Rezensionen

Dankbarkeiten
Roman

Autor: Delphine Vigan

Erschienen 2020 bei DuMont Buchverlag
ISBN 978-3-8321-8112-3
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Was bliebt, wenn man die Worte verliert? - 5 Sterne

Michka leidet an Aphasie. Nach und nach verliert sie die Worte und ihre Bedeutungen. Dabei war Sprache immer sehr wichtig für sie. Sie war Korrektorin bei einem großen Magazin und ihr entging nichts.

Sie hat keine Familie, aber Marie, um die sie sich schon in deren Kindheit gekümmert hat, begleitet sie auf ihren letzten Wegen.

Da sie nicht mehr alleine wohnen kann, bezieht sie ein Altersheim, wo man sie sehr um sie bemüht. Ein Logopäde versucht mit ihr gemeinsam gegen den Sprachverlust zu kämpfen. Denn Michka hätte noch was zu erledigen. Sie möchte unbedingt den Menschen, die sie während des Krieges versteckt hatten, danken. Sie kennt nur das Dorf und ihre Vornamen.

Zwischen Michka und dem Logopäden entwickelt sich eine Freundschaft und Michka vermittelt dem jungen Mann, wie wichtig es ist, mit Dingen abzuschließen. Es belastet immer, wenn etwas offen bleibt.

Abwechselnd erzählen Marie und Jerome von ihren Gesprächen und Erlebnissen mit Michka. Es sind Begegnungen, die befruchten. Michka ist eine beeindruckende Frau mit einem klaren Blick auf das Leben, auch wenn sie nicht mehr alles so ausdrücken kann, wie sie es gerne möchte. Sie möchte sich einen letzten Rest Selbstbestimmtheit behalten und schafft das auch.

Die Begegnungen mit Michka sind unglaublich liebevoll. Ich bin froh, dass ich diese literarische Figur kennenlernen durfte, denn ihre Sicht auf das Leben und auf das Ende sind auch für mich irgendwie tröstlich.

Stilistisch ist das Buch toll zu lesen. Die zwei Erzählperspektiven lockern auf und die Gespräche mit Michka sind teilweise sehr humorvoll. Ihre Wortverwechslungen und -verdrehungen sind manchmal sehr amüsant. Dieses Buch war bestimmt eine Herausforderung für Übersetzerin, denn das Spiel mit der Sprache lässt sich bestimmt nicht eins zu eins übersetzen.

Mich konnte Dankbarkeit wirklich begeistern und da es mein erstes Buch der Autorin ist, gibt es ja einiges aufzuholen. Ich freu mich drauf!
von Miro76 - 2020-04-20 21:12:00

Kein Titel - 5 Sterne

In "Dankbarkeiten" erzählt Delphine de Vigan von der charismatischen, alten Dame Michka, die plötzlich nicht mehr alleine wohnen kann und deshalb in ein Seniorenheim zieht.
Diese Umstellung fällt Michka schwer, denn unter den vielen alten Leuten merkt sie erst, wie es um sie selbst bestellt ist. Aus diesem Grund kann sie sich sehr schwer eingewöhnen, außerdem beschleicht sie ständig das Gefühl etwas vergessen zu haben, weshalb sie Tage damit verbringt,die paar Quadratmeter, die ihr gehören auf den Kopf zu stellen und nach dem Verlorenen zu suchen. Erst durch die Hilfe ihres Logopäden Jérome und ihrer Ziehtochter Marie, erkennt die alte Dame, dass sie nicht per se etwas verloren hat, sondern dass sie an Aphasie leidet, einer Wortfindungsstörung - sie also auf der Suche nach den richtigen Worten ist.
Einfühlsam und zärtlich erzählt die Autorin von Michkas letztem Wunsch, der banal erscheinen mag, sich aber nur schwer umsetzen lässt:"Danke" sagen. Denn die Menschen, denen ihre Dankbarkeit gilt, sind nicht auffindbar. Wie schwer ein solch unausgesprochenes "Dankeschön" wiegt, und wie Jung und Alt von einander lernen können, einander Halt und Trost geben, schildert Delphine de Vigan pointiert, charmant und lehrreich.
Absolute Leseempfehlung !

