Rezensionen

Yellowface
Roman. »Rasiermesserscharf!« TIME

Autor: R. F. Kuang

Erschienen 2024 bei Eichborn
ISBN 978-3-8479-0162-4
Rezension verfassen

Mein Buch, dein Buch - 5 Sterne

Können Autorinnen befreundet sein? June und Athena sind beide aufstrebende Autorinnen, aber während June noch auf ihren großen Durchbruch wartet, ist Athene eine gefeierte Jungautorin. Als sie sich mal wieder treffen erzählt Athene von ihrem neuen Manuskript, das noch keiner kennt und verstirbt dann bei einem Unfall. Während June noch auf den Krankenwagen wartet, wandert das Manuskript irgendwie in ihre Tasche ...

Das Buch bzw. das Cover fand ich jetzt nicht so ansprechend, aber die Story hat mich trotzdem total angesprochen und ich war froh, es gelesen zu haben. Der Beginn mit June uns Athene, mit dem Neid, der Missgunst und trotzdem dem Lächeln von June, dem Unfall, der Athene das Leben kostet, was June dann tat. Das alles konnte mich total in seinen Bann ziehen. Ein toller Schreisbtil, eine spannende Story, die Gewissensbisse, die June verfolgen. Ich habe es sehr gerne gelesen.
von _ich.lese_ - 2024-05-12 18:52:00

Kein Titel - 5 Sterne

Nach den ersten paar Seiten stand für mich fest: Ich kann Juniper nicht ausstehen.
Sie behauptet Athenas Freundin zu sein, verhält sich aber nicht so. Sie stellt sich regelmäßig (manchmal rechtens?) als Opfer dar, nutz aber andere schamlos aus. Selten bekommt man beim Lesen Mitleid mit ihr, das hält aber nie lange an.

Die Geschichte ist trotzdem spannend, man will unbedingt wissen: Wir Juniper erwischt? Fliegt ihr Schwindel auf?
Außerdem bekommt man einen guten Einblick ins Verlagswesen und die Schwierigkeiten des Autorendaseins.

Für alle die gerne kleine Besonderheiten an Büchern lieben: ca. in der Hälfte des Buches unbedingt den Schutzumschlag abnehmen – er verbirgt ein Geheimnis. :)
von Rebecca - 2024-05-06 15:42:00

Ein kritischer Blick auf die Literaturbranche - 5 Sterne

„Yellowface“ ist ein fesselnder und kritischer Roman der Autorin Rebecca F. Kuang, der gesellschaftskritisch und spannend zugleich ist.

June Hayward und Athena Liu sind Schriftstellerinnen. Allerdings ist Athena deutlich erfolgreicher als June, was direkt heftigen Neid bei dieser hervorruft. Entsprechend abfällig äußert sie sich über Athena. Als Athena - nachdem sie gerade einen Vertrag über eine Verfilmung unterschrieben hat - plötzlich verstirbt, sieht June ihre Chance. Sie nimmt Athenas unvollendetes Manuskript an sich, um es zu überarbeiten und als eigenes auszugeben.

Der Schreibstil von Rebecca F. Kuang ist einfach genial, da er sich leicht lesen lässt, unterhaltsam, kritisch, bissig und spannend zugleich ist.

Die Ereignisse werden aus der Perspektive von June geschildert. June ist eine schwierige Protagonistin. Sympathisch ist sie nicht, ganz im Gegenteil, ihre Missgunst gegenüber Athena, ihre Gier nach Erfolg und ihr skrupelloses Handeln haben es mir unmöglich gemacht sie zu mögen.

Der Roman gibt einen interessanten Einblick in die hart umkämpfte Literaturbranche und gleichzeitig auch in die Tiefen der menschlichen Abgründe.
Außerdem kommen hier eine Vielzahl aktueller und brisanter Themen zusammen, es geht um Neid, Rassismus, soziale Medien, Druck, Identität, Cancel-Culture und vieles mehr.

Das Cover – meiner Meinung nach absolut gelungen und passend – muss ich nicht erwähnen, das sieht jeder. Aber hier lohnt es sich wirklich einen Blick unter den Schutzumschlag zu werfen, mehr verrate ich aber nicht.

Das Ende ist offen und lässt Raum für eigene Gedanken, was ich für einen gesellschaftskritischen Roman, der zum Nachdenken anregen soll, als durchaus passend empfunden habe.
von Tara - 2024-05-05 22:12:00

Das Lügen war kaum auszuhalten - 5 Sterne

Der Inhalt des Romans ist oftmals beschrieben (siehe sogleich) und damit denke ich, hinlänglich bekannt..

