von ihrem Umfeld gemacht wurde. Doch Idas Kampf um ihr Baby und um ein Leben, wie sie es sich vorstellte, endete in einem Albtraum. Otto war weg, das Kind war weg , Ida trauerte um beide, doch irgendwann ging ihr Leben weiter, sie lernte Louis kennen, heiratete ihn, bekam mit ihm einen Sohn und ihre schlimmen Erinnerungen vergrub sie ganz tief in ihrem Herzen und sprach mit keinem Menschen darüber.

Doch nun im Pflegeheim kommt alles wieder hoch, Ida spürt den Schmerz von damals noch einmal mit voller Wucht und endlich, nach so vielen Jahren stellt sie sich diesen Erinnerungen und fängt sogar ganz vorsichtig an, diese Erinnerungen zu teilen.

Was für ein bewegendes, tieftrauriges Buch, ich glaube, das wird mir so schnell nicht aus dem Kopf gehen. Wenn man darüber nachdenkt, dass Frauen vor nicht allzu langer Zeit tatsächlich so behandelt wurden, nur weil sie unverheiratet schwanger wurden. Wie herzlos man sogar in Kliniken mit ihnen umging, einfach unfassbar und so traurig, sich das vorzustellen. Aber obwohl es teilweise richtig hart war, konnte ich nicht mehr aufhören zu lesen. Ich habe dabei alle möglichen Emotionen erlebt, ich war sauer auf Otto, auf Friedas Eltern, eigentlich auf ihre gesamte Umgebung. Ich war traurig, weil Frauen so unmenschlich behandelt wurden.
Aber sogar Frieda hat mich oft wütend gemacht, ihre abweisende , schroffe, manchmal auch fordernde Art, ihrem Sohn gegenüber. Ich konnte es im Nachhinein zwar schon verstehen, dass ihr traumatisches Erlebnis aus der Vergangenheit, sie zu dem schwierigen Menschen gemacht hat, aber ich hatte auch Mitleid mit ihrem Sohn, wenn sie so kalt und irgendwie herzlos reagiert hat. Dieses Buch ist ein echtes Highlight für mich, ich bin so begeistert von Jaap Robbens einfühlsamen Schreibstil, dass ich sofort über weitere Bücher von ihm recherchieren musste. Leider gibt es wohl aber, bis auf ein einziges ( Birk), bisher keine deutschen Übersetzungen seiner Bücher. Aber ich werde mir den Namen "Jaap Robben" auf jeden Fall merken und hoffe, er schreibt noch viele weitere Bücher in der Art. Wer gerne Bücher liest, die man nicht mehr so schnell vergisst und die einen mitten ins Herz treffen, der sollte "Kontur eines Lebens" unbedingt lesen.
von PeLi - 2023-08-08 17:12:00

Tief bewegend - 5 Sterne


Die Lektüre dieses Buches hat mich umgehauen. Vielleicht, weil ich fast so alt bin wie Frieda, die Erzählerin im Buch, und weil ich sowohl die Sechzigerjahre mit ihren strengen Moralvorstellungen aus eigenem Erleben kenne, als auch das Alter mit seinen zunehmenden Einschränkungen und den immer öfter rückgerichteten Erinnerungen an das gelebte Leben. Das Buch hat mich aber auch umgehauen, weil sein Erzählstil so treffend ist, so mit leichter Hand, in kurzen Sätzen geschrieben, in die Tiefe der Gefühlswelt von Frieda eintauchend und sowohl ein Zeitbild als auch ein Seelenbild abgibt, wie es treffender und stimmiger nicht sein könnte.
Der Roman bewegt sich auf zwei Zeitebenen: Da lernen wir die 81-jährige Frieda im Seniorenheim kennen. Soeben hat sie ihren Mann begraben, der stets für sie da gewesen war. Sie kämpft mit dem zunehmenden körperlichen Verfall und mit der Trauer um ihren Mann. Sie lebt in ihrer eigenen Welt, fordert ihre Bedürfnisse ein und zeigt kaum Empathie für ihren Sohn und dessen Frau. Und so empfindet der Leser wenig Sympathie für Frieda. Immer öfter schweifen ihre Erinnerungen zurück in die Zeit, als sie eine junge, naive Frau in den Sechzigerjahren war, Floristin von Beruf. Hier liegt eine traumatische Erfahrung, geschuldet dem katholisch geprägten Umfeld und der strengen Moralvorstellungen dieser Zeit. Denn ihre Liebe zum verheirateten Otto hatte Folgen, ein Skandal! Die Puzzlestücke der Erinnerungen formen sich für den Leser nach und nach zu einem Teil von Friedas Leben mit einer tief im Inneren verschlossenen unendlichen Trauer, die sich schließlich unerwartet Bahn bricht. Und spätestens da empfindet man als Leser uneingeschränktes Mitempfinden für Frieda – und für so viele Frauen, denen es so oder ähnlich ergangen ist in diesen moralisch gnadenlosen Zeiten.