Empfohlen von : MARLENE CSILLAG
von Michaela Maczejka - 2020-04-03 14:52:00

Dankbarkeiten - 5 Sterne

Schmal ist das Buch, das die bekannte französische Autorin hier abgeliefert hat, doch es bedarf keiner Zeile mehr, um diese wunderschöne Geschichte über das Alter, das Verzeihen und vor allem über den Wunsch, noch einmal Danke zu sagen, rüberzubringen. „Dankbarkeiten“ erinnert uns daran, dass es nie zu spät ist, Worte zu finden, um auszudrücken, wofür wir dankbar sind. Auch wenn Michka beginnt, die Worte zu verlieren oder zu verwechseln, so hat sie doch noch Menschen um sich, die ihre Wünsche verstehen. Ein zärtliches Buch über Mitgefühl und über die Kraft der Worte!
von Barbara Kumpitsch - 2020-03-30 09:38:00

Berührend - 5 Sterne

"Alt werden heißt verlieren lernen. (...) Das verlieren, was einem geschenkt wurde, was man gewonnen, was man verdient, wofür man gekämpft und wovon man geglaubt hat, man würde es für immer behalten."

Michka ist alt geworden. Sie traut sich nicht mehr, allein zu bleiben. Obwohl Marie regelmäßig vorbei kommt und nach ihr sieht, obwohl ihre alte Freundin täglich anruft. Zunehmend kann sie die Wörter nicht mehr finden, die sie sagen möchte. Aphasie, nennen es die Ärzte. Und so gibt sie ihre Wohnung auf, zieht in ein Altersheim. Sie wird regelmäßig besucht, von Marie und auch von Jerome, einem Logopäden, der mit ihr Übungen macht. Und so kommt es, dass Jerome Michka das geben kann, was sie brauchte, um loszulassen...

Delphine De Vigan ist mit diesem Buch wieder eine ganz besondere Erzählung gelungen. In kurzen Sätzen und einem schmalen Büchlein bleibt nichts ungesagt. Sie schafft es, die Aphasie realistisch darzustellen. Sie schafft es auch, den Leser mit dieser Geschichte völlig zu überraschen. Eine wirklich berührende Erzählung, keine einfache Kost, und dennoch mit stillem Humor. Sehr empfehlenswert!
von skiaddict7 - 2020-03-20 18:31:00

Was im Leben zählt - 5 Sterne

Inhalt:
Mischka, eine 85 jährige betagte und alleinstehende Dame muss ins Altersheim übersiedeln nachdem sie zu Hause immer wieder stürzt und ihr bestimmte Wörter auch nicht mehr einfallen.
Marie, ihre junge Nachbarin ist eine der wichtigsten Bezugspersonen für Mischka. In der Kindheit ist Marie oft zu Mischka geflüchtet, nachdem es ihrer Mutter nicht möglich war sich ausreichend um Marie zu kümmern, nun hat sich der Spieß umgedreht und Marie kümmert sich liebevoll um Mischka.
Jerome, ein junger Logopäde versucht Mischkas verbliebene Wörter zu festigen und mit ihr an ihrem Wortschatz zu üben. Hat selbst ein Problem mit seinem Vater und hat Mischka ins Herz geschlossen.
Den zwei jungen Menschen gelingt es, Mischka einen Herzenswunsch zu erfüllen, indem sie ihre Dankesworte überbringen.