Ich fand die Idee, dass geistiges Eigentum aufgrund des Todes einer erfolgreichen Autorin von einer nicht erfolgreichen Autorin geklaut wird, interessant. Schwer auszuhalten waren die Lügen der „Diebin“ und das Gefühl, dass sie entdeckt wird – dass sie sich nie mehr sicher sein kann, ob nicht doch jemand dahinterkommt. All das hat für mich ein prickelndes, aufgeregtes und doch sehr unangenehmes Gefühl beim Lesen verursacht. Das ständige Gefühl, dass doch entdeckt wird, dass der Erfolg „der Diebin“ nicht zusteht und die Scham und ihr tiefer Fall sehr schlimm wäre, ist für mich schwer verdaulich gewesen – ich konnte mich beim Lesen richtig reinfühlen.

Dann hat mir auch sehr gut gefallen, dass viele Themen in diese Geschichte verwoben wurden, wie Rassismus, Neid, soziale Medien und kulturelle Aneignung.
von niki - 2024-05-04 19:34:00

Einblick in eine hart umkämpfte Branche - 4 Sterne

Auf den ersten Seiten trieft „Yellowface“ von Rebecca F. Kuang vor allem vor eines: vor NEID. Die Ich-Erzählerin June Hayward berichtet uns Lesern von ihrer besten Freundin Athena Liu. Beide sind Schriftstellerinnen, doch die eine ist erfolgreicher als die andere. Und June neidet Athena ihren Erfolg. Sie erscheint uns also als höchst unsympathischer Charakter. Für sie macht es den Eindruck, als würde in der Buchbranche sehr willkürlich darüber entschieden, welche Autoren „gepusht“ werden und welche nicht. Athena kommt in ihrem Bericht nicht gut weg. Sie sei keine gute Zuhörerin und gebe gehörig mit ihrem Erfolg an. Als Leser hatte ich den Eindruck, als stünde Athena mehr Bescheidenheit gut zu Gesicht. Kurzum: Von einer Freundschaft zwischen den beiden kann nicht die Rede sein.



Auf ihrem Höhepunkt des Erfolg angekommen (Athena hat gerade erst einen Vertrag über eine Verfilmung unterschrieben), bricht das Unglück hart über sie herein. Athena erstickt an einem Stück Pfannkuchen und June kann ihr nicht mehr helfen. Die Ich-Erzählerin nutzt die Gunst der Stunde, entwendet Athenas unvollendetes Manuskript, überarbeitet es und gibt es als ihr eigenes heraus. Ihre Trauer hält sich in Grenzen. Sie schlachtet das Geschehen sogar noch für Twitter aus. Dabei wird deutlich, dass sie ihre Betroffenheit über den Tod der Freundin regelrecht spielt. Spätestens jetzt hat June alle Sympathien beim Leser verloren.



Im weiteren Handlungsverlauf erleben wir die Geschichte des Auf- und des Abstiegs von June. Sie rechtfertigt sich in einer direkten Leseransprache sogar für ihr Handeln. Und zunächst ist sie überaus erfolgreich. Sie verdient gutes Geld. Ihr plagiiertes Buch schlägt sofort in die Bestseller-Liste ein. Sie wird mit Preisen überhäuft und erhält viele Einladungen zu verschiedenen Veranstaltungen. Und wir erhalten folgende Einblicke in den Literaturbetrieb: in die Überarbeitungsprozesse eines Textes sowie in das Marketing eines Titels. Spannend und für mich neu war auch die Information, wie sensibel Werke vermarktet werden müssen (Stichwort: kulturelle Aneignung), um nicht den Zorn der sozialen Medien auf sich zu ziehen. Es gibt sogar sogenannte „sensitivity reader“, die ein Werk im Vorfeld auf problematische Textstellen überprüfen. Das wusste ich nicht! Auch ein entsprechendes Image von Autoren muss kreiert werden. Und um die Verkaufszahlen zu forcieren, muss auf „social-media“- Kanälen viel zur textverfassenden Person und zum Buch gepostet werden. Zu einer Wendung kommt es, als dann die Vorwürfe im Netz auftauchen, dass June plagiiert hat. Es stellen sich folgende Fragen: Wie wird June mit der Beschuldigung umgehen? Wie geht es mit ihr weiter? Und wer steckt hinter den anonymen Behauptungen? Und woher wissen die anonymen Stimmen von Junes Diebstahl? Ich verrate nur so viel: Es ist unglaublich, mit welcher Verachtung und mit welchem Psychoterror man June fortan begegnet. Auf den sozialen Medien wird eine Hexenjagd auf sie veranstaltet. Der Klatsch und Tratsch, der entsteht, ist niederträchtig. Paradoxerweise kurbelt der Hass auf June aber ihre Verkaufszahlen an. Verrückte Welt! Sicherlich auch ein Seitenhieb auf den „hatespeech“ im Internet und noch dazu ein kritischer Hinweis auf die Macht von „social-media“. Und letztlich wird auch die kurze Aufmerksamkeitsspanne des Betriebs rund ums Buch beanstandet. Die Marktmechanismen werden gut veranschaulicht und auch nebenbei wird auch deutlich, wie schwer es für Autoren sein kann, immer wieder aufs Neue kreativ zu werden.