Jaap Robben hat einen Roman geschrieben, der ergreifend ist, tief bewegend, und doch mit leichter Hand, ohne Larmoyanz erzählend. Ein starkes, ein sensibles Buch, dessen Lektüre emotional tief berührt.


Tief bewegend

Die Lektüre dieses Buches hat mich umgehauen. Vielleicht, weil ich fast so alt bin wie Frieda, die Erzählerin im Buch, und weil ich sowohl die Sechzigerjahre mit ihren strengen Moralvorstellungen aus eigenem Erleben kenne, als auch das Alter mit seinen zunehmenden Einschränkungen und den immer öfter rückgerichteten Erinnerungen an das gelebte Leben. Das Buch hat mich aber auch umgehauen, weil sein Erzählstil so treffend ist, so mit leichter Hand, in kurzen Sätzen geschrieben, in die Tiefe der Gefühlswelt von Frieda eintauchend und sowohl ein Zeitbild als auch ein Seelenbild abgibt, wie es treffender und stimmiger nicht sein könnte.
Der Roman bewegt sich auf zwei Zeitebenen: Da lernen wir die 81-jährige Frieda im Seniorenheim kennen. Soeben hat sie ihren Mann begraben, der stets für sie da gewesen war. Sie kämpft mit dem zunehmenden körperlichen Verfall und mit der Trauer um ihren Mann. Sie lebt in ihrer eigenen Welt, fordert ihre Bedürfnisse ein und zeigt kaum Empathie für ihren Sohn und dessen Frau. Und so empfindet der Leser wenig Sympathie für Frieda. Immer öfter schweifen ihre Erinnerungen zurück in die Zeit, als sie eine junge, naive Frau in den Sechzigerjahren war, Floristin von Beruf. Hier liegt eine traumatische Erfahrung, geschuldet dem katholisch geprägten Umfeld und der strengen Moralvorstellungen dieser Zeit. Denn ihre Liebe zum verheirateten Otto hatte Folgen, ein Skandal! Die Puzzlestücke der Erinnerungen formen sich für den Leser nach und nach zu einem Teil von Friedas Leben mit einer tief im Inneren verschlossenen unendlichen Trauer, die sich schließlich unerwartet Bahn bricht. Und spätestens da empfindet man als Leser uneingeschränktes Mitempfinden für Frieda – und für so viele Frauen, denen es so oder ähnlich ergangen ist in diesen moralisch gnadenlosen Zeiten.

Jaap Robben hat einen Roman geschrieben, der ergreifend ist, tief bewegend, und doch mit leichter Hand, ohne Larmoyanz erzählend. Ein starkes, ein sensibles Buch, dessen Lektüre emotional tief berührt.


von heinoko - 2023-08-05 15:34:00

berührendes Frauenschicksal - 5 Sterne

Schon einige Zeit wird Frieda Tendeloo von ihrem Mann Louis gepflegt. Für alle überraschend stirbt er plötzlich. Für die über achtzigjährige Frieda bleibt nur noch der Weg ins Pflegeheim.
Der Autor beginnt sein Buch mit Friedas erster Nacht im neuen Heim. Es ist ihm eindrucksvoll gelungen die Gefühle der alten Frau zu erzählen.
In diesem neuen und für Frieda einsamen Dasein beginnt sie über ihre Lebensgeschichte nachzudenken.
In den Sechzigerjahren lebt sie bei ihren Eltern und arbeitet als Floristin. Es ist eine streng katholisch Gegend. Als sie sich in den verheirateten Otto verliebt, wird sie schließlich schwanger. Ein Skandal für die Eltern und das Umfeld. So behält sie die Geschichte ihrer ersten Schwangerschaft lange für sich. Aber die Trauer um das verlorene Kind bleibt ein Leben lang.
Jaap Robben beschreibt an Friedas Beispiel, ein Schicksal, dass viele Frauen in den Sechzigerjahren mit ihr teilten.
Meine unbedingte Leseempfehlung!