Fazit:
Dankbarkeiten hat berührt und wachgerüttelt, wie wichtig ist es doch seinen ehrlichen Dank auszusprechen und zu schätzen was die Mitmenschen für jeden einzelnen tun.
Nebenbei beschreibt es noch eindrucksvoll die letzten Jahre/Monate eines Menschen, der bis zum Schluss um Eigenständigkeit bemüht ist.
Ein tolles Buch das ich gerne weiterempfehle!
von barbara.liest - 2020-03-19 21:00:00

Buchschatz - 5 Sterne

Delphine de Vigan ist es mal wieder gelungen, mein Leben zu überdenken. Auch ihr neuestes Buch hat mich tief berührt, trotz der wenigen Seiten ist es ein wahrer Schatz. Michka leidet an zunehmender Aphasie und kommt nicht mehr alleine zurecht. Somit siedelt sie um in eine Altenheim. Doch da merkt sie, dass ihr ihr Leben immer mehr entgleitet. Erzählt wird das Buch abwechselnd aus den Perspektiven von Marie, die Michka viel zu verdanken hat und zwar nicht ihre leibliche Tochter ist, aber dem sehr nahe kommt. Und dann aus der Perspektive des Logopäden Jérôme. Michka hat früher als Korrektorin gearbeitet, sie war eine wahre Sprachkünstlerin und nun sucht sie verzweifelt nach Worten. Hut ab auch für die Übersetzung dieses Buches, denn es war sicherlich nicht immer einfach, gelungene deutsche Äquivalente zu finden. Ein Buch, das mich dazu gebracht hat, mich in Zukunft häufiger zu bedanken - bevor es zu spät ist.
von lectrice - 2020-03-19 17:39:00

Einfühlsam - 4 Sterne

Mishka, 1935 geboren, leidet im Alter an einer Sprachstörung, was sie sehr belastet. Sie droht, sich selbst zu verlieren.
2 Menschen besuchen sie oft. Ihre Vertraute, Marie, die schwanger wird und Jerome, ein Logopäde.

Es ist ein relativ kurzes Buch, das jedoch sprachlich viel bietet.
Mishkas Aphasie beeinflusst auch den Stil des Buches. Als Leser liest man den Text so, wie Mishka spricht, halt sehr verkürzt und oft mit falschen Worten.
Jeorme versucht in seiner Behandlung auf die fehlenden Worte Mishkas einzugehen, aber es ist ein nicht m ehr aufzuhaltender Prozess.

Ich muss sagen, mich hat Mishkas Zustand betroffen gemacht.
Doch sehe ich den Text natürlich nicht als Betroffenheitsliteratur sondern einfach als einen einfühlsamen Roman.
von yellowdog - 2020-03-12 20:00:00

Sensibel und menschlich - 5 Sterne



„Dankbarkeiten“ heißt der neue Roman von der französischen Schriftstellerin Delphine de Vigan. Es ist wieder ein wunderbarer einfühlsames Buch.

In diesem Roman geht es um eine alte Dame namens Michka. Sie kann nicht mehr alleine wohnen. Sie hat keine Angehörigen. Marie wurde als Kind oft allein gelassen, da hatte sich Michka um sie gekümmert. Die würde zu ihr ziehen, aber sie will ihr nicht zur Last werden und so zieht sie in ein Heim.

Michka leidet an schlimmen Alpträumen.
Man erfährt nach und nach ihre Vorgeschichte. Ihr Logopäde entwickelt auch ein einfühlsames Verhältnis mit ihr.

Delphine de Vigan beschreibt ihre Protagonistin mit Gefühl , sensibel und menschlich. Sie ist eine große Schriftstellerin, deren Romane ich immer wieder gerne lese.
Sehr zu empfehlen.
von begine - 2020-03-10 17:13:00

Einfach schön - 5 Sterne


Einfach schön

Inhalt:
Michèle Seld, genannt Michka, ist eine ältere Dame, der es immer schwerer fällt, allein in ihrer Wohnung zu leben. Nach einigen Stürzen und weil auch die sprachlichen Fähigkeiten immer mehr nachlassen, zieht sie in ein Pflegeheim um. Michka hat sich um das Mädchen Marie gekümmert, die im selben Wohnblock lebte und deren Mutter oft durch Abwesenheit glänzte. Nun ist Marie eine junge Frau und kümmert sich um Michka. Auch Jerôme, der Logopäde, ist von der alten Dame fasziniert.