Folgendes hat mich an dem Buch gestört: Wie erwähnt, muss man sich als Leser darauf einlassen können, dass es sich bei June um eine unsympathische Figur handelt. Ich habe mich stellenweise etwas schwer mit der Protagonistin getan. Darüber hinaus habe ich mich stellenweise gefragt, wie realistisch der Einblick in die Buchbranche ist. Ist das, was über den amerikanischen Betrieb rund ums Buch geschildert wird, ohne Weiteres auf den deutschen Markt übertragbar (z.B. das hohe Honorar im Zuge von Vertragsverhandlungen? Werden wirklich sechsstellige Summen für Bücher bezahlt?). Ich denke eher nicht, aber ich bin natürlich kein Experte. Mir erschien die Darstellung von Autoren als „Popstars“ nicht sehr wirklichkeitsnah. In Deutschland stellt sich die Situation sogar eher so dar, dass gerade junge Autoren, die sich durchsetzen wollen, nicht gerade üppig bezahlt werden. Sie erhalten als Tantiemen ca. 5-10% des Verkaufspreises pro Buch (vgl. dazu z.B. die Informationen auf der Seite von „Autorenwelt“). Was ich mich auch gefragt habe: Führen die Verlage eigentlich Marktforschung durch, um zu überprüfen, ob die Marketing-Strategien auch den gewünschten Effekt nach sich ziehen? Nach meinem Geschmack hätte der Einblick in den Literaturbetrieb sogar noch tiefgründiger ausfallen können. Das Geschäft mit den „sensivity readern“ kannte ich zwar bisher nicht, aber der Rest war für mich nichts Neues oder Überraschendes. Und abschließend noch ein Kritikpunkt, der auch in vielen anderen Rezensionen bereits benannt worden ist: Ist die genderneutrale Schreibweise in dem Buch ein Störfaktor? Mich hat es nicht gestört, aber ich möchte darauf hinweisen, dass die Doppelpunkt-Schreibung nicht barrierefrei ist (vgl. dazu meine Rezension zu Johanna Usinger: „Einfach können. Gendern“). Auch gebe ich zu bedenken, dass es vom Rat für Rechtschreibung noch keine klare Regelung gibt. Ich gebe dem Buch aufgrund der genannten Kritikpunkte 4 Sterne. Es war eine unterhaltsame Lektüre, aber kein Highlight, das 5 Sterne verdient.
von Tobias Kallfell - 2024-05-04 17:01:00

Ein Jahreshighlight - 5 Sterne

Ein absolutes Jahres-Highlight!
Endlich mal wieder ein Buch, das mit ab der ersten Seite fesselte und bis zum Ende nicht mehr losließ.

Ich habe von der Autorin bereits andere Werke gelesen und obwohl ich Babel zwar unheimlich gut geschrieben fand, musste ich das Buch einfach pausieren. Es passte nie so richtig in meine Lesestimmung. Der erste Band der „Im Zeichen der Mohnblume“ Reihe fand ich leider nicht ganz ansprechend, so begeistert, wie andere Leser:innen von den Büchern der Reihe sind, muss ich diese wohl aber nochmals lesen.
Aber „Yellowface“ packte mich ab der ersten Seite. Und dass, obwohl die Protagonistin wirklich keine Sympathieträgerin ist. Obwohl es in diesem Fall eher lauten sollte: Gerade, weil die Protagonistin keine Sympathieträgerin ist.
Um ehrlich zu sein ist eigentlich keiner der Charaktere wirklich sonderlich sympathisch oder liebenswert. Athena Lius Mutter vielleicht einmal ausgenommen.
Erzählt wird die Geschichte in der Ich-Perspektive von June und somit hat man als Leser:in das Gefühl, wirklich mitten in der Geschichte zu sein, alles hautnah mitzuerleben.
Während des Lesens wollte ich, dass Junes Lügenkonstrukt ihr um die Ohren fliegt und gleichzeitig wollte ich es auch wieder nicht. Weil man als Leser:in irgendwie doch eine Verbindung zu June aufbaut, sich in ihren Lügen verheddert.