von peppi - 2023-08-05 12:08:00

Tragische Erinnerungen - 5 Sterne

Kontur eines Lebens, Roman von Jaap Robben, aus dem niederländischen von Birgit Erdmann, 333 Seiten erschienen im DuMont-Buchverlag.
Eine erschütternde Geschichte aus einer Zeit, die noch nicht allzu weit hinter uns liegt.
Frieda eine selbstbewusste 20jährige junge Frau, die jüngste von vier Schwestern ist sehr streng katholisch erzogen worden, lebt wohlbehütet noch bei ihren strengen Eltern. Eines Tages lernt sie beim Eislaufen, den 11 Jahre älteren verheirateten Otto kennen, eine dramatische Liebesgeschichte beginnt, bis Frieda merkt, dass sie schwanger ist. Otto will sich nicht von seiner Frau trennen und ihre heuchlerischen Eltern setzen sie kurzerhand vor die Tür. Sechzig Jahre später, Frieda ist frisch verwitwet und pflegebedürftig, weshalb sie in einem Seniorenheim untergebracht wird. Sie hat nun viel Zeit auf ihre Lebensgeschichte zurückzublicken, mit Hilfe ihres Sohnes beginnt sie die Vergangenheit aufzuarbeiten.
Das Buch besteht aus 49 überschaubaren Kapiteln, als Erzählform hat der Autor den Ich-Stil aus der Sicht der Protagonistin gewählt, so ist es dem Leser möglich das Geschehen aus erster Hand mitzuerleben. In einem wunderschönen, flüssig zu lesenden Erzählstil geschrieben, mich haben etliche Stellen ganz besonders tief berührt, dies ist sicher auch der einfühlsamen Übersetzung von Birgit Erdmann zurückzuführen. Sätze wie „ Es kommt mir vor als würde ich mich selbst spielen“ oder „Manchmal war es kaum vorstellbar, dass dieser Mann bei seiner Haut aufhörte, während er für mich so viel größer war als sein Körper“, konnte ich direkt mitfühlen. Der ganze Roman, beide Erzählstränge, Vergangenheit wie Gegenwart haben mich überzeugt. Die Schilderung der Protagonistin, als sich eine Motte in einem Spinnennetz verfangen hat, und in ihrer Machtlosigkeit, gefangen in ihrem gehandicapten Körper das Tier nicht befreien zu können, ging mir tief ins Innerste. Auch die tragische Schilderung von Louis Ableben zu Beginn des Buches, Friedas Sehnsucht nach ihm und ihrem Zuhause haben mich sofort in Lesefluss gebracht, aufhören zu Lesen und das Buch zur Seite legen konnte ich erst nach dem letzten Punkt.
Alle Figuren sind authentisch und handeln nachvollziehbar, die einen auf sympathische Weise, die anderen weil es die damalige Zeit oder ihr Glaube es vorschrieben. Friedas Schicksal hat mich tief ins Herz getroffen. Dadurch, dass sich die Zeitebenen abwechseln, hat sich die Lesegeschwindigkeit bei mir noch gesteigert, denn jeder Abschnitt endet an einer äußerst spannenden Stelle. Man kann sich kaum vorstellen, dass zu Beginn der 60er Jahre, noch nach so strengen moralischen und dabei unmenschlichen Grundsätzen geurteilt wurde. Dass ein männlicher Schriftsteller es geschafft hat, ein so einfühlsames emotionsgeladenes Buch zu schreiben, man mag es kaum glauben. Immer wieder konnte er mich mit seinen Worten, bzw. Schilderungen zu Tränen rühren. Für mich ein ganz besonderes Buch.
Eine Buch, welches man ganz vielen Lesern ans Herz legen möchte, von mir dafür 5 Sterne.

von Ele - 2023-07-25 16:05:00

wunderbar sowie auch sehr traurig - 4 Sterne


wunderbar sowie auch sehr traurigc

Das Scheitern einer großen Liebe - diesem großen Thema hat sich Jaap Robben in diesem Buch gewidmet.

Die Protagonistin Frieda gefällt mir - sie ist sehr bockig, aber auch stark und schon 81 Jahre alt. Eine Figur mit Ecken und Kanten skizziert - sehr gelungen.
Frieda muss ins Pflegeheim - aber Mitten unter diesem Schlag, kommt die Erinnerung an ihr Kind hervor.
Was für eine Geschichte - in der damaligen Zeit hatte es Friede sicherlich nicht einfach. Es war tieftraurig mit ihr gemeinsam in diese Zeit abzutauchen.

Der Schreibstil ist absolut großartig - man wird mitgerissen, man fällt in die Trauer, man spührt die ganzen Emotionen. Großartig gelungen. Jedes Wort passt - und man möge meinen, dass es tiefere Bedeutungen zwischen den Wörtern gibt.

Von mir gibt es eine absolute Empfehlung für dieses Buch, man sollte jedoch offen für diese Geschichte sein.

von rassi - 2023-07-24 16:26:00