Meine Meinung:
Abwechselnd erzählt Delphine de Vigan aus der Sicht von Marie und aus der von Jerôme, wie sie die letzten Monate mit Michka erleben. Ihre Gespräche sind von Liebe, Zuneigung und Dankbarkeit erfüllt - in beide Richtungen. Michkas größte Dankbarkeit gilt allerdings einem Ehepaar, bei dem das kleine Mädchen während des Kriegs Unterschlupf fand. Zu gerne möchte sie diesen beiden selbstlosen Menschen dafür danken, dass sie ihr damals das Leben gerettet haben.

Sehr einfühlsam beschreibt die Autorin den langsamen, aber steten Verfall Michkas. Immer mehr Wörter entfallen der Seniorin. Sie ersetzt sie durch ähnlich klingende oder lässt sie auch ganz weg. Was theoretisch lächerlich wirken könnte, da bei den Wortschöpfungen schon auch mal lustige Dinge herauskommen, empfand ich dennoch als ganz sachlich. Diese Gratwanderung ist Delphine de Vigan hervorragend gelungen. Auch die Übersetzerin Doris Heinemann hat hier sehr gute Arbeit geleistet.

Michkas Geschichte hat mich sehr berührt und am Ende auch zu Tränen gerührt. Man muss diese Frau einfach gern haben - ebenso wie Marie und Jerôme.

von Lilli33 - 2020-03-10 06:43:00

Dante! - 5 Sterne

Dante? Was hat der denn mit diesem Buch zu tun? Nun, gar nichts, aber Michka verliert sich immer mehr, findet nicht mehr die richtigen Worte, dabei konnte sie doch einst so virtuos mit dem Medium Sprache umgehen, war es ihr Beruf. Doch nun vertut sie sich, sagt "dante" statt "danke" oder "oje" statt "ok" etc. Darum kann sie nicht mehr alleine leben und Marie, um die sich Mischka immer gekümmert hat, als sie ein Kind war, kümmert sich darum, dass Mischka einen Platz in einem Seniorenheim bekommt. Marie kann gar nicht ermessen, wie dankbar sie Mischka ist. Dieses Buch hat mich sehr beeindruckt und nachdenklich gestimmt. Wir alle werden älter und Menschen, die uns früher einmal so stark erschienen, sind es nicht mehr. Haben wir ihnen rechtzeitig und genug gedankt? Und zwar aufrichtig? Delphine de Vigan hat es auch mit ihrem neuen Buch geschafft, mich zu berühren. Ich glaube, ich muss das Buch unbedingt noch im Original lesen. Ein Buch, das im Gedächtnis haften bleibt, das mich weiter beschäftigen wird. Mir gefielen auch die beiden Perspektiven gut und die Lücken, die gefüllt wurden mit dem, was Mischka wohl gedacht hat. Marie, die Mischka nun schon so lange kennt und weiß, dass sie bald Abschied nehmen muss. Aber auch der junge Logopäde Jérôme, bei dem Mischka nicht locker lässt - aber er umgekehrt auch nicht. Die Einblicke in seine Gedanken, seine Arbeit. Ein rundum tolles Buch. "Es liegt an den Wörtern [...] Es passiert nachts, dass sie sich vergraben....verlieren, nachts, wenn ich nicht einschlafen kann, ich weiß genau, das ist der Augenblick, in dem sie sich verfluchen, in dem sie sich verflüchten [...]" (S. 58/117, ePub-Version)
von Castilleja - 2020-03-08 16:36:00