Das Ende ist schon fast wie ein waschechter Showdown aus einem Thriller und passt so sehr zur Geschichte, wie es das auch nicht tut.
Zynische Satire, Thriller, Drama, das Buch lässt sich keinem Genre zuordnen und bedient sich einfach der besten Elemente verschiedener Genres. Ich finde R.F. Kuangs Stil einfach grandios und bin so froh, dieses Buch aufgeschlagen zu haben.

Wie auch in ihren anderen Werken behandelt die Autorin das Thema Rassismus in diesem Buch. Vor allem kulturelle Aneignung und Diversität stehen hier im Vordergrund. Die Autorin verwebt diese großen und wichtigen Themen in einer kritischen, mitunter sehr zynischen Art.
Und natürlich findet viel Handlung auf einer Metaebene auf Twitter/X statt. Cybermobbing und Shitstorms sind hierbei vorprogrammiert.
Es ist eine Fülle an Themen, die schon für sich genommen sehr interessant sind, die in diesem Werk miteinander verbunden werden und eine spannende, düstere Geschichte als Resultat hervorbringen.

Super interessant fand ich die literarischen Einblicke in der Verlagswelt. Ja, vieles wird hier sehr dramatisch und überspitzt dargestellt, aber als Person ohne nennenswerte Kenntnisse oder Erfahrungen in und über diese Branche glaube ich, dass irgendwo ein Fünkchen Wahrheit beziehungsweise Realismus in den Szenen vergraben liegt. Als Leser:in hat man ja gerne ein sehr romantisch verklärtes Bild der Verlagswelt.

Meine Rezension wird dem Buch einfach nicht gerecht. Ich kann nur empfehlen, sich selber eine Meinung über dieses grandiose Buch zu bilden, das auch ein paar Tage nach Beenden noch in mir nachhallt.
von Ceciliasophie - 2024-05-01 18:37:00

Spannender Einblick in die Literaturwelt - 5 Sterne

Athena Liu hat mit nur 27 Jahren bereits beachtliche Erfolge als Schriftstellerin erzielt: Ihre drei Romane sind Bestseller und sie hat mehrere Literaturpreise gewonnen. Doch ihre Freundin June Hayward ist bitterlich neidisch auf sie. Trotz ihrer gemeinsamen Studentenzeit treffen sich die beiden nur alle paar Monate, um über das Schreiben zu sprechen. Als Athena bei einem Treffen in ihrer Wohnung tragisch stirbt, entwickelt June einen Plan, um von Athenas unveröffentlichtem Manuskript zu profitieren. Das Buch mit dem Titel "Die letzte Front" handelt von chinesischen Arbeitern im Ersten Weltkrieg. June überarbeitet das Werk und gibt es als ihr eigenes aus. Als "Juniper Song" wird sie plötzlich als gefeierte Autorin bekannt und erhält einen lukrativen Verlagsvertrag. Doch bald ziehen dunkle Wolken auf: Juniper Song muss mit Neidern und Bedrohungen in den sozialen Medien umgehen und fühlt sich einsam und bedroht.

Die Geschichte fesselt von Anfang an und bietet einen faszinierenden Einblick in die Welt des Verlagswesens und den Ruhm als Schriftsteller*in. Rebecca F. Kuang gelingt es, Junes Gedanken und Motive so einfühlsam darzustellen, dass man mit ihr mitfühlt, auch wenn ihre Handlungen fragwürdig sind. Die Geschichte zeigt eindrucksvoll die Macht und die Gefahren von Social Media für Autor*innen. Trotz einiger schockierender Momente ist das Buch packend geschrieben und gehört zu meinen Favoriten des Jahres 2024. Fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung!
von Seitendreherin - 2024-04-27 15:59:00

Herausfordernd & ambivalent - 3 Sterne

Bislang habe ich mich mit noch keiner Rezension so schwer getan wie mit der zu „Yellowface“. Meine Erwartungen waren durch starkes Marketing und den Erfolg der Original-Ausgabe enorm hoch. Und weil ich davon ausging, dass es ein Easy-Read mit moralischer Dimension wird, waren diese Erwartungen zum Scheitern verurteilt. (Abgesehen von der Umschlagsgestaltung, wie genial ist die bitte?! ????)

Denn wenn „Yellowface“ eins nicht ist, dann einfach. Das liegt nicht an der Sprache, sondern an der Wucht an Ambivalenz. Die weiße Protagonistin June stiehlt nach dem Tod ihrer wesentlich erfolgreicheren, chinesisch-amerikanischen Freundin Athena deren Manuskript, schreibt es um und veröffentlicht es. Es wird ein Bestseller, aber auf den Erfolg folgen die ersten Kritiken, Zweifel und Drohungen. Die Handlung ist immer wieder von thrillerartigen Elementen durchzogen. Das Ende fanden einige Menschen wohl vorhersehbar, ich nicht und mich hat es persönlich auch nicht ganz zufriedengestellt.

Nicht nur die Protagonistin ist ziemlich unsympathisch, auch die anderen Charaktere lassen sich nicht wirklich moralisch klar einordnen. Und das macht das Buch nicht nur zu einer Kritik am Literaturbetrieb, an kultureller Aneignung und Cancel Culture, sondern in meinen Augen vor allem zu einem Werk stetiger Hinterfragung der eigenen moralischen Wertung und des persönlichen Verständnisses. Was ist Satire, was ist reale Ambivalenz? An welchen Stellen manipuliert June unser Urteil, wo ist Mitgefühl vielleicht angebracht? Ich bin davon überzeugt, dass alle Lesenden zu einer (leicht) unterschiedlichen Bewertung kommen. „Yellowface“ fand ich wirklich herausfordernd bis anstrengend und dennoch wichtig zu lesen. Sich mit anderen dazu auszutauschen ist wahrscheinlich sehr zu empfehlen. ????
von nessabo - 2024-04-15 17:44:00

Gesellschaftskritisch, provokant und Einblicke ins Verlangswesen - 4 Sterne

Auch ich bin um den Hype dieses Buches herumgekommen und habe es in einer Leserunde gelesen, wofür es sich wirklich gut eignet, da es einigen Diskussionsstoff verschiedenster Themen bereithält.

Grundsätzlich handelt es sich um eine Autorin namens June die in der Verlagswelt noch nicht so richtig Fuß gefasst hat. Als ihre bereits renommierte und bereits berühmte Autorinnenfreundin Athena verstirbt, klaut June ihren neuesten Roman und veröffentlicht ihn als ihren und wird damit ebenso Weltbekannt.

Ich fand es sehr interessant durch den Roman Einblicke in die Verlagswelt zu bekommen und wie sich diese im Hintergrund abspielen könnte.
Dies ist aber nur ein Teil dieses Buches, das viel altbekannte aber auch ganz aktuelle Gesellschaftskritische Themen auf provokante Weise angesprochen werden, die mich sehr zum Nachdenken angeregt haben.
Anfangen von Rassismus über soziale Medien und welche extremen Auswirkungen diese haben können, als auch simple gesellschaftskritische Fragen in die Richtung was ist falsch, richtig oder gibt es eine Grauzone?
von Sandra Schwarz - 2024-04-08 14:31:00

Yellowface - 5 Sterne

Bei diesem Thema wäre es natürlich das naheliegende, den tollen Buchtipp meiner Kollegin Verena einfach abzuschreiben und als meine eigene Rezension auszugeben. Wäre ich richtig dreist, würde ich sogar behaupten, es sei von Anfang an MEINE gewesen und sie hätte mir meine Worte geklaut.

Aber das würde mir natürlich nicht im Traum einfallen, und wenn man den großartigen Roman „Yellowface“ gelesen hat, weiß man hinterher, dass einem diese Art von Diebstahl einige Schwierigkeiten bescheren könnte.
June Hayward, eine junge und nicht mal im Ansatz erfolgreiche Schriftstellerin, wird da weniger von Skrupeln geplagt. Sie ist live vor Ort, als ihre ehemalige Kommilitonin Athena Liu bei einem ebenso grotesken wie tragischen Unfall ums Leben kommt. Zwar verständigt June den Notarzt, aber trotz der ganzen Dramatik ist sie geistesgegenwärtig genug, das fertige Manuskript von Athenas letztem, bisher unveröffentlichten Roman einzusacken.
Und dann läuft die Maschinerie an: Nach einiger Überarbeitung und Ergänzung wird „Die letzte Front“ unter dem Namen „Juniper Song“ veröffentlicht – Song soll natürlich vermuten lassen, dass es sich hierbei um eine Autorin mit asiatischen Wurzeln handelt, weil das gut zum Thema des Romans passt, in Wirklichkeit aber ist Song einfach nur Junes zweiter Vorname.
Sehr gut gefallen hat mir hierbei, dass man tatsächlich „Die letzte Front“ in den Händen hält, wenn man den „Yellowface“-Buchumschlag entfernt; das ist ein wirklich netter Gag.

Gerade für uns aus der Buchbranche ist es natürlich großartig und erheiternd zu lesen, wie ganz gezielt ein Buch noch vor seiner Veröffentlichung zu einem Bestseller gepusht wird; was dafür getan wird, nämlich ALLES, ein Buch zum „Buch der Saison“ zu machen, und wie der Buchkäufer später kaum umhinkommt, eben dieses Buch zu erwerben.
„Der Literaturbetrieb sucht sich einen Gewinner oder eine Gewinnerin aus… es ist so verdammt willkürlich. Oder vielleicht nicht willkürlich, aber es hängt von Faktoren ab, die nichts mit der Qualität des eigenen Schreibens zu tun haben.“

Für June erfüllt sich ein Traum, endlich ist sie die gefeierte Bestseller-Autorin, die sie immer sein wollte, endlich wird sie wahrgenommen, und jetzt versteht sie auch, dass die Mühen einer Autorin gar nichts mit dem Erfolg eines Buches zu tun haben. „Bestseller werden auserkoren. Es ist egal, was du tust. Du kannst die Reise einfach genießen.“
Doch kann sie das wirklich? Kann sie wirklich mit der Lüge leben und mit der Tatsache, dass IHR Buch ja gar nicht wirklich ihr Buch ist?
Ja, June kann das perfekt, denn es wäre ja viel zu leicht, sie eine Diebin, eine Plagiatorin zu nennen. Ein Plagiat ist schließlich nur der einfache Weg, wenn man selber nicht imstande ist, die richtigen Worte zu Papier zu bringen. Aber June hat es sich ja nicht einfach gemacht, sie hat richtig viel Arbeit in Athenas Manuskript gesteckt, das ja unmöglich in seinem schäbigen Urzustand gedruckt werden konnte.

Es ist schon fast gruselig zu lesen, wie June – die mir von Kapitel zu Kapitel immer noch unsympathischer wurde – diese monumentale Lüge lebt, wie sie sich einredet, dass „Die letzte Front“ eine noch nie dagewesene „Zusammenarbeit“ ist (von der natürlich einzig und allein sie weiß), und dass Athena es ja vielleicht sogar so gewollt hätte.
Wie sie die Tatsache verdreht, dass sie Athena eigentlich immer unerträglich gefunden hat, weil sie im Vergleich mit ihr immer den Kürzeren gezogen hat, aber jetzt im Nachhinein ihre Beziehung aufbauscht und große Trauer über den Verlust der geliebten Freundin vortäuscht – das ist schon richtig fies.

„Am Ende geht es nur darum, die eigenen Interessen durchzudrücken. Das Narrativ zu manipulieren; die Oberhand zu gewinnen. Wenn im Literaturbetrieb schon mit gezinkten Karten gespielt wird, kannst du wenigstens dafür sorgen, dass das Blatt zu deinen Gunsten ausgeteilt wird… So überlebt man in dieser Branche.“
Das mag ernüchternd klingen, aber bei aller Desillusionierung ist „Yellowface“ vor allem erstklassige bitterböse Unterhaltung.

Und „Babel“ – Der weltweite(!) Bestseller(!!!) über die Magie(!) der Sprache und die Macht(!!!) von Worten von Rebecca F. Kuang (hier kann ich gar nicht so viele Ausrufezeichen setzten, wie ich möchte, weil es doch einfach wunderbar dazu passt, was wir gerade über die Macht eines Bestsellers erfahren haben) – werde ich nach der Lektüre dieses Romans sicherlich auch bald vom Stapel ungelesener Bücher befreien!

Hier gebe ich ganz ehrlich zu: Diesen letzten Absatz habe ich jetzt wirklich einfach abgeschrieben und nur ein bisschen verändert – denn konnte ich ihn guten Gewissens in seinem schäbigen Urzustand lassen?
Hauptsache ist doch, dass er geschrieben wurde – egal von wem! Oder etwa nicht?
von Maxie Bantleon - 2024-04-04 16:21:31